berichte einsendeten, nur einen Staatsmann, der das Zeug zu einem Minister besaß, und dieser Eine, W. Humboldt, war unmöglich. Er stand bei sämmtlichen Großmächten in so schlechter Nachrede, daß er in der Quadrupelallianz niemals eine erfolgreiche Rolle spielen konnte; bei Hofe unbeliebt war er von Hardenberg noch immer durch das alte gegenseitige Mißtrauen getrennt und paßte nicht für ein Departement, das nach wie vor der besonderen Aufsicht des Staatskanzlers untergeordnet bleiben sollte; er hatte endlich erst im letzten Herbst den Eintritt in das Ministerium abgelehnt und diese Weigerung soeben wiederholt, indem er aus London schrieb: die Minister besäßen keine wahre Verantwortlichkeit, mit Männern wie Schuckmann wolle er diese Verantwortlichkeit auch nicht theilen.*) Unter solchen Umständen war es wohl begreiflich, daß der König, der schon so viele Männer aus dem deutschen Auslande in seinen Dienst ge- zogen hatte, sich auch diesmal um die lebhaft ausgesprochene Empfind- lichkeit seiner eingeborenen Beamten nicht kümmerte und wieder die Be- rufung eines nichtpreußischen Deutschen beschloß.
Ein Deutscher war Graf Bernstorff auch im dänischen Dienste immer geblieben. Nach einer kurzen diplomatischen Lehrzeit bei der Berliner Ge- sandtschaft hatte er einst schon mit siebenundzwanzig Jahren die Leitung des auswärtigen Amts in Kopenhagen übernommen und als letzter Ver- treter der vielhundertjährigen deutschen Adelsherrschaft in Dänemark manchen harten Strauß mit dem erwachenden unduldsamen National- stolze des Inselvolks bestehen müssen; die deutsche Bernstorffische Partei und die Rosenkrantzische dänische Nationalpartei standen einander schroff gegenüber. An den Ruhm seines Großoheims und seines Vaters, der beiden großen Bauernbefreier Dänemarks, reichten seine Verdienste nicht heran; auch das Glück war seiner Verwaltung nicht hold. Er konnte den Raubzug der Engländer gegen Kopenhagen nicht verhindern, und auch späterhin, als er wieder in die Gesandtenlaufbahn zurückgetreten war, gelang es ihm nicht, seinem von allen Großmächten preisgegebenen Mon- archen auf dem Wiener Congresse ein besseres Loos zu bereiten. Trotz dieser Mißerfolge galt er allgemein als ein ehrenhafter, muthiger und kluger Staatsmann. Im persönlichen Verkehre zeigte er würdige und doch sanfte Formen, wie sie König Friedrich Wilhelm liebte, eine bezau- bernde Anmuth, die aus einem edlen Herzen kam. In dem schönen Park seiner Amtswohnung auf der Wilhelmsstraße trafen an Sommerabenden Gneisenau und Clausewitz mit einem fröhlichen Kreise geistreicher Menschen zusammen und in der Regel kamen auch die befreundeten Nachbarn, die Radziwills, über die Treppe, welche die Gartenmauer überbrückte, hinüber- gestiegen. Der Minister war durch seine Oheime, die Gebrüder Stolberg, früh in die Literatur eingeführt, zeigte selber ein liebenswürdiges poetisches
*) Humboldt an Hardenberg, 29. Mai 1818.
Graf Bernſtorff Miniſter des Auswärtigen.
berichte einſendeten, nur einen Staatsmann, der das Zeug zu einem Miniſter beſaß, und dieſer Eine, W. Humboldt, war unmöglich. Er ſtand bei ſämmtlichen Großmächten in ſo ſchlechter Nachrede, daß er in der Quadrupelallianz niemals eine erfolgreiche Rolle ſpielen konnte; bei Hofe unbeliebt war er von Hardenberg noch immer durch das alte gegenſeitige Mißtrauen getrennt und paßte nicht für ein Departement, das nach wie vor der beſonderen Aufſicht des Staatskanzlers untergeordnet bleiben ſollte; er hatte endlich erſt im letzten Herbſt den Eintritt in das Miniſterium abgelehnt und dieſe Weigerung ſoeben wiederholt, indem er aus London ſchrieb: die Miniſter beſäßen keine wahre Verantwortlichkeit, mit Männern wie Schuckmann wolle er dieſe Verantwortlichkeit auch nicht theilen.*) Unter ſolchen Umſtänden war es wohl begreiflich, daß der König, der ſchon ſo viele Männer aus dem deutſchen Auslande in ſeinen Dienſt ge- zogen hatte, ſich auch diesmal um die lebhaft ausgeſprochene Empfind- lichkeit ſeiner eingeborenen Beamten nicht kümmerte und wieder die Be- rufung eines nichtpreußiſchen Deutſchen beſchloß.
Ein Deutſcher war Graf Bernſtorff auch im däniſchen Dienſte immer geblieben. Nach einer kurzen diplomatiſchen Lehrzeit bei der Berliner Ge- ſandtſchaft hatte er einſt ſchon mit ſiebenundzwanzig Jahren die Leitung des auswärtigen Amts in Kopenhagen übernommen und als letzter Ver- treter der vielhundertjährigen deutſchen Adelsherrſchaft in Dänemark manchen harten Strauß mit dem erwachenden unduldſamen National- ſtolze des Inſelvolks beſtehen müſſen; die deutſche Bernſtorffiſche Partei und die Roſenkrantziſche däniſche Nationalpartei ſtanden einander ſchroff gegenüber. An den Ruhm ſeines Großoheims und ſeines Vaters, der beiden großen Bauernbefreier Dänemarks, reichten ſeine Verdienſte nicht heran; auch das Glück war ſeiner Verwaltung nicht hold. Er konnte den Raubzug der Engländer gegen Kopenhagen nicht verhindern, und auch ſpäterhin, als er wieder in die Geſandtenlaufbahn zurückgetreten war, gelang es ihm nicht, ſeinem von allen Großmächten preisgegebenen Mon- archen auf dem Wiener Congreſſe ein beſſeres Loos zu bereiten. Trotz dieſer Mißerfolge galt er allgemein als ein ehrenhafter, muthiger und kluger Staatsmann. Im perſönlichen Verkehre zeigte er würdige und doch ſanfte Formen, wie ſie König Friedrich Wilhelm liebte, eine bezau- bernde Anmuth, die aus einem edlen Herzen kam. In dem ſchönen Park ſeiner Amtswohnung auf der Wilhelmsſtraße trafen an Sommerabenden Gneiſenau und Clauſewitz mit einem fröhlichen Kreiſe geiſtreicher Menſchen zuſammen und in der Regel kamen auch die befreundeten Nachbarn, die Radziwills, über die Treppe, welche die Gartenmauer überbrückte, hinüber- geſtiegen. Der Miniſter war durch ſeine Oheime, die Gebrüder Stolberg, früh in die Literatur eingeführt, zeigte ſelber ein liebenswürdiges poetiſches
*) Humboldt an Hardenberg, 29. Mai 1818.
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Graf Bernſtorff Miniſter des Auswärtigen.
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Miniſter beſaß, und dieſer Eine, W. Humboldt, war unmöglich. Er ſtand
bei ſämmtlichen Großmächten in ſo ſchlechter Nachrede, daß er in der
Quadrupelallianz niemals eine erfolgreiche Rolle ſpielen konnte; bei Hofe
unbeliebt war er von Hardenberg noch immer durch das alte gegenſeitige
Mißtrauen getrennt und paßte nicht für ein Departement, das nach wie
vor der beſonderen Aufſicht des Staatskanzlers untergeordnet bleiben ſollte;
er hatte endlich erſt im letzten Herbſt den Eintritt in das Miniſterium
abgelehnt und dieſe Weigerung ſoeben wiederholt, indem er aus London
ſchrieb: die Miniſter beſäßen keine wahre Verantwortlichkeit, mit Männern
wie Schuckmann wolle er dieſe Verantwortlichkeit auch nicht theilen. *)
Unter ſolchen Umſtänden war es wohl begreiflich, daß der König, der
ſchon ſo viele Männer aus dem deutſchen Auslande in ſeinen Dienſt ge-
zogen hatte, ſich auch diesmal um die lebhaft ausgeſprochene Empfind-
lichkeit ſeiner eingeborenen Beamten nicht kümmerte und wieder die Be-
rufung eines nichtpreußiſchen Deutſchen beſchloß.
Ein Deutſcher war Graf Bernſtorff auch im däniſchen Dienſte immer
geblieben. Nach einer kurzen diplomatiſchen Lehrzeit bei der Berliner Ge-
ſandtſchaft hatte er einſt ſchon mit ſiebenundzwanzig Jahren die Leitung
des auswärtigen Amts in Kopenhagen übernommen und als letzter Ver-
treter der vielhundertjährigen deutſchen Adelsherrſchaft in Dänemark
manchen harten Strauß mit dem erwachenden unduldſamen National-
ſtolze des Inſelvolks beſtehen müſſen; die deutſche Bernſtorffiſche Partei
und die Roſenkrantziſche däniſche Nationalpartei ſtanden einander ſchroff
gegenüber. An den Ruhm ſeines Großoheims und ſeines Vaters, der
beiden großen Bauernbefreier Dänemarks, reichten ſeine Verdienſte nicht
heran; auch das Glück war ſeiner Verwaltung nicht hold. Er konnte
den Raubzug der Engländer gegen Kopenhagen nicht verhindern, und auch
ſpäterhin, als er wieder in die Geſandtenlaufbahn zurückgetreten war,
gelang es ihm nicht, ſeinem von allen Großmächten preisgegebenen Mon-
archen auf dem Wiener Congreſſe ein beſſeres Loos zu bereiten. Trotz
dieſer Mißerfolge galt er allgemein als ein ehrenhafter, muthiger und
kluger Staatsmann. Im perſönlichen Verkehre zeigte er würdige und
doch ſanfte Formen, wie ſie König Friedrich Wilhelm liebte, eine bezau-
bernde Anmuth, die aus einem edlen Herzen kam. In dem ſchönen Park
ſeiner Amtswohnung auf der Wilhelmsſtraße trafen an Sommerabenden
Gneiſenau und Clauſewitz mit einem fröhlichen Kreiſe geiſtreicher Menſchen
zuſammen und in der Regel kamen auch die befreundeten Nachbarn, die
Radziwills, über die Treppe, welche die Gartenmauer überbrückte, hinüber-
geſtiegen. Der Miniſter war durch ſeine Oheime, die Gebrüder Stolberg,
früh in die Literatur eingeführt, zeigte ſelber ein liebenswürdiges poetiſches
*) Humboldt an Hardenberg, 29. Mai 1818.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/473>, abgerufen am 16.07.2024.
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