Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite
Hardenberg in Engers.

Nach dem unverkennbaren Umschwung der russischen Politik durfte
Metternich in der That hoffen, daß Oesterreich binnen Kurzem die Stelle
des Führers in dem europäischen Bunde erlangen würde. Auf die Freund-
schaft des Tory-Cabinets konnte er sich fest verlassen, obschon Lord Cast-
lereagh auf die erstarkende Opposition der Whigs einige Rücksicht zu
nehmen hatte und darum wo möglich jeden förmlichen Vertrag, der im
Parlamente Anstoß geben konnte, zu vermeiden wünschte. Auch in Preußen
ließ sich die reaktionäre Strömung der Zeit schon in leisen Wellenschlägen
verspüren. Das Wartburgfest hatte den König tief und nachhaltig ver-
stimmt. Nicht ohne Bangen verließ Hardenberg den Hof um die ersten
Monate des Jahres 1818 auf Schloß Engers am Rhein zu verbringen und
die Stimmung der schwierigen Provinz selber zu erkunden. Seine schwerste
Sorge galt der Verfassungsarbeit. Er wußte, daß dies Unternehmen allen
anderen Großmächten ebenso unheimlich war wie das preußische Wehrgesetz.
Ueber die Meinung des Wiener Hofes bestand kein Zweifel, obgleich
Metternich sich noch nicht offen ausgesprochen hatte. Aus Paris meldete
Goltz schon im April 1817 und dann immer aufs Neue, wie dringend
Wellington und Richelieu ihn vor dem unsinnigen Wagniß einer preu-
ßischen Verfassung gewarnt hätten; und was das Verdächtigste war, beide
Staatsmänner vertraten genau dieselbe Ansicht wie Ancillon und die reak-
tionäre Partei in Berlin; sie meinten, ein so buntgemischter Staat wie
Preußen müsse sich mit Provinzalständen begnügen. Auch Czar Alexander
that selbst in den Tagen, da er der Welt das Programm des christlichen
Liberalismus verkündigte, durchaus nichts um die preußische Verfassung
zu fördern; man erfuhr nur, daß er sich schwer besorgt über die politische
Zuverlässigkeit der preußischen Landwehr äußerte.

Hardenberg fühlte, wie leicht ihm alle diese Gegner über den Kopf
wachsen konnten, und mahnte die Minister in Berlin wiederholt und nach-
drücklich zur Beschleunigung der Verfassungsarbeit.*) Aber der Verfas-
sungsausschuß des Staatsraths konnte seine Berathungen nicht beginnen,
so lange ihm die Berichte der drei Minister, welche die Provinzen bereist
hatten, noch nicht vorlagen; und diese Berichte blieben aus, da Altenstein
und Klewiz mit der Einrichtung ihrer soeben erst neu gebildeten Depar-
tements über und über beschäftigt waren. Unterdessen wurden auch die
Gutachten der Provinzialregierungen über die Provinzialstände eingefordert;
Vincke aber fügte, als er die westphälischen Akten einsendete, die treffende
Bemerkung hinzu, diese Papiere enthielten viel unfruchtbares Gerede, da
man den Regierungen nur einige ganz allgemein gehaltene Fragen ge-
stellt habe. Der auf Klewiz's Rath eingeschlagene Weg erwies sich schon
jetzt als ein Irrweg. Nur wenn ein ausgearbeiteter Verfassungsplan be-
reits vorlag, konnten die Gutachten der Notabeln und der Behörden ein

*) Hardenberg an Klewiz, 8. Dec. 1817, 6. Jan. 1818.
Hardenberg in Engers.

Nach dem unverkennbaren Umſchwung der ruſſiſchen Politik durfte
Metternich in der That hoffen, daß Oeſterreich binnen Kurzem die Stelle
des Führers in dem europäiſchen Bunde erlangen würde. Auf die Freund-
ſchaft des Tory-Cabinets konnte er ſich feſt verlaſſen, obſchon Lord Caſt-
lereagh auf die erſtarkende Oppoſition der Whigs einige Rückſicht zu
nehmen hatte und darum wo möglich jeden förmlichen Vertrag, der im
Parlamente Anſtoß geben konnte, zu vermeiden wünſchte. Auch in Preußen
ließ ſich die reaktionäre Strömung der Zeit ſchon in leiſen Wellenſchlägen
verſpüren. Das Wartburgfeſt hatte den König tief und nachhaltig ver-
ſtimmt. Nicht ohne Bangen verließ Hardenberg den Hof um die erſten
Monate des Jahres 1818 auf Schloß Engers am Rhein zu verbringen und
die Stimmung der ſchwierigen Provinz ſelber zu erkunden. Seine ſchwerſte
Sorge galt der Verfaſſungsarbeit. Er wußte, daß dies Unternehmen allen
anderen Großmächten ebenſo unheimlich war wie das preußiſche Wehrgeſetz.
Ueber die Meinung des Wiener Hofes beſtand kein Zweifel, obgleich
Metternich ſich noch nicht offen ausgeſprochen hatte. Aus Paris meldete
Goltz ſchon im April 1817 und dann immer aufs Neue, wie dringend
Wellington und Richelieu ihn vor dem unſinnigen Wagniß einer preu-
ßiſchen Verfaſſung gewarnt hätten; und was das Verdächtigſte war, beide
Staatsmänner vertraten genau dieſelbe Anſicht wie Ancillon und die reak-
tionäre Partei in Berlin; ſie meinten, ein ſo buntgemiſchter Staat wie
Preußen müſſe ſich mit Provinzalſtänden begnügen. Auch Czar Alexander
that ſelbſt in den Tagen, da er der Welt das Programm des chriſtlichen
Liberalismus verkündigte, durchaus nichts um die preußiſche Verfaſſung
zu fördern; man erfuhr nur, daß er ſich ſchwer beſorgt über die politiſche
Zuverläſſigkeit der preußiſchen Landwehr äußerte.

Hardenberg fühlte, wie leicht ihm alle dieſe Gegner über den Kopf
wachſen konnten, und mahnte die Miniſter in Berlin wiederholt und nach-
drücklich zur Beſchleunigung der Verfaſſungsarbeit.*) Aber der Verfaſ-
ſungsausſchuß des Staatsraths konnte ſeine Berathungen nicht beginnen,
ſo lange ihm die Berichte der drei Miniſter, welche die Provinzen bereiſt
hatten, noch nicht vorlagen; und dieſe Berichte blieben aus, da Altenſtein
und Klewiz mit der Einrichtung ihrer ſoeben erſt neu gebildeten Depar-
tements über und über beſchäftigt waren. Unterdeſſen wurden auch die
Gutachten der Provinzialregierungen über die Provinzialſtände eingefordert;
Vincke aber fügte, als er die weſtphäliſchen Akten einſendete, die treffende
Bemerkung hinzu, dieſe Papiere enthielten viel unfruchtbares Gerede, da
man den Regierungen nur einige ganz allgemein gehaltene Fragen ge-
ſtellt habe. Der auf Klewiz’s Rath eingeſchlagene Weg erwies ſich ſchon
jetzt als ein Irrweg. Nur wenn ein ausgearbeiteter Verfaſſungsplan be-
reits vorlag, konnten die Gutachten der Notabeln und der Behörden ein

*) Hardenberg an Klewiz, 8. Dec. 1817, 6. Jan. 1818.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0467" n="453"/>
          <fw place="top" type="header">Hardenberg in Engers.</fw><lb/>
          <p>Nach dem unverkennbaren Um&#x017F;chwung der ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Politik durfte<lb/>
Metternich in der That hoffen, daß Oe&#x017F;terreich binnen Kurzem die Stelle<lb/>
des Führers in dem europäi&#x017F;chen Bunde erlangen würde. Auf die Freund-<lb/>
&#x017F;chaft des Tory-Cabinets konnte er &#x017F;ich fe&#x017F;t verla&#x017F;&#x017F;en, ob&#x017F;chon Lord Ca&#x017F;t-<lb/>
lereagh auf die er&#x017F;tarkende Oppo&#x017F;ition der Whigs einige Rück&#x017F;icht zu<lb/>
nehmen hatte und darum wo möglich jeden förmlichen Vertrag, der im<lb/>
Parlamente An&#x017F;toß geben konnte, zu vermeiden wün&#x017F;chte. Auch in Preußen<lb/>
ließ &#x017F;ich die reaktionäre Strömung der Zeit &#x017F;chon in lei&#x017F;en Wellen&#x017F;chlägen<lb/>
ver&#x017F;püren. Das Wartburgfe&#x017F;t hatte den König tief und nachhaltig ver-<lb/>
&#x017F;timmt. Nicht ohne Bangen verließ Hardenberg den Hof um die er&#x017F;ten<lb/>
Monate des Jahres 1818 auf Schloß Engers am Rhein zu verbringen und<lb/>
die Stimmung der &#x017F;chwierigen Provinz &#x017F;elber zu erkunden. Seine &#x017F;chwer&#x017F;te<lb/>
Sorge galt der Verfa&#x017F;&#x017F;ungsarbeit. Er wußte, daß dies Unternehmen allen<lb/>
anderen Großmächten eben&#x017F;o unheimlich war wie das preußi&#x017F;che Wehrge&#x017F;etz.<lb/>
Ueber die Meinung des Wiener Hofes be&#x017F;tand kein Zweifel, obgleich<lb/>
Metternich &#x017F;ich noch nicht offen ausge&#x017F;prochen hatte. Aus Paris meldete<lb/>
Goltz &#x017F;chon im April 1817 und dann immer aufs Neue, wie dringend<lb/>
Wellington und Richelieu ihn vor dem un&#x017F;innigen Wagniß einer preu-<lb/>
ßi&#x017F;chen Verfa&#x017F;&#x017F;ung gewarnt hätten; und was das Verdächtig&#x017F;te war, beide<lb/>
Staatsmänner vertraten genau die&#x017F;elbe An&#x017F;icht wie Ancillon und die reak-<lb/>
tionäre Partei in Berlin; &#x017F;ie meinten, ein &#x017F;o buntgemi&#x017F;chter Staat wie<lb/>
Preußen mü&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ich mit Provinzal&#x017F;tänden begnügen. Auch Czar Alexander<lb/>
that &#x017F;elb&#x017F;t in den Tagen, da er der Welt das Programm des chri&#x017F;tlichen<lb/>
Liberalismus verkündigte, durchaus nichts um die preußi&#x017F;che Verfa&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
zu fördern; man erfuhr nur, daß er &#x017F;ich &#x017F;chwer be&#x017F;orgt über die politi&#x017F;che<lb/>
Zuverlä&#x017F;&#x017F;igkeit der preußi&#x017F;chen Landwehr äußerte.</p><lb/>
          <p>Hardenberg fühlte, wie leicht ihm alle die&#x017F;e Gegner über den Kopf<lb/>
wach&#x017F;en konnten, und mahnte die Mini&#x017F;ter in Berlin wiederholt und nach-<lb/>
drücklich zur Be&#x017F;chleunigung der Verfa&#x017F;&#x017F;ungsarbeit.<note place="foot" n="*)">Hardenberg an Klewiz, 8. Dec. 1817, 6. Jan. 1818.</note> Aber der Verfa&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ungsaus&#x017F;chuß des Staatsraths konnte &#x017F;eine Berathungen nicht beginnen,<lb/>
&#x017F;o lange ihm die Berichte der drei Mini&#x017F;ter, welche die Provinzen berei&#x017F;t<lb/>
hatten, noch nicht vorlagen; und die&#x017F;e Berichte blieben aus, da Alten&#x017F;tein<lb/>
und Klewiz mit der Einrichtung ihrer &#x017F;oeben er&#x017F;t neu gebildeten Depar-<lb/>
tements über und über be&#x017F;chäftigt waren. Unterde&#x017F;&#x017F;en wurden auch die<lb/>
Gutachten der Provinzialregierungen über die Provinzial&#x017F;tände eingefordert;<lb/>
Vincke aber fügte, als er die we&#x017F;tphäli&#x017F;chen Akten ein&#x017F;endete, die treffende<lb/>
Bemerkung hinzu, die&#x017F;e Papiere enthielten viel unfruchtbares Gerede, da<lb/>
man den Regierungen nur einige ganz allgemein gehaltene Fragen ge-<lb/>
&#x017F;tellt habe. Der auf Klewiz&#x2019;s Rath einge&#x017F;chlagene Weg erwies &#x017F;ich &#x017F;chon<lb/>
jetzt als ein Irrweg. Nur wenn ein ausgearbeiteter Verfa&#x017F;&#x017F;ungsplan be-<lb/>
reits vorlag, konnten die Gutachten der Notabeln und der Behörden ein<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[453/0467] Hardenberg in Engers. Nach dem unverkennbaren Umſchwung der ruſſiſchen Politik durfte Metternich in der That hoffen, daß Oeſterreich binnen Kurzem die Stelle des Führers in dem europäiſchen Bunde erlangen würde. Auf die Freund- ſchaft des Tory-Cabinets konnte er ſich feſt verlaſſen, obſchon Lord Caſt- lereagh auf die erſtarkende Oppoſition der Whigs einige Rückſicht zu nehmen hatte und darum wo möglich jeden förmlichen Vertrag, der im Parlamente Anſtoß geben konnte, zu vermeiden wünſchte. Auch in Preußen ließ ſich die reaktionäre Strömung der Zeit ſchon in leiſen Wellenſchlägen verſpüren. Das Wartburgfeſt hatte den König tief und nachhaltig ver- ſtimmt. Nicht ohne Bangen verließ Hardenberg den Hof um die erſten Monate des Jahres 1818 auf Schloß Engers am Rhein zu verbringen und die Stimmung der ſchwierigen Provinz ſelber zu erkunden. Seine ſchwerſte Sorge galt der Verfaſſungsarbeit. Er wußte, daß dies Unternehmen allen anderen Großmächten ebenſo unheimlich war wie das preußiſche Wehrgeſetz. Ueber die Meinung des Wiener Hofes beſtand kein Zweifel, obgleich Metternich ſich noch nicht offen ausgeſprochen hatte. Aus Paris meldete Goltz ſchon im April 1817 und dann immer aufs Neue, wie dringend Wellington und Richelieu ihn vor dem unſinnigen Wagniß einer preu- ßiſchen Verfaſſung gewarnt hätten; und was das Verdächtigſte war, beide Staatsmänner vertraten genau dieſelbe Anſicht wie Ancillon und die reak- tionäre Partei in Berlin; ſie meinten, ein ſo buntgemiſchter Staat wie Preußen müſſe ſich mit Provinzalſtänden begnügen. Auch Czar Alexander that ſelbſt in den Tagen, da er der Welt das Programm des chriſtlichen Liberalismus verkündigte, durchaus nichts um die preußiſche Verfaſſung zu fördern; man erfuhr nur, daß er ſich ſchwer beſorgt über die politiſche Zuverläſſigkeit der preußiſchen Landwehr äußerte. Hardenberg fühlte, wie leicht ihm alle dieſe Gegner über den Kopf wachſen konnten, und mahnte die Miniſter in Berlin wiederholt und nach- drücklich zur Beſchleunigung der Verfaſſungsarbeit. *) Aber der Verfaſ- ſungsausſchuß des Staatsraths konnte ſeine Berathungen nicht beginnen, ſo lange ihm die Berichte der drei Miniſter, welche die Provinzen bereiſt hatten, noch nicht vorlagen; und dieſe Berichte blieben aus, da Altenſtein und Klewiz mit der Einrichtung ihrer ſoeben erſt neu gebildeten Depar- tements über und über beſchäftigt waren. Unterdeſſen wurden auch die Gutachten der Provinzialregierungen über die Provinzialſtände eingefordert; Vincke aber fügte, als er die weſtphäliſchen Akten einſendete, die treffende Bemerkung hinzu, dieſe Papiere enthielten viel unfruchtbares Gerede, da man den Regierungen nur einige ganz allgemein gehaltene Fragen ge- ſtellt habe. Der auf Klewiz’s Rath eingeſchlagene Weg erwies ſich ſchon jetzt als ein Irrweg. Nur wenn ein ausgearbeiteter Verfaſſungsplan be- reits vorlag, konnten die Gutachten der Notabeln und der Behörden ein *) Hardenberg an Klewiz, 8. Dec. 1817, 6. Jan. 1818.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/467
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 453. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/467>, abgerufen am 22.11.2024.