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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 7. Die Burschenschaft.
und ihnen mithin unter Umständen andere sittliche Güter geopfert werden
müssen; doch seine geistige Kraft reichte nicht aus um der Jugend den
tiefen Ernst dieser leicht zu mißbrauchenden Lehre zu verdeutlichen, und
mehrere seiner aufgeregten Hörer gewannen, wie Karl Sand, nur den Ein-
druck, daß der Zweck die Mittel heilige. Auch Fries stand rathlos vor
dem erwachenden Demagogenthum und verfehlte oft den Ton: wenn er die
Studenten gewissenhaft vor Geheimbünden warnte, so meinte er die bittere
Pille durch radikale Kraftreden versüßen zu müssen und polterte so gröb-
lich wider die Polizeigewalt, welche "die Eichen und Fichten der deutschen
Wälder an ihre Hopfenstangen binde", wider "das Regiertwerden durch
hochwohlgeborene französische Affen und das Belehrtwerden durch wohl-
geborene lateinische Affen", daß seine Worte mehr aufreizend als beruhi-
gend wirkten. Selbst Arndts freie Seele blieb von der Verbitterung der
Zeit nicht unberührt. Der vierte Band seines "Geistes der Zeit", der im
Jahre 1818 erschien, stand den früheren Bänden weit nach; das schöne Pa-
thos der Befreiungskriege genügte jetzt nicht mehr. Mußte sich die Jugend
nicht in ihrem Dünkel bestärkt fühlen, wenn ihr Arndt den siebenjährigen
Krieg als ein leeres Märchen, die Werke unserer classischen Dichtung als
klein und seelenlos, als die Kinder einer gestaltlosen, liebeleeren und
ruhmleeren Zeit schilderte? Er meinte unschuldig, geheime Verschwörungen
seien nur dann erlaubt, "wenn ein fremdes Volk oder ein tückischer Ty-
rann dahin strebt, das ganze Geschlecht zu Hunden, Affen und Schlangen
zu verthieren", und ahnte nicht, daß seine jungen Leser schon längst glaubten
von solchen tückischen Tyrannen beherrscht zu werden. Franzosen und
Polen, rief er aus, haben eine Verfassung, "und uns will man in dumme
Geistlosigkeit hinstrecken wie die todten Klötze"; dem preußischen Heere
aber hielt er die lockere Milizverfassung der schwedischen Indelta-Armee,
die im letzten Kriege rein nichts geleistet hatte, als Muster vor. Ueber
solchen unbedachten, aufreizenden Worten wurden die väterlichen War-
nungen, welche der edle Mann an "die teutsche unflügge Narrheit und
Unbescheidenheit" richtete, ganz vergessen. Es ist nicht anders, der Groll
über die Enttäuschungen dieser ersten Friedensjahre steigerte sich in den
Gelehrtenkreisen allmählich bis zu krankhafter Erhitzung. Sogar Schleier-
macher redete im Sommer 1818, als ob ein neues 1806 herannahe --
und dies in einem Augenblicke, da die preußische Regierung bis auf
einige vereinzelte Mißgriffe noch schlechterdings nichts Tadelnswerthes ge-
than hatte.

Im Herbst 1818 siedelte Karl Follen als Docent nach Jena über.
Er wurde der Todtengräber der Burschenschaft, er zerstörte den unbe-
fangenen jugendlichen Sinn, der über ihren Anfängen gewaltet hatte.
Vergeblich suchte Fries dem unheilvollen Manne die Stange zu halten;
in den Redekämpfen seines philosophischen Vereins zeigte sich der junge
Docent dem Professor weit überlegen, die Studenten zogen sich mehr und

II. 7. Die Burſchenſchaft.
und ihnen mithin unter Umſtänden andere ſittliche Güter geopfert werden
müſſen; doch ſeine geiſtige Kraft reichte nicht aus um der Jugend den
tiefen Ernſt dieſer leicht zu mißbrauchenden Lehre zu verdeutlichen, und
mehrere ſeiner aufgeregten Hörer gewannen, wie Karl Sand, nur den Ein-
druck, daß der Zweck die Mittel heilige. Auch Fries ſtand rathlos vor
dem erwachenden Demagogenthum und verfehlte oft den Ton: wenn er die
Studenten gewiſſenhaft vor Geheimbünden warnte, ſo meinte er die bittere
Pille durch radikale Kraftreden verſüßen zu müſſen und polterte ſo gröb-
lich wider die Polizeigewalt, welche „die Eichen und Fichten der deutſchen
Wälder an ihre Hopfenſtangen binde“, wider „das Regiertwerden durch
hochwohlgeborene franzöſiſche Affen und das Belehrtwerden durch wohl-
geborene lateiniſche Affen“, daß ſeine Worte mehr aufreizend als beruhi-
gend wirkten. Selbſt Arndts freie Seele blieb von der Verbitterung der
Zeit nicht unberührt. Der vierte Band ſeines „Geiſtes der Zeit“, der im
Jahre 1818 erſchien, ſtand den früheren Bänden weit nach; das ſchöne Pa-
thos der Befreiungskriege genügte jetzt nicht mehr. Mußte ſich die Jugend
nicht in ihrem Dünkel beſtärkt fühlen, wenn ihr Arndt den ſiebenjährigen
Krieg als ein leeres Märchen, die Werke unſerer claſſiſchen Dichtung als
klein und ſeelenlos, als die Kinder einer geſtaltloſen, liebeleeren und
ruhmleeren Zeit ſchilderte? Er meinte unſchuldig, geheime Verſchwörungen
ſeien nur dann erlaubt, „wenn ein fremdes Volk oder ein tückiſcher Ty-
rann dahin ſtrebt, das ganze Geſchlecht zu Hunden, Affen und Schlangen
zu verthieren“, und ahnte nicht, daß ſeine jungen Leſer ſchon längſt glaubten
von ſolchen tückiſchen Tyrannen beherrſcht zu werden. Franzoſen und
Polen, rief er aus, haben eine Verfaſſung, „und uns will man in dumme
Geiſtloſigkeit hinſtrecken wie die todten Klötze“; dem preußiſchen Heere
aber hielt er die lockere Milizverfaſſung der ſchwediſchen Indelta-Armee,
die im letzten Kriege rein nichts geleiſtet hatte, als Muſter vor. Ueber
ſolchen unbedachten, aufreizenden Worten wurden die väterlichen War-
nungen, welche der edle Mann an „die teutſche unflügge Narrheit und
Unbeſcheidenheit“ richtete, ganz vergeſſen. Es iſt nicht anders, der Groll
über die Enttäuſchungen dieſer erſten Friedensjahre ſteigerte ſich in den
Gelehrtenkreiſen allmählich bis zu krankhafter Erhitzung. Sogar Schleier-
macher redete im Sommer 1818, als ob ein neues 1806 herannahe —
und dies in einem Augenblicke, da die preußiſche Regierung bis auf
einige vereinzelte Mißgriffe noch ſchlechterdings nichts Tadelnswerthes ge-
than hatte.

Im Herbſt 1818 ſiedelte Karl Follen als Docent nach Jena über.
Er wurde der Todtengräber der Burſchenſchaft, er zerſtörte den unbe-
fangenen jugendlichen Sinn, der über ihren Anfängen gewaltet hatte.
Vergeblich ſuchte Fries dem unheilvollen Manne die Stange zu halten;
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[442/0456] II. 7. Die Burſchenſchaft. und ihnen mithin unter Umſtänden andere ſittliche Güter geopfert werden müſſen; doch ſeine geiſtige Kraft reichte nicht aus um der Jugend den tiefen Ernſt dieſer leicht zu mißbrauchenden Lehre zu verdeutlichen, und mehrere ſeiner aufgeregten Hörer gewannen, wie Karl Sand, nur den Ein- druck, daß der Zweck die Mittel heilige. Auch Fries ſtand rathlos vor dem erwachenden Demagogenthum und verfehlte oft den Ton: wenn er die Studenten gewiſſenhaft vor Geheimbünden warnte, ſo meinte er die bittere Pille durch radikale Kraftreden verſüßen zu müſſen und polterte ſo gröb- lich wider die Polizeigewalt, welche „die Eichen und Fichten der deutſchen Wälder an ihre Hopfenſtangen binde“, wider „das Regiertwerden durch hochwohlgeborene franzöſiſche Affen und das Belehrtwerden durch wohl- geborene lateiniſche Affen“, daß ſeine Worte mehr aufreizend als beruhi- gend wirkten. Selbſt Arndts freie Seele blieb von der Verbitterung der Zeit nicht unberührt. Der vierte Band ſeines „Geiſtes der Zeit“, der im Jahre 1818 erſchien, ſtand den früheren Bänden weit nach; das ſchöne Pa- thos der Befreiungskriege genügte jetzt nicht mehr. Mußte ſich die Jugend nicht in ihrem Dünkel beſtärkt fühlen, wenn ihr Arndt den ſiebenjährigen Krieg als ein leeres Märchen, die Werke unſerer claſſiſchen Dichtung als klein und ſeelenlos, als die Kinder einer geſtaltloſen, liebeleeren und ruhmleeren Zeit ſchilderte? Er meinte unſchuldig, geheime Verſchwörungen ſeien nur dann erlaubt, „wenn ein fremdes Volk oder ein tückiſcher Ty- rann dahin ſtrebt, das ganze Geſchlecht zu Hunden, Affen und Schlangen zu verthieren“, und ahnte nicht, daß ſeine jungen Leſer ſchon längſt glaubten von ſolchen tückiſchen Tyrannen beherrſcht zu werden. Franzoſen und Polen, rief er aus, haben eine Verfaſſung, „und uns will man in dumme Geiſtloſigkeit hinſtrecken wie die todten Klötze“; dem preußiſchen Heere aber hielt er die lockere Milizverfaſſung der ſchwediſchen Indelta-Armee, die im letzten Kriege rein nichts geleiſtet hatte, als Muſter vor. Ueber ſolchen unbedachten, aufreizenden Worten wurden die väterlichen War- nungen, welche der edle Mann an „die teutſche unflügge Narrheit und Unbeſcheidenheit“ richtete, ganz vergeſſen. Es iſt nicht anders, der Groll über die Enttäuſchungen dieſer erſten Friedensjahre ſteigerte ſich in den Gelehrtenkreiſen allmählich bis zu krankhafter Erhitzung. Sogar Schleier- macher redete im Sommer 1818, als ob ein neues 1806 herannahe — und dies in einem Augenblicke, da die preußiſche Regierung bis auf einige vereinzelte Mißgriffe noch ſchlechterdings nichts Tadelnswerthes ge- than hatte. Im Herbſt 1818 ſiedelte Karl Follen als Docent nach Jena über. Er wurde der Todtengräber der Burſchenſchaft, er zerſtörte den unbe- fangenen jugendlichen Sinn, der über ihren Anfängen gewaltet hatte. Vergeblich ſuchte Fries dem unheilvollen Manne die Stange zu halten; in den Redekämpfen ſeines philoſophiſchen Vereins zeigte ſich der junge Docent dem Profeſſor weit überlegen, die Studenten zogen ſich mehr und

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/456>, abgerufen am 22.11.2024.