der Altdeutschen, der Masse der Burschen völlig verborgen, ein Geheim- bund von Unbedingten, der auf den unschuldigen großen Haufen der Burschenschaft verächtlich herabsah und durch vertraute Boten mit den Gesinnungsgenossen auf anderen Hochschulen insgeheim verkehrte. Zu ihm gehörte Jens Uwe Lornsen, ein unbändiger nordischer Berserker von den friesischen Inseln, späterhin berühmt als Vorkämpfer für die Rechte Schleswig-Holsteins, desgleichen der mädchenhaft schöne kleine Heinrich Leo aus dem Schwarzburgischen, ein geborener Romantiker, der droben auf dem Walde eine glühende Schwärmerei für das urwüchsige Leben der ältesten Germanen, einen tiefen Haß gegen die Formenstrenge der classi- schen Cultur eingesogen hatte und nur durch die unzähmbare Wildheit seines heißen Blutes auf kurze Zeit in eine moderne, seinem innersten Wesen fremde radikale Richtung hineingetrieben wurde.
Der Ton unter diesen Schwarzen war unbeschreiblich frech; die Jugend, das stand fest, hatte den geknechteten Völkern Anstoß und Richtung zu geben. Ein witziger Kopf in Baiern veröffentlichte soeben, unter der Maske eines begeisterten Schülers von Fries, einen offenen Brief, worin er das ganze Menschengeschlecht in Burschen, Burschinnen, Lehr-, Vor- und Nach- burschen eintheilte. Die Satire war so treffend, daß viele der Burschen selber, und noch heute manche Historiker, den Brief für echt hielten. Die Schwarzen begnügten sich schon längst nicht mehr mit solchen Aeußerungen albernen Uebermuths, wie Lornsen, der in Gegenwart des jungen Herzogs von Meiningen ein Pereat auf die Dreißig oder Dreiunddreißig aus- brachte. Sie besprachen alltäglich und mit unheimlicher Gelassenheit die Frage, wer zunächst um der Freiheit willen "kalt gemacht" werden solle; da Metternich so schwer zu erreichen und keiner der deutschen Fürsten ungewöhnlich verhaßt war, so kam das wüste Gerede immer wieder auf Kotzebue als das nächste Opfer zurück. Als im Herbst 1818 Czar Alexander auf der Durchreise in Jena erwartet wurde, beriefen die Führer der Unbedingten eine tief geheime Sitzung und fragten kurzweg, ob jetzt der Mordstreich gegen den Despoten gewagt werden sollte; wer bei der Antwort sich irgendwie unsicher zeigte ward fortan von den Be- rathungen der Eingeweihten stillschweigend ausgeschlossen. Der Czar war inzwischen schon weiter gereist, und man behauptete nachträglich, daß die Führer der Schwarzen dies gewußt hätten; aber wohin war es mit unserer Jugend gekommen, wenn sie den feigen, der deutschen Gradheit ekelhaften Meuchelmord bereits als den Prüfstein zuverlässiger Gesinnungstüchtigkeit betrachtete?
Die Aufregung der jungen Leute ward durch die Angstrufe der amt- lichen Zeitungen und leider auch durch manche unvorsichtige Aeußerung der Lehrer gesteigert. Luden pflegte in seinen Vorlesungen, wie schon früher in seiner "Staatsweisheit", den unbestreitbaren Satz auszuführen, daß Macht und Freiheit des Staates selber unschätzbare sittliche Güter sind
Die Unbedingten.
der Altdeutſchen, der Maſſe der Burſchen völlig verborgen, ein Geheim- bund von Unbedingten, der auf den unſchuldigen großen Haufen der Burſchenſchaft verächtlich herabſah und durch vertraute Boten mit den Geſinnungsgenoſſen auf anderen Hochſchulen insgeheim verkehrte. Zu ihm gehörte Jens Uwe Lornſen, ein unbändiger nordiſcher Berſerker von den frieſiſchen Inſeln, ſpäterhin berühmt als Vorkämpfer für die Rechte Schleswig-Holſteins, desgleichen der mädchenhaft ſchöne kleine Heinrich Leo aus dem Schwarzburgiſchen, ein geborener Romantiker, der droben auf dem Walde eine glühende Schwärmerei für das urwüchſige Leben der älteſten Germanen, einen tiefen Haß gegen die Formenſtrenge der claſſi- ſchen Cultur eingeſogen hatte und nur durch die unzähmbare Wildheit ſeines heißen Blutes auf kurze Zeit in eine moderne, ſeinem innerſten Weſen fremde radikale Richtung hineingetrieben wurde.
Der Ton unter dieſen Schwarzen war unbeſchreiblich frech; die Jugend, das ſtand feſt, hatte den geknechteten Völkern Anſtoß und Richtung zu geben. Ein witziger Kopf in Baiern veröffentlichte ſoeben, unter der Maske eines begeiſterten Schülers von Fries, einen offenen Brief, worin er das ganze Menſchengeſchlecht in Burſchen, Burſchinnen, Lehr-, Vor- und Nach- burſchen eintheilte. Die Satire war ſo treffend, daß viele der Burſchen ſelber, und noch heute manche Hiſtoriker, den Brief für echt hielten. Die Schwarzen begnügten ſich ſchon längſt nicht mehr mit ſolchen Aeußerungen albernen Uebermuths, wie Lornſen, der in Gegenwart des jungen Herzogs von Meiningen ein Pereat auf die Dreißig oder Dreiunddreißig aus- brachte. Sie beſprachen alltäglich und mit unheimlicher Gelaſſenheit die Frage, wer zunächſt um der Freiheit willen „kalt gemacht“ werden ſolle; da Metternich ſo ſchwer zu erreichen und keiner der deutſchen Fürſten ungewöhnlich verhaßt war, ſo kam das wüſte Gerede immer wieder auf Kotzebue als das nächſte Opfer zurück. Als im Herbſt 1818 Czar Alexander auf der Durchreiſe in Jena erwartet wurde, beriefen die Führer der Unbedingten eine tief geheime Sitzung und fragten kurzweg, ob jetzt der Mordſtreich gegen den Despoten gewagt werden ſollte; wer bei der Antwort ſich irgendwie unſicher zeigte ward fortan von den Be- rathungen der Eingeweihten ſtillſchweigend ausgeſchloſſen. Der Czar war inzwiſchen ſchon weiter gereiſt, und man behauptete nachträglich, daß die Führer der Schwarzen dies gewußt hätten; aber wohin war es mit unſerer Jugend gekommen, wenn ſie den feigen, der deutſchen Gradheit ekelhaften Meuchelmord bereits als den Prüfſtein zuverläſſiger Geſinnungstüchtigkeit betrachtete?
Die Aufregung der jungen Leute ward durch die Angſtrufe der amt- lichen Zeitungen und leider auch durch manche unvorſichtige Aeußerung der Lehrer geſteigert. Luden pflegte in ſeinen Vorleſungen, wie ſchon früher in ſeiner „Staatsweisheit“, den unbeſtreitbaren Satz auszuführen, daß Macht und Freiheit des Staates ſelber unſchätzbare ſittliche Güter ſind
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Die Unbedingten.
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Burſchenſchaft verächtlich herabſah und durch vertraute Boten mit den
Geſinnungsgenoſſen auf anderen Hochſchulen insgeheim verkehrte. Zu
ihm gehörte Jens Uwe Lornſen, ein unbändiger nordiſcher Berſerker von
den frieſiſchen Inſeln, ſpäterhin berühmt als Vorkämpfer für die Rechte
Schleswig-Holſteins, desgleichen der mädchenhaft ſchöne kleine Heinrich
Leo aus dem Schwarzburgiſchen, ein geborener Romantiker, der droben
auf dem Walde eine glühende Schwärmerei für das urwüchſige Leben der
älteſten Germanen, einen tiefen Haß gegen die Formenſtrenge der claſſi-
ſchen Cultur eingeſogen hatte und nur durch die unzähmbare Wildheit
ſeines heißen Blutes auf kurze Zeit in eine moderne, ſeinem innerſten
Weſen fremde radikale Richtung hineingetrieben wurde.
Der Ton unter dieſen Schwarzen war unbeſchreiblich frech; die Jugend,
das ſtand feſt, hatte den geknechteten Völkern Anſtoß und Richtung zu
geben. Ein witziger Kopf in Baiern veröffentlichte ſoeben, unter der Maske
eines begeiſterten Schülers von Fries, einen offenen Brief, worin er das
ganze Menſchengeſchlecht in Burſchen, Burſchinnen, Lehr-, Vor- und Nach-
burſchen eintheilte. Die Satire war ſo treffend, daß viele der Burſchen
ſelber, und noch heute manche Hiſtoriker, den Brief für echt hielten. Die
Schwarzen begnügten ſich ſchon längſt nicht mehr mit ſolchen Aeußerungen
albernen Uebermuths, wie Lornſen, der in Gegenwart des jungen Herzogs
von Meiningen ein Pereat auf die Dreißig oder Dreiunddreißig aus-
brachte. Sie beſprachen alltäglich und mit unheimlicher Gelaſſenheit
die Frage, wer zunächſt um der Freiheit willen „kalt gemacht“ werden
ſolle; da Metternich ſo ſchwer zu erreichen und keiner der deutſchen
Fürſten ungewöhnlich verhaßt war, ſo kam das wüſte Gerede immer
wieder auf Kotzebue als das nächſte Opfer zurück. Als im Herbſt 1818
Czar Alexander auf der Durchreiſe in Jena erwartet wurde, beriefen die
Führer der Unbedingten eine tief geheime Sitzung und fragten kurzweg,
ob jetzt der Mordſtreich gegen den Despoten gewagt werden ſollte; wer
bei der Antwort ſich irgendwie unſicher zeigte ward fortan von den Be-
rathungen der Eingeweihten ſtillſchweigend ausgeſchloſſen. Der Czar war
inzwiſchen ſchon weiter gereiſt, und man behauptete nachträglich, daß die
Führer der Schwarzen dies gewußt hätten; aber wohin war es mit unſerer
Jugend gekommen, wenn ſie den feigen, der deutſchen Gradheit ekelhaften
Meuchelmord bereits als den Prüfſtein zuverläſſiger Geſinnungstüchtigkeit
betrachtete?
Die Aufregung der jungen Leute ward durch die Angſtrufe der amt-
lichen Zeitungen und leider auch durch manche unvorſichtige Aeußerung
der Lehrer geſteigert. Luden pflegte in ſeinen Vorleſungen, wie ſchon früher
in ſeiner „Staatsweisheit“, den unbeſtreitbaren Satz auszuführen, daß
Macht und Freiheit des Staates ſelber unſchätzbare ſittliche Güter ſind
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/455>, abgerufen am 16.07.2024.
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