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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Die Großmächte und die Studenten.
heute noch seinen Sohn auf die Hochschule ziehen sehen; an solche Klagen
nervöser Aengstlichkeit schloß sich dann eine meisterhafte, aus der Fülle
überlegener Sachkenntniß geschöpfte Widerlegung der ruhmredigen Burschen-
märchen von den Wunderthaten der Freicorps und der "heiligen Schaaren".

In Berlin zeigte sich der König weit besorgter als die Minister.
Friedrich Wilhelm hatte selbst nie studirt und kannte den derben Humor des
Burschenlebens nicht; das Poltern und Prahlen des jungen Volks ekelte
ihn an. Er war bereits im Frühjahr gegen die Hallenser Teutonia einge-
schritten, als Karl Immermann ihn um Schutz gegen den Terrorismus
dieser Burschenschaft bat, und ließ nunmehr sogleich auf allen preußischen
Hochschulen Nachfrage halten, wer an dem Wartburgfeste theilgenommen.
Die Königsberger Burschen wurden belobt weil sie sich ferngehalten; der
Unterrichtsminister aber erhielt (7. Decbr.) den strengen Befehl, sofort alle
Verbindungen bei Strafe der Relegation zu verbieten, auch das Turn-
wesen scharf zu beaufsichtigen. "Ich werde, schrieb ihm der König, nicht
den mindesten Anstand nehmen, diejenige Universität, auf welcher der
Geist der Zügellosigkeit nicht zu vertilgen ist, aufzuheben."*)

Altenstein entledigte sich des Auftrags mit wohlwollender Schonung;
er hatte das Zutrauen zu dem guten Sinne der Jugend nicht verloren, er
lobte die furchtlose Haltung des Großherzogs von Weimar und hielt die
Hoffnung fest, "daß die preußischen Universitäten, so wie sie an zweck-
mäßiger, freigebiger Ausstattung allen deutschen vorangehen, diesen auch
als Muster eines regen, aber auf das Rechte gerichteten Strebens voran-
leuchten werden".**) Hardenberg dagegen ging auf die Ansichten des
Königs mit beflissenem Eifer ein. Nicht als ob er die Besorgnisse des
Monarchen durchaus getheilt hätte, aber die Reden der jungen Demagogen
drohten ihm seine liebsten Pläne zu zerstören. Das letzte Ziel seiner Politik
blieb die Vollendung der Verfassung, und dies Werk konnte nie gelingen,
wenn der erwachte Argwohn in der Seele des Königs sich befestigte; darum
mußte jede Regung demagogischer Gesinnung sofort und für immer ge-
bändigt werden. Als irgend ein Ohrenbläser die streng wissenschaftlichen,
von aller Parteigesinnung freien Vorlesungen Schleiermachers "über die
Lehre vom Staate" eben jetzt bei Hofe verdächtigt hatte und der König einige
verdrießliche Bemerkungen fallen ließ, da fand Hardenberg nicht den Muth,
durch ein ehrliches Wort dem Monarchen die Augen zu öffnen, sondern
verlangte alsbald von dem Unterrichtsminister das Verbot dieser Vorträge,
"die, ohne einen reellen Nutzen zu gewähren, nur dazu dienen die Ge-
müther zu entzweien" und gab sein Vorhaben nur auf weil sogar Wittgen-
stein die Ausführung bedenklich fand.***) Ebenso willfährig kam er den

*) Cabinetsordre an Altenstein, 7. Dec. 1817.
**) Altenstein an Hardenberg, 30. Nov. 1817, 25. August 1818.
***) Hardenberg an Altenstein und Wittgenstein, 7. Dec., Rother an Hardenberg,
15. Dec. 1817.

Die Großmächte und die Studenten.
heute noch ſeinen Sohn auf die Hochſchule ziehen ſehen; an ſolche Klagen
nervöſer Aengſtlichkeit ſchloß ſich dann eine meiſterhafte, aus der Fülle
überlegener Sachkenntniß geſchöpfte Widerlegung der ruhmredigen Burſchen-
märchen von den Wunderthaten der Freicorps und der „heiligen Schaaren“.

In Berlin zeigte ſich der König weit beſorgter als die Miniſter.
Friedrich Wilhelm hatte ſelbſt nie ſtudirt und kannte den derben Humor des
Burſchenlebens nicht; das Poltern und Prahlen des jungen Volks ekelte
ihn an. Er war bereits im Frühjahr gegen die Hallenſer Teutonia einge-
ſchritten, als Karl Immermann ihn um Schutz gegen den Terrorismus
dieſer Burſchenſchaft bat, und ließ nunmehr ſogleich auf allen preußiſchen
Hochſchulen Nachfrage halten, wer an dem Wartburgfeſte theilgenommen.
Die Königsberger Burſchen wurden belobt weil ſie ſich ferngehalten; der
Unterrichtsminiſter aber erhielt (7. Decbr.) den ſtrengen Befehl, ſofort alle
Verbindungen bei Strafe der Relegation zu verbieten, auch das Turn-
weſen ſcharf zu beaufſichtigen. „Ich werde, ſchrieb ihm der König, nicht
den mindeſten Anſtand nehmen, diejenige Univerſität, auf welcher der
Geiſt der Zügelloſigkeit nicht zu vertilgen iſt, aufzuheben.“*)

Altenſtein entledigte ſich des Auftrags mit wohlwollender Schonung;
er hatte das Zutrauen zu dem guten Sinne der Jugend nicht verloren, er
lobte die furchtloſe Haltung des Großherzogs von Weimar und hielt die
Hoffnung feſt, „daß die preußiſchen Univerſitäten, ſo wie ſie an zweck-
mäßiger, freigebiger Ausſtattung allen deutſchen vorangehen, dieſen auch
als Muſter eines regen, aber auf das Rechte gerichteten Strebens voran-
leuchten werden“.**) Hardenberg dagegen ging auf die Anſichten des
Königs mit befliſſenem Eifer ein. Nicht als ob er die Beſorgniſſe des
Monarchen durchaus getheilt hätte, aber die Reden der jungen Demagogen
drohten ihm ſeine liebſten Pläne zu zerſtören. Das letzte Ziel ſeiner Politik
blieb die Vollendung der Verfaſſung, und dies Werk konnte nie gelingen,
wenn der erwachte Argwohn in der Seele des Königs ſich befeſtigte; darum
mußte jede Regung demagogiſcher Geſinnung ſofort und für immer ge-
bändigt werden. Als irgend ein Ohrenbläſer die ſtreng wiſſenſchaftlichen,
von aller Parteigeſinnung freien Vorleſungen Schleiermachers „über die
Lehre vom Staate“ eben jetzt bei Hofe verdächtigt hatte und der König einige
verdrießliche Bemerkungen fallen ließ, da fand Hardenberg nicht den Muth,
durch ein ehrliches Wort dem Monarchen die Augen zu öffnen, ſondern
verlangte alsbald von dem Unterrichtsminiſter das Verbot dieſer Vorträge,
„die, ohne einen reellen Nutzen zu gewähren, nur dazu dienen die Ge-
müther zu entzweien“ und gab ſein Vorhaben nur auf weil ſogar Wittgen-
ſtein die Ausführung bedenklich fand.***) Ebenſo willfährig kam er den

*) Cabinetsordre an Altenſtein, 7. Dec. 1817.
**) Altenſtein an Hardenberg, 30. Nov. 1817, 25. Auguſt 1818.
***) Hardenberg an Altenſtein und Wittgenſtein, 7. Dec., Rother an Hardenberg,
15. Dec. 1817.
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[431/0445] Die Großmächte und die Studenten. heute noch ſeinen Sohn auf die Hochſchule ziehen ſehen; an ſolche Klagen nervöſer Aengſtlichkeit ſchloß ſich dann eine meiſterhafte, aus der Fülle überlegener Sachkenntniß geſchöpfte Widerlegung der ruhmredigen Burſchen- märchen von den Wunderthaten der Freicorps und der „heiligen Schaaren“. In Berlin zeigte ſich der König weit beſorgter als die Miniſter. Friedrich Wilhelm hatte ſelbſt nie ſtudirt und kannte den derben Humor des Burſchenlebens nicht; das Poltern und Prahlen des jungen Volks ekelte ihn an. Er war bereits im Frühjahr gegen die Hallenſer Teutonia einge- ſchritten, als Karl Immermann ihn um Schutz gegen den Terrorismus dieſer Burſchenſchaft bat, und ließ nunmehr ſogleich auf allen preußiſchen Hochſchulen Nachfrage halten, wer an dem Wartburgfeſte theilgenommen. Die Königsberger Burſchen wurden belobt weil ſie ſich ferngehalten; der Unterrichtsminiſter aber erhielt (7. Decbr.) den ſtrengen Befehl, ſofort alle Verbindungen bei Strafe der Relegation zu verbieten, auch das Turn- weſen ſcharf zu beaufſichtigen. „Ich werde, ſchrieb ihm der König, nicht den mindeſten Anſtand nehmen, diejenige Univerſität, auf welcher der Geiſt der Zügelloſigkeit nicht zu vertilgen iſt, aufzuheben.“ *) Altenſtein entledigte ſich des Auftrags mit wohlwollender Schonung; er hatte das Zutrauen zu dem guten Sinne der Jugend nicht verloren, er lobte die furchtloſe Haltung des Großherzogs von Weimar und hielt die Hoffnung feſt, „daß die preußiſchen Univerſitäten, ſo wie ſie an zweck- mäßiger, freigebiger Ausſtattung allen deutſchen vorangehen, dieſen auch als Muſter eines regen, aber auf das Rechte gerichteten Strebens voran- leuchten werden“. **) Hardenberg dagegen ging auf die Anſichten des Königs mit befliſſenem Eifer ein. Nicht als ob er die Beſorgniſſe des Monarchen durchaus getheilt hätte, aber die Reden der jungen Demagogen drohten ihm ſeine liebſten Pläne zu zerſtören. Das letzte Ziel ſeiner Politik blieb die Vollendung der Verfaſſung, und dies Werk konnte nie gelingen, wenn der erwachte Argwohn in der Seele des Königs ſich befeſtigte; darum mußte jede Regung demagogiſcher Geſinnung ſofort und für immer ge- bändigt werden. Als irgend ein Ohrenbläſer die ſtreng wiſſenſchaftlichen, von aller Parteigeſinnung freien Vorleſungen Schleiermachers „über die Lehre vom Staate“ eben jetzt bei Hofe verdächtigt hatte und der König einige verdrießliche Bemerkungen fallen ließ, da fand Hardenberg nicht den Muth, durch ein ehrliches Wort dem Monarchen die Augen zu öffnen, ſondern verlangte alsbald von dem Unterrichtsminiſter das Verbot dieſer Vorträge, „die, ohne einen reellen Nutzen zu gewähren, nur dazu dienen die Ge- müther zu entzweien“ und gab ſein Vorhaben nur auf weil ſogar Wittgen- ſtein die Ausführung bedenklich fand. ***) Ebenſo willfährig kam er den *) Cabinetsordre an Altenſtein, 7. Dec. 1817. **) Altenſtein an Hardenberg, 30. Nov. 1817, 25. Auguſt 1818. ***) Hardenberg an Altenſtein und Wittgenſtein, 7. Dec., Rother an Hardenberg, 15. Dec. 1817.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/445>, abgerufen am 22.11.2024.