strengen jungen Freunden kürzlich gestickt hatten, dann endlich die Bur- schen Paar an Paar, viele schöne germanische Reckengestalten darunter, Mancher im Vollbart, was bei ängstlichen Gemüthern schon als ein Zeichen hochverrätherischer Gesinnung galt. Allen lachte die Freude aus den Augen, jene glückliche Selbstvergessenheit der Jugend, die noch ganz im Genusse des Augenblicks aufzugehen vermag; ihnen war, als ob ihnen heute zum ersten male die Herrlichkeit ihres Vaterlandes leibhaftig ent- gegenträte.
Droben im Rittersaale der Wartburg, den der Großherzog gastfreund- lich geöffnet hatte, wurde zuerst unter Pauken- und Trompetenschall "Eine feste Burg ist unser Gott" gesungen. Darauf hielt der Lützower Riemann aus der Fülle seines ehrlichen Herzens heraus eine Festrede, die in hoch- pathetischen überschwänglichen Sätzen von den Thaten Luthers und Blü- chers sprach und dann bei den Geistern der erschlagenen Helden die Bur- schen mahnte zum "Streben nach jeglicher menschlichen und vaterländischen Tugend". Einige der landläufigen Schlagwörter von den vereitelten Hoffnungen des deutschen Volks und dem einen Fürsten, der sein Wort gelöst, liefen zwar mit unter; das Ganze war ein jugendlich unklarer, durchaus harmloser Gefühlserguß, ebenso vieldeutig und unbestimmt, wie die neue Losung Volunto! welche die Burschen gern im Munde führten. Auch was nachher noch von Professoren und Studenten geredet ward ging nicht über dies Maß hinaus, selbst Oken sprach mit ungewohnter Selbstbeherrschung und warnte die jungen Leute vor einer verfrühten politischen Thätigkeit.
Nach dem Mittagsmahle gingen die Burschen zur Stadt hinab in die Kirche, wo auch der Eisenacher Landsturm dem Gottesdienste beiwohnte; dann gaben noch die Kämpen des Berliner und des Jenenser Turnplatzes den staunenden Landstürmern ihre Künste zum Besten. Als die Dämme- rung hereinbrach zog man mit Fackeln wieder hinauf nach dem Warten- berge, der Wartburg gegenüber, wo mehrere große Siegesfeuer brannten, die mit patriotischen Reden und Liedern begrüßt wurden. Bis dahin war das Fest in glücklicher Eintracht verlaufen; hier aber ward zum ersten male offenkundig, daß sich bereits eine kleine extreme Partei innerhalb der Burschenschaft gebildet hatte: jene fanatischen Urteutonen aus Jahns Schule, die man die Altdeutschen nannte. Diese köstliche Gelegenheit für eine fratzenhafte Eulenspiegelei konnte sich der Turnmeister doch nicht ent- gehen lassen. Er regte zuerst den Gedanken an, dies Lutherfest durch eine Nachäffung der kühnsten That des Reformators zu krönen und, wie einst Luther die Bannbulle des Papstes verbrannt hatte, so jetzt die Schriften der Feinde der guten Sache ins Feuer zu werfen. Da die Mehrheit des Festausschusses, klüger als der Alte, den Vorschlag ablehnte, gab Jahn gleichwohl seinen Berlinern ein Verzeichniß der zu verbren- nenden Bücher mit auf den Weg, und diese Getreuen, Maßmann voran,
II. 6. Die Burſchenſchaft.
ſtrengen jungen Freunden kürzlich geſtickt hatten, dann endlich die Bur- ſchen Paar an Paar, viele ſchöne germaniſche Reckengeſtalten darunter, Mancher im Vollbart, was bei ängſtlichen Gemüthern ſchon als ein Zeichen hochverrätheriſcher Geſinnung galt. Allen lachte die Freude aus den Augen, jene glückliche Selbſtvergeſſenheit der Jugend, die noch ganz im Genuſſe des Augenblicks aufzugehen vermag; ihnen war, als ob ihnen heute zum erſten male die Herrlichkeit ihres Vaterlandes leibhaftig ent- gegenträte.
Droben im Ritterſaale der Wartburg, den der Großherzog gaſtfreund- lich geöffnet hatte, wurde zuerſt unter Pauken- und Trompetenſchall „Eine feſte Burg iſt unſer Gott“ geſungen. Darauf hielt der Lützower Riemann aus der Fülle ſeines ehrlichen Herzens heraus eine Feſtrede, die in hoch- pathetiſchen überſchwänglichen Sätzen von den Thaten Luthers und Blü- chers ſprach und dann bei den Geiſtern der erſchlagenen Helden die Bur- ſchen mahnte zum „Streben nach jeglicher menſchlichen und vaterländiſchen Tugend“. Einige der landläufigen Schlagwörter von den vereitelten Hoffnungen des deutſchen Volks und dem einen Fürſten, der ſein Wort gelöſt, liefen zwar mit unter; das Ganze war ein jugendlich unklarer, durchaus harmloſer Gefühlserguß, ebenſo vieldeutig und unbeſtimmt, wie die neue Loſung Volunto! welche die Burſchen gern im Munde führten. Auch was nachher noch von Profeſſoren und Studenten geredet ward ging nicht über dies Maß hinaus, ſelbſt Oken ſprach mit ungewohnter Selbſtbeherrſchung und warnte die jungen Leute vor einer verfrühten politiſchen Thätigkeit.
Nach dem Mittagsmahle gingen die Burſchen zur Stadt hinab in die Kirche, wo auch der Eiſenacher Landſturm dem Gottesdienſte beiwohnte; dann gaben noch die Kämpen des Berliner und des Jenenſer Turnplatzes den ſtaunenden Landſtürmern ihre Künſte zum Beſten. Als die Dämme- rung hereinbrach zog man mit Fackeln wieder hinauf nach dem Warten- berge, der Wartburg gegenüber, wo mehrere große Siegesfeuer brannten, die mit patriotiſchen Reden und Liedern begrüßt wurden. Bis dahin war das Feſt in glücklicher Eintracht verlaufen; hier aber ward zum erſten male offenkundig, daß ſich bereits eine kleine extreme Partei innerhalb der Burſchenſchaft gebildet hatte: jene fanatiſchen Urteutonen aus Jahns Schule, die man die Altdeutſchen nannte. Dieſe köſtliche Gelegenheit für eine fratzenhafte Eulenſpiegelei konnte ſich der Turnmeiſter doch nicht ent- gehen laſſen. Er regte zuerſt den Gedanken an, dies Lutherfeſt durch eine Nachäffung der kühnſten That des Reformators zu krönen und, wie einſt Luther die Bannbulle des Papſtes verbrannt hatte, ſo jetzt die Schriften der Feinde der guten Sache ins Feuer zu werfen. Da die Mehrheit des Feſtausſchuſſes, klüger als der Alte, den Vorſchlag ablehnte, gab Jahn gleichwohl ſeinen Berlinern ein Verzeichniß der zu verbren- nenden Bücher mit auf den Weg, und dieſe Getreuen, Maßmann voran,
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Mancher im Vollbart, was bei ängſtlichen Gemüthern ſchon als ein
Zeichen hochverrätheriſcher Geſinnung galt. Allen lachte die Freude aus
den Augen, jene glückliche Selbſtvergeſſenheit der Jugend, die noch ganz
im Genuſſe des Augenblicks aufzugehen vermag; ihnen war, als ob ihnen
heute zum erſten male die Herrlichkeit ihres Vaterlandes leibhaftig ent-
gegenträte.
Droben im Ritterſaale der Wartburg, den der Großherzog gaſtfreund-
lich geöffnet hatte, wurde zuerſt unter Pauken- und Trompetenſchall „Eine
feſte Burg iſt unſer Gott“ geſungen. Darauf hielt der Lützower Riemann
aus der Fülle ſeines ehrlichen Herzens heraus eine Feſtrede, die in hoch-
pathetiſchen überſchwänglichen Sätzen von den Thaten Luthers und Blü-
chers ſprach und dann bei den Geiſtern der erſchlagenen Helden die Bur-
ſchen mahnte zum „Streben nach jeglicher menſchlichen und vaterländiſchen
Tugend“. Einige der landläufigen Schlagwörter von den vereitelten
Hoffnungen des deutſchen Volks und dem einen Fürſten, der ſein Wort
gelöſt, liefen zwar mit unter; das Ganze war ein jugendlich unklarer,
durchaus harmloſer Gefühlserguß, ebenſo vieldeutig und unbeſtimmt, wie
die neue Loſung Volunto! welche die Burſchen gern im Munde führten.
Auch was nachher noch von Profeſſoren und Studenten geredet ward
ging nicht über dies Maß hinaus, ſelbſt Oken ſprach mit ungewohnter
Selbſtbeherrſchung und warnte die jungen Leute vor einer verfrühten
politiſchen Thätigkeit.
Nach dem Mittagsmahle gingen die Burſchen zur Stadt hinab in
die Kirche, wo auch der Eiſenacher Landſturm dem Gottesdienſte beiwohnte;
dann gaben noch die Kämpen des Berliner und des Jenenſer Turnplatzes
den ſtaunenden Landſtürmern ihre Künſte zum Beſten. Als die Dämme-
rung hereinbrach zog man mit Fackeln wieder hinauf nach dem Warten-
berge, der Wartburg gegenüber, wo mehrere große Siegesfeuer brannten,
die mit patriotiſchen Reden und Liedern begrüßt wurden. Bis dahin war
das Feſt in glücklicher Eintracht verlaufen; hier aber ward zum erſten
male offenkundig, daß ſich bereits eine kleine extreme Partei innerhalb der
Burſchenſchaft gebildet hatte: jene fanatiſchen Urteutonen aus Jahns
Schule, die man die Altdeutſchen nannte. Dieſe köſtliche Gelegenheit für
eine fratzenhafte Eulenſpiegelei konnte ſich der Turnmeiſter doch nicht ent-
gehen laſſen. Er regte zuerſt den Gedanken an, dies Lutherfeſt durch
eine Nachäffung der kühnſten That des Reformators zu krönen und, wie
einſt Luther die Bannbulle des Papſtes verbrannt hatte, ſo jetzt die
Schriften der Feinde der guten Sache ins Feuer zu werfen. Da die
Mehrheit des Feſtausſchuſſes, klüger als der Alte, den Vorſchlag ablehnte,
gab Jahn gleichwohl ſeinen Berlinern ein Verzeichniß der zu verbren-
nenden Bücher mit auf den Weg, und dieſe Getreuen, Maßmann voran,
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/440>, abgerufen am 25.11.2024.
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