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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Das Wartburgfest.
Vorstellungen der jungen Brauseköpfe zu einem einzigen Bilde zusammen.
Den Radikaleren galt Luther als ein republikanischer Held, als ein Vor-
kämpfer der freien "Ueberzeugung"; in einer Festschrift von Karl Sand,
die unter die Burschen vertheilt ward, erschien die evangelische Lehre von
der Freiheit des Christenmenschen mit modern-demokratischen Ideen phan-
tastisch verbunden. "Hauptidee unseres Festes, hieß es da, ist, daß wir
allzumal durch die Taufe zu Priestern geweiht, Alle frei und gleich sind;
Urfeinde unseres deutschen Volksthums waren von jeher Drei: die Römer,
Möncherei und Soldaterei." Dadurch ward freilich der gesammtdeutsche
Charakter des Festes von vornherein getrübt. Die katholischen Universitäten
des Oberlandes, die ohnehin mit den norddeutschen noch keinen regel-
mäßigen studentischen Verkehr unterhielten, konnten keine Einladung er-
halten; die Freiburger Burschen mußten für sich allein am 18. Oktober
auf dem Wartenberge bei Donaueschingen ihr Siegesfeuer anzünden. Von
den österreichischen Hochschulen war nicht die Rede, da sie dem deutschen
Studentenbrauche ganz fern standen, auch, mit Ausnahme der Sieben-
bürger Sachsen und weniger Ungarn, noch fast kein Oesterreicher in
Deutschland studirte. Aber auch auf den preußischen Universitäten hatte
die Burschenschaft noch so wenig Anhang, daß allein Berlin der Einla-
dung Folge leistete. So war denn bei der Feier der Völkerschlacht grade
die Studentenschaft der beiden Staaten, welche allein schon bei Leipzig
für die Sache der Freiheit gefochten, fast gar nicht vertreten; und alle
die wundersamen Märchen, womit die Liberalen der rheinbündischen Län-
der die Geschichte des Befreiungskrieges auszuschmücken liebten, fanden
freien Paß.

Schon lange zuvor hatte die Presse mit mächtigen Trompetenstößen
den großen Tag angekündigt. Eine freie Zusammenkunft von Deutschen
aller Länder allein um des Vaterlandes willen war diesem Geschlechte
eine so erstaunliche Erscheinung, daß sie ihm fast wichtiger vorkam als die
weltbewegenden Ereignisse der letzten Jahre. Im Laufe des 17. Oktobers
langten an fünfhundert Burschen in Eisenach an, etwa die Hälfte aus
Jena, dreißig aus Berlin, die übrigen aus Gießen, Marburg, Erlangen,
Heidelberg und anderen Universitäten der Kleinstaaten; die rüstigen Kieler
hatten nach Turnerbrauch den weiten Weg zu Fuß zurückgelegt. Auch
vier der Jenenser Professoren fanden sich ein, Fries, Oken, Schweitzer und
Kieser. Jede neu eintreffende Schaar ward schon am Thore mit stür-
mischer Freude begrüßt und dann in den Rautenkranz geleitet um dort
vor den gestrengen Herren des Ausschusses auf dreitägigen Burgfrieden
Urfehde zu schwören. Anderen Tags in der Frühe stieg "der heilige Zug"
bei hellem Herbstwetter durch den Wald hinauf zu der Burg des Refor-
mators: voran der Burgvogt Scheidler mit dem Burschenschwerte, darauf
vier Burgmänner, dann, von vier Fahnenwächtern umgeben, Graf Keller
mit der neuen Burschenfahne, welche die Jenenser Mädchen ihren sitten-

Das Wartburgfeſt.
Vorſtellungen der jungen Brauſeköpfe zu einem einzigen Bilde zuſammen.
Den Radikaleren galt Luther als ein republikaniſcher Held, als ein Vor-
kämpfer der freien „Ueberzeugung“; in einer Feſtſchrift von Karl Sand,
die unter die Burſchen vertheilt ward, erſchien die evangeliſche Lehre von
der Freiheit des Chriſtenmenſchen mit modern-demokratiſchen Ideen phan-
taſtiſch verbunden. „Hauptidee unſeres Feſtes, hieß es da, iſt, daß wir
allzumal durch die Taufe zu Prieſtern geweiht, Alle frei und gleich ſind;
Urfeinde unſeres deutſchen Volksthums waren von jeher Drei: die Römer,
Möncherei und Soldaterei.“ Dadurch ward freilich der geſammtdeutſche
Charakter des Feſtes von vornherein getrübt. Die katholiſchen Univerſitäten
des Oberlandes, die ohnehin mit den norddeutſchen noch keinen regel-
mäßigen ſtudentiſchen Verkehr unterhielten, konnten keine Einladung er-
halten; die Freiburger Burſchen mußten für ſich allein am 18. Oktober
auf dem Wartenberge bei Donaueſchingen ihr Siegesfeuer anzünden. Von
den öſterreichiſchen Hochſchulen war nicht die Rede, da ſie dem deutſchen
Studentenbrauche ganz fern ſtanden, auch, mit Ausnahme der Sieben-
bürger Sachſen und weniger Ungarn, noch faſt kein Oeſterreicher in
Deutſchland ſtudirte. Aber auch auf den preußiſchen Univerſitäten hatte
die Burſchenſchaft noch ſo wenig Anhang, daß allein Berlin der Einla-
dung Folge leiſtete. So war denn bei der Feier der Völkerſchlacht grade
die Studentenſchaft der beiden Staaten, welche allein ſchon bei Leipzig
für die Sache der Freiheit gefochten, faſt gar nicht vertreten; und alle
die wunderſamen Märchen, womit die Liberalen der rheinbündiſchen Län-
der die Geſchichte des Befreiungskrieges auszuſchmücken liebten, fanden
freien Paß.

Schon lange zuvor hatte die Preſſe mit mächtigen Trompetenſtößen
den großen Tag angekündigt. Eine freie Zuſammenkunft von Deutſchen
aller Länder allein um des Vaterlandes willen war dieſem Geſchlechte
eine ſo erſtaunliche Erſcheinung, daß ſie ihm faſt wichtiger vorkam als die
weltbewegenden Ereigniſſe der letzten Jahre. Im Laufe des 17. Oktobers
langten an fünfhundert Burſchen in Eiſenach an, etwa die Hälfte aus
Jena, dreißig aus Berlin, die übrigen aus Gießen, Marburg, Erlangen,
Heidelberg und anderen Univerſitäten der Kleinſtaaten; die rüſtigen Kieler
hatten nach Turnerbrauch den weiten Weg zu Fuß zurückgelegt. Auch
vier der Jenenſer Profeſſoren fanden ſich ein, Fries, Oken, Schweitzer und
Kieſer. Jede neu eintreffende Schaar ward ſchon am Thore mit ſtür-
miſcher Freude begrüßt und dann in den Rautenkranz geleitet um dort
vor den geſtrengen Herren des Ausſchuſſes auf dreitägigen Burgfrieden
Urfehde zu ſchwören. Anderen Tags in der Frühe ſtieg „der heilige Zug“
bei hellem Herbſtwetter durch den Wald hinauf zu der Burg des Refor-
mators: voran der Burgvogt Scheidler mit dem Burſchenſchwerte, darauf
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mit der neuen Burſchenfahne, welche die Jenenſer Mädchen ihren ſitten-

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[425/0439] Das Wartburgfeſt. Vorſtellungen der jungen Brauſeköpfe zu einem einzigen Bilde zuſammen. Den Radikaleren galt Luther als ein republikaniſcher Held, als ein Vor- kämpfer der freien „Ueberzeugung“; in einer Feſtſchrift von Karl Sand, die unter die Burſchen vertheilt ward, erſchien die evangeliſche Lehre von der Freiheit des Chriſtenmenſchen mit modern-demokratiſchen Ideen phan- taſtiſch verbunden. „Hauptidee unſeres Feſtes, hieß es da, iſt, daß wir allzumal durch die Taufe zu Prieſtern geweiht, Alle frei und gleich ſind; Urfeinde unſeres deutſchen Volksthums waren von jeher Drei: die Römer, Möncherei und Soldaterei.“ Dadurch ward freilich der geſammtdeutſche Charakter des Feſtes von vornherein getrübt. Die katholiſchen Univerſitäten des Oberlandes, die ohnehin mit den norddeutſchen noch keinen regel- mäßigen ſtudentiſchen Verkehr unterhielten, konnten keine Einladung er- halten; die Freiburger Burſchen mußten für ſich allein am 18. Oktober auf dem Wartenberge bei Donaueſchingen ihr Siegesfeuer anzünden. Von den öſterreichiſchen Hochſchulen war nicht die Rede, da ſie dem deutſchen Studentenbrauche ganz fern ſtanden, auch, mit Ausnahme der Sieben- bürger Sachſen und weniger Ungarn, noch faſt kein Oeſterreicher in Deutſchland ſtudirte. Aber auch auf den preußiſchen Univerſitäten hatte die Burſchenſchaft noch ſo wenig Anhang, daß allein Berlin der Einla- dung Folge leiſtete. So war denn bei der Feier der Völkerſchlacht grade die Studentenſchaft der beiden Staaten, welche allein ſchon bei Leipzig für die Sache der Freiheit gefochten, faſt gar nicht vertreten; und alle die wunderſamen Märchen, womit die Liberalen der rheinbündiſchen Län- der die Geſchichte des Befreiungskrieges auszuſchmücken liebten, fanden freien Paß. Schon lange zuvor hatte die Preſſe mit mächtigen Trompetenſtößen den großen Tag angekündigt. Eine freie Zuſammenkunft von Deutſchen aller Länder allein um des Vaterlandes willen war dieſem Geſchlechte eine ſo erſtaunliche Erſcheinung, daß ſie ihm faſt wichtiger vorkam als die weltbewegenden Ereigniſſe der letzten Jahre. Im Laufe des 17. Oktobers langten an fünfhundert Burſchen in Eiſenach an, etwa die Hälfte aus Jena, dreißig aus Berlin, die übrigen aus Gießen, Marburg, Erlangen, Heidelberg und anderen Univerſitäten der Kleinſtaaten; die rüſtigen Kieler hatten nach Turnerbrauch den weiten Weg zu Fuß zurückgelegt. Auch vier der Jenenſer Profeſſoren fanden ſich ein, Fries, Oken, Schweitzer und Kieſer. Jede neu eintreffende Schaar ward ſchon am Thore mit ſtür- miſcher Freude begrüßt und dann in den Rautenkranz geleitet um dort vor den geſtrengen Herren des Ausſchuſſes auf dreitägigen Burgfrieden Urfehde zu ſchwören. Anderen Tags in der Frühe ſtieg „der heilige Zug“ bei hellem Herbſtwetter durch den Wald hinauf zu der Burg des Refor- mators: voran der Burgvogt Scheidler mit dem Burſchenſchwerte, darauf vier Burgmänner, dann, von vier Fahnenwächtern umgeben, Graf Keller mit der neuen Burſchenfahne, welche die Jenenſer Mädchen ihren ſitten-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/439>, abgerufen am 25.11.2024.