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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 6. Die Burschenschaft.
kaufsgeldern bestritten werden konnte. Die einzige vorhandene amtliche
Liste der jüdischen Soldaten, welche die große Mehrzahl der preußischen
Regimenter umfaßt, weist für das Jahr 1813 nur 343 Juden im Heere
nach; und im Jahre 1815, als das Heer seinen höchsten Stand erreichte,
standen nach der höchsten Berechnung nicht mehr als 731 Juden unter
den Fahnen, eine ganz unverhältnißmäßig niedrige Ziffer.*) Nach dem
Kriege sank ihre Zahl wieder auf 2--300. Was hätte sie auch zu den
Fahnen locken sollen? Von den Offiziersstellen waren sie durch das Gesetz
von 1812 ausgeschlossen, und da der König an dieser Vorschrift streng
festhielt, so befand sich während dieser langen Friedensjahre nur ein ein-
ziger jüdischer Offizier in der Linien-Armee, der langjährige Lehrer an der
Artillerieschule M. Burg, ein musterhaft bescheidener und tüchtiger Soldat.
Die jungen Teutonen hatten natürlich kein Auge für die verwickelten histo-
rischen Thatsachen, welche den unmilitärischen Sinn der Juden nur zu
leicht erklärten. Inzwischen begann die Geldmacht einiger großen jüdischen
Firmen in Wien, Frankfurt und Berlin schon fühlbar zu werden und sie
zeigte sich oft mit protzenhaftem Uebermuth; der vertraute Verkehr der
Rothschilds mit Metternich und Gentz erregte auch politischen Unwillen.
Dann kamen die Hungerjahre; gräßliche Geschichten, wahre und falsche,
von der Grausamkeit jüdischer Wucherer liefen durch das Land. Der alte
Rassenhaß regte sich wieder; Sessas Lustspiel "Unser Verkehr", eine bittere
Verhöhnung jüdischer Sitten, hielt einen Triumphzug fast über alle deut-
schen Bühnen.

In dem literarischen Kampfe, der sich nun entspann, offenbarte sich
auf jüdischer Seite nicht selten eine erschreckende Verlogenheit und Ueber-
hebung; sie bewies klarer als alle Reden der Gegner, welche ernsten Be-
denken der vollständigen Emancipation des Judenthums noch im Wege
standen. Saul Ascher in Berlin bewitzelte "die Germanomanie" des
jungen Geschlechts in einer Reihe hämischer Schriften, die einen fanati-
schen Haß gegen alles Deutsche, namentlich auch gegen Goethe bekundeten.
Er rühmte von den glaubenlosen Juden, daß sie von der Weltgeschichte
bestimmt seien dereinst allen positiven Glauben zu einer freieren Form zu
leiten, und hatte die Stirn seinen Stammgenossen sogar das Hauptverdienst
an den Siegen des Befreiungskrieges zuzuschreiben: "man vergißt, daß
Deutschlands Heere in dem Kampfe gegen Frankreich unterlagen ehe noch
die Juden in ihrer Mitte Theil daran nahmen, und erinnert sich nicht,
wie folgenreich sie in den Jahren 1813 und 14 kämpften als die Juden
aus Rußland, Polen, Oesterreich und Preußen mit ihnen in Reihe und
Glied standen." Ein anderer jüdischer Schriftsteller, der gegen Rühs und
Fries zu Felde zog, versicherte dreist, nur ein Jahr nach dem belgischen

*) Militär-Wochenblatt 1843, Seite 348. Geschichte der Organisation der Land-
wehr in Westpreußen (Beiheft zum M. W. Bl. 1858) Seite 120.

II. 6. Die Burſchenſchaft.
kaufsgeldern beſtritten werden konnte. Die einzige vorhandene amtliche
Liſte der jüdiſchen Soldaten, welche die große Mehrzahl der preußiſchen
Regimenter umfaßt, weiſt für das Jahr 1813 nur 343 Juden im Heere
nach; und im Jahre 1815, als das Heer ſeinen höchſten Stand erreichte,
ſtanden nach der höchſten Berechnung nicht mehr als 731 Juden unter
den Fahnen, eine ganz unverhältnißmäßig niedrige Ziffer.*) Nach dem
Kriege ſank ihre Zahl wieder auf 2—300. Was hätte ſie auch zu den
Fahnen locken ſollen? Von den Offiziersſtellen waren ſie durch das Geſetz
von 1812 ausgeſchloſſen, und da der König an dieſer Vorſchrift ſtreng
feſthielt, ſo befand ſich während dieſer langen Friedensjahre nur ein ein-
ziger jüdiſcher Offizier in der Linien-Armee, der langjährige Lehrer an der
Artillerieſchule M. Burg, ein muſterhaft beſcheidener und tüchtiger Soldat.
Die jungen Teutonen hatten natürlich kein Auge für die verwickelten hiſto-
riſchen Thatſachen, welche den unmilitäriſchen Sinn der Juden nur zu
leicht erklärten. Inzwiſchen begann die Geldmacht einiger großen jüdiſchen
Firmen in Wien, Frankfurt und Berlin ſchon fühlbar zu werden und ſie
zeigte ſich oft mit protzenhaftem Uebermuth; der vertraute Verkehr der
Rothſchilds mit Metternich und Gentz erregte auch politiſchen Unwillen.
Dann kamen die Hungerjahre; gräßliche Geſchichten, wahre und falſche,
von der Grauſamkeit jüdiſcher Wucherer liefen durch das Land. Der alte
Raſſenhaß regte ſich wieder; Seſſas Luſtſpiel „Unſer Verkehr“, eine bittere
Verhöhnung jüdiſcher Sitten, hielt einen Triumphzug faſt über alle deut-
ſchen Bühnen.

In dem literariſchen Kampfe, der ſich nun entſpann, offenbarte ſich
auf jüdiſcher Seite nicht ſelten eine erſchreckende Verlogenheit und Ueber-
hebung; ſie bewies klarer als alle Reden der Gegner, welche ernſten Be-
denken der vollſtändigen Emancipation des Judenthums noch im Wege
ſtanden. Saul Aſcher in Berlin bewitzelte „die Germanomanie“ des
jungen Geſchlechts in einer Reihe hämiſcher Schriften, die einen fanati-
ſchen Haß gegen alles Deutſche, namentlich auch gegen Goethe bekundeten.
Er rühmte von den glaubenloſen Juden, daß ſie von der Weltgeſchichte
beſtimmt ſeien dereinſt allen poſitiven Glauben zu einer freieren Form zu
leiten, und hatte die Stirn ſeinen Stammgenoſſen ſogar das Hauptverdienſt
an den Siegen des Befreiungskrieges zuzuſchreiben: „man vergißt, daß
Deutſchlands Heere in dem Kampfe gegen Frankreich unterlagen ehe noch
die Juden in ihrer Mitte Theil daran nahmen, und erinnert ſich nicht,
wie folgenreich ſie in den Jahren 1813 und 14 kämpften als die Juden
aus Rußland, Polen, Oeſterreich und Preußen mit ihnen in Reihe und
Glied ſtanden.“ Ein anderer jüdiſcher Schriftſteller, der gegen Rühs und
Fries zu Felde zog, verſicherte dreiſt, nur ein Jahr nach dem belgiſchen

*) Militär-Wochenblatt 1843, Seite 348. Geſchichte der Organiſation der Land-
wehr in Weſtpreußen (Beiheft zum M. W. Bl. 1858) Seite 120.
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[418/0432] II. 6. Die Burſchenſchaft. kaufsgeldern beſtritten werden konnte. Die einzige vorhandene amtliche Liſte der jüdiſchen Soldaten, welche die große Mehrzahl der preußiſchen Regimenter umfaßt, weiſt für das Jahr 1813 nur 343 Juden im Heere nach; und im Jahre 1815, als das Heer ſeinen höchſten Stand erreichte, ſtanden nach der höchſten Berechnung nicht mehr als 731 Juden unter den Fahnen, eine ganz unverhältnißmäßig niedrige Ziffer. *) Nach dem Kriege ſank ihre Zahl wieder auf 2—300. Was hätte ſie auch zu den Fahnen locken ſollen? Von den Offiziersſtellen waren ſie durch das Geſetz von 1812 ausgeſchloſſen, und da der König an dieſer Vorſchrift ſtreng feſthielt, ſo befand ſich während dieſer langen Friedensjahre nur ein ein- ziger jüdiſcher Offizier in der Linien-Armee, der langjährige Lehrer an der Artillerieſchule M. Burg, ein muſterhaft beſcheidener und tüchtiger Soldat. Die jungen Teutonen hatten natürlich kein Auge für die verwickelten hiſto- riſchen Thatſachen, welche den unmilitäriſchen Sinn der Juden nur zu leicht erklärten. Inzwiſchen begann die Geldmacht einiger großen jüdiſchen Firmen in Wien, Frankfurt und Berlin ſchon fühlbar zu werden und ſie zeigte ſich oft mit protzenhaftem Uebermuth; der vertraute Verkehr der Rothſchilds mit Metternich und Gentz erregte auch politiſchen Unwillen. Dann kamen die Hungerjahre; gräßliche Geſchichten, wahre und falſche, von der Grauſamkeit jüdiſcher Wucherer liefen durch das Land. Der alte Raſſenhaß regte ſich wieder; Seſſas Luſtſpiel „Unſer Verkehr“, eine bittere Verhöhnung jüdiſcher Sitten, hielt einen Triumphzug faſt über alle deut- ſchen Bühnen. In dem literariſchen Kampfe, der ſich nun entſpann, offenbarte ſich auf jüdiſcher Seite nicht ſelten eine erſchreckende Verlogenheit und Ueber- hebung; ſie bewies klarer als alle Reden der Gegner, welche ernſten Be- denken der vollſtändigen Emancipation des Judenthums noch im Wege ſtanden. Saul Aſcher in Berlin bewitzelte „die Germanomanie“ des jungen Geſchlechts in einer Reihe hämiſcher Schriften, die einen fanati- ſchen Haß gegen alles Deutſche, namentlich auch gegen Goethe bekundeten. Er rühmte von den glaubenloſen Juden, daß ſie von der Weltgeſchichte beſtimmt ſeien dereinſt allen poſitiven Glauben zu einer freieren Form zu leiten, und hatte die Stirn ſeinen Stammgenoſſen ſogar das Hauptverdienſt an den Siegen des Befreiungskrieges zuzuſchreiben: „man vergißt, daß Deutſchlands Heere in dem Kampfe gegen Frankreich unterlagen ehe noch die Juden in ihrer Mitte Theil daran nahmen, und erinnert ſich nicht, wie folgenreich ſie in den Jahren 1813 und 14 kämpften als die Juden aus Rußland, Polen, Oeſterreich und Preußen mit ihnen in Reihe und Glied ſtanden.“ Ein anderer jüdiſcher Schriftſteller, der gegen Rühs und Fries zu Felde zog, verſicherte dreiſt, nur ein Jahr nach dem belgiſchen *) Militär-Wochenblatt 1843, Seite 348. Geſchichte der Organiſation der Land- wehr in Weſtpreußen (Beiheft zum M. W. Bl. 1858) Seite 120.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/432>, abgerufen am 22.11.2024.