Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.Fries und die Jenenser. Besonders zeitgemäß erschien den jungen Leuten seine Geschichtsphilosophie;er verstand den Reichthum der historischen Welt in das Schema einer dürftigen Doctrin einzupressen, welche seitdem von unzähligen gelehrten Publicisten, bis auf Gervinus herab, in mannichfachen Formen nachge- sprochen worden ist: darnach sollte im Orient die Religion das Leben der Menschheit beherrscht haben, im classischen Alterthum die Schönheit, in der christlichen Welt die Erkenntniß, neuerdings aber, seit der Revolution, stand die Ausbildung des öffentlichen Rechts im Mittelpunkte der Ge- schichte, womit denn freilich allem Vorwitz der politisirenden Dilettanten Thür und Thor geöffnet ward. Obwohl Fries die ehrliche Absicht hegte das junge Volk vor leidenschaftlichen Verirrungen zu bewahren, so ließ er sich doch zu manchen unvorsichtigen Aeußerungen hinreißen, und schließ- lich widerfuhr ihm was bei einem allzu nahen Verkehre zwischen Pro- fessoren und Studenten fast unvermeidlich eintritt: er verlor die Fühlung mit seinen jungen Freunden, da sie dem Lehrer doch nicht Alles anver- trauten, und bemerkte nicht, wie der Radikalismus allmählich in den Reihen der Jugend überhandnahm. Ursprünglich war eine unbestimmte patriotische Sehnsucht der einzige Unter den Begründern der Burschenschaft befand sich ein einziger Fries und die Jenenſer. Beſonders zeitgemäß erſchien den jungen Leuten ſeine Geſchichtsphiloſophie;er verſtand den Reichthum der hiſtoriſchen Welt in das Schema einer dürftigen Doctrin einzupreſſen, welche ſeitdem von unzähligen gelehrten Publiciſten, bis auf Gervinus herab, in mannichfachen Formen nachge- ſprochen worden iſt: darnach ſollte im Orient die Religion das Leben der Menſchheit beherrſcht haben, im claſſiſchen Alterthum die Schönheit, in der chriſtlichen Welt die Erkenntniß, neuerdings aber, ſeit der Revolution, ſtand die Ausbildung des öffentlichen Rechts im Mittelpunkte der Ge- ſchichte, womit denn freilich allem Vorwitz der politiſirenden Dilettanten Thür und Thor geöffnet ward. Obwohl Fries die ehrliche Abſicht hegte das junge Volk vor leidenſchaftlichen Verirrungen zu bewahren, ſo ließ er ſich doch zu manchen unvorſichtigen Aeußerungen hinreißen, und ſchließ- lich widerfuhr ihm was bei einem allzu nahen Verkehre zwiſchen Pro- feſſoren und Studenten faſt unvermeidlich eintritt: er verlor die Fühlung mit ſeinen jungen Freunden, da ſie dem Lehrer doch nicht Alles anver- trauten, und bemerkte nicht, wie der Radikalismus allmählich in den Reihen der Jugend überhandnahm. Urſprünglich war eine unbeſtimmte patriotiſche Sehnſucht der einzige Unter den Begründern der Burſchenſchaft befand ſich ein einziger <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0429" n="415"/><fw place="top" type="header">Fries und die Jenenſer.</fw><lb/> Beſonders zeitgemäß erſchien den jungen Leuten ſeine Geſchichtsphiloſophie;<lb/> er verſtand den Reichthum der hiſtoriſchen Welt in das Schema einer<lb/> dürftigen Doctrin einzupreſſen, welche ſeitdem von unzähligen gelehrten<lb/> Publiciſten, bis auf Gervinus herab, in mannichfachen Formen nachge-<lb/> ſprochen worden iſt: darnach ſollte im Orient die Religion das Leben der<lb/> Menſchheit beherrſcht haben, im claſſiſchen Alterthum die Schönheit, in<lb/> der chriſtlichen Welt die Erkenntniß, neuerdings aber, ſeit der Revolution,<lb/> ſtand die Ausbildung des öffentlichen Rechts im Mittelpunkte der Ge-<lb/> ſchichte, womit denn freilich allem Vorwitz der politiſirenden Dilettanten<lb/> Thür und Thor geöffnet ward. 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Auf den preußiſchen Univerſitäten ſchlug die Bur-<lb/> ſchenſchaft nur langſam Wurzeln, zunächſt in Berlin. In Breslau wen-<lb/> deten ſich ihr zuerſt die neupreußiſchen Lauſitzer zu; den Schleſiern wollte<lb/> es lange nicht in den Sinn, daß der Staat Friedrichs des Großen einem<lb/> geſinnungstüchtigen Teutonen nicht mehr gelten ſollte als Bückeburg oder<lb/> Darmſtadt. Die Jenenſer dagegen und die radikalen Gießener, die ſich<lb/> der burſchenſchaftlichen Bewegung am früheſten anſchloſſen, bekämpften<lb/> nicht nur jede berechtigte Regung preußiſchen Selbſtgefühls als „undeut-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [415/0429]
Fries und die Jenenſer.
Beſonders zeitgemäß erſchien den jungen Leuten ſeine Geſchichtsphiloſophie;
er verſtand den Reichthum der hiſtoriſchen Welt in das Schema einer
dürftigen Doctrin einzupreſſen, welche ſeitdem von unzähligen gelehrten
Publiciſten, bis auf Gervinus herab, in mannichfachen Formen nachge-
ſprochen worden iſt: darnach ſollte im Orient die Religion das Leben der
Menſchheit beherrſcht haben, im claſſiſchen Alterthum die Schönheit, in
der chriſtlichen Welt die Erkenntniß, neuerdings aber, ſeit der Revolution,
ſtand die Ausbildung des öffentlichen Rechts im Mittelpunkte der Ge-
ſchichte, womit denn freilich allem Vorwitz der politiſirenden Dilettanten
Thür und Thor geöffnet ward. Obwohl Fries die ehrliche Abſicht hegte
das junge Volk vor leidenſchaftlichen Verirrungen zu bewahren, ſo ließ er
ſich doch zu manchen unvorſichtigen Aeußerungen hinreißen, und ſchließ-
lich widerfuhr ihm was bei einem allzu nahen Verkehre zwiſchen Pro-
feſſoren und Studenten faſt unvermeidlich eintritt: er verlor die Fühlung
mit ſeinen jungen Freunden, da ſie dem Lehrer doch nicht Alles anver-
trauten, und bemerkte nicht, wie der Radikalismus allmählich in den
Reihen der Jugend überhandnahm.
Urſprünglich war eine unbeſtimmte patriotiſche Sehnſucht der einzige
politiſche Gedanke der Jenenſer Burſchen. Sie ſchwärmten für ein ab-
ſtraktes Deutſchthum, ſo wie es einſt in den Reden an die deutſche Nation
verherrlicht worden; von der lebendigen preußiſchen Staatsgeſinnung,
welche ſich Fichte am Abend ſeines Lebens gebildet hatte, ahnten ſie
nichts. Jeder Unterſchied von Preußen, Baiern und Sachſen ſollte ver-
ſchwinden in dem einen Begriffe der Deutſchheit; und da nun unter
allen deutſchen Einzelſtaaten keiner ein ſo handfeſtes Leben beſaß wie der
preußiſche, ſo geriethen dieſe jungen Träumer, die doch beſtändig von der
Herrlichkeit des Befreiungskrieges redeten, unmerklich auf denſelben Ab-
weg wie die Nemeſis und die Iſis: ſie begannen den Staat, der jenen
Krieg faſt allein geführt hatte, mit Anklagen zu überhäufen.
Unter den Begründern der Burſchenſchaft befand ſich ein einziger
Preuße: der Berliner Maßmann, ein ehrlicher, ſehr mäßig begabter
junger Schwärmer, der unklarſte Kopf von allen den Berſerkern aus Jahns
engerem Kreiſe. Die Anderen waren ſämmtlich Thüringer, Mecklenburger,
Kurländer, Heſſen, bairiſche Franken, und ihnen allerdings fiel es nicht
ſchwer ihren heimathlichen Staat in einer allgemeinen Deutſchheit einfach
untergehen zu laſſen. Auf den preußiſchen Univerſitäten ſchlug die Bur-
ſchenſchaft nur langſam Wurzeln, zunächſt in Berlin. In Breslau wen-
deten ſich ihr zuerſt die neupreußiſchen Lauſitzer zu; den Schleſiern wollte
es lange nicht in den Sinn, daß der Staat Friedrichs des Großen einem
geſinnungstüchtigen Teutonen nicht mehr gelten ſollte als Bückeburg oder
Darmſtadt. Die Jenenſer dagegen und die radikalen Gießener, die ſich
der burſchenſchaftlichen Bewegung am früheſten anſchloſſen, bekämpften
nicht nur jede berechtigte Regung preußiſchen Selbſtgefühls als „undeut-
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