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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 7. Die Burschenschaft.

An der lächerlichen Großmannssucht seiner freundlichen Dynasten
nahm das kleinlebige Volk keinen Anstoß. Im Gothaer Wappen prangten
die Schilde von dreiundzwanzig Herzogthümern, Fürstenthümern und Graf-
schaften; die Schwarzburger führten sogar den Doppeladler, noch von den
Zeiten des Gegenkaisers Günther her, und ließen selbst die Warnungstafeln
in dem herrlichen Wildpark des Schwarzathals mit blauen Lettern auf
weißem Papier bedrucken, damit der Unterthan seiner Landesfarben nicht
vergäße. Wie dort Alles blauweiß, so prangte in den Landen der Reußischen
Fürsten Alles schwarzrothgelb. Auch dieses kleine vogtländische Herrenge-
schlecht hatte einst auf den Höhen der Geschichte gestanden, als die beiden ge-
waltigen Heinrich von Plauen, die finsteren Helden des Deutschen Ordens,
die Verzweiflungskämpfe gegen die Polen führten; in der langen Zeit seit-
dem war sein Dasein der Welt freilich nur selten bemerkbar geworden.
Alle diese kleinen Dynasten dünkten sich im Vollgenusse der neuen Sou-
veränität jedem Könige der Erde gleich; in Wahrheit blieb ihre Stellung
unter den deutschen Fürsten recht bescheiden. Als einer von ihnen einst seine
Blicke zu der Tochter eines größeren Fürstengeschlechts zu erheben wagte,
erbat er sich erst von König Friedrich Wilhelm den rothen Adlerorden,
"um am großherzoglichen Hofe einen günstigeren Eindruck zu machen",
und ließ sodann durch General Lestocq, den gemeinsamen Vertreter der
kleinen Thüringer in Berlin einen kühn entworfenen diplomatischen Feld-
zug beginnen; aber obwohl der Gesandte sein Bestes that, erlangte sein
junger Souverän schließlich doch nur den Orden, nicht die Hand der
Prinzessin.*) --

Seltsame Laune des Schicksals, daß grade Karl August in diese Welt
der Kleinheit, wo alle Geschichte sich in Anekdoten auflöste, verschlagen
wurde. Wie stürmisch hatte es einst in ihm gekocht und getobt, als er
in früher Jugend schon die Herrschaft antrat und nun sogleich Goethe
und Herder berief, die französischen Formen des Hoflebens sprengte, mit
fridericianischem Eifer in die Rechtspflege, das Schulwesen, den Landbau
fördernd eingriff, alle die Keime einer freieren Bildung, welche seine edle
Mutter Anna Amalia in ihrer langen vormundschaftlichen Regierung ge-
legt, zur fröhlichen Entfaltung brachte und bei Alledem doch nicht seinen
Frieden fand. Verwundert blickte das Volk auf den genialischen Ueber-
muth des Weimarischen Musenhofes, und alle die Lästerzungen des deut-
schen Parnasses, die ihre großen Genossen um das warme Nest beneideten,
wußten nicht genug zu erzählen von dem unsteten Treiben des jungen
Herzogs, wie er bald auf wilden Gelagen und glänzenden Maskenfesten
die Nächte durchraste, bald auf der Ettersburg vor den Laub-Coulissen
des Gartentheaters saß und den Dramen seines Freundes lauschte, bald
wieder hinausjagte in tollem Ritt über Gräben und Hecken oder mit den

*) Frankenbergs Berichte, Berlin 13. Nov. 1827 ff.
II. 7. Die Burſchenſchaft.

An der lächerlichen Großmannsſucht ſeiner freundlichen Dynaſten
nahm das kleinlebige Volk keinen Anſtoß. Im Gothaer Wappen prangten
die Schilde von dreiundzwanzig Herzogthümern, Fürſtenthümern und Graf-
ſchaften; die Schwarzburger führten ſogar den Doppeladler, noch von den
Zeiten des Gegenkaiſers Günther her, und ließen ſelbſt die Warnungstafeln
in dem herrlichen Wildpark des Schwarzathals mit blauen Lettern auf
weißem Papier bedrucken, damit der Unterthan ſeiner Landesfarben nicht
vergäße. Wie dort Alles blauweiß, ſo prangte in den Landen der Reußiſchen
Fürſten Alles ſchwarzrothgelb. Auch dieſes kleine vogtländiſche Herrenge-
ſchlecht hatte einſt auf den Höhen der Geſchichte geſtanden, als die beiden ge-
waltigen Heinrich von Plauen, die finſteren Helden des Deutſchen Ordens,
die Verzweiflungskämpfe gegen die Polen führten; in der langen Zeit ſeit-
dem war ſein Daſein der Welt freilich nur ſelten bemerkbar geworden.
Alle dieſe kleinen Dynaſten dünkten ſich im Vollgenuſſe der neuen Sou-
veränität jedem Könige der Erde gleich; in Wahrheit blieb ihre Stellung
unter den deutſchen Fürſten recht beſcheiden. Als einer von ihnen einſt ſeine
Blicke zu der Tochter eines größeren Fürſtengeſchlechts zu erheben wagte,
erbat er ſich erſt von König Friedrich Wilhelm den rothen Adlerorden,
„um am großherzoglichen Hofe einen günſtigeren Eindruck zu machen“,
und ließ ſodann durch General Leſtocq, den gemeinſamen Vertreter der
kleinen Thüringer in Berlin einen kühn entworfenen diplomatiſchen Feld-
zug beginnen; aber obwohl der Geſandte ſein Beſtes that, erlangte ſein
junger Souverän ſchließlich doch nur den Orden, nicht die Hand der
Prinzeſſin.*)

Seltſame Laune des Schickſals, daß grade Karl Auguſt in dieſe Welt
der Kleinheit, wo alle Geſchichte ſich in Anekdoten auflöſte, verſchlagen
wurde. Wie ſtürmiſch hatte es einſt in ihm gekocht und getobt, als er
in früher Jugend ſchon die Herrſchaft antrat und nun ſogleich Goethe
und Herder berief, die franzöſiſchen Formen des Hoflebens ſprengte, mit
fridericianiſchem Eifer in die Rechtspflege, das Schulweſen, den Landbau
fördernd eingriff, alle die Keime einer freieren Bildung, welche ſeine edle
Mutter Anna Amalia in ihrer langen vormundſchaftlichen Regierung ge-
legt, zur fröhlichen Entfaltung brachte und bei Alledem doch nicht ſeinen
Frieden fand. Verwundert blickte das Volk auf den genialiſchen Ueber-
muth des Weimariſchen Muſenhofes, und alle die Läſterzungen des deut-
ſchen Parnaſſes, die ihre großen Genoſſen um das warme Neſt beneideten,
wußten nicht genug zu erzählen von dem unſteten Treiben des jungen
Herzogs, wie er bald auf wilden Gelagen und glänzenden Maskenfeſten
die Nächte durchraſte, bald auf der Ettersburg vor den Laub-Couliſſen
des Gartentheaters ſaß und den Dramen ſeines Freundes lauſchte, bald
wieder hinausjagte in tollem Ritt über Gräben und Hecken oder mit den

*) Frankenbergs Berichte, Berlin 13. Nov. 1827 ff.
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[402/0416] II. 7. Die Burſchenſchaft. An der lächerlichen Großmannsſucht ſeiner freundlichen Dynaſten nahm das kleinlebige Volk keinen Anſtoß. Im Gothaer Wappen prangten die Schilde von dreiundzwanzig Herzogthümern, Fürſtenthümern und Graf- ſchaften; die Schwarzburger führten ſogar den Doppeladler, noch von den Zeiten des Gegenkaiſers Günther her, und ließen ſelbſt die Warnungstafeln in dem herrlichen Wildpark des Schwarzathals mit blauen Lettern auf weißem Papier bedrucken, damit der Unterthan ſeiner Landesfarben nicht vergäße. Wie dort Alles blauweiß, ſo prangte in den Landen der Reußiſchen Fürſten Alles ſchwarzrothgelb. Auch dieſes kleine vogtländiſche Herrenge- ſchlecht hatte einſt auf den Höhen der Geſchichte geſtanden, als die beiden ge- waltigen Heinrich von Plauen, die finſteren Helden des Deutſchen Ordens, die Verzweiflungskämpfe gegen die Polen führten; in der langen Zeit ſeit- dem war ſein Daſein der Welt freilich nur ſelten bemerkbar geworden. Alle dieſe kleinen Dynaſten dünkten ſich im Vollgenuſſe der neuen Sou- veränität jedem Könige der Erde gleich; in Wahrheit blieb ihre Stellung unter den deutſchen Fürſten recht beſcheiden. Als einer von ihnen einſt ſeine Blicke zu der Tochter eines größeren Fürſtengeſchlechts zu erheben wagte, erbat er ſich erſt von König Friedrich Wilhelm den rothen Adlerorden, „um am großherzoglichen Hofe einen günſtigeren Eindruck zu machen“, und ließ ſodann durch General Leſtocq, den gemeinſamen Vertreter der kleinen Thüringer in Berlin einen kühn entworfenen diplomatiſchen Feld- zug beginnen; aber obwohl der Geſandte ſein Beſtes that, erlangte ſein junger Souverän ſchließlich doch nur den Orden, nicht die Hand der Prinzeſſin. *) — Seltſame Laune des Schickſals, daß grade Karl Auguſt in dieſe Welt der Kleinheit, wo alle Geſchichte ſich in Anekdoten auflöſte, verſchlagen wurde. Wie ſtürmiſch hatte es einſt in ihm gekocht und getobt, als er in früher Jugend ſchon die Herrſchaft antrat und nun ſogleich Goethe und Herder berief, die franzöſiſchen Formen des Hoflebens ſprengte, mit fridericianiſchem Eifer in die Rechtspflege, das Schulweſen, den Landbau fördernd eingriff, alle die Keime einer freieren Bildung, welche ſeine edle Mutter Anna Amalia in ihrer langen vormundſchaftlichen Regierung ge- legt, zur fröhlichen Entfaltung brachte und bei Alledem doch nicht ſeinen Frieden fand. Verwundert blickte das Volk auf den genialiſchen Ueber- muth des Weimariſchen Muſenhofes, und alle die Läſterzungen des deut- ſchen Parnaſſes, die ihre großen Genoſſen um das warme Neſt beneideten, wußten nicht genug zu erzählen von dem unſteten Treiben des jungen Herzogs, wie er bald auf wilden Gelagen und glänzenden Maskenfeſten die Nächte durchraſte, bald auf der Ettersburg vor den Laub-Couliſſen des Gartentheaters ſaß und den Dramen ſeines Freundes lauſchte, bald wieder hinausjagte in tollem Ritt über Gräben und Hecken oder mit den *) Frankenbergs Berichte, Berlin 13. Nov. 1827 ff.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/416>, abgerufen am 22.11.2024.