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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 7. Die Burschenschaft.
fühlten sich beglückt, als ihr händelsüchtiger Herzog Anton Ulrich, um
den Vettern in Weimar und Gotha das erhoffte Erbe zu entziehen, noch
in seinen sechziger Jahren eine zweite Ehe schloß und dann aus eitel
Bosheit noch acht Kinder erzeugte. Gotha und Altenburg, lange unter
einem Herzogshute vereinigt, behaupteten sich unerschütterlich als zwei
selbständige Staaten, erkannten nicht einmal gegenseitig ihre Münzen an;
und nur der Willenskraft Karl Augusts gelang es nach schweren Kämpfen
die drei Fürstenthümer Weimar, Jena und Eisenach zu einem Gesammt-
staate zu vereinigen. Die natürliche Hauptstadt des Landes, Erfurt,
hatte unter der Herrschaft des Mainzer Krummstabs immer eine Sonder-
stellung in ihrer protestantischen Umgebung eingenommen und führte
nachher, seit dem Untergange ihrer Universität das stille Dasein einer
Festungs- und Beamtenstadt.

So rieselte das politische und geistige Leben in dünnen Bächlein
zertheilt dahin. Unter den größeren Städten fand sich fast keine, die
nicht einmal einem fürstlichen Hause zum Wohnsitz gedient hätte; aber
keine dieser winzigen Residenzen kam aus der Dürftigkeit lakaienhafter
Kleinstädterei hinaus. Ueberall die Ansätze eines reicheren geistigen
Schaffens, kleine Sammlungen und gemeinnützige Anstalten, sieben öffent-
liche Bibliotheken nahe bei einander, nirgends etwas Ganzes und Großes.
Das Land war mit Schlössern, Parks und Wildgehegen übersäet wie
kein anderer Gau im schlösserreichen Deutschland. Manche dieser Fürsten-
sitze blieben dem Volke durch bedeutsame Erinnerungen theuer, so die
Wartburg und der vielumkämpfte Friedenstein, so Altenburg, die Stätte
des Prinzenraubes, so die Feste Coburg, wo Luther sein Asyl gefunden, und
die Fröhliche Wiederkunft, wo Johann Friedrich beim edlen Waidwerk sich
von den Aengsten der spanischen Haft erholt hatte. Viele andere aber
erzählten nur von den possirlichen Schrullen eines unbeschäftigten Klein-
fürstenstandes, der mit seiner Zeit und Kraft nichts anzufangen wußte:
hier hatte einer der Schwarzburgischen Günther seiner Gemahlin zum
Possen in den Waldbergen der Hainleite das Jagdschloß "der Possen"
erbaut, dort Christian von Weißenfels zur Verewigung seiner Cäsaren-
größe sein eigenes Conterfei erst dreimal in riesigen Reliefs an den
rothen Felsmauern der Weinberge des Unstrutthals, umgeben von Vater
Noah und herbstenden Winzern, dann noch einmal als vergoldetes
Reiterstandbild auf dem Freiburger Markte aushauen lassen.

Unterthänige Federn nannten das anmuthige Land einen von Fürsten-
händen gepflegten Garten Gottes; in Wahrheit blieb die treufleißige
Sorgsamkeit der kleinen Landesväter bis tief in das achtzehnte Jahr-
hundert hinein sehr unfruchtbar. Die Geister verknöcherten unter der
langjährigen Herrschaft des harten Lutherthums. Einzelne Fürsten, wie
Ernst der Fromme von Gotha, verstanden wohl ein kräftiges kirchliches
Leben zu wecken, den meisten war die Theologie nur ein geistloser Zeit-

II. 7. Die Burſchenſchaft.
fühlten ſich beglückt, als ihr händelſüchtiger Herzog Anton Ulrich, um
den Vettern in Weimar und Gotha das erhoffte Erbe zu entziehen, noch
in ſeinen ſechziger Jahren eine zweite Ehe ſchloß und dann aus eitel
Bosheit noch acht Kinder erzeugte. Gotha und Altenburg, lange unter
einem Herzogshute vereinigt, behaupteten ſich unerſchütterlich als zwei
ſelbſtändige Staaten, erkannten nicht einmal gegenſeitig ihre Münzen an;
und nur der Willenskraft Karl Auguſts gelang es nach ſchweren Kämpfen
die drei Fürſtenthümer Weimar, Jena und Eiſenach zu einem Geſammt-
ſtaate zu vereinigen. Die natürliche Hauptſtadt des Landes, Erfurt,
hatte unter der Herrſchaft des Mainzer Krummſtabs immer eine Sonder-
ſtellung in ihrer proteſtantiſchen Umgebung eingenommen und führte
nachher, ſeit dem Untergange ihrer Univerſität das ſtille Daſein einer
Feſtungs- und Beamtenſtadt.

So rieſelte das politiſche und geiſtige Leben in dünnen Bächlein
zertheilt dahin. Unter den größeren Städten fand ſich faſt keine, die
nicht einmal einem fürſtlichen Hauſe zum Wohnſitz gedient hätte; aber
keine dieſer winzigen Reſidenzen kam aus der Dürftigkeit lakaienhafter
Kleinſtädterei hinaus. Ueberall die Anſätze eines reicheren geiſtigen
Schaffens, kleine Sammlungen und gemeinnützige Anſtalten, ſieben öffent-
liche Bibliotheken nahe bei einander, nirgends etwas Ganzes und Großes.
Das Land war mit Schlöſſern, Parks und Wildgehegen überſäet wie
kein anderer Gau im ſchlöſſerreichen Deutſchland. Manche dieſer Fürſten-
ſitze blieben dem Volke durch bedeutſame Erinnerungen theuer, ſo die
Wartburg und der vielumkämpfte Friedenſtein, ſo Altenburg, die Stätte
des Prinzenraubes, ſo die Feſte Coburg, wo Luther ſein Aſyl gefunden, und
die Fröhliche Wiederkunft, wo Johann Friedrich beim edlen Waidwerk ſich
von den Aengſten der ſpaniſchen Haft erholt hatte. Viele andere aber
erzählten nur von den poſſirlichen Schrullen eines unbeſchäftigten Klein-
fürſtenſtandes, der mit ſeiner Zeit und Kraft nichts anzufangen wußte:
hier hatte einer der Schwarzburgiſchen Günther ſeiner Gemahlin zum
Poſſen in den Waldbergen der Hainleite das Jagdſchloß „der Poſſen“
erbaut, dort Chriſtian von Weißenfels zur Verewigung ſeiner Cäſaren-
größe ſein eigenes Conterfei erſt dreimal in rieſigen Reliefs an den
rothen Felsmauern der Weinberge des Unſtrutthals, umgeben von Vater
Noah und herbſtenden Winzern, dann noch einmal als vergoldetes
Reiterſtandbild auf dem Freiburger Markte aushauen laſſen.

Unterthänige Federn nannten das anmuthige Land einen von Fürſten-
händen gepflegten Garten Gottes; in Wahrheit blieb die treufleißige
Sorgſamkeit der kleinen Landesväter bis tief in das achtzehnte Jahr-
hundert hinein ſehr unfruchtbar. Die Geiſter verknöcherten unter der
langjährigen Herrſchaft des harten Lutherthums. Einzelne Fürſten, wie
Ernſt der Fromme von Gotha, verſtanden wohl ein kräftiges kirchliches
Leben zu wecken, den meiſten war die Theologie nur ein geiſtloſer Zeit-

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[398/0412] II. 7. Die Burſchenſchaft. fühlten ſich beglückt, als ihr händelſüchtiger Herzog Anton Ulrich, um den Vettern in Weimar und Gotha das erhoffte Erbe zu entziehen, noch in ſeinen ſechziger Jahren eine zweite Ehe ſchloß und dann aus eitel Bosheit noch acht Kinder erzeugte. Gotha und Altenburg, lange unter einem Herzogshute vereinigt, behaupteten ſich unerſchütterlich als zwei ſelbſtändige Staaten, erkannten nicht einmal gegenſeitig ihre Münzen an; und nur der Willenskraft Karl Auguſts gelang es nach ſchweren Kämpfen die drei Fürſtenthümer Weimar, Jena und Eiſenach zu einem Geſammt- ſtaate zu vereinigen. Die natürliche Hauptſtadt des Landes, Erfurt, hatte unter der Herrſchaft des Mainzer Krummſtabs immer eine Sonder- ſtellung in ihrer proteſtantiſchen Umgebung eingenommen und führte nachher, ſeit dem Untergange ihrer Univerſität das ſtille Daſein einer Feſtungs- und Beamtenſtadt. So rieſelte das politiſche und geiſtige Leben in dünnen Bächlein zertheilt dahin. Unter den größeren Städten fand ſich faſt keine, die nicht einmal einem fürſtlichen Hauſe zum Wohnſitz gedient hätte; aber keine dieſer winzigen Reſidenzen kam aus der Dürftigkeit lakaienhafter Kleinſtädterei hinaus. Ueberall die Anſätze eines reicheren geiſtigen Schaffens, kleine Sammlungen und gemeinnützige Anſtalten, ſieben öffent- liche Bibliotheken nahe bei einander, nirgends etwas Ganzes und Großes. Das Land war mit Schlöſſern, Parks und Wildgehegen überſäet wie kein anderer Gau im ſchlöſſerreichen Deutſchland. Manche dieſer Fürſten- ſitze blieben dem Volke durch bedeutſame Erinnerungen theuer, ſo die Wartburg und der vielumkämpfte Friedenſtein, ſo Altenburg, die Stätte des Prinzenraubes, ſo die Feſte Coburg, wo Luther ſein Aſyl gefunden, und die Fröhliche Wiederkunft, wo Johann Friedrich beim edlen Waidwerk ſich von den Aengſten der ſpaniſchen Haft erholt hatte. Viele andere aber erzählten nur von den poſſirlichen Schrullen eines unbeſchäftigten Klein- fürſtenſtandes, der mit ſeiner Zeit und Kraft nichts anzufangen wußte: hier hatte einer der Schwarzburgiſchen Günther ſeiner Gemahlin zum Poſſen in den Waldbergen der Hainleite das Jagdſchloß „der Poſſen“ erbaut, dort Chriſtian von Weißenfels zur Verewigung ſeiner Cäſaren- größe ſein eigenes Conterfei erſt dreimal in rieſigen Reliefs an den rothen Felsmauern der Weinberge des Unſtrutthals, umgeben von Vater Noah und herbſtenden Winzern, dann noch einmal als vergoldetes Reiterſtandbild auf dem Freiburger Markte aushauen laſſen. Unterthänige Federn nannten das anmuthige Land einen von Fürſten- händen gepflegten Garten Gottes; in Wahrheit blieb die treufleißige Sorgſamkeit der kleinen Landesväter bis tief in das achtzehnte Jahr- hundert hinein ſehr unfruchtbar. Die Geiſter verknöcherten unter der langjährigen Herrſchaft des harten Lutherthums. Einzelne Fürſten, wie Ernſt der Fromme von Gotha, verſtanden wohl ein kräftiges kirchliches Leben zu wecken, den meiſten war die Theologie nur ein geiſtloſer Zeit-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/412>, abgerufen am 19.05.2024.