So ward Thüringen neben Schwaben das gelobte Land des deut- schen Kleinlebens. Als der moderne Staatsgedanke endlich auch in diesen Hausherrschaften erwachte, als Ernst August von Weimar die Primo- genitur-Ordnung einführte und die Ernestinischen Vettern allmählich, Mei- ningen erst im Jahre 1801, dem guten Beispiele folgten, da war die Zertrümmerung schon vollendet, und die Kleinstaaterei zeigte sich hier lebenskräftiger als im Südwesten, weil sie ausschließlich in den Formen weltlicher Fürstenherrschaft erschien. Zur Zeit des Friedensschlusses ver- theilten sich die 700,000 Menschen, welche das kleinfürstliche Thüringen -- mit Ausschluß der preußischen und hessischen Gebiete -- bewohnten, unter fünf sächsische Häuser, zwei Schwarzburg und drei Linien Reuß, von denen die Bundesakte leider nur zwei anerkannte. Und diese neun oder zehn Staaten standen einander als souveräne Mächte, völlig selbständig gegenüber; an gemeinsamen Institutionen besaßen sie nichts als die Uni- versität, die von den fünf sächsischen durchlauchtigsten Nutritoren unter- halten wurde, und das neue Jenenser Oberappellationsgericht. Dem Volke kam wohl zuweilen eine Ahnung von der Jämmerlichkeit dieser Zustände. In der Gegend von Roth, zwei Stunden von Hildburghausen, sang man das Lied:
Hildburghäuser Gebot Langt bis Roth; Da hat's a Krümm Und kehrt wieder üm.
Im Grunde fühlte man sich doch glücklich in dieser traulichen Enge, wo Fürstengnade und Vetterngunst jedem halbwegs brauchbaren Menschen den Lebensweg so behaglich ebneten; die häusliche Tugend der wackeren Ernestinischen Betefürsten stand dem Volke näher als die dämonische Ge- stalt jenes Bernhard von Weimar, der einmal doch mit dem Schmettern seines Schwertes die eintönige Idylle dieser Landesgeschichte unterbrach. Niemals, auch nicht in der Fieberhitze des Jahres 1848, haben die Thü- ringer ernstlich an die Mediatisirung ihrer kleinen Herren gedacht.
Wie überall in Mitteldeutschland drängte sich auch hier eine bunte Mannichfaltigkeit volksthümlicher Sitten und Bräuche auf engem Raume zusammen. Der einsame Rennsteg auf dem Kamme des Thüringer Waldes, vor Zeiten der Grenzweg zwischen Thüringen und Franken, bildete noch immer eine scharfe Stammesscheide: südwärts der stark fränkisch gefärbte hennebergische Dialekt und das rein süddeutsche Volk im Coburgischen, nördlich das eigentliche Thüringen zwischen Saale und Werra, und von diesem wieder verschieden das mit slavischen Elementen gemischte Volksthum östlich der Saale. Auch in den neuen, so spät und zufällig entstandenen dynastischen Gebieten bildete sich bald ein zäher Partikularismus aus, harmlos und philisterhaft, doch immerhin stark genug um jede Aenderung zu erschweren. Alle guten Meininger
Die Erneſtiner.
So ward Thüringen neben Schwaben das gelobte Land des deut- ſchen Kleinlebens. Als der moderne Staatsgedanke endlich auch in dieſen Hausherrſchaften erwachte, als Ernſt Auguſt von Weimar die Primo- genitur-Ordnung einführte und die Erneſtiniſchen Vettern allmählich, Mei- ningen erſt im Jahre 1801, dem guten Beiſpiele folgten, da war die Zertrümmerung ſchon vollendet, und die Kleinſtaaterei zeigte ſich hier lebenskräftiger als im Südweſten, weil ſie ausſchließlich in den Formen weltlicher Fürſtenherrſchaft erſchien. Zur Zeit des Friedensſchluſſes ver- theilten ſich die 700,000 Menſchen, welche das kleinfürſtliche Thüringen — mit Ausſchluß der preußiſchen und heſſiſchen Gebiete — bewohnten, unter fünf ſächſiſche Häuſer, zwei Schwarzburg und drei Linien Reuß, von denen die Bundesakte leider nur zwei anerkannte. Und dieſe neun oder zehn Staaten ſtanden einander als ſouveräne Mächte, völlig ſelbſtändig gegenüber; an gemeinſamen Inſtitutionen beſaßen ſie nichts als die Uni- verſität, die von den fünf ſächſiſchen durchlauchtigſten Nutritoren unter- halten wurde, und das neue Jenenſer Oberappellationsgericht. Dem Volke kam wohl zuweilen eine Ahnung von der Jämmerlichkeit dieſer Zuſtände. In der Gegend von Roth, zwei Stunden von Hildburghauſen, ſang man das Lied:
Hildburghäuſer Gebot Langt bis Roth; Da hat’s a Krümm Und kehrt wieder üm.
Im Grunde fühlte man ſich doch glücklich in dieſer traulichen Enge, wo Fürſtengnade und Vetterngunſt jedem halbwegs brauchbaren Menſchen den Lebensweg ſo behaglich ebneten; die häusliche Tugend der wackeren Erneſtiniſchen Betefürſten ſtand dem Volke näher als die dämoniſche Ge- ſtalt jenes Bernhard von Weimar, der einmal doch mit dem Schmettern ſeines Schwertes die eintönige Idylle dieſer Landesgeſchichte unterbrach. Niemals, auch nicht in der Fieberhitze des Jahres 1848, haben die Thü- ringer ernſtlich an die Mediatiſirung ihrer kleinen Herren gedacht.
Wie überall in Mitteldeutſchland drängte ſich auch hier eine bunte Mannichfaltigkeit volksthümlicher Sitten und Bräuche auf engem Raume zuſammen. Der einſame Rennſteg auf dem Kamme des Thüringer Waldes, vor Zeiten der Grenzweg zwiſchen Thüringen und Franken, bildete noch immer eine ſcharfe Stammesſcheide: ſüdwärts der ſtark fränkiſch gefärbte hennebergiſche Dialekt und das rein ſüddeutſche Volk im Coburgiſchen, nördlich das eigentliche Thüringen zwiſchen Saale und Werra, und von dieſem wieder verſchieden das mit ſlaviſchen Elementen gemiſchte Volksthum öſtlich der Saale. Auch in den neuen, ſo ſpät und zufällig entſtandenen dynaſtiſchen Gebieten bildete ſich bald ein zäher Partikularismus aus, harmlos und philiſterhaft, doch immerhin ſtark genug um jede Aenderung zu erſchweren. Alle guten Meininger
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0411"n="397"/><fwplace="top"type="header">Die Erneſtiner.</fw><lb/><p>So ward Thüringen neben Schwaben das gelobte Land des deut-<lb/>ſchen Kleinlebens. Als der moderne Staatsgedanke endlich auch in dieſen<lb/>
Hausherrſchaften erwachte, als Ernſt Auguſt von Weimar die Primo-<lb/>
genitur-Ordnung einführte und die Erneſtiniſchen Vettern allmählich, Mei-<lb/>
ningen erſt im Jahre 1801, dem guten Beiſpiele folgten, da war die<lb/>
Zertrümmerung ſchon vollendet, und die Kleinſtaaterei zeigte ſich hier<lb/>
lebenskräftiger als im Südweſten, weil ſie ausſchließlich in den Formen<lb/>
weltlicher Fürſtenherrſchaft erſchien. Zur Zeit des Friedensſchluſſes ver-<lb/>
theilten ſich die 700,000 Menſchen, welche das kleinfürſtliche Thüringen —<lb/>
mit Ausſchluß der preußiſchen und heſſiſchen Gebiete — bewohnten, unter<lb/>
fünf ſächſiſche Häuſer, zwei Schwarzburg und drei Linien Reuß, von<lb/>
denen die Bundesakte leider nur zwei anerkannte. Und dieſe neun oder<lb/>
zehn Staaten ſtanden einander als ſouveräne Mächte, völlig ſelbſtändig<lb/>
gegenüber; an gemeinſamen Inſtitutionen beſaßen ſie nichts als die Uni-<lb/>
verſität, die von den fünf ſächſiſchen durchlauchtigſten Nutritoren unter-<lb/>
halten wurde, und das neue Jenenſer Oberappellationsgericht. Dem Volke<lb/>
kam wohl zuweilen eine Ahnung von der Jämmerlichkeit dieſer Zuſtände.<lb/>
In der Gegend von Roth, zwei Stunden von Hildburghauſen, ſang man<lb/>
das Lied:</p><lb/><lgtype="poem"><l>Hildburghäuſer Gebot</l><lb/><l>Langt bis Roth;</l><lb/><l>Da hat’s a Krümm</l><lb/><l>Und kehrt wieder üm.</l></lg><lb/><p>Im Grunde fühlte man ſich doch glücklich in dieſer traulichen Enge,<lb/>
wo Fürſtengnade und Vetterngunſt jedem halbwegs brauchbaren Menſchen<lb/>
den Lebensweg ſo behaglich ebneten; die häusliche Tugend der wackeren<lb/>
Erneſtiniſchen Betefürſten ſtand dem Volke näher als die dämoniſche Ge-<lb/>ſtalt jenes Bernhard von Weimar, der einmal doch mit dem Schmettern<lb/>ſeines Schwertes die eintönige Idylle dieſer Landesgeſchichte unterbrach.<lb/>
Niemals, auch nicht in der Fieberhitze des Jahres 1848, haben die Thü-<lb/>
ringer ernſtlich an die Mediatiſirung ihrer kleinen Herren gedacht.</p><lb/><p>Wie überall in Mitteldeutſchland drängte ſich auch hier eine bunte<lb/>
Mannichfaltigkeit volksthümlicher Sitten und Bräuche auf engem Raume<lb/>
zuſammen. Der einſame Rennſteg auf dem Kamme des Thüringer<lb/>
Waldes, vor Zeiten der Grenzweg zwiſchen Thüringen und Franken,<lb/>
bildete noch immer eine ſcharfe Stammesſcheide: ſüdwärts der ſtark<lb/>
fränkiſch gefärbte hennebergiſche Dialekt und das rein ſüddeutſche Volk<lb/>
im Coburgiſchen, nördlich das eigentliche Thüringen zwiſchen Saale und<lb/>
Werra, und von dieſem wieder verſchieden das mit ſlaviſchen Elementen<lb/>
gemiſchte Volksthum öſtlich der Saale. Auch in den neuen, ſo ſpät<lb/>
und zufällig entſtandenen dynaſtiſchen Gebieten bildete ſich bald ein<lb/>
zäher Partikularismus aus, harmlos und philiſterhaft, doch immerhin<lb/>ſtark genug um jede Aenderung zu erſchweren. Alle guten Meininger<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[397/0411]
Die Erneſtiner.
So ward Thüringen neben Schwaben das gelobte Land des deut-
ſchen Kleinlebens. Als der moderne Staatsgedanke endlich auch in dieſen
Hausherrſchaften erwachte, als Ernſt Auguſt von Weimar die Primo-
genitur-Ordnung einführte und die Erneſtiniſchen Vettern allmählich, Mei-
ningen erſt im Jahre 1801, dem guten Beiſpiele folgten, da war die
Zertrümmerung ſchon vollendet, und die Kleinſtaaterei zeigte ſich hier
lebenskräftiger als im Südweſten, weil ſie ausſchließlich in den Formen
weltlicher Fürſtenherrſchaft erſchien. Zur Zeit des Friedensſchluſſes ver-
theilten ſich die 700,000 Menſchen, welche das kleinfürſtliche Thüringen —
mit Ausſchluß der preußiſchen und heſſiſchen Gebiete — bewohnten, unter
fünf ſächſiſche Häuſer, zwei Schwarzburg und drei Linien Reuß, von
denen die Bundesakte leider nur zwei anerkannte. Und dieſe neun oder
zehn Staaten ſtanden einander als ſouveräne Mächte, völlig ſelbſtändig
gegenüber; an gemeinſamen Inſtitutionen beſaßen ſie nichts als die Uni-
verſität, die von den fünf ſächſiſchen durchlauchtigſten Nutritoren unter-
halten wurde, und das neue Jenenſer Oberappellationsgericht. Dem Volke
kam wohl zuweilen eine Ahnung von der Jämmerlichkeit dieſer Zuſtände.
In der Gegend von Roth, zwei Stunden von Hildburghauſen, ſang man
das Lied:
Hildburghäuſer Gebot
Langt bis Roth;
Da hat’s a Krümm
Und kehrt wieder üm.
Im Grunde fühlte man ſich doch glücklich in dieſer traulichen Enge,
wo Fürſtengnade und Vetterngunſt jedem halbwegs brauchbaren Menſchen
den Lebensweg ſo behaglich ebneten; die häusliche Tugend der wackeren
Erneſtiniſchen Betefürſten ſtand dem Volke näher als die dämoniſche Ge-
ſtalt jenes Bernhard von Weimar, der einmal doch mit dem Schmettern
ſeines Schwertes die eintönige Idylle dieſer Landesgeſchichte unterbrach.
Niemals, auch nicht in der Fieberhitze des Jahres 1848, haben die Thü-
ringer ernſtlich an die Mediatiſirung ihrer kleinen Herren gedacht.
Wie überall in Mitteldeutſchland drängte ſich auch hier eine bunte
Mannichfaltigkeit volksthümlicher Sitten und Bräuche auf engem Raume
zuſammen. Der einſame Rennſteg auf dem Kamme des Thüringer
Waldes, vor Zeiten der Grenzweg zwiſchen Thüringen und Franken,
bildete noch immer eine ſcharfe Stammesſcheide: ſüdwärts der ſtark
fränkiſch gefärbte hennebergiſche Dialekt und das rein ſüddeutſche Volk
im Coburgiſchen, nördlich das eigentliche Thüringen zwiſchen Saale und
Werra, und von dieſem wieder verſchieden das mit ſlaviſchen Elementen
gemiſchte Volksthum öſtlich der Saale. Auch in den neuen, ſo ſpät
und zufällig entſtandenen dynaſtiſchen Gebieten bildete ſich bald ein
zäher Partikularismus aus, harmlos und philiſterhaft, doch immerhin
ſtark genug um jede Aenderung zu erſchweren. Alle guten Meininger
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/411>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.