durch das Zeugniß Anderer gewonnene Erkenntniß bezeichnet, jetzt erhielt er einen neuen pathetischen Sinn, der ihm bis heute geblieben ist. Ueber- zeugung war die Stimme des Gewissens, das wahre Ich des Deutschen, Ueberzeugungstreue die höchste aller Tugenden, seine Ueberzeugung ändern hieß sich selber und die Deutschheit verrathen. Im Hochgenusse der ge- meinsamen Ueberzeugung fühlte sich das junge Volk der Zukunft sicher, und der Gießener Sartorius, genannt der Bauer, sang in seinem "Turn- leben":
Ueber jede Schicksalsbeugung Schwingt uns unsre Ueberzeugung. Diese macht uns Alle gleich, Stiftet unser neues Reich.
Worin diese heilige Ueberzeugung eigentlich bestehe? -- das wußte freilich von den jungen Schwärmern Niemand zu sagen. Am wenigsten vielleicht der Turnvater selber. Nichts lächerlicher als der Vorwurf ge- heimer Verschwörungskünste gegen ihn, der sich nur wohl fühlte wo ge- schrien und gepoltert ward. Jahns Königstreue stand außer jedem Zweifel; wie oft hat er noch in späteren Jahren seine jungen Freunde belehrt, daß alles Heil Deutschlands nur von Preußen kommen könne. Sein Traum blieb die Einheit des Vaterlandes. Er fühlte, und sprach es oft in kräftigen Worten aus, daß ein Coalitionskrieg mit verkümmertem Erfolge nicht ge- nügte um den schlummernden Nationalstolz zu wecken: "Deutschland braucht einen Krieg auf eigene Faust um sich in ganzer Fülle seiner Volksthümlichkeit zu entfalten." In seinen Runenblättern (1814) schil- derte er, noch nachdrücklicher aber auch noch wunderlicher als einst in seinem Deutschen Volksthum, wie die Seele des Volkes in der Kleinstaaterei verkümmert: "Das Vaterland muß Hochgefühle wecken, Hochgedanken er- zeugen, ein Heiligthum sein und Heldenthum werden. Erbärmlichkeit ist das Grab alles Großen und Guten. Rhein und Rinnstein, Berlin und Berlinchen, Wien und Winzig, Leipzig und Lausig." Er hoffte wie Fichte auf einen Zwingherrn zur Deutschheit: "den Waltschöpfer und Einheits- schaffer verehrt jedes Volk als Heiland und hat Vergebung für alle seine Sünden." Doch über die Formen und die Mittel der deutschen Einheit hatte er niemals irgend nachgedacht; ihm galt es gleich, ob das Kaiser- thum einem Hause erblich übertragen würde oder zwischen den deutschen Fürsten reihum ginge "wie die Braugerechtigkeit in manchen Städten".
Vor der Masse seiner Turner sprach er selten über Politik, und manche strengconservative junge Männer, wie die Gebrüder Ranke nahmen an den Uebungen theil ohne irgend ein Aergerniß zu bemerken. Um so schwerer versündigte sich Jahn durch unnütze Reden im Kreise seiner ver- trauten Genossen: da schimpfte er unbändig auf Menschen und Dinge, welche weit über seinen Gesichtskreis hinausragten, da prunkte er mit nahenden Kämpfen gegen unbekannte Feinde. Was sollte sich der junge
Jahn als Politiker.
durch das Zeugniß Anderer gewonnene Erkenntniß bezeichnet, jetzt erhielt er einen neuen pathetiſchen Sinn, der ihm bis heute geblieben iſt. Ueber- zeugung war die Stimme des Gewiſſens, das wahre Ich des Deutſchen, Ueberzeugungstreue die höchſte aller Tugenden, ſeine Ueberzeugung ändern hieß ſich ſelber und die Deutſchheit verrathen. Im Hochgenuſſe der ge- meinſamen Ueberzeugung fühlte ſich das junge Volk der Zukunft ſicher, und der Gießener Sartorius, genannt der Bauer, ſang in ſeinem „Turn- leben“:
Ueber jede Schickſalsbeugung Schwingt uns unſre Ueberzeugung. Dieſe macht uns Alle gleich, Stiftet unſer neues Reich.
Worin dieſe heilige Ueberzeugung eigentlich beſtehe? — das wußte freilich von den jungen Schwärmern Niemand zu ſagen. Am wenigſten vielleicht der Turnvater ſelber. Nichts lächerlicher als der Vorwurf ge- heimer Verſchwörungskünſte gegen ihn, der ſich nur wohl fühlte wo ge- ſchrien und gepoltert ward. Jahns Königstreue ſtand außer jedem Zweifel; wie oft hat er noch in ſpäteren Jahren ſeine jungen Freunde belehrt, daß alles Heil Deutſchlands nur von Preußen kommen könne. Sein Traum blieb die Einheit des Vaterlandes. Er fühlte, und ſprach es oft in kräftigen Worten aus, daß ein Coalitionskrieg mit verkümmertem Erfolge nicht ge- nügte um den ſchlummernden Nationalſtolz zu wecken: „Deutſchland braucht einen Krieg auf eigene Fauſt um ſich in ganzer Fülle ſeiner Volksthümlichkeit zu entfalten.“ In ſeinen Runenblättern (1814) ſchil- derte er, noch nachdrücklicher aber auch noch wunderlicher als einſt in ſeinem Deutſchen Volksthum, wie die Seele des Volkes in der Kleinſtaaterei verkümmert: „Das Vaterland muß Hochgefühle wecken, Hochgedanken er- zeugen, ein Heiligthum ſein und Heldenthum werden. Erbärmlichkeit iſt das Grab alles Großen und Guten. Rhein und Rinnſtein, Berlin und Berlinchen, Wien und Winzig, Leipzig und Lauſig.“ Er hoffte wie Fichte auf einen Zwingherrn zur Deutſchheit: „den Waltſchöpfer und Einheits- ſchaffer verehrt jedes Volk als Heiland und hat Vergebung für alle ſeine Sünden.“ Doch über die Formen und die Mittel der deutſchen Einheit hatte er niemals irgend nachgedacht; ihm galt es gleich, ob das Kaiſer- thum einem Hauſe erblich übertragen würde oder zwiſchen den deutſchen Fürſten reihum ginge „wie die Braugerechtigkeit in manchen Städten“.
Vor der Maſſe ſeiner Turner ſprach er ſelten über Politik, und manche ſtrengconſervative junge Männer, wie die Gebrüder Ranke nahmen an den Uebungen theil ohne irgend ein Aergerniß zu bemerken. Um ſo ſchwerer verſündigte ſich Jahn durch unnütze Reden im Kreiſe ſeiner ver- trauten Genoſſen: da ſchimpfte er unbändig auf Menſchen und Dinge, welche weit über ſeinen Geſichtskreis hinausragten, da prunkte er mit nahenden Kämpfen gegen unbekannte Feinde. Was ſollte ſich der junge
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Jahn als Politiker.
durch das Zeugniß Anderer gewonnene Erkenntniß bezeichnet, jetzt erhielt
er einen neuen pathetiſchen Sinn, der ihm bis heute geblieben iſt. Ueber-
zeugung war die Stimme des Gewiſſens, das wahre Ich des Deutſchen,
Ueberzeugungstreue die höchſte aller Tugenden, ſeine Ueberzeugung ändern
hieß ſich ſelber und die Deutſchheit verrathen. Im Hochgenuſſe der ge-
meinſamen Ueberzeugung fühlte ſich das junge Volk der Zukunft ſicher,
und der Gießener Sartorius, genannt der Bauer, ſang in ſeinem „Turn-
leben“:
Ueber jede Schickſalsbeugung
Schwingt uns unſre Ueberzeugung.
Dieſe macht uns Alle gleich,
Stiftet unſer neues Reich.
Worin dieſe heilige Ueberzeugung eigentlich beſtehe? — das wußte
freilich von den jungen Schwärmern Niemand zu ſagen. Am wenigſten
vielleicht der Turnvater ſelber. Nichts lächerlicher als der Vorwurf ge-
heimer Verſchwörungskünſte gegen ihn, der ſich nur wohl fühlte wo ge-
ſchrien und gepoltert ward. Jahns Königstreue ſtand außer jedem Zweifel;
wie oft hat er noch in ſpäteren Jahren ſeine jungen Freunde belehrt, daß
alles Heil Deutſchlands nur von Preußen kommen könne. Sein Traum
blieb die Einheit des Vaterlandes. Er fühlte, und ſprach es oft in kräftigen
Worten aus, daß ein Coalitionskrieg mit verkümmertem Erfolge nicht ge-
nügte um den ſchlummernden Nationalſtolz zu wecken: „Deutſchland
braucht einen Krieg auf eigene Fauſt um ſich in ganzer Fülle ſeiner
Volksthümlichkeit zu entfalten.“ In ſeinen Runenblättern (1814) ſchil-
derte er, noch nachdrücklicher aber auch noch wunderlicher als einſt in
ſeinem Deutſchen Volksthum, wie die Seele des Volkes in der Kleinſtaaterei
verkümmert: „Das Vaterland muß Hochgefühle wecken, Hochgedanken er-
zeugen, ein Heiligthum ſein und Heldenthum werden. Erbärmlichkeit iſt
das Grab alles Großen und Guten. Rhein und Rinnſtein, Berlin und
Berlinchen, Wien und Winzig, Leipzig und Lauſig.“ Er hoffte wie Fichte
auf einen Zwingherrn zur Deutſchheit: „den Waltſchöpfer und Einheits-
ſchaffer verehrt jedes Volk als Heiland und hat Vergebung für alle ſeine
Sünden.“ Doch über die Formen und die Mittel der deutſchen Einheit
hatte er niemals irgend nachgedacht; ihm galt es gleich, ob das Kaiſer-
thum einem Hauſe erblich übertragen würde oder zwiſchen den deutſchen
Fürſten reihum ginge „wie die Braugerechtigkeit in manchen Städten“.
Vor der Maſſe ſeiner Turner ſprach er ſelten über Politik, und
manche ſtrengconſervative junge Männer, wie die Gebrüder Ranke nahmen
an den Uebungen theil ohne irgend ein Aergerniß zu bemerken. Um ſo
ſchwerer verſündigte ſich Jahn durch unnütze Reden im Kreiſe ſeiner ver-
trauten Genoſſen: da ſchimpfte er unbändig auf Menſchen und Dinge,
welche weit über ſeinen Geſichtskreis hinausragten, da prunkte er mit
nahenden Kämpfen gegen unbekannte Feinde. Was ſollte ſich der junge
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/405>, abgerufen am 22.11.2024.
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