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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 7. Die Burschenschaft.
schien ganz erstorben, die große Arbeit der Wiederherstellung des Staates
spielte sich in der Stille der Amtsstuben ab. Die Zeitungen wiesen dem
Vaterlande nur ein bescheidenes Plätzchen am Ende des Blattes, hinter
den ausländischen Nachrichten an und wußten oft wochenlang aus der
Heimath von nichts zu berichten, als von fürstlichen Besuchen und Ma-
növern oder von dem "gewiß seltenen" Feste eines Amts-Jubiläums, wo-
bei der Jubelgreis den rothen Adlerorden empfangen und über "diesen
gewiß seltenen Beweis Allerhöchster Gnade" Thränen der Rührung ver-
gossen hatte. Nur die Turnplätze gaben noch Stoff zum Erzählen: die
Blätter wurden nicht müde zu schildern "wie tief gemüthlich und kindlich
fromm, wie starkmüthig und voll sinniger Tiefe" diese streitbare Jugend
sei, obgleich die Mehrzahl ihrer ruheseligen Leser im Stillen "die unge-
bleichten Racker" verwünschte. Der prahlerische Lärm der Turnfahrten
erinnerte stark an das aufgeregte Treiben der Geißlerschaaren des Mittel-
alters; in manchem kleinen Orte empfing der gesammte Stadtrath die
Turnerschaar wie ein siegreiches Heer am Thore, und als Jahn seine Ge-
treuen zum ersten male nach Breslau hinüberführte, war ihm die halbe
Stadt auf der Landstraße entgegengezogen, stundenweit schritten die schweiß-
triefenden, durch den langen Dauerlauf keineswegs verschönerten jungen
Helden zwischen dem Spalier der gaffenden Bürger dahin.

Neben solchen Philistern mußten sie sich wohl selber als auserwählte
Vorkämpfer "der guten Sache" fühlen. Wohl gab es auch unter den Alten
noch Einzelne, "die nicht Geisteskrüppel waren" und den Turnern gleich
das wälsche Wesen, die französische "Schmutz- und Giftsprache" tapfer
bekämpften. So der Jurist Theodor Welcker in seiner Schrift: "warum
muß das Französische weichen?" So Willemer in Frankfurt, der Gatte
von Goethes Suleika; der schrieb ein "Wort an Deutschlands Frauen"
um die Pariser Tracht zu verdrängen. Denselben Gedanken führte dann
Hofrath Becker in Gotha weiter aus, unter heftigen Ausfällen wider "die
Putzpüppchen und die läppische Gesetzgeberin Mode"; das sauber gemalte
Musterbild des "deutschen Feyerkleides", das er seinem Buche beigab, war
nur leider nichts anderes als eine Nachbildung der schwarzen spanischen
Tracht des siebzehnten Jahrhunderts. Die deutschen Frauen aber wollten
die bunten Farben nicht aufgeben, die Männer den Gedankenaustausch
mit der französischen Cultur nicht missen. Da die Alten also sich im
Wälschthum verstockten, so blieb die Deutschheit allein auf die Jugend
angewiesen, und hier ward sie täglich hochmüthiger. Mancher Vater sendete
seine Söhne nur darum auf den Turnplatz, weil er sie vor dem Hohne
der Genossen bewahren wollte. Wo immer ein junger Mann einen andern
traf, der gleich ihm selber einen Dolch an stählerner Kette über dem schä-
bigen altdeutschen Rocke trug, da fanden sich die Beiden rasch zusammen
wie die Mitglieder einer unsichtbaren Kirche und schwärmten selbander für
ihre "Ueberzeugung". Dieser Ausdruck hatte sonst nur die von außenher,

II. 7. Die Burſchenſchaft.
ſchien ganz erſtorben, die große Arbeit der Wiederherſtellung des Staates
ſpielte ſich in der Stille der Amtsſtuben ab. Die Zeitungen wieſen dem
Vaterlande nur ein beſcheidenes Plätzchen am Ende des Blattes, hinter
den ausländiſchen Nachrichten an und wußten oft wochenlang aus der
Heimath von nichts zu berichten, als von fürſtlichen Beſuchen und Ma-
növern oder von dem „gewiß ſeltenen“ Feſte eines Amts-Jubiläums, wo-
bei der Jubelgreis den rothen Adlerorden empfangen und über „dieſen
gewiß ſeltenen Beweis Allerhöchſter Gnade“ Thränen der Rührung ver-
goſſen hatte. Nur die Turnplätze gaben noch Stoff zum Erzählen: die
Blätter wurden nicht müde zu ſchildern „wie tief gemüthlich und kindlich
fromm, wie ſtarkmüthig und voll ſinniger Tiefe“ dieſe ſtreitbare Jugend
ſei, obgleich die Mehrzahl ihrer ruheſeligen Leſer im Stillen „die unge-
bleichten Racker“ verwünſchte. Der prahleriſche Lärm der Turnfahrten
erinnerte ſtark an das aufgeregte Treiben der Geißlerſchaaren des Mittel-
alters; in manchem kleinen Orte empfing der geſammte Stadtrath die
Turnerſchaar wie ein ſiegreiches Heer am Thore, und als Jahn ſeine Ge-
treuen zum erſten male nach Breslau hinüberführte, war ihm die halbe
Stadt auf der Landſtraße entgegengezogen, ſtundenweit ſchritten die ſchweiß-
triefenden, durch den langen Dauerlauf keineswegs verſchönerten jungen
Helden zwiſchen dem Spalier der gaffenden Bürger dahin.

Neben ſolchen Philiſtern mußten ſie ſich wohl ſelber als auserwählte
Vorkämpfer „der guten Sache“ fühlen. Wohl gab es auch unter den Alten
noch Einzelne, „die nicht Geiſteskrüppel waren“ und den Turnern gleich
das wälſche Weſen, die franzöſiſche „Schmutz- und Giftſprache“ tapfer
bekämpften. So der Juriſt Theodor Welcker in ſeiner Schrift: „warum
muß das Franzöſiſche weichen?“ So Willemer in Frankfurt, der Gatte
von Goethes Suleika; der ſchrieb ein „Wort an Deutſchlands Frauen“
um die Pariſer Tracht zu verdrängen. Denſelben Gedanken führte dann
Hofrath Becker in Gotha weiter aus, unter heftigen Ausfällen wider „die
Putzpüppchen und die läppiſche Geſetzgeberin Mode“; das ſauber gemalte
Muſterbild des „deutſchen Feyerkleides“, das er ſeinem Buche beigab, war
nur leider nichts anderes als eine Nachbildung der ſchwarzen ſpaniſchen
Tracht des ſiebzehnten Jahrhunderts. Die deutſchen Frauen aber wollten
die bunten Farben nicht aufgeben, die Männer den Gedankenaustauſch
mit der franzöſiſchen Cultur nicht miſſen. Da die Alten alſo ſich im
Wälſchthum verſtockten, ſo blieb die Deutſchheit allein auf die Jugend
angewieſen, und hier ward ſie täglich hochmüthiger. Mancher Vater ſendete
ſeine Söhne nur darum auf den Turnplatz, weil er ſie vor dem Hohne
der Genoſſen bewahren wollte. Wo immer ein junger Mann einen andern
traf, der gleich ihm ſelber einen Dolch an ſtählerner Kette über dem ſchä-
bigen altdeutſchen Rocke trug, da fanden ſich die Beiden raſch zuſammen
wie die Mitglieder einer unſichtbaren Kirche und ſchwärmten ſelbander für
ihre „Ueberzeugung“. Dieſer Ausdruck hatte ſonſt nur die von außenher,

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[390/0404] II. 7. Die Burſchenſchaft. ſchien ganz erſtorben, die große Arbeit der Wiederherſtellung des Staates ſpielte ſich in der Stille der Amtsſtuben ab. Die Zeitungen wieſen dem Vaterlande nur ein beſcheidenes Plätzchen am Ende des Blattes, hinter den ausländiſchen Nachrichten an und wußten oft wochenlang aus der Heimath von nichts zu berichten, als von fürſtlichen Beſuchen und Ma- növern oder von dem „gewiß ſeltenen“ Feſte eines Amts-Jubiläums, wo- bei der Jubelgreis den rothen Adlerorden empfangen und über „dieſen gewiß ſeltenen Beweis Allerhöchſter Gnade“ Thränen der Rührung ver- goſſen hatte. Nur die Turnplätze gaben noch Stoff zum Erzählen: die Blätter wurden nicht müde zu ſchildern „wie tief gemüthlich und kindlich fromm, wie ſtarkmüthig und voll ſinniger Tiefe“ dieſe ſtreitbare Jugend ſei, obgleich die Mehrzahl ihrer ruheſeligen Leſer im Stillen „die unge- bleichten Racker“ verwünſchte. Der prahleriſche Lärm der Turnfahrten erinnerte ſtark an das aufgeregte Treiben der Geißlerſchaaren des Mittel- alters; in manchem kleinen Orte empfing der geſammte Stadtrath die Turnerſchaar wie ein ſiegreiches Heer am Thore, und als Jahn ſeine Ge- treuen zum erſten male nach Breslau hinüberführte, war ihm die halbe Stadt auf der Landſtraße entgegengezogen, ſtundenweit ſchritten die ſchweiß- triefenden, durch den langen Dauerlauf keineswegs verſchönerten jungen Helden zwiſchen dem Spalier der gaffenden Bürger dahin. Neben ſolchen Philiſtern mußten ſie ſich wohl ſelber als auserwählte Vorkämpfer „der guten Sache“ fühlen. Wohl gab es auch unter den Alten noch Einzelne, „die nicht Geiſteskrüppel waren“ und den Turnern gleich das wälſche Weſen, die franzöſiſche „Schmutz- und Giftſprache“ tapfer bekämpften. So der Juriſt Theodor Welcker in ſeiner Schrift: „warum muß das Franzöſiſche weichen?“ So Willemer in Frankfurt, der Gatte von Goethes Suleika; der ſchrieb ein „Wort an Deutſchlands Frauen“ um die Pariſer Tracht zu verdrängen. Denſelben Gedanken führte dann Hofrath Becker in Gotha weiter aus, unter heftigen Ausfällen wider „die Putzpüppchen und die läppiſche Geſetzgeberin Mode“; das ſauber gemalte Muſterbild des „deutſchen Feyerkleides“, das er ſeinem Buche beigab, war nur leider nichts anderes als eine Nachbildung der ſchwarzen ſpaniſchen Tracht des ſiebzehnten Jahrhunderts. Die deutſchen Frauen aber wollten die bunten Farben nicht aufgeben, die Männer den Gedankenaustauſch mit der franzöſiſchen Cultur nicht miſſen. Da die Alten alſo ſich im Wälſchthum verſtockten, ſo blieb die Deutſchheit allein auf die Jugend angewieſen, und hier ward ſie täglich hochmüthiger. Mancher Vater ſendete ſeine Söhne nur darum auf den Turnplatz, weil er ſie vor dem Hohne der Genoſſen bewahren wollte. Wo immer ein junger Mann einen andern traf, der gleich ihm ſelber einen Dolch an ſtählerner Kette über dem ſchä- bigen altdeutſchen Rocke trug, da fanden ſich die Beiden raſch zuſammen wie die Mitglieder einer unſichtbaren Kirche und ſchwärmten ſelbander für ihre „Ueberzeugung“. Dieſer Ausdruck hatte ſonſt nur die von außenher,

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/404>, abgerufen am 23.11.2024.