Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

Das oberrheinische Land.
den unzufriedenen mediatisirten Häusern der Fürstenberg, Leiningen,
Löwenstein. Von lebendigen historischen Erinnerungen war diesem Länder-
gewirr nahezu nichts gemeinsam; auch im Breisgau, wo der Stammsitz
des Fürstenhauses lag, dachte Niemand mehr an die alten zähringischen
Zeiten.

Und doch war diese ganz moderne Territorialbildung gar so un-
natürlich nicht. Auf dem Kamme des Schwarzwalds, fast auf den näm-
lichen Stellen, wo jetzt badisches und württembergisches Land aneinander
stieß, standen einst in den Anfängen der christlichen Zeitrechnung die
Grenzzeichen der Kelten und der Germanen, und auch als nachher die
Alemannen westwärts bis zu den Vogesen vordrangen, blieb der Schwarz-
wald noch immer eine natürliche Grenze. Auf der Ostseite erhielt sich
das schwäbische Volksthum, abgeschieden von der Welt, in seiner ur-
sprünglichen Kraft und Schwere. Die westlichen Thäler des Schwarz-
walds und die reiche Ebene davor wurden früh in die Regsamkeit des
rheinischen Lebens hineingezogen; durch das oberrheinische Land ging die
große Heerstraße zwischen dem Süden und dem Norden, während nach
Schwaben nur wenige stille Gebirgswege hinüberführten und auch der
Verkehr mit dem Elsaß durch das ungebändigte Wildwasser des Rheins
erschwert wurde. Von Alters her, seit die Römer im Thale von Baden
und auf der Höhe von Badenweiler ihre üppigen Bäder errichteten, war
der sorglose Genuß in diesem gesegneten Lande zu Haus; nirgends in
Deutschland lebte man besser, und der schwerfällige Schwabe verlästerte
seine alemannischen Stammgenossen am Oberrhein, in deren Adern aller-
dings viel keltisches und römisches Blut floß, als windige Franzosen.
Ungleich empfänglicher und beweglicher als die schwäbischen Nachbarn,
aber auch ärmer an schöpferischen Köpfen hatte sich das oberrheinische
Volk zu allen Zeiten den neuen Ideen, welche die Welt entzündeten,
mit lärmender Begeisterung zugewendet. So lange die Kirche durch die
demagogischen Mittel der Kreuzpredigten und der Bettelorden die Massen
zu erregen verstand, war kein deutsches Land kirchlicher gesinnt als der
Oberrhein. Mit dem gleichen Ungestüm stürzte sich das Volk nachher in
die Kämpfe der Reformationszeit, aber nur die Minderheit besaß die
Kraft, in den Tagen der Prüfung beim evangelischen Glauben auszu-
halten. Und wieder als die alamodische Bildung der Franzosen eindrang,
fand sie nirgends in Deutschland eifrigere Schüler.

Die Verstandesweisheit der neuen Aufklärung, die alles historisch
Gewordene nur als Willkür betrachtete, mußte unwiderstehlich auf dies
erregbare Völkchen wirken, das drei Glaubensbekenntnisse und eine Un-
zahl kraftloser, zufälliger Territorialgebilde auf engem Raume durchein-
ander gewürfelt sah. Sie blieb hier obenauf, auch nachdem die classische
und die romantische Dichtung im übrigen Deutschland längst schon den
historischen Sinn geweckt hatten; und als nun fremde Willkür alle diese

23*

Das oberrheiniſche Land.
den unzufriedenen mediatiſirten Häuſern der Fürſtenberg, Leiningen,
Löwenſtein. Von lebendigen hiſtoriſchen Erinnerungen war dieſem Länder-
gewirr nahezu nichts gemeinſam; auch im Breisgau, wo der Stammſitz
des Fürſtenhauſes lag, dachte Niemand mehr an die alten zähringiſchen
Zeiten.

Und doch war dieſe ganz moderne Territorialbildung gar ſo un-
natürlich nicht. Auf dem Kamme des Schwarzwalds, faſt auf den näm-
lichen Stellen, wo jetzt badiſches und württembergiſches Land aneinander
ſtieß, ſtanden einſt in den Anfängen der chriſtlichen Zeitrechnung die
Grenzzeichen der Kelten und der Germanen, und auch als nachher die
Alemannen weſtwärts bis zu den Vogeſen vordrangen, blieb der Schwarz-
wald noch immer eine natürliche Grenze. Auf der Oſtſeite erhielt ſich
das ſchwäbiſche Volksthum, abgeſchieden von der Welt, in ſeiner ur-
ſprünglichen Kraft und Schwere. Die weſtlichen Thäler des Schwarz-
walds und die reiche Ebene davor wurden früh in die Regſamkeit des
rheiniſchen Lebens hineingezogen; durch das oberrheiniſche Land ging die
große Heerſtraße zwiſchen dem Süden und dem Norden, während nach
Schwaben nur wenige ſtille Gebirgswege hinüberführten und auch der
Verkehr mit dem Elſaß durch das ungebändigte Wildwaſſer des Rheins
erſchwert wurde. Von Alters her, ſeit die Römer im Thale von Baden
und auf der Höhe von Badenweiler ihre üppigen Bäder errichteten, war
der ſorgloſe Genuß in dieſem geſegneten Lande zu Haus; nirgends in
Deutſchland lebte man beſſer, und der ſchwerfällige Schwabe verläſterte
ſeine alemanniſchen Stammgenoſſen am Oberrhein, in deren Adern aller-
dings viel keltiſches und römiſches Blut floß, als windige Franzoſen.
Ungleich empfänglicher und beweglicher als die ſchwäbiſchen Nachbarn,
aber auch ärmer an ſchöpferiſchen Köpfen hatte ſich das oberrheiniſche
Volk zu allen Zeiten den neuen Ideen, welche die Welt entzündeten,
mit lärmender Begeiſterung zugewendet. So lange die Kirche durch die
demagogiſchen Mittel der Kreuzpredigten und der Bettelorden die Maſſen
zu erregen verſtand, war kein deutſches Land kirchlicher geſinnt als der
Oberrhein. Mit dem gleichen Ungeſtüm ſtürzte ſich das Volk nachher in
die Kämpfe der Reformationszeit, aber nur die Minderheit beſaß die
Kraft, in den Tagen der Prüfung beim evangeliſchen Glauben auszu-
halten. Und wieder als die alamodiſche Bildung der Franzoſen eindrang,
fand ſie nirgends in Deutſchland eifrigere Schüler.

Die Verſtandesweisheit der neuen Aufklärung, die alles hiſtoriſch
Gewordene nur als Willkür betrachtete, mußte unwiderſtehlich auf dies
erregbare Völkchen wirken, das drei Glaubensbekenntniſſe und eine Un-
zahl kraftloſer, zufälliger Territorialgebilde auf engem Raume durchein-
ander gewürfelt ſah. Sie blieb hier obenauf, auch nachdem die claſſiſche
und die romantiſche Dichtung im übrigen Deutſchland längſt ſchon den
hiſtoriſchen Sinn geweckt hatten; und als nun fremde Willkür alle dieſe

23*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0369" n="355"/><fw place="top" type="header">Das oberrheini&#x017F;che Land.</fw><lb/>
den unzufriedenen mediati&#x017F;irten Häu&#x017F;ern der Für&#x017F;tenberg, Leiningen,<lb/>
Löwen&#x017F;tein. Von lebendigen hi&#x017F;tori&#x017F;chen Erinnerungen war die&#x017F;em Länder-<lb/>
gewirr nahezu nichts gemein&#x017F;am; auch im Breisgau, wo der Stamm&#x017F;itz<lb/>
des Für&#x017F;tenhau&#x017F;es lag, dachte Niemand mehr an die alten zähringi&#x017F;chen<lb/>
Zeiten.</p><lb/>
          <p>Und doch war die&#x017F;e ganz moderne Territorialbildung gar &#x017F;o un-<lb/>
natürlich nicht. Auf dem Kamme des Schwarzwalds, fa&#x017F;t auf den näm-<lb/>
lichen Stellen, wo jetzt badi&#x017F;ches und württembergi&#x017F;ches Land aneinander<lb/>
&#x017F;tieß, &#x017F;tanden ein&#x017F;t in den Anfängen der chri&#x017F;tlichen Zeitrechnung die<lb/>
Grenzzeichen der Kelten und der Germanen, und auch als nachher die<lb/>
Alemannen we&#x017F;twärts bis zu den Voge&#x017F;en vordrangen, blieb der Schwarz-<lb/>
wald noch immer eine natürliche Grenze. Auf der O&#x017F;t&#x017F;eite erhielt &#x017F;ich<lb/>
das &#x017F;chwäbi&#x017F;che Volksthum, abge&#x017F;chieden von der Welt, in &#x017F;einer ur-<lb/>
&#x017F;prünglichen Kraft und Schwere. Die we&#x017F;tlichen Thäler des Schwarz-<lb/>
walds und die reiche Ebene davor wurden früh in die Reg&#x017F;amkeit des<lb/>
rheini&#x017F;chen Lebens hineingezogen; durch das oberrheini&#x017F;che Land ging die<lb/>
große Heer&#x017F;traße zwi&#x017F;chen dem Süden und dem Norden, während nach<lb/>
Schwaben nur wenige &#x017F;tille Gebirgswege hinüberführten und auch der<lb/>
Verkehr mit dem El&#x017F;aß durch das ungebändigte Wildwa&#x017F;&#x017F;er des Rheins<lb/>
er&#x017F;chwert wurde. Von Alters her, &#x017F;eit die Römer im Thale von Baden<lb/>
und auf der Höhe von Badenweiler ihre üppigen Bäder errichteten, war<lb/>
der &#x017F;orglo&#x017F;e Genuß in die&#x017F;em ge&#x017F;egneten Lande zu Haus; nirgends in<lb/>
Deut&#x017F;chland lebte man be&#x017F;&#x017F;er, und der &#x017F;chwerfällige Schwabe verlä&#x017F;terte<lb/>
&#x017F;eine alemanni&#x017F;chen Stammgeno&#x017F;&#x017F;en am Oberrhein, in deren Adern aller-<lb/>
dings viel kelti&#x017F;ches und römi&#x017F;ches Blut floß, als windige Franzo&#x017F;en.<lb/>
Ungleich empfänglicher und beweglicher als die &#x017F;chwäbi&#x017F;chen Nachbarn,<lb/>
aber auch ärmer an &#x017F;chöpferi&#x017F;chen Köpfen hatte &#x017F;ich das oberrheini&#x017F;che<lb/>
Volk zu allen Zeiten den neuen Ideen, welche die Welt entzündeten,<lb/>
mit lärmender Begei&#x017F;terung zugewendet. So lange die Kirche durch die<lb/>
demagogi&#x017F;chen Mittel der Kreuzpredigten und der Bettelorden die Ma&#x017F;&#x017F;en<lb/>
zu erregen ver&#x017F;tand, war kein deut&#x017F;ches Land kirchlicher ge&#x017F;innt als der<lb/>
Oberrhein. Mit dem gleichen Unge&#x017F;tüm &#x017F;türzte &#x017F;ich das Volk nachher in<lb/>
die Kämpfe der Reformationszeit, aber nur die Minderheit be&#x017F;aß die<lb/>
Kraft, in den Tagen der Prüfung beim evangeli&#x017F;chen Glauben auszu-<lb/>
halten. Und wieder als die alamodi&#x017F;che Bildung der Franzo&#x017F;en eindrang,<lb/>
fand &#x017F;ie nirgends in Deut&#x017F;chland eifrigere Schüler.</p><lb/>
          <p>Die Ver&#x017F;tandesweisheit der neuen Aufklärung, die alles hi&#x017F;tori&#x017F;ch<lb/>
Gewordene nur als Willkür betrachtete, mußte unwider&#x017F;tehlich auf dies<lb/>
erregbare Völkchen wirken, das drei Glaubensbekenntni&#x017F;&#x017F;e und eine Un-<lb/>
zahl kraftlo&#x017F;er, zufälliger Territorialgebilde auf engem Raume durchein-<lb/>
ander gewürfelt &#x017F;ah. Sie blieb hier obenauf, auch nachdem die cla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che<lb/>
und die romanti&#x017F;che Dichtung im übrigen Deut&#x017F;chland läng&#x017F;t &#x017F;chon den<lb/>
hi&#x017F;tori&#x017F;chen Sinn geweckt hatten; und als nun fremde Willkür alle die&#x017F;e<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">23*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[355/0369] Das oberrheiniſche Land. den unzufriedenen mediatiſirten Häuſern der Fürſtenberg, Leiningen, Löwenſtein. Von lebendigen hiſtoriſchen Erinnerungen war dieſem Länder- gewirr nahezu nichts gemeinſam; auch im Breisgau, wo der Stammſitz des Fürſtenhauſes lag, dachte Niemand mehr an die alten zähringiſchen Zeiten. Und doch war dieſe ganz moderne Territorialbildung gar ſo un- natürlich nicht. Auf dem Kamme des Schwarzwalds, faſt auf den näm- lichen Stellen, wo jetzt badiſches und württembergiſches Land aneinander ſtieß, ſtanden einſt in den Anfängen der chriſtlichen Zeitrechnung die Grenzzeichen der Kelten und der Germanen, und auch als nachher die Alemannen weſtwärts bis zu den Vogeſen vordrangen, blieb der Schwarz- wald noch immer eine natürliche Grenze. Auf der Oſtſeite erhielt ſich das ſchwäbiſche Volksthum, abgeſchieden von der Welt, in ſeiner ur- ſprünglichen Kraft und Schwere. Die weſtlichen Thäler des Schwarz- walds und die reiche Ebene davor wurden früh in die Regſamkeit des rheiniſchen Lebens hineingezogen; durch das oberrheiniſche Land ging die große Heerſtraße zwiſchen dem Süden und dem Norden, während nach Schwaben nur wenige ſtille Gebirgswege hinüberführten und auch der Verkehr mit dem Elſaß durch das ungebändigte Wildwaſſer des Rheins erſchwert wurde. Von Alters her, ſeit die Römer im Thale von Baden und auf der Höhe von Badenweiler ihre üppigen Bäder errichteten, war der ſorgloſe Genuß in dieſem geſegneten Lande zu Haus; nirgends in Deutſchland lebte man beſſer, und der ſchwerfällige Schwabe verläſterte ſeine alemanniſchen Stammgenoſſen am Oberrhein, in deren Adern aller- dings viel keltiſches und römiſches Blut floß, als windige Franzoſen. Ungleich empfänglicher und beweglicher als die ſchwäbiſchen Nachbarn, aber auch ärmer an ſchöpferiſchen Köpfen hatte ſich das oberrheiniſche Volk zu allen Zeiten den neuen Ideen, welche die Welt entzündeten, mit lärmender Begeiſterung zugewendet. So lange die Kirche durch die demagogiſchen Mittel der Kreuzpredigten und der Bettelorden die Maſſen zu erregen verſtand, war kein deutſches Land kirchlicher geſinnt als der Oberrhein. Mit dem gleichen Ungeſtüm ſtürzte ſich das Volk nachher in die Kämpfe der Reformationszeit, aber nur die Minderheit beſaß die Kraft, in den Tagen der Prüfung beim evangeliſchen Glauben auszu- halten. Und wieder als die alamodiſche Bildung der Franzoſen eindrang, fand ſie nirgends in Deutſchland eifrigere Schüler. Die Verſtandesweisheit der neuen Aufklärung, die alles hiſtoriſch Gewordene nur als Willkür betrachtete, mußte unwiderſtehlich auf dies erregbare Völkchen wirken, das drei Glaubensbekenntniſſe und eine Un- zahl kraftloſer, zufälliger Territorialgebilde auf engem Raume durchein- ander gewürfelt ſah. Sie blieb hier obenauf, auch nachdem die claſſiſche und die romantiſche Dichtung im übrigen Deutſchland längſt ſchon den hiſtoriſchen Sinn geweckt hatten; und als nun fremde Willkür alle dieſe 23*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/369
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/369>, abgerufen am 15.05.2024.