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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Die Verfassung und das Religions-Edikt.
der niederen Geistlichkeit, zu einem Viertel von den Städten, zur Hälfte
von den Bauern erwählt werden; die also Gewählten vertraten aber nicht
die Rechte ihres Standes, sondern die Interessen des gesammten Landes.
Die beste Gewähr für ein leidliches Gedeihen dieser constitutionellen Formen
bot das neue, der Städteordnung Steins nachgebildete Gemeinde-Edict,
das einige Tage vor der Verfassung veröffentlicht wurde. Wohl stand
dies Gesetz weit hinter seinem preußischen Vorbilde zurück; ein großer
Theil der städtischen Geschäfte ward noch immer nicht von der Bürgerschaft
sondern von bezahlten Gemeindeschreibern besorgt, die Landgemeinden
blieben auch fernerhin sehr abhängig von den Schreibern der Landgerichte,
und viele der tüchtigsten Bauern weigerten sich darum das Amt des Ge-
meindevorstehers zu übernehmen. Aber mindestens der Grundsatz der com-
munalen Selbstverwaltung wurde anerkannt, die Gemeinden erhielten die
Verfügung über ihr Vermögen, die freie Wahl der Magistrate und Ge-
meindebevollmächtigten. Ein Boden praktischer Volksfreiheit war doch
endlich gewonnen, ein Boden, in dem die neue Verfassung vielleicht feste
Wurzeln schlagen konnte.

Als Anhang der Verfassung erschien neben neun anderen organischen
Gesetzen ein Religionsedikt, das dem Concordate die ersehnte "Interpre-
tation" gab. Darin wurden die bewährten Grundsätze der neuen bai-
rischen Kirchenpolitik noch einmal zusammengestellt, die Parität der Be-
kenntnisse unumwunden anerkannt, bei gemischten Ehen die Trennung der
Kinder nach dem Geschlechte vorgeschrieben und der Krone das altbairische
Recht des Placet gewahrt. Kein Satz darin, der nicht den leitenden
Gedanken des Concordats gradezu widersprach. Der Curie erschien es
wie Hohn, daß nunmehr auch das Concordat, selbstverständlich unter
Vorbehalt der Rechtsgrundsätze des Religionsedikts, als Staatsgesetz ver-
kündigt wurde. Sie klagte heftig über den offenkundigen Vertragsbruch
und ließ sich auch nicht beschwichtigen, als der König den Canonicus
Helfferich, einen der ultramontanen Oratoren des Wiener Congresses,
mit beruhigenden Versicherungen nach Rom sendete. Da wagte der alte
Häffelin, der jetzt im glücklichen Genusse des Cardinalspurpurs alle Scham
verlor, eine neue grobe Pflichtverletzung. Er versicherte, wieder eigenmäch-
tig und ohne Helfferichs Vorwissen: das Religionsedikt gelte nur für die
Akatholiken; und der Papst säumte nicht, diese schimpfliche Erklärung in
einer triumphirenden Allocution der Welt zu verkündigen.

Zum zweiten male war die Ehre der bairischen Krone durch den un-
getreuen Gesandten öffentlich bloßgestellt; einige der Minister forderten
dringend die Bestrafung des "Staatsverbrechers". Aber auch diesmal war
Max Josephs gutmüthige Schlaffheit unbezwinglich. Er begnügte sich, seinen
Kreisregierungen durch ein Rescript einzuschärfen, daß das Religionsedikt
für Jedermann im Königreiche gelte, und mußte nunmehr neuen beschämen-
den Händeln mit dem erbitterten Papste entgegensehen. Solche Winkelzüge

Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 23

Die Verfaſſung und das Religions-Edikt.
der niederen Geiſtlichkeit, zu einem Viertel von den Städten, zur Hälfte
von den Bauern erwählt werden; die alſo Gewählten vertraten aber nicht
die Rechte ihres Standes, ſondern die Intereſſen des geſammten Landes.
Die beſte Gewähr für ein leidliches Gedeihen dieſer conſtitutionellen Formen
bot das neue, der Städteordnung Steins nachgebildete Gemeinde-Edict,
das einige Tage vor der Verfaſſung veröffentlicht wurde. Wohl ſtand
dies Geſetz weit hinter ſeinem preußiſchen Vorbilde zurück; ein großer
Theil der ſtädtiſchen Geſchäfte ward noch immer nicht von der Bürgerſchaft
ſondern von bezahlten Gemeindeſchreibern beſorgt, die Landgemeinden
blieben auch fernerhin ſehr abhängig von den Schreibern der Landgerichte,
und viele der tüchtigſten Bauern weigerten ſich darum das Amt des Ge-
meindevorſtehers zu übernehmen. Aber mindeſtens der Grundſatz der com-
munalen Selbſtverwaltung wurde anerkannt, die Gemeinden erhielten die
Verfügung über ihr Vermögen, die freie Wahl der Magiſtrate und Ge-
meindebevollmächtigten. Ein Boden praktiſcher Volksfreiheit war doch
endlich gewonnen, ein Boden, in dem die neue Verfaſſung vielleicht feſte
Wurzeln ſchlagen konnte.

Als Anhang der Verfaſſung erſchien neben neun anderen organiſchen
Geſetzen ein Religionsedikt, das dem Concordate die erſehnte „Interpre-
tation“ gab. Darin wurden die bewährten Grundſätze der neuen bai-
riſchen Kirchenpolitik noch einmal zuſammengeſtellt, die Parität der Be-
kenntniſſe unumwunden anerkannt, bei gemiſchten Ehen die Trennung der
Kinder nach dem Geſchlechte vorgeſchrieben und der Krone das altbairiſche
Recht des Placet gewahrt. Kein Satz darin, der nicht den leitenden
Gedanken des Concordats gradezu widerſprach. Der Curie erſchien es
wie Hohn, daß nunmehr auch das Concordat, ſelbſtverſtändlich unter
Vorbehalt der Rechtsgrundſätze des Religionsedikts, als Staatsgeſetz ver-
kündigt wurde. Sie klagte heftig über den offenkundigen Vertragsbruch
und ließ ſich auch nicht beſchwichtigen, als der König den Canonicus
Helfferich, einen der ultramontanen Oratoren des Wiener Congreſſes,
mit beruhigenden Verſicherungen nach Rom ſendete. Da wagte der alte
Häffelin, der jetzt im glücklichen Genuſſe des Cardinalspurpurs alle Scham
verlor, eine neue grobe Pflichtverletzung. Er verſicherte, wieder eigenmäch-
tig und ohne Helfferichs Vorwiſſen: das Religionsedikt gelte nur für die
Akatholiken; und der Papſt ſäumte nicht, dieſe ſchimpfliche Erklärung in
einer triumphirenden Allocution der Welt zu verkündigen.

Zum zweiten male war die Ehre der bairiſchen Krone durch den un-
getreuen Geſandten öffentlich bloßgeſtellt; einige der Miniſter forderten
dringend die Beſtrafung des „Staatsverbrechers“. Aber auch diesmal war
Max Joſephs gutmüthige Schlaffheit unbezwinglich. Er begnügte ſich, ſeinen
Kreisregierungen durch ein Reſcript einzuſchärfen, daß das Religionsedikt
für Jedermann im Königreiche gelte, und mußte nunmehr neuen beſchämen-
den Händeln mit dem erbitterten Papſte entgegenſehen. Solche Winkelzüge

Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 23
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[353/0367] Die Verfaſſung und das Religions-Edikt. der niederen Geiſtlichkeit, zu einem Viertel von den Städten, zur Hälfte von den Bauern erwählt werden; die alſo Gewählten vertraten aber nicht die Rechte ihres Standes, ſondern die Intereſſen des geſammten Landes. Die beſte Gewähr für ein leidliches Gedeihen dieſer conſtitutionellen Formen bot das neue, der Städteordnung Steins nachgebildete Gemeinde-Edict, das einige Tage vor der Verfaſſung veröffentlicht wurde. Wohl ſtand dies Geſetz weit hinter ſeinem preußiſchen Vorbilde zurück; ein großer Theil der ſtädtiſchen Geſchäfte ward noch immer nicht von der Bürgerſchaft ſondern von bezahlten Gemeindeſchreibern beſorgt, die Landgemeinden blieben auch fernerhin ſehr abhängig von den Schreibern der Landgerichte, und viele der tüchtigſten Bauern weigerten ſich darum das Amt des Ge- meindevorſtehers zu übernehmen. Aber mindeſtens der Grundſatz der com- munalen Selbſtverwaltung wurde anerkannt, die Gemeinden erhielten die Verfügung über ihr Vermögen, die freie Wahl der Magiſtrate und Ge- meindebevollmächtigten. Ein Boden praktiſcher Volksfreiheit war doch endlich gewonnen, ein Boden, in dem die neue Verfaſſung vielleicht feſte Wurzeln ſchlagen konnte. Als Anhang der Verfaſſung erſchien neben neun anderen organiſchen Geſetzen ein Religionsedikt, das dem Concordate die erſehnte „Interpre- tation“ gab. Darin wurden die bewährten Grundſätze der neuen bai- riſchen Kirchenpolitik noch einmal zuſammengeſtellt, die Parität der Be- kenntniſſe unumwunden anerkannt, bei gemiſchten Ehen die Trennung der Kinder nach dem Geſchlechte vorgeſchrieben und der Krone das altbairiſche Recht des Placet gewahrt. Kein Satz darin, der nicht den leitenden Gedanken des Concordats gradezu widerſprach. Der Curie erſchien es wie Hohn, daß nunmehr auch das Concordat, ſelbſtverſtändlich unter Vorbehalt der Rechtsgrundſätze des Religionsedikts, als Staatsgeſetz ver- kündigt wurde. Sie klagte heftig über den offenkundigen Vertragsbruch und ließ ſich auch nicht beſchwichtigen, als der König den Canonicus Helfferich, einen der ultramontanen Oratoren des Wiener Congreſſes, mit beruhigenden Verſicherungen nach Rom ſendete. Da wagte der alte Häffelin, der jetzt im glücklichen Genuſſe des Cardinalspurpurs alle Scham verlor, eine neue grobe Pflichtverletzung. Er verſicherte, wieder eigenmäch- tig und ohne Helfferichs Vorwiſſen: das Religionsedikt gelte nur für die Akatholiken; und der Papſt ſäumte nicht, dieſe ſchimpfliche Erklärung in einer triumphirenden Allocution der Welt zu verkündigen. Zum zweiten male war die Ehre der bairiſchen Krone durch den un- getreuen Geſandten öffentlich bloßgeſtellt; einige der Miniſter forderten dringend die Beſtrafung des „Staatsverbrechers“. Aber auch diesmal war Max Joſephs gutmüthige Schlaffheit unbezwinglich. Er begnügte ſich, ſeinen Kreisregierungen durch ein Reſcript einzuſchärfen, daß das Religionsedikt für Jedermann im Königreiche gelte, und mußte nunmehr neuen beſchämen- den Händeln mit dem erbitterten Papſte entgegenſehen. Solche Winkelzüge Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 23

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/367>, abgerufen am 22.11.2024.