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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe.
Innern nahm er dem Grafen Thürheim bald alle Arbeitslast und damit
die Herrschaft aus den Händen. Er wurde der Neuordner des bairischen
Beamtenthums, brachte zuerst wieder einige Zucht und Pünktlichkeit in
den verwahrlosten Dienst und erwies Allen, die den hellblauen Amts-
frack trugen, nachdrücklich, daß sie Gunst und Ehre allein von ihm zu
erwarten hatten. Einem solchen Manne konnte das parlamentarische Leben
nicht verlockend erscheinen; doch er begriff, daß die junge Krone der Volks-
gunst, die unfertige Staatseinheit einer neuen Klammer bedurfte, und
traute sich die Kraft zu, den Geist des Absolutismus auch unter den
constitutionellen Formen aufrecht zu erhalten. Durch ihn ward die Ver-
fassungsarbeit überraschend schnell gefördert, so daß man den badischen
Mitbewerber um mehrere Monate überholte.

Am 26. Mai ritt der blauweiße Reichsherold durch die Straßen
Münchens um siebenmal ein königliches Manifest zu verlesen, das die
Verleihung des neuen Grundgesetzes verkündigte und "die dankbare An-
erkennung dieser landesväterlichen Handlung von den Herzen aller Baiern"
beanspruchte. So war denn Baiern der erste größere Bundesstaat, der
die Verheißung der Bundesakte im Geiste der herrschenden constitutionellen
Doctrin erfüllte. Mit kindlicher Freude nahm das Land die Gabe seines
Königs auf; selbst das brandenburgische Franken zeigte jetzt zum ersten
male eine Anwandlung wittelsbachischer Gesinnung. Ein allegorisches
Bild, das die Vertreter des Wehr-, Lehr- und Nährstandes in zärtlichem
Reigen die Königskrone umtanzend darstellte, gab den Gefühlen des Volkes
einen angemessenen Ausdruck. Wenn sich nur mit dieser erklärlichen Be-
friedigung nicht ein so widerwärtiger particularistischer Hochmuth vermischt
hätte! Bei jedem Erfolge der constitutionellen Bewegung im Süden ergoß
sich eine Fluth des Hohnes auf das zurückgebliebene Preußen, und die
alten Rheinbundsgedanken tauchten in liberalem Gewande wieder auf.
Kaum waren nach Montgelas' Fall die Hoffnungen der bairischen Ver-
fassungsfreunde wieder erwacht, so übergab Feuerbach dem Minister Rech-
berg schon eine Denkschrift über einen Fürstenbund aller Kleinstaaten, der,
auf England, Dänemark, Holland gestützt, seinen natürlichen Feind Preußen
in der Mitte zerspalten und "das freundlich große Bild freier Ver-
fassungen" den Völkern der beiden Großmächte als Gegenstand der Sehn-
sucht, ihren Regierungen als Medusenhaupt vor die Augen halten sollte.

Das freundlich große Bild der bairischen Verfassung entsprach in
der That billigen Erwartungen. Sie gewährte die Gleichheit vor dem
Gesetze und eine nicht allzu ängstlich beschränkte Preßfreiheit. Bei der Zu-
sammensetzung der beiden Kammern war die altgewohnte ständische Gliede-
rung schonend berücksichtigt: die Kammer der Reichsräthe sollte aus den
Großwürdenträgern des Reichs, aus erbberechtigten adlichen Grundherren
und einer Minderzahl von der Krone ernannter Mitglieder bestehen, die
Abgeordnetenkammer zu einem Viertel von dem kleinen Grundadel und

II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
Innern nahm er dem Grafen Thürheim bald alle Arbeitslaſt und damit
die Herrſchaft aus den Händen. Er wurde der Neuordner des bairiſchen
Beamtenthums, brachte zuerſt wieder einige Zucht und Pünktlichkeit in
den verwahrloſten Dienſt und erwies Allen, die den hellblauen Amts-
frack trugen, nachdrücklich, daß ſie Gunſt und Ehre allein von ihm zu
erwarten hatten. Einem ſolchen Manne konnte das parlamentariſche Leben
nicht verlockend erſcheinen; doch er begriff, daß die junge Krone der Volks-
gunſt, die unfertige Staatseinheit einer neuen Klammer bedurfte, und
traute ſich die Kraft zu, den Geiſt des Abſolutismus auch unter den
conſtitutionellen Formen aufrecht zu erhalten. Durch ihn ward die Ver-
faſſungsarbeit überraſchend ſchnell gefördert, ſo daß man den badiſchen
Mitbewerber um mehrere Monate überholte.

Am 26. Mai ritt der blauweiße Reichsherold durch die Straßen
Münchens um ſiebenmal ein königliches Manifeſt zu verleſen, das die
Verleihung des neuen Grundgeſetzes verkündigte und „die dankbare An-
erkennung dieſer landesväterlichen Handlung von den Herzen aller Baiern“
beanſpruchte. So war denn Baiern der erſte größere Bundesſtaat, der
die Verheißung der Bundesakte im Geiſte der herrſchenden conſtitutionellen
Doctrin erfüllte. Mit kindlicher Freude nahm das Land die Gabe ſeines
Königs auf; ſelbſt das brandenburgiſche Franken zeigte jetzt zum erſten
male eine Anwandlung wittelsbachiſcher Geſinnung. Ein allegoriſches
Bild, das die Vertreter des Wehr-, Lehr- und Nährſtandes in zärtlichem
Reigen die Königskrone umtanzend darſtellte, gab den Gefühlen des Volkes
einen angemeſſenen Ausdruck. Wenn ſich nur mit dieſer erklärlichen Be-
friedigung nicht ein ſo widerwärtiger particulariſtiſcher Hochmuth vermiſcht
hätte! Bei jedem Erfolge der conſtitutionellen Bewegung im Süden ergoß
ſich eine Fluth des Hohnes auf das zurückgebliebene Preußen, und die
alten Rheinbundsgedanken tauchten in liberalem Gewande wieder auf.
Kaum waren nach Montgelas’ Fall die Hoffnungen der bairiſchen Ver-
faſſungsfreunde wieder erwacht, ſo übergab Feuerbach dem Miniſter Rech-
berg ſchon eine Denkſchrift über einen Fürſtenbund aller Kleinſtaaten, der,
auf England, Dänemark, Holland geſtützt, ſeinen natürlichen Feind Preußen
in der Mitte zerſpalten und „das freundlich große Bild freier Ver-
faſſungen“ den Völkern der beiden Großmächte als Gegenſtand der Sehn-
ſucht, ihren Regierungen als Meduſenhaupt vor die Augen halten ſollte.

Das freundlich große Bild der bairiſchen Verfaſſung entſprach in
der That billigen Erwartungen. Sie gewährte die Gleichheit vor dem
Geſetze und eine nicht allzu ängſtlich beſchränkte Preßfreiheit. Bei der Zu-
ſammenſetzung der beiden Kammern war die altgewohnte ſtändiſche Gliede-
rung ſchonend berückſichtigt: die Kammer der Reichsräthe ſollte aus den
Großwürdenträgern des Reichs, aus erbberechtigten adlichen Grundherren
und einer Minderzahl von der Krone ernannter Mitglieder beſtehen, die
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[352/0366] II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe. Innern nahm er dem Grafen Thürheim bald alle Arbeitslaſt und damit die Herrſchaft aus den Händen. Er wurde der Neuordner des bairiſchen Beamtenthums, brachte zuerſt wieder einige Zucht und Pünktlichkeit in den verwahrloſten Dienſt und erwies Allen, die den hellblauen Amts- frack trugen, nachdrücklich, daß ſie Gunſt und Ehre allein von ihm zu erwarten hatten. Einem ſolchen Manne konnte das parlamentariſche Leben nicht verlockend erſcheinen; doch er begriff, daß die junge Krone der Volks- gunſt, die unfertige Staatseinheit einer neuen Klammer bedurfte, und traute ſich die Kraft zu, den Geiſt des Abſolutismus auch unter den conſtitutionellen Formen aufrecht zu erhalten. Durch ihn ward die Ver- faſſungsarbeit überraſchend ſchnell gefördert, ſo daß man den badiſchen Mitbewerber um mehrere Monate überholte. Am 26. Mai ritt der blauweiße Reichsherold durch die Straßen Münchens um ſiebenmal ein königliches Manifeſt zu verleſen, das die Verleihung des neuen Grundgeſetzes verkündigte und „die dankbare An- erkennung dieſer landesväterlichen Handlung von den Herzen aller Baiern“ beanſpruchte. So war denn Baiern der erſte größere Bundesſtaat, der die Verheißung der Bundesakte im Geiſte der herrſchenden conſtitutionellen Doctrin erfüllte. Mit kindlicher Freude nahm das Land die Gabe ſeines Königs auf; ſelbſt das brandenburgiſche Franken zeigte jetzt zum erſten male eine Anwandlung wittelsbachiſcher Geſinnung. Ein allegoriſches Bild, das die Vertreter des Wehr-, Lehr- und Nährſtandes in zärtlichem Reigen die Königskrone umtanzend darſtellte, gab den Gefühlen des Volkes einen angemeſſenen Ausdruck. Wenn ſich nur mit dieſer erklärlichen Be- friedigung nicht ein ſo widerwärtiger particulariſtiſcher Hochmuth vermiſcht hätte! Bei jedem Erfolge der conſtitutionellen Bewegung im Süden ergoß ſich eine Fluth des Hohnes auf das zurückgebliebene Preußen, und die alten Rheinbundsgedanken tauchten in liberalem Gewande wieder auf. Kaum waren nach Montgelas’ Fall die Hoffnungen der bairiſchen Ver- faſſungsfreunde wieder erwacht, ſo übergab Feuerbach dem Miniſter Rech- berg ſchon eine Denkſchrift über einen Fürſtenbund aller Kleinſtaaten, der, auf England, Dänemark, Holland geſtützt, ſeinen natürlichen Feind Preußen in der Mitte zerſpalten und „das freundlich große Bild freier Ver- faſſungen“ den Völkern der beiden Großmächte als Gegenſtand der Sehn- ſucht, ihren Regierungen als Meduſenhaupt vor die Augen halten ſollte. Das freundlich große Bild der bairiſchen Verfaſſung entſprach in der That billigen Erwartungen. Sie gewährte die Gleichheit vor dem Geſetze und eine nicht allzu ängſtlich beſchränkte Preßfreiheit. Bei der Zu- ſammenſetzung der beiden Kammern war die altgewohnte ſtändiſche Gliede- rung ſchonend berückſichtigt: die Kammer der Reichsräthe ſollte aus den Großwürdenträgern des Reichs, aus erbberechtigten adlichen Grundherren und einer Minderzahl von der Krone ernannter Mitglieder beſtehen, die Abgeordnetenkammer zu einem Viertel von dem kleinen Grundadel und

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/366>, abgerufen am 22.11.2024.