Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe. wolle. Trotzdem wurden die theuer erkauften realen Gewerbegerechtigkeitennicht aufgehoben; jede Zunft verfolgte nach wie vor die Arbeit der Pfuscher, die Bortenmacher und die Posamentirer lebten noch immer in ewigem Grenzstreite, und wer das Glück hatte in den streng geschlossenen kleinen Kreis der bürgerlichen Essenkehrermeister Münchens hineinzuheirathen war all irdischen Sorgen ledig. Die Reform blieb Stückwerk und erregte nur den Groll der Handwerker. Von der Erlaubniß zu selbständigem Ge- werbebetriebe hing aber in den Städten das Recht der Eheschließung ab; da nun überdies auf dem Lande die Grundherren befugt waren jede Heirath zu untersagen und die Untheilbarkeit der Bauernhöfe die Ver- sorgung der jüngeren Söhne erschwerte, so geschah es, daß dies derb- sinnliche, doch keineswegs unsittliche Volk sich durch die Masse seiner un- ehelichen Kinder vor allen Völkern Europas traurig auszeichnete. In Niederbaiern kam fast ein Viertel aller Kinder außer der Ehe zur Welt. In der Pfalz dagegen blieb die Zahl der unehelichen Geburten fast dreimal geringer, denn hier bestand die sociale Freiheit der französischen Gesetz- gebung und das harte, aber heilsame Verbot der Vaterschaftsklage. Für die Lebenszeit des Königs glaubte Montgelas der Herrschaft II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe. wolle. Trotzdem wurden die theuer erkauften realen Gewerbegerechtigkeitennicht aufgehoben; jede Zunft verfolgte nach wie vor die Arbeit der Pfuſcher, die Bortenmacher und die Poſamentirer lebten noch immer in ewigem Grenzſtreite, und wer das Glück hatte in den ſtreng geſchloſſenen kleinen Kreis der bürgerlichen Eſſenkehrermeiſter Münchens hineinzuheirathen war all irdiſchen Sorgen ledig. Die Reform blieb Stückwerk und erregte nur den Groll der Handwerker. Von der Erlaubniß zu ſelbſtändigem Ge- werbebetriebe hing aber in den Städten das Recht der Eheſchließung ab; da nun überdies auf dem Lande die Grundherren befugt waren jede Heirath zu unterſagen und die Untheilbarkeit der Bauernhöfe die Ver- ſorgung der jüngeren Söhne erſchwerte, ſo geſchah es, daß dies derb- ſinnliche, doch keineswegs unſittliche Volk ſich durch die Maſſe ſeiner un- ehelichen Kinder vor allen Völkern Europas traurig auszeichnete. In Niederbaiern kam faſt ein Viertel aller Kinder außer der Ehe zur Welt. In der Pfalz dagegen blieb die Zahl der unehelichen Geburten faſt dreimal geringer, denn hier beſtand die ſociale Freiheit der franzöſiſchen Geſetz- gebung und das harte, aber heilſame Verbot der Vaterſchaftsklage. Für die Lebenszeit des Königs glaubte Montgelas der Herrſchaft <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0352" n="338"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.</fw><lb/> wolle. Trotzdem wurden die theuer erkauften realen Gewerbegerechtigkeiten<lb/> nicht aufgehoben; jede Zunft verfolgte nach wie vor die Arbeit der Pfuſcher,<lb/> die Bortenmacher und die Poſamentirer lebten noch immer in ewigem<lb/> Grenzſtreite, und wer das Glück hatte in den ſtreng geſchloſſenen kleinen<lb/> Kreis der bürgerlichen Eſſenkehrermeiſter Münchens hineinzuheirathen war<lb/> all irdiſchen Sorgen ledig. Die Reform blieb Stückwerk und erregte nur<lb/> den Groll der Handwerker. 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Stärker war<lb/> die Unzufriedenheit in Franken; hier zitterte die Begeiſterung der Kriegs-<lb/> jahre noch lange nach, die Gemeinden grollten über den Verluſt ihrer<lb/> ſelbſtändigen Verwaltung, und eine pathetiſche Schrift des Bambergers<lb/> Hornthal, die an den Art. 13 der Bundesakte erinnerte, fand lebhaften<lb/> Anklang. Doch auch dieſe Oppoſition ſchien ungefährlich. Voll Zuver-<lb/> ſicht ſangen die unbekehrten Rheinbündler in Aretins Alemannia noch<lb/> immer das Lob des großen Miniſters, unter wüthenden Schimpfreden<lb/> gegen die Deutſch-Michelei, den Boruſſismus und die Anglomanie. Als<lb/> in Franken der Jahrestag der Leipziger Schlacht gefeiert wurde, erzählten<lb/> dieſe Alemannen in einem Feſtberichte: die ſchöne Feier habe mit einer<lb/> Thierſchau geendet und der beſte Ochſe ſei mit dem Orden des eiſernen<lb/> Kreuzes geſchmückt worden.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [338/0352]
II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
wolle. Trotzdem wurden die theuer erkauften realen Gewerbegerechtigkeiten
nicht aufgehoben; jede Zunft verfolgte nach wie vor die Arbeit der Pfuſcher,
die Bortenmacher und die Poſamentirer lebten noch immer in ewigem
Grenzſtreite, und wer das Glück hatte in den ſtreng geſchloſſenen kleinen
Kreis der bürgerlichen Eſſenkehrermeiſter Münchens hineinzuheirathen war
all irdiſchen Sorgen ledig. Die Reform blieb Stückwerk und erregte nur
den Groll der Handwerker. Von der Erlaubniß zu ſelbſtändigem Ge-
werbebetriebe hing aber in den Städten das Recht der Eheſchließung ab;
da nun überdies auf dem Lande die Grundherren befugt waren jede
Heirath zu unterſagen und die Untheilbarkeit der Bauernhöfe die Ver-
ſorgung der jüngeren Söhne erſchwerte, ſo geſchah es, daß dies derb-
ſinnliche, doch keineswegs unſittliche Volk ſich durch die Maſſe ſeiner un-
ehelichen Kinder vor allen Völkern Europas traurig auszeichnete. In
Niederbaiern kam faſt ein Viertel aller Kinder außer der Ehe zur Welt.
In der Pfalz dagegen blieb die Zahl der unehelichen Geburten faſt dreimal
geringer, denn hier beſtand die ſociale Freiheit der franzöſiſchen Geſetz-
gebung und das harte, aber heilſame Verbot der Vaterſchaftsklage.
Für die Lebenszeit des Königs glaubte Montgelas der Herrſchaft
ſicher zu ſein. Die große Mehrzahl des Beamtenthums war von dem
Geiſte des napoleoniſchen Despotismus durchdrungen, und in der Haupt-
ſtadt beſtanden nur zwei ſtarke Parteien, beide gleich undeutſch, beide
gleich particulariſtiſch: hier die Clericalen, die unter Max Joſeph nie-
mals an’s Ruder gelangen konnten, dort die Anhänger des aufgeklärten
Miniſters. Die kleine Kolonie von norddeutſchen und ſchwäbiſchen Ge-
lehrten, welche in München noch faſt allein die politiſchen Ideale des Be-
freiungskrieges feſthielt, beſaß keinen Einfluß und durfte den Miniſter
nicht offen bekämpfen, da er ihr doch einen Rückhalt bot gegen den
Fremdenhaß der fanatiſchen Altbaiern; einer der Beſten aus dieſem Kreiſe,
der Philolog Jacobs war ſchon wieder nach Thüringen heimgezogen, der
feinfühlende Mann konnte es nicht ertragen beſtändig geſchmäht zu werden
als ein nordiſcher, im bairiſchen Kanaan gemäſteter Bettler. Stärker war
die Unzufriedenheit in Franken; hier zitterte die Begeiſterung der Kriegs-
jahre noch lange nach, die Gemeinden grollten über den Verluſt ihrer
ſelbſtändigen Verwaltung, und eine pathetiſche Schrift des Bambergers
Hornthal, die an den Art. 13 der Bundesakte erinnerte, fand lebhaften
Anklang. Doch auch dieſe Oppoſition ſchien ungefährlich. Voll Zuver-
ſicht ſangen die unbekehrten Rheinbündler in Aretins Alemannia noch
immer das Lob des großen Miniſters, unter wüthenden Schimpfreden
gegen die Deutſch-Michelei, den Boruſſismus und die Anglomanie. Als
in Franken der Jahrestag der Leipziger Schlacht gefeiert wurde, erzählten
dieſe Alemannen in einem Feſtberichte: die ſchöne Feier habe mit einer
Thierſchau geendet und der beſte Ochſe ſei mit dem Orden des eiſernen
Kreuzes geſchmückt worden.
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