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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe.
gezügeltem Ehrgeiz, der gern die Rolle eines schwäbischen Philipp Egalite
gespielt hätte. Der König fühlte sich dem ungeheuren Hasse, der von
allen Seiten her über ihn hereinstürzte, nicht gewachsen, und da auch
sein Kronprinz ihm vorstellte, wie wenig auf eine Sinnesänderung der
Stände zu rechnen sei, so that er klüglich einen Schritt zurück und erklärte
sich am 16. April bereit, durch seine Commissäre mit vier ständischen
Bevollmächtigten zu verhandeln: diese sollten dann angeben, welche Be-
stimmungen des alten Landesrechts der Landtag noch in das neue Grund-
gesetz aufzunehmen wünsche. Damit war die soeben erst feierlich verkün-
digte Verbindlichkeit der neuen Verfassung beseitigt. Jetzt aber zeigte sich,
daß der Landtag nichts Geringeres erstrebte als die Wiederherstellung des
alten Zustandes mit einigen unwesentlichen Aenderungen.

Die Wahlen der Städte und Oberämter waren, mit Ausnahme von
neun Kaufleuten, durchweg auf Juristen, Bürgermeister, Schultheißen und
Schreiber gefallen. Begreiflich, daß in einer solchen Versammlung die ge-
wiegten Kenner des historischen Rechts die Oberhand behaupteten: so Weis-
haar, Bolley und Georgii, tüchtige, von den Ideen des neuen Liberalismus
lebhaft ergriffene Rechtsgelehrte, denen die oligarchische alte Verfassung als
das sicherste Bollwerk der Volksrechte erschien, dann der wackere Bürger-
meister Klüpfel von Stuttgart, endlich Zahn und Feuerlein, zwei Vir-
tuosen der altwürttembergischen Schreibstube, unvergleichlich in allen
Künsten kleinlicher Wortspalterei. Im Namen der Mediatisirten führte
Graf Waldeck das große Wort, ein unruhiger Kopf, immer bei der Hand
wenn der süddeutsche Adel sich zur Wahrung seiner Standesrechte ver-
sammelte. Er brachte es über sich, in einem Athem für unbeschränkte
Volksfreiheit zu schwärmen und die Privilegien seines Hauses zu ver-
theidigen: das hochgräfliche Haus Limburg, so ließ er sich vernehmen,
habe bisher weder den Deutschen Bund noch das Königreich Württem-
berg anerkannt und könne sich dazu nur herbeilassen, wenn ihm ein freier
Vertrag angeboten würde. Unter dem niederen Adel that sich Freiherr
v. Varnbüler hervor, ein echter Reichsritter, tapfer, freimüthig, überaus
hartnäckig. Späterhin trat auch Oberst Massenbach in die Reihen der
Ritterschaft ein, derselbe, an dessen Namen der Fluch von Jena und
Prenzlau haftete; der hatte bereits durch die Herausgabe unsauberer
Denkwürdigkeiten sich gerächt für die wohlverdiente Entlassung aus dem
preußischen Heere und entfaltete jetzt in der Politik die nämliche phan-
tastische Vielgeschäftigkeit wie einst als Soldat. In wüsten, schreienden
demagogischen Schriften forderte er den Adel auf sich bürgerlich taufen
zu lassen, und verkündete: "jetzt haben alle Fürsten mit ihren Völkern
neue Verträge zu schließen; so weit muß es kommen, daß jeder Staats-
bürger seinen Beitrag zur Staatshaushaltung selbst berechnen kann."

Vorläufig hielt die aus so grundverschiedenen Elementen gemischte
Opposition noch fest zusammen; nur fünf vom Adel zogen nachträglich

II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
gezügeltem Ehrgeiz, der gern die Rolle eines ſchwäbiſchen Philipp Egalité
geſpielt hätte. Der König fühlte ſich dem ungeheuren Haſſe, der von
allen Seiten her über ihn hereinſtürzte, nicht gewachſen, und da auch
ſein Kronprinz ihm vorſtellte, wie wenig auf eine Sinnesänderung der
Stände zu rechnen ſei, ſo that er klüglich einen Schritt zurück und erklärte
ſich am 16. April bereit, durch ſeine Commiſſäre mit vier ſtändiſchen
Bevollmächtigten zu verhandeln: dieſe ſollten dann angeben, welche Be-
ſtimmungen des alten Landesrechts der Landtag noch in das neue Grund-
geſetz aufzunehmen wünſche. Damit war die ſoeben erſt feierlich verkün-
digte Verbindlichkeit der neuen Verfaſſung beſeitigt. Jetzt aber zeigte ſich,
daß der Landtag nichts Geringeres erſtrebte als die Wiederherſtellung des
alten Zuſtandes mit einigen unweſentlichen Aenderungen.

Die Wahlen der Städte und Oberämter waren, mit Ausnahme von
neun Kaufleuten, durchweg auf Juriſten, Bürgermeiſter, Schultheißen und
Schreiber gefallen. Begreiflich, daß in einer ſolchen Verſammlung die ge-
wiegten Kenner des hiſtoriſchen Rechts die Oberhand behaupteten: ſo Weis-
haar, Bolley und Georgii, tüchtige, von den Ideen des neuen Liberalismus
lebhaft ergriffene Rechtsgelehrte, denen die oligarchiſche alte Verfaſſung als
das ſicherſte Bollwerk der Volksrechte erſchien, dann der wackere Bürger-
meiſter Klüpfel von Stuttgart, endlich Zahn und Feuerlein, zwei Vir-
tuoſen der altwürttembergiſchen Schreibſtube, unvergleichlich in allen
Künſten kleinlicher Wortſpalterei. Im Namen der Mediatiſirten führte
Graf Waldeck das große Wort, ein unruhiger Kopf, immer bei der Hand
wenn der ſüddeutſche Adel ſich zur Wahrung ſeiner Standesrechte ver-
ſammelte. Er brachte es über ſich, in einem Athem für unbeſchränkte
Volksfreiheit zu ſchwärmen und die Privilegien ſeines Hauſes zu ver-
theidigen: das hochgräfliche Haus Limburg, ſo ließ er ſich vernehmen,
habe bisher weder den Deutſchen Bund noch das Königreich Württem-
berg anerkannt und könne ſich dazu nur herbeilaſſen, wenn ihm ein freier
Vertrag angeboten würde. Unter dem niederen Adel that ſich Freiherr
v. Varnbüler hervor, ein echter Reichsritter, tapfer, freimüthig, überaus
hartnäckig. Späterhin trat auch Oberſt Maſſenbach in die Reihen der
Ritterſchaft ein, derſelbe, an deſſen Namen der Fluch von Jena und
Prenzlau haftete; der hatte bereits durch die Herausgabe unſauberer
Denkwürdigkeiten ſich gerächt für die wohlverdiente Entlaſſung aus dem
preußiſchen Heere und entfaltete jetzt in der Politik die nämliche phan-
taſtiſche Vielgeſchäftigkeit wie einſt als Soldat. In wüſten, ſchreienden
demagogiſchen Schriften forderte er den Adel auf ſich bürgerlich taufen
zu laſſen, und verkündete: „jetzt haben alle Fürſten mit ihren Völkern
neue Verträge zu ſchließen; ſo weit muß es kommen, daß jeder Staats-
bürger ſeinen Beitrag zur Staatshaushaltung ſelbſt berechnen kann.“

Vorläufig hielt die aus ſo grundverſchiedenen Elementen gemiſchte
Oppoſition noch feſt zuſammen; nur fünf vom Adel zogen nachträglich

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[310/0324] II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe. gezügeltem Ehrgeiz, der gern die Rolle eines ſchwäbiſchen Philipp Egalité geſpielt hätte. Der König fühlte ſich dem ungeheuren Haſſe, der von allen Seiten her über ihn hereinſtürzte, nicht gewachſen, und da auch ſein Kronprinz ihm vorſtellte, wie wenig auf eine Sinnesänderung der Stände zu rechnen ſei, ſo that er klüglich einen Schritt zurück und erklärte ſich am 16. April bereit, durch ſeine Commiſſäre mit vier ſtändiſchen Bevollmächtigten zu verhandeln: dieſe ſollten dann angeben, welche Be- ſtimmungen des alten Landesrechts der Landtag noch in das neue Grund- geſetz aufzunehmen wünſche. Damit war die ſoeben erſt feierlich verkün- digte Verbindlichkeit der neuen Verfaſſung beſeitigt. Jetzt aber zeigte ſich, daß der Landtag nichts Geringeres erſtrebte als die Wiederherſtellung des alten Zuſtandes mit einigen unweſentlichen Aenderungen. Die Wahlen der Städte und Oberämter waren, mit Ausnahme von neun Kaufleuten, durchweg auf Juriſten, Bürgermeiſter, Schultheißen und Schreiber gefallen. Begreiflich, daß in einer ſolchen Verſammlung die ge- wiegten Kenner des hiſtoriſchen Rechts die Oberhand behaupteten: ſo Weis- haar, Bolley und Georgii, tüchtige, von den Ideen des neuen Liberalismus lebhaft ergriffene Rechtsgelehrte, denen die oligarchiſche alte Verfaſſung als das ſicherſte Bollwerk der Volksrechte erſchien, dann der wackere Bürger- meiſter Klüpfel von Stuttgart, endlich Zahn und Feuerlein, zwei Vir- tuoſen der altwürttembergiſchen Schreibſtube, unvergleichlich in allen Künſten kleinlicher Wortſpalterei. Im Namen der Mediatiſirten führte Graf Waldeck das große Wort, ein unruhiger Kopf, immer bei der Hand wenn der ſüddeutſche Adel ſich zur Wahrung ſeiner Standesrechte ver- ſammelte. Er brachte es über ſich, in einem Athem für unbeſchränkte Volksfreiheit zu ſchwärmen und die Privilegien ſeines Hauſes zu ver- theidigen: das hochgräfliche Haus Limburg, ſo ließ er ſich vernehmen, habe bisher weder den Deutſchen Bund noch das Königreich Württem- berg anerkannt und könne ſich dazu nur herbeilaſſen, wenn ihm ein freier Vertrag angeboten würde. Unter dem niederen Adel that ſich Freiherr v. Varnbüler hervor, ein echter Reichsritter, tapfer, freimüthig, überaus hartnäckig. Späterhin trat auch Oberſt Maſſenbach in die Reihen der Ritterſchaft ein, derſelbe, an deſſen Namen der Fluch von Jena und Prenzlau haftete; der hatte bereits durch die Herausgabe unſauberer Denkwürdigkeiten ſich gerächt für die wohlverdiente Entlaſſung aus dem preußiſchen Heere und entfaltete jetzt in der Politik die nämliche phan- taſtiſche Vielgeſchäftigkeit wie einſt als Soldat. In wüſten, ſchreienden demagogiſchen Schriften forderte er den Adel auf ſich bürgerlich taufen zu laſſen, und verkündete: „jetzt haben alle Fürſten mit ihren Völkern neue Verträge zu ſchließen; ſo weit muß es kommen, daß jeder Staats- bürger ſeinen Beitrag zur Staatshaushaltung ſelbſt berechnen kann.“ Vorläufig hielt die aus ſo grundverſchiedenen Elementen gemiſchte Oppoſition noch feſt zuſammen; nur fünf vom Adel zogen nachträglich

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/324>, abgerufen am 22.11.2024.