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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe.
freien Rede endlich wieder, und alsbald regten sich Alle, welche die Nacken-
schläge des Despotismus erfahren hatten: die altwürttembergischen Land-
stände und ihr mächtiger Familienanhang, die unvergeßlich beleidigten
Fürsten und Reichsritter, die Reichsstädte und die Prälaten. Der Haß
gegen den König erweckte in den alten und den neuen Landestheilen zum
ersten male ein Gefühl der Gemeinschaft. Die Alt-Württemberger zeigten
sich sofort entschlossen ihre geliebte Verfassung zurückzufordern, die doch
in den neuen Gebieten niemals zu Recht bestanden hatte. Die Neu-
Württemberger gingen auf den Vorschlag ein, weil die umständlichen
Formen des guten alten Rechts ein ganzes Arsenal voll scharfer Waffen
zur Abwehr fürstlicher Uebergriffe darboten und die Bändigung der monrachi-
schen Eigenmacht, diesem Könige gegenüber, Allen als die wichtigste Auf-
gabe erschien; man dachte sich's nicht allzu schwer, durch einige Zusätze
über die Gleichberechtigung der Katholiken und die ständische Vertretung
des Adels das unförmliche Verfassungsgebäude auch für die Neuwürttem-
berger wohnlich einzurichten.

Nur König Friedrich ahnte nichts von diesen Plänen. Am 15. März
1815 eröffnete er selbst den Landtag und verkündete, daß er heute den
Schlußstein zu dem Gebäude des Staates legen wolle. Darauf ward
die neue Verfassung verlesen, der König gelobte feierlich sie zu halten
und erklärte, daß sie hiermit sofort für alle seine Unterthanen verbindlich
werde. Jeder Satz dieses Grundgesetzes schien darauf angelegt dem
Könige für seine Lebenszeit die ungestörte Fortdauer der Selbstherrschaft
zu sichern. Ein Landtag, nach denselben Grundsätzen gebildet wie der
gegenwärtige, sollte in Zukunft aller drei Jahre zusammentreten um auf
den Vorschlag der Krone über neue Steuern und neue Gesetze zu berath-
schlagen; er durfte also weder die gegenwärtige unerträgliche Steuerlast
vermindern, noch jene tausende königlicher Rescripte, welche in den
letzten Jahren das Land zur Verzweiflung gebracht hatten, seiner Durch-
sicht unterwerfen. Um ganz sicher zu gehen hatte der König überdies
erst in den jüngsten Tagen einige neue harte Gesetze über die Militär-
pflicht und die Landesmiliz erlassen. Damit schwand jede Aussicht auf
friedliche Besserung der Landesnoth. Der preußische Gesandte v. Küster,
ein verständiger Mann, der den Aufenthalt an diesem Hofe kaum zu er-
tragen vermochte, schrieb tief entrüstet seinem Monarchen: "Ew. Majestät
werden selbst leicht beurtheilen, ob eine solche Verfassung den Wünschen
der Mächte entspricht." *) Der König übergab die Urkunde in goldener
Kapsel den Präsidenten des Landtags. Aber kaum hatte er das Haus
verlassen, so erhob sich der Heißsporn der Mediatisirten, Graf Georg von
Waldeck und verlas eine längst vorbereitete Adresse, die in unterthänigen
Worten das königliche Geschenk zurückwies und rundweg erklärte: das

*) Küsters Bericht, Stuttgart, 16. März 1815.

II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
freien Rede endlich wieder, und alsbald regten ſich Alle, welche die Nacken-
ſchläge des Despotismus erfahren hatten: die altwürttembergiſchen Land-
ſtände und ihr mächtiger Familienanhang, die unvergeßlich beleidigten
Fürſten und Reichsritter, die Reichsſtädte und die Prälaten. Der Haß
gegen den König erweckte in den alten und den neuen Landestheilen zum
erſten male ein Gefühl der Gemeinſchaft. Die Alt-Württemberger zeigten
ſich ſofort entſchloſſen ihre geliebte Verfaſſung zurückzufordern, die doch
in den neuen Gebieten niemals zu Recht beſtanden hatte. Die Neu-
Württemberger gingen auf den Vorſchlag ein, weil die umſtändlichen
Formen des guten alten Rechts ein ganzes Arſenal voll ſcharfer Waffen
zur Abwehr fürſtlicher Uebergriffe darboten und die Bändigung der monrachi-
ſchen Eigenmacht, dieſem Könige gegenüber, Allen als die wichtigſte Auf-
gabe erſchien; man dachte ſich’s nicht allzu ſchwer, durch einige Zuſätze
über die Gleichberechtigung der Katholiken und die ſtändiſche Vertretung
des Adels das unförmliche Verfaſſungsgebäude auch für die Neuwürttem-
berger wohnlich einzurichten.

Nur König Friedrich ahnte nichts von dieſen Plänen. Am 15. März
1815 eröffnete er ſelbſt den Landtag und verkündete, daß er heute den
Schlußſtein zu dem Gebäude des Staates legen wolle. Darauf ward
die neue Verfaſſung verleſen, der König gelobte feierlich ſie zu halten
und erklärte, daß ſie hiermit ſofort für alle ſeine Unterthanen verbindlich
werde. Jeder Satz dieſes Grundgeſetzes ſchien darauf angelegt dem
Könige für ſeine Lebenszeit die ungeſtörte Fortdauer der Selbſtherrſchaft
zu ſichern. Ein Landtag, nach denſelben Grundſätzen gebildet wie der
gegenwärtige, ſollte in Zukunft aller drei Jahre zuſammentreten um auf
den Vorſchlag der Krone über neue Steuern und neue Geſetze zu berath-
ſchlagen; er durfte alſo weder die gegenwärtige unerträgliche Steuerlaſt
vermindern, noch jene tauſende königlicher Reſcripte, welche in den
letzten Jahren das Land zur Verzweiflung gebracht hatten, ſeiner Durch-
ſicht unterwerfen. Um ganz ſicher zu gehen hatte der König überdies
erſt in den jüngſten Tagen einige neue harte Geſetze über die Militär-
pflicht und die Landesmiliz erlaſſen. Damit ſchwand jede Ausſicht auf
friedliche Beſſerung der Landesnoth. Der preußiſche Geſandte v. Küſter,
ein verſtändiger Mann, der den Aufenthalt an dieſem Hofe kaum zu er-
tragen vermochte, ſchrieb tief entrüſtet ſeinem Monarchen: „Ew. Majeſtät
werden ſelbſt leicht beurtheilen, ob eine ſolche Verfaſſung den Wünſchen
der Mächte entſpricht.“ *) Der König übergab die Urkunde in goldener
Kapſel den Präſidenten des Landtags. Aber kaum hatte er das Haus
verlaſſen, ſo erhob ſich der Heißſporn der Mediatiſirten, Graf Georg von
Waldeck und verlas eine längſt vorbereitete Adreſſe, die in unterthänigen
Worten das königliche Geſchenk zurückwies und rundweg erklärte: das

*) Küſters Bericht, Stuttgart, 16. März 1815.
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[308/0322] II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe. freien Rede endlich wieder, und alsbald regten ſich Alle, welche die Nacken- ſchläge des Despotismus erfahren hatten: die altwürttembergiſchen Land- ſtände und ihr mächtiger Familienanhang, die unvergeßlich beleidigten Fürſten und Reichsritter, die Reichsſtädte und die Prälaten. Der Haß gegen den König erweckte in den alten und den neuen Landestheilen zum erſten male ein Gefühl der Gemeinſchaft. Die Alt-Württemberger zeigten ſich ſofort entſchloſſen ihre geliebte Verfaſſung zurückzufordern, die doch in den neuen Gebieten niemals zu Recht beſtanden hatte. Die Neu- Württemberger gingen auf den Vorſchlag ein, weil die umſtändlichen Formen des guten alten Rechts ein ganzes Arſenal voll ſcharfer Waffen zur Abwehr fürſtlicher Uebergriffe darboten und die Bändigung der monrachi- ſchen Eigenmacht, dieſem Könige gegenüber, Allen als die wichtigſte Auf- gabe erſchien; man dachte ſich’s nicht allzu ſchwer, durch einige Zuſätze über die Gleichberechtigung der Katholiken und die ſtändiſche Vertretung des Adels das unförmliche Verfaſſungsgebäude auch für die Neuwürttem- berger wohnlich einzurichten. Nur König Friedrich ahnte nichts von dieſen Plänen. Am 15. März 1815 eröffnete er ſelbſt den Landtag und verkündete, daß er heute den Schlußſtein zu dem Gebäude des Staates legen wolle. Darauf ward die neue Verfaſſung verleſen, der König gelobte feierlich ſie zu halten und erklärte, daß ſie hiermit ſofort für alle ſeine Unterthanen verbindlich werde. Jeder Satz dieſes Grundgeſetzes ſchien darauf angelegt dem Könige für ſeine Lebenszeit die ungeſtörte Fortdauer der Selbſtherrſchaft zu ſichern. Ein Landtag, nach denſelben Grundſätzen gebildet wie der gegenwärtige, ſollte in Zukunft aller drei Jahre zuſammentreten um auf den Vorſchlag der Krone über neue Steuern und neue Geſetze zu berath- ſchlagen; er durfte alſo weder die gegenwärtige unerträgliche Steuerlaſt vermindern, noch jene tauſende königlicher Reſcripte, welche in den letzten Jahren das Land zur Verzweiflung gebracht hatten, ſeiner Durch- ſicht unterwerfen. Um ganz ſicher zu gehen hatte der König überdies erſt in den jüngſten Tagen einige neue harte Geſetze über die Militär- pflicht und die Landesmiliz erlaſſen. Damit ſchwand jede Ausſicht auf friedliche Beſſerung der Landesnoth. Der preußiſche Geſandte v. Küſter, ein verſtändiger Mann, der den Aufenthalt an dieſem Hofe kaum zu er- tragen vermochte, ſchrieb tief entrüſtet ſeinem Monarchen: „Ew. Majeſtät werden ſelbſt leicht beurtheilen, ob eine ſolche Verfaſſung den Wünſchen der Mächte entſpricht.“ *) Der König übergab die Urkunde in goldener Kapſel den Präſidenten des Landtags. Aber kaum hatte er das Haus verlaſſen, ſo erhob ſich der Heißſporn der Mediatiſirten, Graf Georg von Waldeck und verlas eine längſt vorbereitete Adreſſe, die in unterthänigen Worten das königliche Geſchenk zurückwies und rundweg erklärte: das *) Küſters Bericht, Stuttgart, 16. März 1815.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/322>, abgerufen am 22.11.2024.