hier nicht in der Stiftung gemeinnütziger Anstalten, in der Pflege des Wohlstandes und der Bildung bethätigen, sondern allein in höfischem Prunk und gelegentlichen Gewaltstreichen. Die üppigen Schlösser des kleinen Hauses Württemberg wetteiferten mit den Prachtbauten der pol- nischen Auguste, wie der Hohentwiel und der Hohenasperg mit den Kerkern des Königsteins; die alte Landeshauptstadt verarmte, weil es der Dirne Eberhard Ludwigs, der Gräfin Grävenitz beliebt hatte, drei Stunden von dem lieblichen Thalkessel des Nesenbachs ein Trutz-Stuttgart zu erbauen, das öde Ludwigsburg, die pomphafteste und häßlichste unter den zahl- reichen künstlichen Residenzstädten Süddeutschlands. Unwürdige Günst- linge, der Jude Süß, Wittleder und Montmartin trieben ihr gieriges Unwesen am Hofe. Der ungeheure Wildstand der herzoglichen Forsten verwüstete die Felder des dichtbevölkerten, gesegneten Gaues; denn der Herzog war nur der Grundherr seines Kammergutes, was kümmerten ihn Wohl und Wehe des "Landes", das sich durch seinen Ausschuß, seine Stadtschreiber und Amtleute selbst regierte?
Unter solchen Erfahrungen entstand im württembergischen Volke jene eigenthümliche, aus dynastischer Anhänglichkeit und grollendem Miß- trauen gemischte Staatsgesinnung, deren Spuren noch heute nicht ver- schwunden sind. Wie oft hatte dies Land in schwerer Kriegsnoth dem flüchtigen Herzog unerschütterliche Treue bewährt; zahllose Gesänge verherr- lichten den Ruhm des alten Fürstenhauses und das Wappenschild mit den Hirschhörnern, von jenen Volksliedern an, welche einst dem ver- bannten wilden Ulrich zuriefen: "du bist der recht natürlich Herr über's württembergische Land", bis herab zu dem echt schwäbischen Gedichte des jungen Schiller, das "Euch dort außen in der Welt" drohend aufforderte, vor dem Ruhme Eberhard des Greiners die Nasen einzuspannen. Dabei hallte das Land doch beständig wider von berechtigten und unberechtigten Klagen gegen den Hof, und allgemein herrschte die Ansicht, daß die schwä- bische Freiheit nur dann bestehen könne, wenn der Herzog wie ein gefähr- liches Raubthier sorgsam im Käfig bewacht würde. Auf dem festen Grunde der Wehrpflicht und der Steuerpflicht erhob sich in Preußen der moderne deutsche Staat. In Württemberg aber bestand noch ungebrochen die Staatsgesinnung des Mittelalters: alle Abgaben wurden nur als außer- ordentliche Lasten für Zeiten der Noth betrachtet und die Befreiung vom Waffendienste galt als das kostbarste aller Landesprivilegien. Der un- kriegerische Sinn, der dem Stillleben des altständischen deutschen Staates überall eigen war, trat kaum irgendwo unbefangener auf als unter den friedlichen Prälaten und Bürgermeistern des Stuttgarter Landtags. Mit zäher Beharrlichkeit verhinderten die Stände die Bildung einer stehenden Truppenmacht, so daß schon der geduldige Herzog Christoph klagte: "soll mein Land ein Fürstenthum sein, so gehört dazu wie einen Fürsten mich zu halten."
II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
hier nicht in der Stiftung gemeinnütziger Anſtalten, in der Pflege des Wohlſtandes und der Bildung bethätigen, ſondern allein in höfiſchem Prunk und gelegentlichen Gewaltſtreichen. Die üppigen Schlöſſer des kleinen Hauſes Württemberg wetteiferten mit den Prachtbauten der pol- niſchen Auguſte, wie der Hohentwiel und der Hohenaſperg mit den Kerkern des Königſteins; die alte Landeshauptſtadt verarmte, weil es der Dirne Eberhard Ludwigs, der Gräfin Grävenitz beliebt hatte, drei Stunden von dem lieblichen Thalkeſſel des Neſenbachs ein Trutz-Stuttgart zu erbauen, das öde Ludwigsburg, die pomphafteſte und häßlichſte unter den zahl- reichen künſtlichen Reſidenzſtädten Süddeutſchlands. Unwürdige Günſt- linge, der Jude Süß, Wittleder und Montmartin trieben ihr gieriges Unweſen am Hofe. Der ungeheure Wildſtand der herzoglichen Forſten verwüſtete die Felder des dichtbevölkerten, geſegneten Gaues; denn der Herzog war nur der Grundherr ſeines Kammergutes, was kümmerten ihn Wohl und Wehe des „Landes“, das ſich durch ſeinen Ausſchuß, ſeine Stadtſchreiber und Amtleute ſelbſt regierte?
Unter ſolchen Erfahrungen entſtand im württembergiſchen Volke jene eigenthümliche, aus dynaſtiſcher Anhänglichkeit und grollendem Miß- trauen gemiſchte Staatsgeſinnung, deren Spuren noch heute nicht ver- ſchwunden ſind. Wie oft hatte dies Land in ſchwerer Kriegsnoth dem flüchtigen Herzog unerſchütterliche Treue bewährt; zahlloſe Geſänge verherr- lichten den Ruhm des alten Fürſtenhauſes und das Wappenſchild mit den Hirſchhörnern, von jenen Volksliedern an, welche einſt dem ver- bannten wilden Ulrich zuriefen: „du biſt der recht natürlich Herr über’s württembergiſche Land“, bis herab zu dem echt ſchwäbiſchen Gedichte des jungen Schiller, das „Euch dort außen in der Welt“ drohend aufforderte, vor dem Ruhme Eberhard des Greiners die Naſen einzuſpannen. Dabei hallte das Land doch beſtändig wider von berechtigten und unberechtigten Klagen gegen den Hof, und allgemein herrſchte die Anſicht, daß die ſchwä- biſche Freiheit nur dann beſtehen könne, wenn der Herzog wie ein gefähr- liches Raubthier ſorgſam im Käfig bewacht würde. Auf dem feſten Grunde der Wehrpflicht und der Steuerpflicht erhob ſich in Preußen der moderne deutſche Staat. In Württemberg aber beſtand noch ungebrochen die Staatsgeſinnung des Mittelalters: alle Abgaben wurden nur als außer- ordentliche Laſten für Zeiten der Noth betrachtet und die Befreiung vom Waffendienſte galt als das koſtbarſte aller Landesprivilegien. Der un- kriegeriſche Sinn, der dem Stillleben des altſtändiſchen deutſchen Staates überall eigen war, trat kaum irgendwo unbefangener auf als unter den friedlichen Prälaten und Bürgermeiſtern des Stuttgarter Landtags. Mit zäher Beharrlichkeit verhinderten die Stände die Bildung einer ſtehenden Truppenmacht, ſo daß ſchon der geduldige Herzog Chriſtoph klagte: „ſoll mein Land ein Fürſtenthum ſein, ſo gehört dazu wie einen Fürſten mich zu halten.“
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hier nicht in der Stiftung gemeinnütziger Anſtalten, in der Pflege des
Wohlſtandes und der Bildung bethätigen, ſondern allein in höfiſchem
Prunk und gelegentlichen Gewaltſtreichen. Die üppigen Schlöſſer des
kleinen Hauſes Württemberg wetteiferten mit den Prachtbauten der pol-
niſchen Auguſte, wie der Hohentwiel und der Hohenaſperg mit den Kerkern
des Königſteins; die alte Landeshauptſtadt verarmte, weil es der Dirne
Eberhard Ludwigs, der Gräfin Grävenitz beliebt hatte, drei Stunden von
dem lieblichen Thalkeſſel des Neſenbachs ein Trutz-Stuttgart zu erbauen,
das öde Ludwigsburg, die pomphafteſte und häßlichſte unter den zahl-
reichen künſtlichen Reſidenzſtädten Süddeutſchlands. Unwürdige Günſt-
linge, der Jude Süß, Wittleder und Montmartin trieben ihr gieriges
Unweſen am Hofe. Der ungeheure Wildſtand der herzoglichen Forſten
verwüſtete die Felder des dichtbevölkerten, geſegneten Gaues; denn der
Herzog war nur der Grundherr ſeines Kammergutes, was kümmerten ihn
Wohl und Wehe des „Landes“, das ſich durch ſeinen Ausſchuß, ſeine
Stadtſchreiber und Amtleute ſelbſt regierte?
Unter ſolchen Erfahrungen entſtand im württembergiſchen Volke
jene eigenthümliche, aus dynaſtiſcher Anhänglichkeit und grollendem Miß-
trauen gemiſchte Staatsgeſinnung, deren Spuren noch heute nicht ver-
ſchwunden ſind. Wie oft hatte dies Land in ſchwerer Kriegsnoth dem
flüchtigen Herzog unerſchütterliche Treue bewährt; zahlloſe Geſänge verherr-
lichten den Ruhm des alten Fürſtenhauſes und das Wappenſchild mit
den Hirſchhörnern, von jenen Volksliedern an, welche einſt dem ver-
bannten wilden Ulrich zuriefen: „du biſt der recht natürlich Herr über’s
württembergiſche Land“, bis herab zu dem echt ſchwäbiſchen Gedichte des
jungen Schiller, das „Euch dort außen in der Welt“ drohend aufforderte,
vor dem Ruhme Eberhard des Greiners die Naſen einzuſpannen. Dabei
hallte das Land doch beſtändig wider von berechtigten und unberechtigten
Klagen gegen den Hof, und allgemein herrſchte die Anſicht, daß die ſchwä-
biſche Freiheit nur dann beſtehen könne, wenn der Herzog wie ein gefähr-
liches Raubthier ſorgſam im Käfig bewacht würde. Auf dem feſten Grunde
der Wehrpflicht und der Steuerpflicht erhob ſich in Preußen der moderne
deutſche Staat. In Württemberg aber beſtand noch ungebrochen die
Staatsgeſinnung des Mittelalters: alle Abgaben wurden nur als außer-
ordentliche Laſten für Zeiten der Noth betrachtet und die Befreiung vom
Waffendienſte galt als das koſtbarſte aller Landesprivilegien. Der un-
kriegeriſche Sinn, der dem Stillleben des altſtändiſchen deutſchen Staates
überall eigen war, trat kaum irgendwo unbefangener auf als unter den
friedlichen Prälaten und Bürgermeiſtern des Stuttgarter Landtags. Mit
zäher Beharrlichkeit verhinderten die Stände die Bildung einer ſtehenden
Truppenmacht, ſo daß ſchon der geduldige Herzog Chriſtoph klagte: „ſoll
mein Land ein Fürſtenthum ſein, ſo gehört dazu wie einen Fürſten mich
zu halten.“
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/314>, abgerufen am 16.07.2024.
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