Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe. hier nicht in der Stiftung gemeinnütziger Anstalten, in der Pflege desWohlstandes und der Bildung bethätigen, sondern allein in höfischem Prunk und gelegentlichen Gewaltstreichen. Die üppigen Schlösser des kleinen Hauses Württemberg wetteiferten mit den Prachtbauten der pol- nischen Auguste, wie der Hohentwiel und der Hohenasperg mit den Kerkern des Königsteins; die alte Landeshauptstadt verarmte, weil es der Dirne Eberhard Ludwigs, der Gräfin Grävenitz beliebt hatte, drei Stunden von dem lieblichen Thalkessel des Nesenbachs ein Trutz-Stuttgart zu erbauen, das öde Ludwigsburg, die pomphafteste und häßlichste unter den zahl- reichen künstlichen Residenzstädten Süddeutschlands. Unwürdige Günst- linge, der Jude Süß, Wittleder und Montmartin trieben ihr gieriges Unwesen am Hofe. Der ungeheure Wildstand der herzoglichen Forsten verwüstete die Felder des dichtbevölkerten, gesegneten Gaues; denn der Herzog war nur der Grundherr seines Kammergutes, was kümmerten ihn Wohl und Wehe des "Landes", das sich durch seinen Ausschuß, seine Stadtschreiber und Amtleute selbst regierte? Unter solchen Erfahrungen entstand im württembergischen Volke II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe. hier nicht in der Stiftung gemeinnütziger Anſtalten, in der Pflege desWohlſtandes und der Bildung bethätigen, ſondern allein in höfiſchem Prunk und gelegentlichen Gewaltſtreichen. Die üppigen Schlöſſer des kleinen Hauſes Württemberg wetteiferten mit den Prachtbauten der pol- niſchen Auguſte, wie der Hohentwiel und der Hohenaſperg mit den Kerkern des Königſteins; die alte Landeshauptſtadt verarmte, weil es der Dirne Eberhard Ludwigs, der Gräfin Grävenitz beliebt hatte, drei Stunden von dem lieblichen Thalkeſſel des Neſenbachs ein Trutz-Stuttgart zu erbauen, das öde Ludwigsburg, die pomphafteſte und häßlichſte unter den zahl- reichen künſtlichen Reſidenzſtädten Süddeutſchlands. Unwürdige Günſt- linge, der Jude Süß, Wittleder und Montmartin trieben ihr gieriges Unweſen am Hofe. Der ungeheure Wildſtand der herzoglichen Forſten verwüſtete die Felder des dichtbevölkerten, geſegneten Gaues; denn der Herzog war nur der Grundherr ſeines Kammergutes, was kümmerten ihn Wohl und Wehe des „Landes“, das ſich durch ſeinen Ausſchuß, ſeine Stadtſchreiber und Amtleute ſelbſt regierte? Unter ſolchen Erfahrungen entſtand im württembergiſchen Volke <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0314" n="300"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.</fw><lb/> hier nicht in der Stiftung gemeinnütziger Anſtalten, in der Pflege des<lb/> Wohlſtandes und der Bildung bethätigen, ſondern allein in höfiſchem<lb/> Prunk und gelegentlichen Gewaltſtreichen. Die üppigen Schlöſſer des<lb/> kleinen Hauſes Württemberg wetteiferten mit den Prachtbauten der pol-<lb/> niſchen Auguſte, wie der Hohentwiel und der Hohenaſperg mit den Kerkern<lb/> des Königſteins; die alte Landeshauptſtadt verarmte, weil es der Dirne<lb/> Eberhard Ludwigs, der Gräfin Grävenitz beliebt hatte, drei Stunden von<lb/> dem lieblichen Thalkeſſel des Neſenbachs ein Trutz-Stuttgart zu erbauen,<lb/> das öde Ludwigsburg, die pomphafteſte und häßlichſte unter den zahl-<lb/> reichen künſtlichen Reſidenzſtädten Süddeutſchlands. 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In Württemberg aber beſtand noch ungebrochen die<lb/> Staatsgeſinnung des Mittelalters: alle Abgaben wurden nur als außer-<lb/> ordentliche Laſten für Zeiten der Noth betrachtet und die Befreiung vom<lb/> Waffendienſte galt als das koſtbarſte aller Landesprivilegien. Der un-<lb/> kriegeriſche Sinn, der dem Stillleben des altſtändiſchen deutſchen Staates<lb/> überall eigen war, trat kaum irgendwo unbefangener auf als unter den<lb/> friedlichen Prälaten und Bürgermeiſtern des Stuttgarter Landtags. Mit<lb/> zäher Beharrlichkeit verhinderten die Stände die Bildung einer ſtehenden<lb/> Truppenmacht, ſo daß ſchon der geduldige Herzog Chriſtoph klagte: „ſoll<lb/> mein Land ein Fürſtenthum ſein, ſo gehört dazu wie einen Fürſten mich<lb/> zu halten.“</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [300/0314]
II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
hier nicht in der Stiftung gemeinnütziger Anſtalten, in der Pflege des
Wohlſtandes und der Bildung bethätigen, ſondern allein in höfiſchem
Prunk und gelegentlichen Gewaltſtreichen. Die üppigen Schlöſſer des
kleinen Hauſes Württemberg wetteiferten mit den Prachtbauten der pol-
niſchen Auguſte, wie der Hohentwiel und der Hohenaſperg mit den Kerkern
des Königſteins; die alte Landeshauptſtadt verarmte, weil es der Dirne
Eberhard Ludwigs, der Gräfin Grävenitz beliebt hatte, drei Stunden von
dem lieblichen Thalkeſſel des Neſenbachs ein Trutz-Stuttgart zu erbauen,
das öde Ludwigsburg, die pomphafteſte und häßlichſte unter den zahl-
reichen künſtlichen Reſidenzſtädten Süddeutſchlands. Unwürdige Günſt-
linge, der Jude Süß, Wittleder und Montmartin trieben ihr gieriges
Unweſen am Hofe. Der ungeheure Wildſtand der herzoglichen Forſten
verwüſtete die Felder des dichtbevölkerten, geſegneten Gaues; denn der
Herzog war nur der Grundherr ſeines Kammergutes, was kümmerten ihn
Wohl und Wehe des „Landes“, das ſich durch ſeinen Ausſchuß, ſeine
Stadtſchreiber und Amtleute ſelbſt regierte?
Unter ſolchen Erfahrungen entſtand im württembergiſchen Volke
jene eigenthümliche, aus dynaſtiſcher Anhänglichkeit und grollendem Miß-
trauen gemiſchte Staatsgeſinnung, deren Spuren noch heute nicht ver-
ſchwunden ſind. Wie oft hatte dies Land in ſchwerer Kriegsnoth dem
flüchtigen Herzog unerſchütterliche Treue bewährt; zahlloſe Geſänge verherr-
lichten den Ruhm des alten Fürſtenhauſes und das Wappenſchild mit
den Hirſchhörnern, von jenen Volksliedern an, welche einſt dem ver-
bannten wilden Ulrich zuriefen: „du biſt der recht natürlich Herr über’s
württembergiſche Land“, bis herab zu dem echt ſchwäbiſchen Gedichte des
jungen Schiller, das „Euch dort außen in der Welt“ drohend aufforderte,
vor dem Ruhme Eberhard des Greiners die Naſen einzuſpannen. Dabei
hallte das Land doch beſtändig wider von berechtigten und unberechtigten
Klagen gegen den Hof, und allgemein herrſchte die Anſicht, daß die ſchwä-
biſche Freiheit nur dann beſtehen könne, wenn der Herzog wie ein gefähr-
liches Raubthier ſorgſam im Käfig bewacht würde. Auf dem feſten Grunde
der Wehrpflicht und der Steuerpflicht erhob ſich in Preußen der moderne
deutſche Staat. In Württemberg aber beſtand noch ungebrochen die
Staatsgeſinnung des Mittelalters: alle Abgaben wurden nur als außer-
ordentliche Laſten für Zeiten der Noth betrachtet und die Befreiung vom
Waffendienſte galt als das koſtbarſte aller Landesprivilegien. Der un-
kriegeriſche Sinn, der dem Stillleben des altſtändiſchen deutſchen Staates
überall eigen war, trat kaum irgendwo unbefangener auf als unter den
friedlichen Prälaten und Bürgermeiſtern des Stuttgarter Landtags. Mit
zäher Beharrlichkeit verhinderten die Stände die Bildung einer ſtehenden
Truppenmacht, ſo daß ſchon der geduldige Herzog Chriſtoph klagte: „ſoll
mein Land ein Fürſtenthum ſein, ſo gehört dazu wie einen Fürſten mich
zu halten.“
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