Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.Fortschritte des Deutschthums am Rhein. des Landes, dem Königsforst und dem Frankenforst sprach. Von allenden hundertjährigen Eichen und Buchen stand keine einzige mehr; und was die Entwaldung der rauhen Höhen des Hunsrücks und der Eifel für das Klima und den Bodenbau bedeutete, das lernte man erst jetzt mit Schrecken kennen, wenn plötzlich nach einem Gewitter die Gießbäche vom Gebirg ins Moselthal herunterstürzten und in wenigen Augenblicken die Fruchterde hinwegschwemmten, welche der arme Winzer in monatelanger Arbeit die steilen Schieferfelsen hinauf getragen. Und welche Massen von Raubzeug hatte die lässige Jägerei der Wälschen aufwachsen lassen. Dicht hinter Bonn, im Kottenforst schoß man noch Wölfe; noch 1817 wurden ihrer 159 im Regierungsbezirk Trier erlegt. Der erste deutsche Forstmann jener Tage, Landforstmeister Hartig, kam selber von Berlin herüber; er hatte sich einst, in den Zeiten der großen Domänenverkäufe, ein bleibendes Verdienst um die alten Provinzen erworben, als er durch- setzte, daß die Wälder nicht mit veräußert wurden. Hier im Westen ver- suchte er zu retten was noch zu retten war; manche Aufforstung ward be- gonnen, eine strenge Forstpolizei eingeführt, die unter den Bauern viel Groll erregte; aber wer konnte den Winden wehren, die über das kahle Schiffelland der Eifel strichen? Die ungeheure Verwüstung war nie wieder ganz zu heilen. Bessere Früchte trug die Umgestaltung des Unterrichtswesens. Als Unhemmbar fluthete der Strom deutscher Bildung wieder über das be- *) J. Schulze, Denkschrift über die Kirche und Schule am Rhein, 31. Decbr. 1816.
Fortſchritte des Deutſchthums am Rhein. des Landes, dem Königsforſt und dem Frankenforſt ſprach. Von allenden hundertjährigen Eichen und Buchen ſtand keine einzige mehr; und was die Entwaldung der rauhen Höhen des Hunsrücks und der Eifel für das Klima und den Bodenbau bedeutete, das lernte man erſt jetzt mit Schrecken kennen, wenn plötzlich nach einem Gewitter die Gießbäche vom Gebirg ins Moſelthal herunterſtürzten und in wenigen Augenblicken die Fruchterde hinwegſchwemmten, welche der arme Winzer in monatelanger Arbeit die ſteilen Schieferfelſen hinauf getragen. Und welche Maſſen von Raubzeug hatte die läſſige Jägerei der Wälſchen aufwachſen laſſen. Dicht hinter Bonn, im Kottenforſt ſchoß man noch Wölfe; noch 1817 wurden ihrer 159 im Regierungsbezirk Trier erlegt. Der erſte deutſche Forſtmann jener Tage, Landforſtmeiſter Hartig, kam ſelber von Berlin herüber; er hatte ſich einſt, in den Zeiten der großen Domänenverkäufe, ein bleibendes Verdienſt um die alten Provinzen erworben, als er durch- ſetzte, daß die Wälder nicht mit veräußert wurden. Hier im Weſten ver- ſuchte er zu retten was noch zu retten war; manche Aufforſtung ward be- gonnen, eine ſtrenge Forſtpolizei eingeführt, die unter den Bauern viel Groll erregte; aber wer konnte den Winden wehren, die über das kahle Schiffelland der Eifel ſtrichen? Die ungeheure Verwüſtung war nie wieder ganz zu heilen. Beſſere Früchte trug die Umgeſtaltung des Unterrichtsweſens. Als Unhemmbar fluthete der Strom deutſcher Bildung wieder über das be- *) J. Schulze, Denkſchrift über die Kirche und Schule am Rhein, 31. Decbr. 1816.
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Fortſchritte des Deutſchthums am Rhein.
des Landes, dem Königsforſt und dem Frankenforſt ſprach. Von allen
den hundertjährigen Eichen und Buchen ſtand keine einzige mehr; und
was die Entwaldung der rauhen Höhen des Hunsrücks und der Eifel für
das Klima und den Bodenbau bedeutete, das lernte man erſt jetzt mit
Schrecken kennen, wenn plötzlich nach einem Gewitter die Gießbäche vom
Gebirg ins Moſelthal herunterſtürzten und in wenigen Augenblicken die
Fruchterde hinwegſchwemmten, welche der arme Winzer in monatelanger
Arbeit die ſteilen Schieferfelſen hinauf getragen. Und welche Maſſen
von Raubzeug hatte die läſſige Jägerei der Wälſchen aufwachſen laſſen.
Dicht hinter Bonn, im Kottenforſt ſchoß man noch Wölfe; noch 1817
wurden ihrer 159 im Regierungsbezirk Trier erlegt. Der erſte deutſche
Forſtmann jener Tage, Landforſtmeiſter Hartig, kam ſelber von Berlin
herüber; er hatte ſich einſt, in den Zeiten der großen Domänenverkäufe,
ein bleibendes Verdienſt um die alten Provinzen erworben, als er durch-
ſetzte, daß die Wälder nicht mit veräußert wurden. Hier im Weſten ver-
ſuchte er zu retten was noch zu retten war; manche Aufforſtung ward be-
gonnen, eine ſtrenge Forſtpolizei eingeführt, die unter den Bauern viel
Groll erregte; aber wer konnte den Winden wehren, die über das kahle
Schiffelland der Eifel ſtrichen? Die ungeheure Verwüſtung war nie wieder
ganz zu heilen.
Beſſere Früchte trug die Umgeſtaltung des Unterrichtsweſens. Als
die Preußen einzogen, fand Joh. Schulze die Schule „ruchlos vernach-
läſſigt.“ *) Da der franzöſiſche Staat den Volksſchulen niemals eine Unter-
ſtützung gewährte, ſo beſaß mehr als ein Drittel der Gemeinden gar keine
Schule, viele Bauerſchaften meinten genug zu thun, wenn ſie einem Wan-
derlehrer im Winter vier Monate lang einen Platz auf einer Tenne ein-
räumten. Drei Fünftel der Kinder wuchſen ohne jeden Unterricht auf.
Auch die niederen Lehranſtalten der Städte erhoben ſich ſelten über die
Leiſtungen jener berufenen altbiſchöflichen Schulen, welche den bezeichnenden
Namen Silentium führten; nur da und dort hatte ein tapferer Pädagog,
wie der Kreuznacher Rector Weinmann, in ſchwerem Kampfe mit den
franzöſiſchen Behörden, deutſchen Geiſt unter ſeinen Schülern wach er-
halten. Welch eine Arbeit, bis hier der preußiſche Grundſatz der allge-
meinen Schulpflicht zur Wahrheit wurde. Die Wohlthat kam vor Allen
den Katholiken zu gute, deren Schulen am tiefſten darniederlagen; aber
die neuen Lehrer aus dem Seminar zu Trier hatten oft einen harten
Stand, da viele der rheiniſchen Pfarrer einſt Mönche geweſen und den
Anſchauungen des Kloſters nicht entwachſen waren.
Unhemmbar fluthete der Strom deutſcher Bildung wieder über das be-
freite Grenzland herein. Bis vor Kurzem war das geſammte Rheinland,
ſelbſt das rechte Ufer, für den deutſchen Buchhandel noch ein todtes Gebiet,
*) J. Schulze, Denkſchrift über die Kirche und Schule am Rhein, 31. Decbr. 1816.
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