Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

Die evangelische Union.
Kirchen für das christliche Bewußtsein der Gegenwart nicht mehr die alte
Bedeutung besaßen. An seinem Berufe zur Begründung der Union zweifelte
der König niemals. Denn er dachte hoch von den Pflichten des landes-
herrlichen Kirchenregiments, er wußte, daß die protestantische Kirche Deutsch-
lands manche der Tugenden, die sie vor dem harten Sektengeiste der Nach-
barlande voraus hatte, ihre weitherzige Duldsamkeit und ihren freieren
Weltsinn zum guten Theile ihrer Verbindung mit der Staatsgewalt ver-
dankte; die unabhängige Gemeindeverfassung des Calvinismus kannte und
liebte er wenig.

Schon nach dem ersten Pariser Frieden wurde eine theologische Com-
mission beauftragt, eine gemeinsame Liturgie für die Protestanten Preußens
festzustellen; nicht würdiger als durch die Versöhnung des alten Bruder-
zwistes glaubte der fromme Fürst seinen Dank für die Wunder dieses
Krieges erweisen zu können. Nun kam das dritte Jubeljahr der Refor-
mation. Marheinekes Reformationsgeschichte und zahlreiche andre Schriften
erinnerten die freudig erregte protestantische Welt wieder an die ersten,
beiden Kirchen gleich theuren Thaten Martin Luthers; in Nassau, wo die
großen Ueberlieferungen des duldsamen oranischen Heldengeschlechts noch
fortlebten, traten die Gemeinden beider Bekenntnisse zu einer Landeskirche
zusammen. Jetzt schien auch dem Könige die Stunde der Entscheidung ge-
kommen. Er selber wollte als vornehmstes Glied der Kirche zu seinem
Volke sprechen -- denn er wisse, daß der Bürger, der Bauer und die
Armee auf das Wort ihres Königs noch etwas gäben -- und begnügte
sich mit den einfachen praktischen Vorschlägen, welche Bischof Sack schon
vor fünf Jahren in seiner Schrift über die Vereinigung der protestanti-
schen Kirchenparteien empfohlen hatte. Genug, wenn das Abendmahl in
sämmtlichen evangelischen Kirchen gleichmäßig nach dem alten biblischen
Ritus allen Protestanten gespendet und die Geistlichen beider Bekenntnisse
ohne Unterschied zu allen Predigerstellen zugelassen wurden; aus dieser
äußeren Vereinigung, die den Gewissen keine Gewalt anthat, konnte
dann im Laufe der Jahre die lebendige Gemeinschaft der Gemüther er-
wachsen.

Bei den Vorarbeiten ging dem Monarchen sein Hofbischof Eylert
an die Hand, eine jener schmiegsamen Prälatennaturen, welche der Kirche
freilich nicht durch den Muth des Bekenners voranleuchten, doch zuweilen,
wie Thomas Cranmer, bei einem Werke der Vermittlung ihr unentbehr-
lich werden. Der gewandte Hofmann hatte schon daheim in der Graf-
schaft Mark, wo die beiden Confessionen bunt durch einander wohnten,
den Boden für die Union wohl vorbereitet gefunden und stand den Ge-
danken der Presbyterialverfassung näher als der König; in seinen dogma-
tischen Anschauungen kam er niemals weit über den alten Rationalismus
hinaus. Er entwarf nunmehr eine Ansprache des Monarchen an die
Consistorien, die den ersten Theologen Berlins zur Prüfung vorgelegt und

Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 16

Die evangeliſche Union.
Kirchen für das chriſtliche Bewußtſein der Gegenwart nicht mehr die alte
Bedeutung beſaßen. An ſeinem Berufe zur Begründung der Union zweifelte
der König niemals. Denn er dachte hoch von den Pflichten des landes-
herrlichen Kirchenregiments, er wußte, daß die proteſtantiſche Kirche Deutſch-
lands manche der Tugenden, die ſie vor dem harten Sektengeiſte der Nach-
barlande voraus hatte, ihre weitherzige Duldſamkeit und ihren freieren
Weltſinn zum guten Theile ihrer Verbindung mit der Staatsgewalt ver-
dankte; die unabhängige Gemeindeverfaſſung des Calvinismus kannte und
liebte er wenig.

Schon nach dem erſten Pariſer Frieden wurde eine theologiſche Com-
miſſion beauftragt, eine gemeinſame Liturgie für die Proteſtanten Preußens
feſtzuſtellen; nicht würdiger als durch die Verſöhnung des alten Bruder-
zwiſtes glaubte der fromme Fürſt ſeinen Dank für die Wunder dieſes
Krieges erweiſen zu können. Nun kam das dritte Jubeljahr der Refor-
mation. Marheinekes Reformationsgeſchichte und zahlreiche andre Schriften
erinnerten die freudig erregte proteſtantiſche Welt wieder an die erſten,
beiden Kirchen gleich theuren Thaten Martin Luthers; in Naſſau, wo die
großen Ueberlieferungen des duldſamen oraniſchen Heldengeſchlechts noch
fortlebten, traten die Gemeinden beider Bekenntniſſe zu einer Landeskirche
zuſammen. Jetzt ſchien auch dem Könige die Stunde der Entſcheidung ge-
kommen. Er ſelber wollte als vornehmſtes Glied der Kirche zu ſeinem
Volke ſprechen — denn er wiſſe, daß der Bürger, der Bauer und die
Armee auf das Wort ihres Königs noch etwas gäben — und begnügte
ſich mit den einfachen praktiſchen Vorſchlägen, welche Biſchof Sack ſchon
vor fünf Jahren in ſeiner Schrift über die Vereinigung der proteſtanti-
ſchen Kirchenparteien empfohlen hatte. Genug, wenn das Abendmahl in
ſämmtlichen evangeliſchen Kirchen gleichmäßig nach dem alten bibliſchen
Ritus allen Proteſtanten geſpendet und die Geiſtlichen beider Bekenntniſſe
ohne Unterſchied zu allen Predigerſtellen zugelaſſen wurden; aus dieſer
äußeren Vereinigung, die den Gewiſſen keine Gewalt anthat, konnte
dann im Laufe der Jahre die lebendige Gemeinſchaft der Gemüther er-
wachſen.

Bei den Vorarbeiten ging dem Monarchen ſein Hofbiſchof Eylert
an die Hand, eine jener ſchmiegſamen Prälatennaturen, welche der Kirche
freilich nicht durch den Muth des Bekenners voranleuchten, doch zuweilen,
wie Thomas Cranmer, bei einem Werke der Vermittlung ihr unentbehr-
lich werden. Der gewandte Hofmann hatte ſchon daheim in der Graf-
ſchaft Mark, wo die beiden Confeſſionen bunt durch einander wohnten,
den Boden für die Union wohl vorbereitet gefunden und ſtand den Ge-
danken der Presbyterialverfaſſung näher als der König; in ſeinen dogma-
tiſchen Anſchauungen kam er niemals weit über den alten Rationalismus
hinaus. Er entwarf nunmehr eine Anſprache des Monarchen an die
Conſiſtorien, die den erſten Theologen Berlins zur Prüfung vorgelegt und

Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 16
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0255" n="241"/><fw place="top" type="header">Die evangeli&#x017F;che Union.</fw><lb/>
Kirchen für das chri&#x017F;tliche Bewußt&#x017F;ein der Gegenwart nicht mehr die alte<lb/>
Bedeutung be&#x017F;aßen. An &#x017F;einem Berufe zur Begründung der Union zweifelte<lb/>
der König niemals. Denn er dachte hoch von den Pflichten des landes-<lb/>
herrlichen Kirchenregiments, er wußte, daß die prote&#x017F;tanti&#x017F;che Kirche Deut&#x017F;ch-<lb/>
lands manche der Tugenden, die &#x017F;ie vor dem harten Sektengei&#x017F;te der Nach-<lb/>
barlande voraus hatte, ihre weitherzige Duld&#x017F;amkeit und ihren freieren<lb/>
Welt&#x017F;inn zum guten Theile ihrer Verbindung mit der Staatsgewalt ver-<lb/>
dankte; die unabhängige Gemeindeverfa&#x017F;&#x017F;ung des Calvinismus kannte und<lb/>
liebte er wenig.</p><lb/>
          <p>Schon nach dem er&#x017F;ten Pari&#x017F;er Frieden wurde eine theologi&#x017F;che Com-<lb/>
mi&#x017F;&#x017F;ion beauftragt, eine gemein&#x017F;ame Liturgie für die Prote&#x017F;tanten Preußens<lb/>
fe&#x017F;tzu&#x017F;tellen; nicht würdiger als durch die Ver&#x017F;öhnung des alten Bruder-<lb/>
zwi&#x017F;tes glaubte der fromme Für&#x017F;t &#x017F;einen Dank für die Wunder die&#x017F;es<lb/>
Krieges erwei&#x017F;en zu können. Nun kam das dritte Jubeljahr der Refor-<lb/>
mation. Marheinekes Reformationsge&#x017F;chichte und zahlreiche andre Schriften<lb/>
erinnerten die freudig erregte prote&#x017F;tanti&#x017F;che Welt wieder an die er&#x017F;ten,<lb/>
beiden Kirchen gleich theuren Thaten Martin Luthers; in Na&#x017F;&#x017F;au, wo die<lb/>
großen Ueberlieferungen des duld&#x017F;amen orani&#x017F;chen Heldenge&#x017F;chlechts noch<lb/>
fortlebten, traten die Gemeinden beider Bekenntni&#x017F;&#x017F;e zu einer Landeskirche<lb/>
zu&#x017F;ammen. Jetzt &#x017F;chien auch dem Könige die Stunde der Ent&#x017F;cheidung ge-<lb/>
kommen. Er &#x017F;elber wollte als vornehm&#x017F;tes Glied der Kirche zu &#x017F;einem<lb/>
Volke &#x017F;prechen &#x2014; denn er wi&#x017F;&#x017F;e, daß der Bürger, der Bauer und die<lb/>
Armee auf das Wort ihres Königs noch etwas gäben &#x2014; und begnügte<lb/>
&#x017F;ich mit den einfachen prakti&#x017F;chen Vor&#x017F;chlägen, welche Bi&#x017F;chof Sack &#x017F;chon<lb/>
vor fünf Jahren in &#x017F;einer Schrift über die Vereinigung der prote&#x017F;tanti-<lb/>
&#x017F;chen Kirchenparteien empfohlen hatte. Genug, wenn das Abendmahl in<lb/>
&#x017F;ämmtlichen evangeli&#x017F;chen Kirchen gleichmäßig nach dem alten bibli&#x017F;chen<lb/>
Ritus allen Prote&#x017F;tanten ge&#x017F;pendet und die Gei&#x017F;tlichen beider Bekenntni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
ohne Unter&#x017F;chied zu allen Prediger&#x017F;tellen zugela&#x017F;&#x017F;en wurden; aus die&#x017F;er<lb/>
äußeren Vereinigung, die den Gewi&#x017F;&#x017F;en keine Gewalt anthat, konnte<lb/>
dann im Laufe der Jahre die lebendige Gemein&#x017F;chaft der Gemüther er-<lb/>
wach&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Bei den Vorarbeiten ging dem Monarchen &#x017F;ein Hofbi&#x017F;chof Eylert<lb/>
an die Hand, eine jener &#x017F;chmieg&#x017F;amen Prälatennaturen, welche der Kirche<lb/>
freilich nicht durch den Muth des Bekenners voranleuchten, doch zuweilen,<lb/>
wie Thomas Cranmer, bei einem Werke der Vermittlung ihr unentbehr-<lb/>
lich werden. Der gewandte Hofmann hatte &#x017F;chon daheim in der Graf-<lb/>
&#x017F;chaft Mark, wo die beiden Confe&#x017F;&#x017F;ionen bunt durch einander wohnten,<lb/>
den Boden für die Union wohl vorbereitet gefunden und &#x017F;tand den Ge-<lb/>
danken der Presbyterialverfa&#x017F;&#x017F;ung näher als der König; in &#x017F;einen dogma-<lb/>
ti&#x017F;chen An&#x017F;chauungen kam er niemals weit über den alten Rationalismus<lb/>
hinaus. Er entwarf nunmehr eine An&#x017F;prache des Monarchen an die<lb/>
Con&#x017F;i&#x017F;torien, die den er&#x017F;ten Theologen Berlins zur Prüfung vorgelegt und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Treit&#x017F;chke</hi>, Deut&#x017F;che Ge&#x017F;chichte. <hi rendition="#aq">II.</hi> 16</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[241/0255] Die evangeliſche Union. Kirchen für das chriſtliche Bewußtſein der Gegenwart nicht mehr die alte Bedeutung beſaßen. An ſeinem Berufe zur Begründung der Union zweifelte der König niemals. Denn er dachte hoch von den Pflichten des landes- herrlichen Kirchenregiments, er wußte, daß die proteſtantiſche Kirche Deutſch- lands manche der Tugenden, die ſie vor dem harten Sektengeiſte der Nach- barlande voraus hatte, ihre weitherzige Duldſamkeit und ihren freieren Weltſinn zum guten Theile ihrer Verbindung mit der Staatsgewalt ver- dankte; die unabhängige Gemeindeverfaſſung des Calvinismus kannte und liebte er wenig. Schon nach dem erſten Pariſer Frieden wurde eine theologiſche Com- miſſion beauftragt, eine gemeinſame Liturgie für die Proteſtanten Preußens feſtzuſtellen; nicht würdiger als durch die Verſöhnung des alten Bruder- zwiſtes glaubte der fromme Fürſt ſeinen Dank für die Wunder dieſes Krieges erweiſen zu können. Nun kam das dritte Jubeljahr der Refor- mation. Marheinekes Reformationsgeſchichte und zahlreiche andre Schriften erinnerten die freudig erregte proteſtantiſche Welt wieder an die erſten, beiden Kirchen gleich theuren Thaten Martin Luthers; in Naſſau, wo die großen Ueberlieferungen des duldſamen oraniſchen Heldengeſchlechts noch fortlebten, traten die Gemeinden beider Bekenntniſſe zu einer Landeskirche zuſammen. Jetzt ſchien auch dem Könige die Stunde der Entſcheidung ge- kommen. Er ſelber wollte als vornehmſtes Glied der Kirche zu ſeinem Volke ſprechen — denn er wiſſe, daß der Bürger, der Bauer und die Armee auf das Wort ihres Königs noch etwas gäben — und begnügte ſich mit den einfachen praktiſchen Vorſchlägen, welche Biſchof Sack ſchon vor fünf Jahren in ſeiner Schrift über die Vereinigung der proteſtanti- ſchen Kirchenparteien empfohlen hatte. Genug, wenn das Abendmahl in ſämmtlichen evangeliſchen Kirchen gleichmäßig nach dem alten bibliſchen Ritus allen Proteſtanten geſpendet und die Geiſtlichen beider Bekenntniſſe ohne Unterſchied zu allen Predigerſtellen zugelaſſen wurden; aus dieſer äußeren Vereinigung, die den Gewiſſen keine Gewalt anthat, konnte dann im Laufe der Jahre die lebendige Gemeinſchaft der Gemüther er- wachſen. Bei den Vorarbeiten ging dem Monarchen ſein Hofbiſchof Eylert an die Hand, eine jener ſchmiegſamen Prälatennaturen, welche der Kirche freilich nicht durch den Muth des Bekenners voranleuchten, doch zuweilen, wie Thomas Cranmer, bei einem Werke der Vermittlung ihr unentbehr- lich werden. Der gewandte Hofmann hatte ſchon daheim in der Graf- ſchaft Mark, wo die beiden Confeſſionen bunt durch einander wohnten, den Boden für die Union wohl vorbereitet gefunden und ſtand den Ge- danken der Presbyterialverfaſſung näher als der König; in ſeinen dogma- tiſchen Anſchauungen kam er niemals weit über den alten Rationalismus hinaus. Er entwarf nunmehr eine Anſprache des Monarchen an die Conſiſtorien, die den erſten Theologen Berlins zur Prüfung vorgelegt und Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 16

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/255
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/255>, abgerufen am 11.05.2024.