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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
Schulgesetz entwerfen sollte, aus Mitgliedern aller Ministerien zusammen-
gesetzt; auch das Kriegsministerium war durch General Wolzogen ver-
treten.

Nach zwanzig Monaten, am 27. Juni 1819 kam ein reiflich durch-
dachter Entwurf zu Stande -- das erste jener zahlreichen Unterrichts-
gesetze, an denen der preußische Staat sich bis zum heutigen Tage ver-
geblich abgemüht hat. Aber als der Minister nunmehr die Gutachten
der Oberpräsidenten und der Bischöfe einforderte, da mußte er erfahren,
daß auf dem streitigen Grenzgebiete zwischen Staat und Kirche eine wohl-
wollende Praxis leichter zum Ziele gelangt als die unanfechtbare Doctrin.
Die vielen allgemeinen Sätze des Entwurfs erregten einen Sturm wider-
sprechender Ansichten. Ueber die Theilnahme der Kirche am Schulwesen
konnte man sich theoretisch nicht verständigen, da die Bischöfe den Volks-
unterricht als causa ecclesiastica betrachteten, die Oberpräsidenten über
unbillige Begünstigung der Kirche klagten. Und zudem die heiklige Frage,
wie die winzigen Dörfer des Ostens die schwere Schullast aufbringen
sollten. So blieb der Entwurf liegen, und Altenstein erklärte dem Monarchen,
er werde vorläufig "die Schulordnung gewissermaßen vorbereitend ins
Leben setzen". Und diese thatsächliche Ausführung entsprach im Wesent-
lichen den Bedürfnissen der Zeit. Der Minister behandelte die Schulen
gemäß der Vorschrift des Allgemeinen Landrechts (Thl. II. Tit. 12) durch-
aus als Veranstaltungen des Staates und hielt unverbrüchlich die drei
Grundgedanken der fridericianischen Unterrichtspolitik fest: den allgemeinen
Schulzwang, die Parität der Bekenntnisse, die Vertheilung der Schul-
lasten auf alle Hausväter des Schulverbandes. Der Religionsunterricht
blieb nach wie vor die erste Pflicht der Elementarschule, und er sollte sich
streng an das kirchliche Bekenntniß der Mehrheit der Schulgemeinde an-
schließen; der Ortsgeistliche gehörte regelmäßig dem Schulvorstande an
und war befugt die Mängel zu rügen, aber die Entscheidung stand dem
Staate allein zu. Die Simultanschulen begünstigte der philosophische
Minister nicht; er wußte, wie oft sie den kirchlichen Frieden stören, die
Klarheit und Einheit des Unterrichts schädigen, und gestattete sie nur
wenn eine gemischte Gemeinde nicht im Stande war für jedes Bekenntniß
eine besondere Schule zu errichten. Auch die Lehrer der höheren Schulen
gehörten in der Regel einem Bekenntniß an; doch band sich Altenstein
nicht die Hände und berief, so lange noch an katholischen Lehrern Mangel
war, manche Protestanten an die katholischen Gymnasien des Rheinlands.
Die Juden blieben von den Lehrstellen der christlichen Unterrichtsanstalten
gesetzlich ausgeschlossen. Also gelang es die Souveränität des Staates zu
wahren ohne das gute. Recht der Kirche zu verletzen. Reibungen mit den
kirchlichen Behörden kamen selten vor, da die Folgen der Freizügigkeit sich
erst allmählich zeigten und die Zahl der gemischten Schulgemeinden noch
nicht sehr groß war. --

II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
Schulgeſetz entwerfen ſollte, aus Mitgliedern aller Miniſterien zuſammen-
geſetzt; auch das Kriegsminiſterium war durch General Wolzogen ver-
treten.

Nach zwanzig Monaten, am 27. Juni 1819 kam ein reiflich durch-
dachter Entwurf zu Stande — das erſte jener zahlreichen Unterrichts-
geſetze, an denen der preußiſche Staat ſich bis zum heutigen Tage ver-
geblich abgemüht hat. Aber als der Miniſter nunmehr die Gutachten
der Oberpräſidenten und der Biſchöfe einforderte, da mußte er erfahren,
daß auf dem ſtreitigen Grenzgebiete zwiſchen Staat und Kirche eine wohl-
wollende Praxis leichter zum Ziele gelangt als die unanfechtbare Doctrin.
Die vielen allgemeinen Sätze des Entwurfs erregten einen Sturm wider-
ſprechender Anſichten. Ueber die Theilnahme der Kirche am Schulweſen
konnte man ſich theoretiſch nicht verſtändigen, da die Biſchöfe den Volks-
unterricht als causa ecclesiastica betrachteten, die Oberpräſidenten über
unbillige Begünſtigung der Kirche klagten. Und zudem die heiklige Frage,
wie die winzigen Dörfer des Oſtens die ſchwere Schullaſt aufbringen
ſollten. So blieb der Entwurf liegen, und Altenſtein erklärte dem Monarchen,
er werde vorläufig „die Schulordnung gewiſſermaßen vorbereitend ins
Leben ſetzen“. Und dieſe thatſächliche Ausführung entſprach im Weſent-
lichen den Bedürfniſſen der Zeit. Der Miniſter behandelte die Schulen
gemäß der Vorſchrift des Allgemeinen Landrechts (Thl. II. Tit. 12) durch-
aus als Veranſtaltungen des Staates und hielt unverbrüchlich die drei
Grundgedanken der fridericianiſchen Unterrichtspolitik feſt: den allgemeinen
Schulzwang, die Parität der Bekenntniſſe, die Vertheilung der Schul-
laſten auf alle Hausväter des Schulverbandes. Der Religionsunterricht
blieb nach wie vor die erſte Pflicht der Elementarſchule, und er ſollte ſich
ſtreng an das kirchliche Bekenntniß der Mehrheit der Schulgemeinde an-
ſchließen; der Ortsgeiſtliche gehörte regelmäßig dem Schulvorſtande an
und war befugt die Mängel zu rügen, aber die Entſcheidung ſtand dem
Staate allein zu. Die Simultanſchulen begünſtigte der philoſophiſche
Miniſter nicht; er wußte, wie oft ſie den kirchlichen Frieden ſtören, die
Klarheit und Einheit des Unterrichts ſchädigen, und geſtattete ſie nur
wenn eine gemiſchte Gemeinde nicht im Stande war für jedes Bekenntniß
eine beſondere Schule zu errichten. Auch die Lehrer der höheren Schulen
gehörten in der Regel einem Bekenntniß an; doch band ſich Altenſtein
nicht die Hände und berief, ſo lange noch an katholiſchen Lehrern Mangel
war, manche Proteſtanten an die katholiſchen Gymnaſien des Rheinlands.
Die Juden blieben von den Lehrſtellen der chriſtlichen Unterrichtsanſtalten
geſetzlich ausgeſchloſſen. Alſo gelang es die Souveränität des Staates zu
wahren ohne das gute. Recht der Kirche zu verletzen. Reibungen mit den
kirchlichen Behörden kamen ſelten vor, da die Folgen der Freizügigkeit ſich
erſt allmählich zeigten und die Zahl der gemiſchten Schulgemeinden noch
nicht ſehr groß war. —

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[238/0252] II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates. Schulgeſetz entwerfen ſollte, aus Mitgliedern aller Miniſterien zuſammen- geſetzt; auch das Kriegsminiſterium war durch General Wolzogen ver- treten. Nach zwanzig Monaten, am 27. Juni 1819 kam ein reiflich durch- dachter Entwurf zu Stande — das erſte jener zahlreichen Unterrichts- geſetze, an denen der preußiſche Staat ſich bis zum heutigen Tage ver- geblich abgemüht hat. Aber als der Miniſter nunmehr die Gutachten der Oberpräſidenten und der Biſchöfe einforderte, da mußte er erfahren, daß auf dem ſtreitigen Grenzgebiete zwiſchen Staat und Kirche eine wohl- wollende Praxis leichter zum Ziele gelangt als die unanfechtbare Doctrin. Die vielen allgemeinen Sätze des Entwurfs erregten einen Sturm wider- ſprechender Anſichten. Ueber die Theilnahme der Kirche am Schulweſen konnte man ſich theoretiſch nicht verſtändigen, da die Biſchöfe den Volks- unterricht als causa ecclesiastica betrachteten, die Oberpräſidenten über unbillige Begünſtigung der Kirche klagten. Und zudem die heiklige Frage, wie die winzigen Dörfer des Oſtens die ſchwere Schullaſt aufbringen ſollten. So blieb der Entwurf liegen, und Altenſtein erklärte dem Monarchen, er werde vorläufig „die Schulordnung gewiſſermaßen vorbereitend ins Leben ſetzen“. Und dieſe thatſächliche Ausführung entſprach im Weſent- lichen den Bedürfniſſen der Zeit. Der Miniſter behandelte die Schulen gemäß der Vorſchrift des Allgemeinen Landrechts (Thl. II. Tit. 12) durch- aus als Veranſtaltungen des Staates und hielt unverbrüchlich die drei Grundgedanken der fridericianiſchen Unterrichtspolitik feſt: den allgemeinen Schulzwang, die Parität der Bekenntniſſe, die Vertheilung der Schul- laſten auf alle Hausväter des Schulverbandes. Der Religionsunterricht blieb nach wie vor die erſte Pflicht der Elementarſchule, und er ſollte ſich ſtreng an das kirchliche Bekenntniß der Mehrheit der Schulgemeinde an- ſchließen; der Ortsgeiſtliche gehörte regelmäßig dem Schulvorſtande an und war befugt die Mängel zu rügen, aber die Entſcheidung ſtand dem Staate allein zu. Die Simultanſchulen begünſtigte der philoſophiſche Miniſter nicht; er wußte, wie oft ſie den kirchlichen Frieden ſtören, die Klarheit und Einheit des Unterrichts ſchädigen, und geſtattete ſie nur wenn eine gemiſchte Gemeinde nicht im Stande war für jedes Bekenntniß eine beſondere Schule zu errichten. Auch die Lehrer der höheren Schulen gehörten in der Regel einem Bekenntniß an; doch band ſich Altenſtein nicht die Hände und berief, ſo lange noch an katholiſchen Lehrern Mangel war, manche Proteſtanten an die katholiſchen Gymnaſien des Rheinlands. Die Juden blieben von den Lehrſtellen der chriſtlichen Unterrichtsanſtalten geſetzlich ausgeſchloſſen. Alſo gelang es die Souveränität des Staates zu wahren ohne das gute. Recht der Kirche zu verletzen. Reibungen mit den kirchlichen Behörden kamen ſelten vor, da die Folgen der Freizügigkeit ſich erſt allmählich zeigten und die Zahl der gemiſchten Schulgemeinden noch nicht ſehr groß war. —

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/252>, abgerufen am 24.11.2024.