lehrsamkeit, die sächsischen Fürstenschulen und die württembergischen Klo- sterschulen, entließen ihre Primaner zur Universität sobald die Lehrer die Zeit gekommen glaubten, und der Staat meisterte sie nicht. Auch zum Eintritt in den Staats- und Kirchendienst der Kleinstaaten wurden die jungen Männer, wenn sie von der Hochschule heimkehrten, meist noch nach der alten patriarchalischen Weise, durch Gunst und Empfehlung zu- gelassen. Nur in Preußen hatte sich schon seit der Verwaltungsorgani- sation Friedrich Wilhelms I. ein System geregelter Staatsprüfungen aus- gebildet, und von hier drang diese mechanische Ordnung, die allerdings gerechter und durch die mannichfaltigen Verhältnisse eines Großstaates geboten war, allmählich in die kleineren Staaten hinüber. Doch wurden auch hier noch mäßige Anforderungen gestellt, da der Staat für seine neuen Provinzen viele junge Beamte brauchte. Der idealistische Zug der Zeit ließ das ängstliche Brotstudium nicht aufkommen. Die Jugend ge- noß noch der ungetrübten akademischen Freiheit; Jeder hörte und lernte wozu der Geist ihn trieb, wenn er nicht vorzog die goldenen Burschen- tage ganz und gar in unbändigem Genusse zu durchschwelgen.
So lebten die kleinen gelehrten Republiken dahin, glückliche Frei- stätten der vollkommenen geselligen Gleichheit und Ungebundenheit, wie emporgehoben über die gemeine Bedürftigkeit des Lebens. Große Talente, die in jedem anderen Lande eine weite Bühne für ihr Wirken verlangt hätten, fühlten sich glücklich in der Armuth und Enge dieser kleinen Uni- versitätsstädte mit ihren alten Schlössern und winkligen Gassen, wo jedes Haus an einen lustigen Burschenwitz oder an einen berühmten Gelehrten erinnerte. Hier war die Wissenschaft Alles; umgeben von der Verehrung dankbarer Zuhörer blickte der Gelehrte mit naivem Selbstgefühl um sich. Oft platzten die Geister rechthaberisch, nach deutscher Weise, aufeinander; der wissenschaftliche Gegner ward leicht wie ein Tempelschänder angesehen, da Jeder mit ganzem Herzen an seiner Forschung hing. Jedoch der ge- meine Ehrgeiz ergriff diese schlichten, genügsamen Menschen wenig. Sie rechneten sich's zur Ehre den Glanz und das Behagen des äußeren Da- seins zu verachten; sie glaubten noch alle an den stolzen Ausspruch Schil- lers: "und am Ende sind wir ja Idealisten und würden uns schämen uns nachsagen zu lassen, daß uns die Dinge formten und nicht wir die Dinge."
Noch nach Jahrzehnten erzählte man in Tübingen von dem reichen Buchhändler Cotta, der zuerst den unerhörten Luxus eines Sophas in die anspruchslose Musenstadt eingeführt hatte. Die jugendliche Unfertig- keit unserer Cultur, die von vielseitiger großstädtischer Geselligkeit noch nichts wußte, kam der Andacht, der friedlichen Sammlung des wissen- schaftlichen Arbeitens zu gute. Wie einst die classische Dichtung so blieb auch die neue Forschung in stolzer Freiheit, fast unberührt von Hofgunst und amtlichem Einfluß; selbst die hereinbrechende Demagogenverfolgung
Die Univerſitäten.
lehrſamkeit, die ſächſiſchen Fürſtenſchulen und die württembergiſchen Klo- ſterſchulen, entließen ihre Primaner zur Univerſität ſobald die Lehrer die Zeit gekommen glaubten, und der Staat meiſterte ſie nicht. Auch zum Eintritt in den Staats- und Kirchendienſt der Kleinſtaaten wurden die jungen Männer, wenn ſie von der Hochſchule heimkehrten, meiſt noch nach der alten patriarchaliſchen Weiſe, durch Gunſt und Empfehlung zu- gelaſſen. Nur in Preußen hatte ſich ſchon ſeit der Verwaltungsorgani- ſation Friedrich Wilhelms I. ein Syſtem geregelter Staatsprüfungen aus- gebildet, und von hier drang dieſe mechaniſche Ordnung, die allerdings gerechter und durch die mannichfaltigen Verhältniſſe eines Großſtaates geboten war, allmählich in die kleineren Staaten hinüber. Doch wurden auch hier noch mäßige Anforderungen geſtellt, da der Staat für ſeine neuen Provinzen viele junge Beamte brauchte. Der idealiſtiſche Zug der Zeit ließ das ängſtliche Brotſtudium nicht aufkommen. Die Jugend ge- noß noch der ungetrübten akademiſchen Freiheit; Jeder hörte und lernte wozu der Geiſt ihn trieb, wenn er nicht vorzog die goldenen Burſchen- tage ganz und gar in unbändigem Genuſſe zu durchſchwelgen.
So lebten die kleinen gelehrten Republiken dahin, glückliche Frei- ſtätten der vollkommenen geſelligen Gleichheit und Ungebundenheit, wie emporgehoben über die gemeine Bedürftigkeit des Lebens. Große Talente, die in jedem anderen Lande eine weite Bühne für ihr Wirken verlangt hätten, fühlten ſich glücklich in der Armuth und Enge dieſer kleinen Uni- verſitätsſtädte mit ihren alten Schlöſſern und winkligen Gaſſen, wo jedes Haus an einen luſtigen Burſchenwitz oder an einen berühmten Gelehrten erinnerte. Hier war die Wiſſenſchaft Alles; umgeben von der Verehrung dankbarer Zuhörer blickte der Gelehrte mit naivem Selbſtgefühl um ſich. Oft platzten die Geiſter rechthaberiſch, nach deutſcher Weiſe, aufeinander; der wiſſenſchaftliche Gegner ward leicht wie ein Tempelſchänder angeſehen, da Jeder mit ganzem Herzen an ſeiner Forſchung hing. Jedoch der ge- meine Ehrgeiz ergriff dieſe ſchlichten, genügſamen Menſchen wenig. Sie rechneten ſich’s zur Ehre den Glanz und das Behagen des äußeren Da- ſeins zu verachten; ſie glaubten noch alle an den ſtolzen Ausſpruch Schil- lers: „und am Ende ſind wir ja Idealiſten und würden uns ſchämen uns nachſagen zu laſſen, daß uns die Dinge formten und nicht wir die Dinge.“
Noch nach Jahrzehnten erzählte man in Tübingen von dem reichen Buchhändler Cotta, der zuerſt den unerhörten Luxus eines Sophas in die anſpruchsloſe Muſenſtadt eingeführt hatte. Die jugendliche Unfertig- keit unſerer Cultur, die von vielſeitiger großſtädtiſcher Geſelligkeit noch nichts wußte, kam der Andacht, der friedlichen Sammlung des wiſſen- ſchaftlichen Arbeitens zu gute. Wie einſt die claſſiſche Dichtung ſo blieb auch die neue Forſchung in ſtolzer Freiheit, faſt unberührt von Hofgunſt und amtlichem Einfluß; ſelbſt die hereinbrechende Demagogenverfolgung
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0025"n="11"/><fwplace="top"type="header">Die Univerſitäten.</fw><lb/>
lehrſamkeit, die ſächſiſchen Fürſtenſchulen und die württembergiſchen Klo-<lb/>ſterſchulen, entließen ihre Primaner zur Univerſität ſobald die Lehrer die<lb/>
Zeit gekommen glaubten, und der Staat meiſterte ſie nicht. Auch zum<lb/>
Eintritt in den Staats- und Kirchendienſt der Kleinſtaaten wurden die<lb/>
jungen Männer, wenn ſie von der Hochſchule heimkehrten, meiſt noch<lb/>
nach der alten patriarchaliſchen Weiſe, durch Gunſt und Empfehlung zu-<lb/>
gelaſſen. Nur in Preußen hatte ſich ſchon ſeit der Verwaltungsorgani-<lb/>ſation Friedrich Wilhelms <hirendition="#aq">I.</hi> ein Syſtem geregelter Staatsprüfungen aus-<lb/>
gebildet, und von hier drang dieſe mechaniſche Ordnung, die allerdings<lb/>
gerechter und durch die mannichfaltigen Verhältniſſe eines Großſtaates<lb/>
geboten war, allmählich in die kleineren Staaten hinüber. Doch wurden<lb/>
auch hier noch mäßige Anforderungen geſtellt, da der Staat für ſeine<lb/>
neuen Provinzen viele junge Beamte brauchte. Der idealiſtiſche Zug der<lb/>
Zeit ließ das ängſtliche Brotſtudium nicht aufkommen. Die Jugend ge-<lb/>
noß noch der ungetrübten akademiſchen Freiheit; Jeder hörte und lernte<lb/>
wozu der Geiſt ihn trieb, wenn er nicht vorzog die goldenen Burſchen-<lb/>
tage ganz und gar in unbändigem Genuſſe zu durchſchwelgen.</p><lb/><p>So lebten die kleinen gelehrten Republiken dahin, glückliche Frei-<lb/>ſtätten der vollkommenen geſelligen Gleichheit und Ungebundenheit, wie<lb/>
emporgehoben über die gemeine Bedürftigkeit des Lebens. Große Talente,<lb/>
die in jedem anderen Lande eine weite Bühne für ihr Wirken verlangt<lb/>
hätten, fühlten ſich glücklich in der Armuth und Enge dieſer kleinen Uni-<lb/>
verſitätsſtädte mit ihren alten Schlöſſern und winkligen Gaſſen, wo jedes<lb/>
Haus an einen luſtigen Burſchenwitz oder an einen berühmten Gelehrten<lb/>
erinnerte. Hier war die Wiſſenſchaft Alles; umgeben von der Verehrung<lb/>
dankbarer Zuhörer blickte der Gelehrte mit naivem Selbſtgefühl um ſich.<lb/>
Oft platzten die Geiſter rechthaberiſch, nach deutſcher Weiſe, aufeinander;<lb/>
der wiſſenſchaftliche Gegner ward leicht wie ein Tempelſchänder angeſehen,<lb/>
da Jeder mit ganzem Herzen an ſeiner Forſchung hing. Jedoch der ge-<lb/>
meine Ehrgeiz ergriff dieſe ſchlichten, genügſamen Menſchen wenig. Sie<lb/>
rechneten ſich’s zur Ehre den Glanz und das Behagen des äußeren Da-<lb/>ſeins zu verachten; ſie glaubten noch alle an den ſtolzen Ausſpruch Schil-<lb/>
lers: „und am Ende ſind wir ja Idealiſten und würden uns ſchämen<lb/>
uns nachſagen zu laſſen, daß uns die Dinge formten und nicht wir die<lb/>
Dinge.“</p><lb/><p>Noch nach Jahrzehnten erzählte man in Tübingen von dem reichen<lb/>
Buchhändler Cotta, der zuerſt den unerhörten Luxus eines Sophas in<lb/>
die anſpruchsloſe Muſenſtadt eingeführt hatte. Die jugendliche Unfertig-<lb/>
keit unſerer Cultur, die von vielſeitiger großſtädtiſcher Geſelligkeit noch<lb/>
nichts wußte, kam der Andacht, der friedlichen Sammlung des wiſſen-<lb/>ſchaftlichen Arbeitens zu gute. Wie einſt die claſſiſche Dichtung ſo blieb<lb/>
auch die neue Forſchung in ſtolzer Freiheit, faſt unberührt von Hofgunſt<lb/>
und amtlichem Einfluß; ſelbſt die hereinbrechende Demagogenverfolgung<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[11/0025]
Die Univerſitäten.
lehrſamkeit, die ſächſiſchen Fürſtenſchulen und die württembergiſchen Klo-
ſterſchulen, entließen ihre Primaner zur Univerſität ſobald die Lehrer die
Zeit gekommen glaubten, und der Staat meiſterte ſie nicht. Auch zum
Eintritt in den Staats- und Kirchendienſt der Kleinſtaaten wurden die
jungen Männer, wenn ſie von der Hochſchule heimkehrten, meiſt noch
nach der alten patriarchaliſchen Weiſe, durch Gunſt und Empfehlung zu-
gelaſſen. Nur in Preußen hatte ſich ſchon ſeit der Verwaltungsorgani-
ſation Friedrich Wilhelms I. ein Syſtem geregelter Staatsprüfungen aus-
gebildet, und von hier drang dieſe mechaniſche Ordnung, die allerdings
gerechter und durch die mannichfaltigen Verhältniſſe eines Großſtaates
geboten war, allmählich in die kleineren Staaten hinüber. Doch wurden
auch hier noch mäßige Anforderungen geſtellt, da der Staat für ſeine
neuen Provinzen viele junge Beamte brauchte. Der idealiſtiſche Zug der
Zeit ließ das ängſtliche Brotſtudium nicht aufkommen. Die Jugend ge-
noß noch der ungetrübten akademiſchen Freiheit; Jeder hörte und lernte
wozu der Geiſt ihn trieb, wenn er nicht vorzog die goldenen Burſchen-
tage ganz und gar in unbändigem Genuſſe zu durchſchwelgen.
So lebten die kleinen gelehrten Republiken dahin, glückliche Frei-
ſtätten der vollkommenen geſelligen Gleichheit und Ungebundenheit, wie
emporgehoben über die gemeine Bedürftigkeit des Lebens. Große Talente,
die in jedem anderen Lande eine weite Bühne für ihr Wirken verlangt
hätten, fühlten ſich glücklich in der Armuth und Enge dieſer kleinen Uni-
verſitätsſtädte mit ihren alten Schlöſſern und winkligen Gaſſen, wo jedes
Haus an einen luſtigen Burſchenwitz oder an einen berühmten Gelehrten
erinnerte. Hier war die Wiſſenſchaft Alles; umgeben von der Verehrung
dankbarer Zuhörer blickte der Gelehrte mit naivem Selbſtgefühl um ſich.
Oft platzten die Geiſter rechthaberiſch, nach deutſcher Weiſe, aufeinander;
der wiſſenſchaftliche Gegner ward leicht wie ein Tempelſchänder angeſehen,
da Jeder mit ganzem Herzen an ſeiner Forſchung hing. Jedoch der ge-
meine Ehrgeiz ergriff dieſe ſchlichten, genügſamen Menſchen wenig. Sie
rechneten ſich’s zur Ehre den Glanz und das Behagen des äußeren Da-
ſeins zu verachten; ſie glaubten noch alle an den ſtolzen Ausſpruch Schil-
lers: „und am Ende ſind wir ja Idealiſten und würden uns ſchämen
uns nachſagen zu laſſen, daß uns die Dinge formten und nicht wir die
Dinge.“
Noch nach Jahrzehnten erzählte man in Tübingen von dem reichen
Buchhändler Cotta, der zuerſt den unerhörten Luxus eines Sophas in
die anſpruchsloſe Muſenſtadt eingeführt hatte. Die jugendliche Unfertig-
keit unſerer Cultur, die von vielſeitiger großſtädtiſcher Geſelligkeit noch
nichts wußte, kam der Andacht, der friedlichen Sammlung des wiſſen-
ſchaftlichen Arbeitens zu gute. Wie einſt die claſſiſche Dichtung ſo blieb
auch die neue Forſchung in ſtolzer Freiheit, faſt unberührt von Hofgunſt
und amtlichem Einfluß; ſelbſt die hereinbrechende Demagogenverfolgung
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/25>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.