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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Altenstein.
katholischen Grundsätzen auch in ihrem inneren Leben unmittelbar leiten
und beide dem Charakter des Staates "anzupassen" suchen. Jedoch er
handhabte sein System mit kluger Schonung, in der ehrlichen Absicht, daß
die Kirche selbst unter der wohlwollenden Vormundschaft des Staates sich
befriedigt fühlen sollte, und erreichte in der That, daß der kirchliche Frieden
unter schwierigen Verhältnissen zwei Jahrzehnte hindurch fast ungestört
blieb. Im Staatsrathe führte Altenstein als Stellvertreter des Staats-
kanzlers den Vorsitz, und die heftigen Parteikämpfe brachten den behut-
samen Mann oft in Verlegenheit; mußte er sich entscheiden, dann nahm
er immer Partei für Hardenberg, dem er noch von Franken her eine fast
unterthänige Ergebenheit bewahrte. Zudem bedurfte er einer mächtigen
Stütze, da Schuckmann die Zertheilung seines Departements nicht ver-
schmerzen konnte und sich alsbald mit den Geheimen Räthen Kamptz und
Schultz zur Bekämpfung des demagogenfreundlichen neuen Cultusministers
verschwor.

Als dieser in seinem Amte sich etwas umgesehen hatte, schrieb er dem
Staatskanzler: "mein ganzes Departement ist beinahe verholzt und ein-
geschrumpft, es muß erst wieder belebt und in Bewegung gesetzt werden."*)
Und allerdings hatte Schuckmann selbst sich um die Fragen des höheren
Unterrichts, die so weit über seinen Gesichtskreis hinauslagen, wenig be-
kümmert. Unter den Räthen dagegen war der Geist Humboldts noch
nicht ausgestorben. In der Unterrichtsabtheilung wirkte Humboldts Ver-
trauter, der geistvolle Süvern aus dem Teutoburger Walde, ein classisch
gebildeter Philolog, der einst mit Schiller in Briefwechsel gestanden und
sich den Idealismus der großen Tage von Weimar treu bewahrt hatte.
An der Spitze der geistlichen Abtheilung stand der Schüler und Lands-
mann Hamanns, Nicolovius, ein bibelgläubiger kindlich frommer Protestant.
Er lebte in dem Gedanken der Einheit des Christenthums und verstand,
Dank seinem freundschaftlichen Verkehre mit dem Kreise der Fürstin Galitzin,
auch die sittlichen Kräfte der katholischen Kirche gerecht zu würdigen. Viele
Jahre lang mit Goethe befreundet folgte er dem literarischen Schaffen
der Zeit mit freudiger Empfänglichkeit; für die politische Reform war er
selbst in Königsberg unter Steins Leitung thätig gewesen. Allen Geist-
lichen im Lande blieben die schönen Worte in guter Erinnerung, mit denen
er beim Beginne des Befreiungskriegs die christlichen Seelsorger an ihre
vaterländische Pflicht gemahnt hatte.

Bei seinem Eintritt fand Altenstein eine schwere Arbeit bereits dem Ab-
schluß nahe, die Neugründung zweier Hochschulen. Die Friedrichs-Universität
in dem treuen Halle war während der Fremdherrschaft zweimal geschlossen
und sofort nach dem Einzuge der Preußen wieder eröffnet worden; sie
bedurfte nach den Verwüstungen der Kriegsjahre einer gründlichen Um-

*) Altenstein an Hardenberg, 26. December 1817.

Altenſtein.
katholiſchen Grundſätzen auch in ihrem inneren Leben unmittelbar leiten
und beide dem Charakter des Staates „anzupaſſen“ ſuchen. Jedoch er
handhabte ſein Syſtem mit kluger Schonung, in der ehrlichen Abſicht, daß
die Kirche ſelbſt unter der wohlwollenden Vormundſchaft des Staates ſich
befriedigt fühlen ſollte, und erreichte in der That, daß der kirchliche Frieden
unter ſchwierigen Verhältniſſen zwei Jahrzehnte hindurch faſt ungeſtört
blieb. Im Staatsrathe führte Altenſtein als Stellvertreter des Staats-
kanzlers den Vorſitz, und die heftigen Parteikämpfe brachten den behut-
ſamen Mann oft in Verlegenheit; mußte er ſich entſcheiden, dann nahm
er immer Partei für Hardenberg, dem er noch von Franken her eine faſt
unterthänige Ergebenheit bewahrte. Zudem bedurfte er einer mächtigen
Stütze, da Schuckmann die Zertheilung ſeines Departements nicht ver-
ſchmerzen konnte und ſich alsbald mit den Geheimen Räthen Kamptz und
Schultz zur Bekämpfung des demagogenfreundlichen neuen Cultusminiſters
verſchwor.

Als dieſer in ſeinem Amte ſich etwas umgeſehen hatte, ſchrieb er dem
Staatskanzler: „mein ganzes Departement iſt beinahe verholzt und ein-
geſchrumpft, es muß erſt wieder belebt und in Bewegung geſetzt werden.“*)
Und allerdings hatte Schuckmann ſelbſt ſich um die Fragen des höheren
Unterrichts, die ſo weit über ſeinen Geſichtskreis hinauslagen, wenig be-
kümmert. Unter den Räthen dagegen war der Geiſt Humboldts noch
nicht ausgeſtorben. In der Unterrichtsabtheilung wirkte Humboldts Ver-
trauter, der geiſtvolle Süvern aus dem Teutoburger Walde, ein claſſiſch
gebildeter Philolog, der einſt mit Schiller in Briefwechſel geſtanden und
ſich den Idealismus der großen Tage von Weimar treu bewahrt hatte.
An der Spitze der geiſtlichen Abtheilung ſtand der Schüler und Lands-
mann Hamanns, Nicolovius, ein bibelgläubiger kindlich frommer Proteſtant.
Er lebte in dem Gedanken der Einheit des Chriſtenthums und verſtand,
Dank ſeinem freundſchaftlichen Verkehre mit dem Kreiſe der Fürſtin Galitzin,
auch die ſittlichen Kräfte der katholiſchen Kirche gerecht zu würdigen. Viele
Jahre lang mit Goethe befreundet folgte er dem literariſchen Schaffen
der Zeit mit freudiger Empfänglichkeit; für die politiſche Reform war er
ſelbſt in Königsberg unter Steins Leitung thätig geweſen. Allen Geiſt-
lichen im Lande blieben die ſchönen Worte in guter Erinnerung, mit denen
er beim Beginne des Befreiungskriegs die chriſtlichen Seelſorger an ihre
vaterländiſche Pflicht gemahnt hatte.

Bei ſeinem Eintritt fand Altenſtein eine ſchwere Arbeit bereits dem Ab-
ſchluß nahe, die Neugründung zweier Hochſchulen. Die Friedrichs-Univerſität
in dem treuen Halle war während der Fremdherrſchaft zweimal geſchloſſen
und ſofort nach dem Einzuge der Preußen wieder eröffnet worden; ſie
bedurfte nach den Verwüſtungen der Kriegsjahre einer gründlichen Um-

*) Altenſtein an Hardenberg, 26. December 1817.
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[233/0247] Altenſtein. katholiſchen Grundſätzen auch in ihrem inneren Leben unmittelbar leiten und beide dem Charakter des Staates „anzupaſſen“ ſuchen. Jedoch er handhabte ſein Syſtem mit kluger Schonung, in der ehrlichen Abſicht, daß die Kirche ſelbſt unter der wohlwollenden Vormundſchaft des Staates ſich befriedigt fühlen ſollte, und erreichte in der That, daß der kirchliche Frieden unter ſchwierigen Verhältniſſen zwei Jahrzehnte hindurch faſt ungeſtört blieb. Im Staatsrathe führte Altenſtein als Stellvertreter des Staats- kanzlers den Vorſitz, und die heftigen Parteikämpfe brachten den behut- ſamen Mann oft in Verlegenheit; mußte er ſich entſcheiden, dann nahm er immer Partei für Hardenberg, dem er noch von Franken her eine faſt unterthänige Ergebenheit bewahrte. Zudem bedurfte er einer mächtigen Stütze, da Schuckmann die Zertheilung ſeines Departements nicht ver- ſchmerzen konnte und ſich alsbald mit den Geheimen Räthen Kamptz und Schultz zur Bekämpfung des demagogenfreundlichen neuen Cultusminiſters verſchwor. Als dieſer in ſeinem Amte ſich etwas umgeſehen hatte, ſchrieb er dem Staatskanzler: „mein ganzes Departement iſt beinahe verholzt und ein- geſchrumpft, es muß erſt wieder belebt und in Bewegung geſetzt werden.“ *) Und allerdings hatte Schuckmann ſelbſt ſich um die Fragen des höheren Unterrichts, die ſo weit über ſeinen Geſichtskreis hinauslagen, wenig be- kümmert. Unter den Räthen dagegen war der Geiſt Humboldts noch nicht ausgeſtorben. In der Unterrichtsabtheilung wirkte Humboldts Ver- trauter, der geiſtvolle Süvern aus dem Teutoburger Walde, ein claſſiſch gebildeter Philolog, der einſt mit Schiller in Briefwechſel geſtanden und ſich den Idealismus der großen Tage von Weimar treu bewahrt hatte. An der Spitze der geiſtlichen Abtheilung ſtand der Schüler und Lands- mann Hamanns, Nicolovius, ein bibelgläubiger kindlich frommer Proteſtant. Er lebte in dem Gedanken der Einheit des Chriſtenthums und verſtand, Dank ſeinem freundſchaftlichen Verkehre mit dem Kreiſe der Fürſtin Galitzin, auch die ſittlichen Kräfte der katholiſchen Kirche gerecht zu würdigen. Viele Jahre lang mit Goethe befreundet folgte er dem literariſchen Schaffen der Zeit mit freudiger Empfänglichkeit; für die politiſche Reform war er ſelbſt in Königsberg unter Steins Leitung thätig geweſen. Allen Geiſt- lichen im Lande blieben die ſchönen Worte in guter Erinnerung, mit denen er beim Beginne des Befreiungskriegs die chriſtlichen Seelſorger an ihre vaterländiſche Pflicht gemahnt hatte. Bei ſeinem Eintritt fand Altenſtein eine ſchwere Arbeit bereits dem Ab- ſchluß nahe, die Neugründung zweier Hochſchulen. Die Friedrichs-Univerſität in dem treuen Halle war während der Fremdherrſchaft zweimal geſchloſſen und ſofort nach dem Einzuge der Preußen wieder eröffnet worden; ſie bedurfte nach den Verwüſtungen der Kriegsjahre einer gründlichen Um- *) Altenſtein an Hardenberg, 26. December 1817.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/247>, abgerufen am 28.11.2024.