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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.
im Geiste dieses Planes, ebensowohl auswärtige Beschränkungen des Han-
dels zu erwidern als Willfährigkeit zu vergelten und nachbarliches An-
schließen an ein gemeinsames Interesse zu befördern." Ebenso erklärte er
den Elberfeldern: die preußischen Zolllinien sollten dazu dienen "eine allge-
meine Ausdehnung oder sonstige Vereinigung vorzubereiten".

Damit wurde deutlich angekündigt, daß der Staat, der seit Langem
das Schwert des alten Kaiserthums führte, jetzt auch die handelspolitischen
Reformgedanken der Reichspolitik des sechzehnten Jahrhunderts wieder auf-
nahm und bereit war, der Nation nach und nach die Einheit des wirth-
schaftlichen Lebens zu schaffen, welche ihr im ganzen Verlaufe ihrer Geschichte
immer gefehlt hatte. Er dachte dies Ziel, das sich nicht mit einem Sprunge
erjagen ließ, schrittweis, in bedachtsamer Annäherung, durch Verträge
von Staat zu Staat zu erreichen. Mars und Mercur sind die Gestirne,
welche in diesem Jahrhundert der Arbeit das Geschick der Staaten vor-
nehmlich bestimmen. Das Heerwesen und die Handelspolitik der Hohen-
zollern bildeten fortan die beiden Rechtstitel, auf denen Preußens Führer-
stellung in Deutschland ruhte. Und diese Handelspolitik war ausschließlich
das Werk der Krone und ihres Beamtenthums. Sie begegnete, auch als
ihre letzten Ziele sich späterhin völlig enthüllten, regelmäßig dem verblendeten
Widerstande der Nation. Im Zeitalter der Reformation war die wirthschaft-
liche Einigung unseres Vaterlandes an dem Widerstande der Reichsstädte
gescheitert; im neunzehnten Jahrhundert ward sie recht eigentlich gegen den
Willen der Mehrzahl der Deutschen von Neuem begonnen und vollendet.

Im Kampfe gegen das preußische Zollgesetz hielten alle deutschen Par-
teien zusammen, Kotzebues Wochenblatt so gut wie Ludens Nemesis. Ver-
geblich widerlegte J. G. Hoffmann in der Preußischen Staatszeitung mit
überlegener Sachkenntniß das fast durchweg werthlose nationalökonomische
Gerede der Presse. Dieselben Schutzzöllner, die um Hilfe riefen für die
deutsche Industrie, schalten zugleich über die unerschwinglichen Sätze des
preußischen Tarifs, der doch jenen Schutz gewährte. Dieselben Liberalen,
die den Bundestag als einen völlig unbrauchbaren Körper verspotteten,
forderten von dieser Behörde eine schöpferische handelspolitische That. Wenn
Hoffmann nachwies, daß das neue Gesetz eine Wohlthat für Deutschland
sei, so erwiderten Pölitz, Krug und andere sächsische Publicisten, kein Staat
habe das Recht, seinen Nachbarn Wohlthaten aufzudrängen. Alberne
Jagdgeschichten wurden mit der höchsten Bestimmtheit wiederholt und von
der Unwissenheit der Leser begierig geglaubt. Da hatte ein armer Höker
aus dem Reußischen, als er seinen Schubkarren voll Gemüse zum Leip-
ziger Wochenmarkt fuhr, einen Thaler Durchfuhrzoll an die preußische
Mauth zahlen müssen -- nur schade, daß Preußen von solchen Waaren
gar keinen Zoll erhob. Auch die Sentimentalität ward gegen Preußen
ins Feld geführt; sie findet sich ja bei den Deutschen immer ein, wenn
ihnen die Gedanken ausgehen. Da war gleich am ersten Tage, als das

II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.
im Geiſte dieſes Planes, ebenſowohl auswärtige Beſchränkungen des Han-
dels zu erwidern als Willfährigkeit zu vergelten und nachbarliches An-
ſchließen an ein gemeinſames Intereſſe zu befördern.“ Ebenſo erklärte er
den Elberfeldern: die preußiſchen Zolllinien ſollten dazu dienen „eine allge-
meine Ausdehnung oder ſonſtige Vereinigung vorzubereiten“.

Damit wurde deutlich angekündigt, daß der Staat, der ſeit Langem
das Schwert des alten Kaiſerthums führte, jetzt auch die handelspolitiſchen
Reformgedanken der Reichspolitik des ſechzehnten Jahrhunderts wieder auf-
nahm und bereit war, der Nation nach und nach die Einheit des wirth-
ſchaftlichen Lebens zu ſchaffen, welche ihr im ganzen Verlaufe ihrer Geſchichte
immer gefehlt hatte. Er dachte dies Ziel, das ſich nicht mit einem Sprunge
erjagen ließ, ſchrittweis, in bedachtſamer Annäherung, durch Verträge
von Staat zu Staat zu erreichen. Mars und Mercur ſind die Geſtirne,
welche in dieſem Jahrhundert der Arbeit das Geſchick der Staaten vor-
nehmlich beſtimmen. Das Heerweſen und die Handelspolitik der Hohen-
zollern bildeten fortan die beiden Rechtstitel, auf denen Preußens Führer-
ſtellung in Deutſchland ruhte. Und dieſe Handelspolitik war ausſchließlich
das Werk der Krone und ihres Beamtenthums. Sie begegnete, auch als
ihre letzten Ziele ſich ſpäterhin völlig enthüllten, regelmäßig dem verblendeten
Widerſtande der Nation. Im Zeitalter der Reformation war die wirthſchaft-
liche Einigung unſeres Vaterlandes an dem Widerſtande der Reichsſtädte
geſcheitert; im neunzehnten Jahrhundert ward ſie recht eigentlich gegen den
Willen der Mehrzahl der Deutſchen von Neuem begonnen und vollendet.

Im Kampfe gegen das preußiſche Zollgeſetz hielten alle deutſchen Par-
teien zuſammen, Kotzebues Wochenblatt ſo gut wie Ludens Nemeſis. Ver-
geblich widerlegte J. G. Hoffmann in der Preußiſchen Staatszeitung mit
überlegener Sachkenntniß das faſt durchweg werthloſe nationalökonomiſche
Gerede der Preſſe. Dieſelben Schutzzöllner, die um Hilfe riefen für die
deutſche Induſtrie, ſchalten zugleich über die unerſchwinglichen Sätze des
preußiſchen Tarifs, der doch jenen Schutz gewährte. Dieſelben Liberalen,
die den Bundestag als einen völlig unbrauchbaren Körper verſpotteten,
forderten von dieſer Behörde eine ſchöpferiſche handelspolitiſche That. Wenn
Hoffmann nachwies, daß das neue Geſetz eine Wohlthat für Deutſchland
ſei, ſo erwiderten Pölitz, Krug und andere ſächſiſche Publiciſten, kein Staat
habe das Recht, ſeinen Nachbarn Wohlthaten aufzudrängen. Alberne
Jagdgeſchichten wurden mit der höchſten Beſtimmtheit wiederholt und von
der Unwiſſenheit der Leſer begierig geglaubt. Da hatte ein armer Höker
aus dem Reußiſchen, als er ſeinen Schubkarren voll Gemüſe zum Leip-
ziger Wochenmarkt fuhr, einen Thaler Durchfuhrzoll an die preußiſche
Mauth zahlen müſſen — nur ſchade, daß Preußen von ſolchen Waaren
gar keinen Zoll erhob. Auch die Sentimentalität ward gegen Preußen
ins Feld geführt; ſie findet ſich ja bei den Deutſchen immer ein, wenn
ihnen die Gedanken ausgehen. Da war gleich am erſten Tage, als das

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[220/0234] II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates. im Geiſte dieſes Planes, ebenſowohl auswärtige Beſchränkungen des Han- dels zu erwidern als Willfährigkeit zu vergelten und nachbarliches An- ſchließen an ein gemeinſames Intereſſe zu befördern.“ Ebenſo erklärte er den Elberfeldern: die preußiſchen Zolllinien ſollten dazu dienen „eine allge- meine Ausdehnung oder ſonſtige Vereinigung vorzubereiten“. Damit wurde deutlich angekündigt, daß der Staat, der ſeit Langem das Schwert des alten Kaiſerthums führte, jetzt auch die handelspolitiſchen Reformgedanken der Reichspolitik des ſechzehnten Jahrhunderts wieder auf- nahm und bereit war, der Nation nach und nach die Einheit des wirth- ſchaftlichen Lebens zu ſchaffen, welche ihr im ganzen Verlaufe ihrer Geſchichte immer gefehlt hatte. Er dachte dies Ziel, das ſich nicht mit einem Sprunge erjagen ließ, ſchrittweis, in bedachtſamer Annäherung, durch Verträge von Staat zu Staat zu erreichen. Mars und Mercur ſind die Geſtirne, welche in dieſem Jahrhundert der Arbeit das Geſchick der Staaten vor- nehmlich beſtimmen. Das Heerweſen und die Handelspolitik der Hohen- zollern bildeten fortan die beiden Rechtstitel, auf denen Preußens Führer- ſtellung in Deutſchland ruhte. Und dieſe Handelspolitik war ausſchließlich das Werk der Krone und ihres Beamtenthums. Sie begegnete, auch als ihre letzten Ziele ſich ſpäterhin völlig enthüllten, regelmäßig dem verblendeten Widerſtande der Nation. Im Zeitalter der Reformation war die wirthſchaft- liche Einigung unſeres Vaterlandes an dem Widerſtande der Reichsſtädte geſcheitert; im neunzehnten Jahrhundert ward ſie recht eigentlich gegen den Willen der Mehrzahl der Deutſchen von Neuem begonnen und vollendet. Im Kampfe gegen das preußiſche Zollgeſetz hielten alle deutſchen Par- teien zuſammen, Kotzebues Wochenblatt ſo gut wie Ludens Nemeſis. Ver- geblich widerlegte J. G. Hoffmann in der Preußiſchen Staatszeitung mit überlegener Sachkenntniß das faſt durchweg werthloſe nationalökonomiſche Gerede der Preſſe. Dieſelben Schutzzöllner, die um Hilfe riefen für die deutſche Induſtrie, ſchalten zugleich über die unerſchwinglichen Sätze des preußiſchen Tarifs, der doch jenen Schutz gewährte. Dieſelben Liberalen, die den Bundestag als einen völlig unbrauchbaren Körper verſpotteten, forderten von dieſer Behörde eine ſchöpferiſche handelspolitiſche That. Wenn Hoffmann nachwies, daß das neue Geſetz eine Wohlthat für Deutſchland ſei, ſo erwiderten Pölitz, Krug und andere ſächſiſche Publiciſten, kein Staat habe das Recht, ſeinen Nachbarn Wohlthaten aufzudrängen. Alberne Jagdgeſchichten wurden mit der höchſten Beſtimmtheit wiederholt und von der Unwiſſenheit der Leſer begierig geglaubt. Da hatte ein armer Höker aus dem Reußiſchen, als er ſeinen Schubkarren voll Gemüſe zum Leip- ziger Wochenmarkt fuhr, einen Thaler Durchfuhrzoll an die preußiſche Mauth zahlen müſſen — nur ſchade, daß Preußen von ſolchen Waaren gar keinen Zoll erhob. Auch die Sentimentalität ward gegen Preußen ins Feld geführt; ſie findet ſich ja bei den Deutſchen immer ein, wenn ihnen die Gedanken ausgehen. Da war gleich am erſten Tage, als das

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/234>, abgerufen am 22.11.2024.