schienen dem Finanzministerium noch weit bedenklicher als Schutzzölle, da diese den Verkehr belasteten zu Gunsten der einheimischen, jene zum Vortheil der ausländischen Producenten.
Es war nicht anders, sollte das neue Zollsystem überhaupt ins Leben treten, so mußten alle nicht-preußischen Waaren zuvörderst auf gleichem Fuß behandelt werden. Allerdings wurden dadurch die deutschen Nachbarn sehr hart getroffen. Sie waren gewohnt einen schwunghaften Schmuggel- handel nach Preußen hinüber zu führen; jetzt trat die strenge Grenzbe- wachung dazwischen. Die Zolllinien an den Grenzen der neuen Pro- vinzen störten vielfach altgewohnten Verkehr. Das Königreich Sachsen litt schwer, als die preußischen Zollschranken dicht vor den Thoren Leip- zigs aufgerichtet wurden. Die kleinen rheinischen Lande sahen nahe vor Augen das beginnende Erstarken der preußischen Volkswirthschaft; was drüben ein Segen, ward hüben zur Last. Begreiflich genug, daß gerade in der unmittelbaren Nachbarschaft Preußens die Mißstimmung überhand nahm. Auch die Einrichtung der Gewichtszölle war für die deutschen Nach- barstaaten unverhältnißmäßig lästig, da das Ausland zumeist feinere, Deutschland gröbere Waaren in Preußen einzuführen pflegte.
Indeß wenn es nicht anging, den Kleinstaaten sofort Begünstigungen zu gewähren, so war doch die Zollreform von Haus aus darauf berechnet, die deutschen Nachbarn nach und nach in den preußischen Zollverband hineinzuziehen. "Die Unmöglichkeit einer Vereinigung für den ganzen Bund erkennend, suchte Preußen durch Separatverträge sich diesem Ziele zu nähern" -- mit diesen kurzen und erschöpfenden Worten hat Eichhorn zehn Jahre später den Grundgedanken der preußischen Handelspolitik be- zeichnet. Die Zerstückelung seines Gebietes zwang den Staat, deutsche Politik zu treiben, machte ihm auf die Dauer unmöglich, sich selbstgenüg- sam abzuschließen, seine Verwaltung zu ordnen ohne Verständigung mit den deutschen Nachbarlanden. Ein großer Theil der thüringischen Be- sitzungen Preußens, 41 Geviertmeilen mußten vorderhand aus der Zoll- linie ausgeschlossen bleiben. Es war eine unabweisbare Nothwendigkeit, die Zollschranken mindestens so weit hinauszuschieben, daß das gesammte Staatsgebiet gleichmäßig besteuert werden konnte. In dem Zollgesetze selber (§ 5) war die Absicht erklärt, durch Handelsverträge den wechsel- seitigen Verkehr zu befördern. Die harte Besteuerung der Durchfuhr gab diesem Winke fühlbaren Nachdruck. Noch bestimmter sprach sich Harden- berg über die Absicht des Gesetzes aus, schon ehe es in Kraft trat. Als die Fabrikanten von Rheidt und anderen rheinischen Plätzen den Staats- kanzler um Beseitigung der deutschen Binnenzölle baten, gab er die Ant- wort (3. Juni 1818): die Vortheile, welche aus der Vereinigung mehrerer deutscher Staaten zu einem gemeinschaftlichen Fabrik- und Handelssystem hervorgehen können, seien der Regierung nicht unbekannt; mit steter Rück- sicht hierauf sei der Plan des Königs zur Reife gediehen. "Es liegt ganz
Beabſichtigte Erweiterung des Zollgebiets.
ſchienen dem Finanzminiſterium noch weit bedenklicher als Schutzzölle, da dieſe den Verkehr belaſteten zu Gunſten der einheimiſchen, jene zum Vortheil der ausländiſchen Producenten.
Es war nicht anders, ſollte das neue Zollſyſtem überhaupt ins Leben treten, ſo mußten alle nicht-preußiſchen Waaren zuvörderſt auf gleichem Fuß behandelt werden. Allerdings wurden dadurch die deutſchen Nachbarn ſehr hart getroffen. Sie waren gewohnt einen ſchwunghaften Schmuggel- handel nach Preußen hinüber zu führen; jetzt trat die ſtrenge Grenzbe- wachung dazwiſchen. Die Zolllinien an den Grenzen der neuen Pro- vinzen ſtörten vielfach altgewohnten Verkehr. Das Königreich Sachſen litt ſchwer, als die preußiſchen Zollſchranken dicht vor den Thoren Leip- zigs aufgerichtet wurden. Die kleinen rheiniſchen Lande ſahen nahe vor Augen das beginnende Erſtarken der preußiſchen Volkswirthſchaft; was drüben ein Segen, ward hüben zur Laſt. Begreiflich genug, daß gerade in der unmittelbaren Nachbarſchaft Preußens die Mißſtimmung überhand nahm. Auch die Einrichtung der Gewichtszölle war für die deutſchen Nach- barſtaaten unverhältnißmäßig läſtig, da das Ausland zumeiſt feinere, Deutſchland gröbere Waaren in Preußen einzuführen pflegte.
Indeß wenn es nicht anging, den Kleinſtaaten ſofort Begünſtigungen zu gewähren, ſo war doch die Zollreform von Haus aus darauf berechnet, die deutſchen Nachbarn nach und nach in den preußiſchen Zollverband hineinzuziehen. „Die Unmöglichkeit einer Vereinigung für den ganzen Bund erkennend, ſuchte Preußen durch Separatverträge ſich dieſem Ziele zu nähern“ — mit dieſen kurzen und erſchöpfenden Worten hat Eichhorn zehn Jahre ſpäter den Grundgedanken der preußiſchen Handelspolitik be- zeichnet. Die Zerſtückelung ſeines Gebietes zwang den Staat, deutſche Politik zu treiben, machte ihm auf die Dauer unmöglich, ſich ſelbſtgenüg- ſam abzuſchließen, ſeine Verwaltung zu ordnen ohne Verſtändigung mit den deutſchen Nachbarlanden. Ein großer Theil der thüringiſchen Be- ſitzungen Preußens, 41 Geviertmeilen mußten vorderhand aus der Zoll- linie ausgeſchloſſen bleiben. Es war eine unabweisbare Nothwendigkeit, die Zollſchranken mindeſtens ſo weit hinauszuſchieben, daß das geſammte Staatsgebiet gleichmäßig beſteuert werden konnte. In dem Zollgeſetze ſelber (§ 5) war die Abſicht erklärt, durch Handelsverträge den wechſel- ſeitigen Verkehr zu befördern. Die harte Beſteuerung der Durchfuhr gab dieſem Winke fühlbaren Nachdruck. Noch beſtimmter ſprach ſich Harden- berg über die Abſicht des Geſetzes aus, ſchon ehe es in Kraft trat. Als die Fabrikanten von Rheidt und anderen rheiniſchen Plätzen den Staats- kanzler um Beſeitigung der deutſchen Binnenzölle baten, gab er die Ant- wort (3. Juni 1818): die Vortheile, welche aus der Vereinigung mehrerer deutſcher Staaten zu einem gemeinſchaftlichen Fabrik- und Handelsſyſtem hervorgehen können, ſeien der Regierung nicht unbekannt; mit ſteter Rück- ſicht hierauf ſei der Plan des Königs zur Reife gediehen. „Es liegt ganz
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Beabſichtigte Erweiterung des Zollgebiets.
ſchienen dem Finanzminiſterium noch weit bedenklicher als Schutzzölle,
da dieſe den Verkehr belaſteten zu Gunſten der einheimiſchen, jene zum
Vortheil der ausländiſchen Producenten.
Es war nicht anders, ſollte das neue Zollſyſtem überhaupt ins Leben
treten, ſo mußten alle nicht-preußiſchen Waaren zuvörderſt auf gleichem
Fuß behandelt werden. Allerdings wurden dadurch die deutſchen Nachbarn
ſehr hart getroffen. Sie waren gewohnt einen ſchwunghaften Schmuggel-
handel nach Preußen hinüber zu führen; jetzt trat die ſtrenge Grenzbe-
wachung dazwiſchen. Die Zolllinien an den Grenzen der neuen Pro-
vinzen ſtörten vielfach altgewohnten Verkehr. Das Königreich Sachſen
litt ſchwer, als die preußiſchen Zollſchranken dicht vor den Thoren Leip-
zigs aufgerichtet wurden. Die kleinen rheiniſchen Lande ſahen nahe vor
Augen das beginnende Erſtarken der preußiſchen Volkswirthſchaft; was
drüben ein Segen, ward hüben zur Laſt. Begreiflich genug, daß gerade
in der unmittelbaren Nachbarſchaft Preußens die Mißſtimmung überhand
nahm. Auch die Einrichtung der Gewichtszölle war für die deutſchen Nach-
barſtaaten unverhältnißmäßig läſtig, da das Ausland zumeiſt feinere,
Deutſchland gröbere Waaren in Preußen einzuführen pflegte.
Indeß wenn es nicht anging, den Kleinſtaaten ſofort Begünſtigungen
zu gewähren, ſo war doch die Zollreform von Haus aus darauf berechnet,
die deutſchen Nachbarn nach und nach in den preußiſchen Zollverband
hineinzuziehen. „Die Unmöglichkeit einer Vereinigung für den ganzen
Bund erkennend, ſuchte Preußen durch Separatverträge ſich dieſem Ziele
zu nähern“ — mit dieſen kurzen und erſchöpfenden Worten hat Eichhorn
zehn Jahre ſpäter den Grundgedanken der preußiſchen Handelspolitik be-
zeichnet. Die Zerſtückelung ſeines Gebietes zwang den Staat, deutſche
Politik zu treiben, machte ihm auf die Dauer unmöglich, ſich ſelbſtgenüg-
ſam abzuſchließen, ſeine Verwaltung zu ordnen ohne Verſtändigung mit
den deutſchen Nachbarlanden. Ein großer Theil der thüringiſchen Be-
ſitzungen Preußens, 41 Geviertmeilen mußten vorderhand aus der Zoll-
linie ausgeſchloſſen bleiben. Es war eine unabweisbare Nothwendigkeit,
die Zollſchranken mindeſtens ſo weit hinauszuſchieben, daß das geſammte
Staatsgebiet gleichmäßig beſteuert werden konnte. In dem Zollgeſetze
ſelber (§ 5) war die Abſicht erklärt, durch Handelsverträge den wechſel-
ſeitigen Verkehr zu befördern. Die harte Beſteuerung der Durchfuhr gab
dieſem Winke fühlbaren Nachdruck. Noch beſtimmter ſprach ſich Harden-
berg über die Abſicht des Geſetzes aus, ſchon ehe es in Kraft trat. Als
die Fabrikanten von Rheidt und anderen rheiniſchen Plätzen den Staats-
kanzler um Beſeitigung der deutſchen Binnenzölle baten, gab er die Ant-
wort (3. Juni 1818): die Vortheile, welche aus der Vereinigung mehrerer
deutſcher Staaten zu einem gemeinſchaftlichen Fabrik- und Handelsſyſtem
hervorgehen können, ſeien der Regierung nicht unbekannt; mit ſteter Rück-
ſicht hierauf ſei der Plan des Königs zur Reife gediehen. „Es liegt ganz
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/233>, abgerufen am 22.11.2024.
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