II. 3. Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre.
Sicherer als Arndt durchschaute Hegel den Geist der Zeit, da er sagte: die Nation hat sich aus dem Gröbsten herausgehauen, sie kann sich nun wieder nach Innen, zum Reiche Gottes wenden. Die mächtigen Akkorde, welche das Zeitalter unserer classischen Dichtung angeschlagen, hallten noch fort; noch waren die reichen Schachte, die sich seit zwei Men- schenaltern der geistigen Arbeit der Nation erschlossen hatten, keineswegs erschöpft. Der Ehrgeiz dieses durchaus unpolitischen Geschlechts trachtete noch immer, unbekümmert um alle Prosa des äußeren Lebens, fast allein nach den Kränzen des Reiches der Geister. Seinen besten Männern er- schien die Zeit der napoleonischen Kriege bald nur wie eine Episode, wie ein Hagelschauer, der über den blühenden Garten deutscher Kunst und Wissenschaft dahingebraust war. Wie die kleinen Leute wieder zur Pflug- schaar griffen, so nahmen die Gebildeten die Feder wieder auf, doch nicht wie Jene mit stiller Entsagung, sondern mit dem frohen Bewußtsein, sich selber und ihrem eigensten Leben wieder anzugehören. Wunderbar grell trat jener innere Widerspruch hervor, der sich seit dem Aufblühen der neuen Literatur in dem Charakter unseres Volkes herausgebildet hatte: diese tapferen Germanen, die schon in den Sagen ihrer heidnischen Urzeit beständig von Krieg und Sieg geträumt und seitdem in jedem Jahrhun- dert die Welt mit dem Schalle ihrer Schwerter erfüllt hatten, schätzten den kriegerischen Ruhm niedriger als irgend ein anderes Volk; sie lebten des Glaubens, Deutschlands schärfste Waffen seien seine Gedanken.
Das Jahrzehnt nach Napoleons Sturz wurde für den ganzen Welt- theil eine Blüthezeit der Wissenschaften und Künste. Die Völker, die soeben noch mit den Waffen aufeinander geschlagen, tauschten in schönem Wetteifer die Früchte ihres geistigen Schaffens aus; nie zuvor war Europa dem Ideale einer freien Weltliteratur, wovon Goethe träumte, so nahe gekommen. Und in diesem friedlichen Wettkampfe stand Deutschland allen voran. Welch eine Wandlung der Zeiten seit jenen Tagen Ludwigs XIV., da die Cultur unseres Volkes bei allen anderen Nationen des Abendlandes demüthig in die Schule gehen mußte! Jetzt huldigte die weite Welt dem Namen Goethes. Die winkligen Gastzimmer im Erbprinzen und im Adler zu Weimar wurden nicht leer von vornehmen Engländern, die den Fürsten der neuen Dichtung besuchen wollten. In Paris genoß Alexander Hum- boldt eines Ansehens, wie kaum ein einheimischer Gelehrter; wenn ein Fremder in den Miethwagen stieg und die Hausnummer des großen Rei- senden nannte, dann griff der Kutscher achtungsvoll an den Hut und sagte: ah chez Mr. de Humboldt! Und da Niebuhr als preußischer Gesandter nach Rom kam, wagte ihm Niemand in der Weltstadt den Ruhm des ersten Gelehrten zu bestreiten.
Von unserem Staate, von seinen Waffenthaten sprach das Ausland wenig. Allen fremden Mächten kam das plötzliche Wiedererstarken der Mitte des Welttheils ungelegen, sie alle bemühten sich wetteifernd den
II. 3. Geiſtige Strömungen der erſten Friedensjahre.
Sicherer als Arndt durchſchaute Hegel den Geiſt der Zeit, da er ſagte: die Nation hat ſich aus dem Gröbſten herausgehauen, ſie kann ſich nun wieder nach Innen, zum Reiche Gottes wenden. Die mächtigen Akkorde, welche das Zeitalter unſerer claſſiſchen Dichtung angeſchlagen, hallten noch fort; noch waren die reichen Schachte, die ſich ſeit zwei Men- ſchenaltern der geiſtigen Arbeit der Nation erſchloſſen hatten, keineswegs erſchöpft. Der Ehrgeiz dieſes durchaus unpolitiſchen Geſchlechts trachtete noch immer, unbekümmert um alle Proſa des äußeren Lebens, faſt allein nach den Kränzen des Reiches der Geiſter. Seinen beſten Männern er- ſchien die Zeit der napoleoniſchen Kriege bald nur wie eine Epiſode, wie ein Hagelſchauer, der über den blühenden Garten deutſcher Kunſt und Wiſſenſchaft dahingebrauſt war. Wie die kleinen Leute wieder zur Pflug- ſchaar griffen, ſo nahmen die Gebildeten die Feder wieder auf, doch nicht wie Jene mit ſtiller Entſagung, ſondern mit dem frohen Bewußtſein, ſich ſelber und ihrem eigenſten Leben wieder anzugehören. Wunderbar grell trat jener innere Widerſpruch hervor, der ſich ſeit dem Aufblühen der neuen Literatur in dem Charakter unſeres Volkes herausgebildet hatte: dieſe tapferen Germanen, die ſchon in den Sagen ihrer heidniſchen Urzeit beſtändig von Krieg und Sieg geträumt und ſeitdem in jedem Jahrhun- dert die Welt mit dem Schalle ihrer Schwerter erfüllt hatten, ſchätzten den kriegeriſchen Ruhm niedriger als irgend ein anderes Volk; ſie lebten des Glaubens, Deutſchlands ſchärfſte Waffen ſeien ſeine Gedanken.
Das Jahrzehnt nach Napoleons Sturz wurde für den ganzen Welt- theil eine Blüthezeit der Wiſſenſchaften und Künſte. Die Völker, die ſoeben noch mit den Waffen aufeinander geſchlagen, tauſchten in ſchönem Wetteifer die Früchte ihres geiſtigen Schaffens aus; nie zuvor war Europa dem Ideale einer freien Weltliteratur, wovon Goethe träumte, ſo nahe gekommen. Und in dieſem friedlichen Wettkampfe ſtand Deutſchland allen voran. Welch eine Wandlung der Zeiten ſeit jenen Tagen Ludwigs XIV., da die Cultur unſeres Volkes bei allen anderen Nationen des Abendlandes demüthig in die Schule gehen mußte! Jetzt huldigte die weite Welt dem Namen Goethes. Die winkligen Gaſtzimmer im Erbprinzen und im Adler zu Weimar wurden nicht leer von vornehmen Engländern, die den Fürſten der neuen Dichtung beſuchen wollten. In Paris genoß Alexander Hum- boldt eines Anſehens, wie kaum ein einheimiſcher Gelehrter; wenn ein Fremder in den Miethwagen ſtieg und die Hausnummer des großen Rei- ſenden nannte, dann griff der Kutſcher achtungsvoll an den Hut und ſagte: ah chez Mr. de Humboldt! Und da Niebuhr als preußiſcher Geſandter nach Rom kam, wagte ihm Niemand in der Weltſtadt den Ruhm des erſten Gelehrten zu beſtreiten.
Von unſerem Staate, von ſeinen Waffenthaten ſprach das Ausland wenig. Allen fremden Mächten kam das plötzliche Wiedererſtarken der Mitte des Welttheils ungelegen, ſie alle bemühten ſich wetteifernd den
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II. 3. Geiſtige Strömungen der erſten Friedensjahre.
Sicherer als Arndt durchſchaute Hegel den Geiſt der Zeit, da er
ſagte: die Nation hat ſich aus dem Gröbſten herausgehauen, ſie kann ſich
nun wieder nach Innen, zum Reiche Gottes wenden. Die mächtigen
Akkorde, welche das Zeitalter unſerer claſſiſchen Dichtung angeſchlagen,
hallten noch fort; noch waren die reichen Schachte, die ſich ſeit zwei Men-
ſchenaltern der geiſtigen Arbeit der Nation erſchloſſen hatten, keineswegs
erſchöpft. Der Ehrgeiz dieſes durchaus unpolitiſchen Geſchlechts trachtete
noch immer, unbekümmert um alle Proſa des äußeren Lebens, faſt allein
nach den Kränzen des Reiches der Geiſter. Seinen beſten Männern er-
ſchien die Zeit der napoleoniſchen Kriege bald nur wie eine Epiſode, wie
ein Hagelſchauer, der über den blühenden Garten deutſcher Kunſt und
Wiſſenſchaft dahingebrauſt war. Wie die kleinen Leute wieder zur Pflug-
ſchaar griffen, ſo nahmen die Gebildeten die Feder wieder auf, doch nicht
wie Jene mit ſtiller Entſagung, ſondern mit dem frohen Bewußtſein, ſich
ſelber und ihrem eigenſten Leben wieder anzugehören. Wunderbar grell
trat jener innere Widerſpruch hervor, der ſich ſeit dem Aufblühen der
neuen Literatur in dem Charakter unſeres Volkes herausgebildet hatte:
dieſe tapferen Germanen, die ſchon in den Sagen ihrer heidniſchen Urzeit
beſtändig von Krieg und Sieg geträumt und ſeitdem in jedem Jahrhun-
dert die Welt mit dem Schalle ihrer Schwerter erfüllt hatten, ſchätzten
den kriegeriſchen Ruhm niedriger als irgend ein anderes Volk; ſie lebten
des Glaubens, Deutſchlands ſchärfſte Waffen ſeien ſeine Gedanken.
Das Jahrzehnt nach Napoleons Sturz wurde für den ganzen Welt-
theil eine Blüthezeit der Wiſſenſchaften und Künſte. Die Völker, die
ſoeben noch mit den Waffen aufeinander geſchlagen, tauſchten in ſchönem
Wetteifer die Früchte ihres geiſtigen Schaffens aus; nie zuvor war Europa
dem Ideale einer freien Weltliteratur, wovon Goethe träumte, ſo nahe
gekommen. Und in dieſem friedlichen Wettkampfe ſtand Deutſchland allen
voran. Welch eine Wandlung der Zeiten ſeit jenen Tagen Ludwigs XIV.,
da die Cultur unſeres Volkes bei allen anderen Nationen des Abendlandes
demüthig in die Schule gehen mußte! Jetzt huldigte die weite Welt dem
Namen Goethes. Die winkligen Gaſtzimmer im Erbprinzen und im Adler
zu Weimar wurden nicht leer von vornehmen Engländern, die den Fürſten
der neuen Dichtung beſuchen wollten. In Paris genoß Alexander Hum-
boldt eines Anſehens, wie kaum ein einheimiſcher Gelehrter; wenn ein
Fremder in den Miethwagen ſtieg und die Hausnummer des großen Rei-
ſenden nannte, dann griff der Kutſcher achtungsvoll an den Hut und
ſagte: ah chez Mr. de Humboldt! Und da Niebuhr als preußiſcher
Geſandter nach Rom kam, wagte ihm Niemand in der Weltſtadt den
Ruhm des erſten Gelehrten zu beſtreiten.
Von unſerem Staate, von ſeinen Waffenthaten ſprach das Ausland
wenig. Allen fremden Mächten kam das plötzliche Wiedererſtarken der
Mitte des Welttheils ungelegen, ſie alle bemühten ſich wetteifernd den
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/20>, abgerufen am 22.11.2024.
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