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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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General Witzleben.
gediegenen Tüchtigkeit dieses Mannes und jenem schläfrigen Pedanten
Köckeritz, der vor 1806 das Vertrauen des Monarchen genossen hatte;
schon an der Wahl seiner Freunde ließ sich erkennen, wie Friedrich Wilhelm
gewachsen war mit der wachsenden Zeit. Der König war zuerst auf Witz-
lebens militärische Begabung aufmerksam geworden und erfuhr erst all-
mählich, welche vielseitige Bildung der junge Gardeoffizier besaß, wie er
mit Wilhelm Humboldt und anderen Größen der Wissenschaft freund-
schaftlich verkehrte, als Musiker ein ungewöhnliches Talent bewährte, auch
in der Theologie, die dem Herzen des Königs so nahe stand, wohlbewandert
war und bei Alledem so anspruchslos blieb, ganz frei von Selbstsucht,
fromm ohne Wortprunk, ein glücklicher Familienvater. Der neue General-
adjutant erwarb sich bald das unverbrüchliche Vertrauen Friedrich Wilhelms;
er durfte dem Monarchen Alles sagen, weil er die natürliche Lebhaftigkeit,
die aus seinen dunklen Augen blitzte, immer zu beherrschen verstand und
bei seinem ehrlichen Freimuth niemals die herzliche Verehrung für seinen
königlichen Freund vergaß. Er diente als Vermittler zwischen dem Könige
und den Ministern, ward bei allen großen Staatsgeschäften zu Rathe ge-
zogen und bewältigte Tag für Tag im Tabaksrauche seines einfachen Zim-
mers ungeheure Arbeitslasten mit einem rastlosen Fleiße, der seinen Körper
schon nach zwei Jahrzehnten vor der Zeit aufrieb. Im Drange der Ge-
schäfte hat er nur selten die Muße gefunden, die Erlebnisse des Tages
aufzuzeichnen; seine Tagebücher enthalten oft viele Monate lang nur weiße
Blätter, oft nur kurze Reisenotizen; wo sie aber über Politik reden, da
zeigt sich stets ein gerader Soldatenverstand, gründliche Sachkenntniß und
unbedingte Aufrichtigkeit. Obwohl er sich selber nicht zu den staatsmän-
nischen Köpfen rechnete und den Parteien des Hofes behutsam fern blieb,
so hielt er doch mit seinen gesunden politischen Urtheilen nicht hinter dem
Berge: er betrachtete die neue Heeresverfassung als das feste Band der
Staatseinheit, hielt die Vollendung der Stein-Hardenbergischen Reformen
für unerläßlich und -- was in diesen Tagen der geheimen Einflüsterungen
am Schwersten wog -- er kannte und liebte das preußische Volk. Nichts
schien ihm verächtlicher als der Versuch "in des Königs reiner Seele einen
Argwohn zu erwecken"; nichts brachte ihn ab von dem zuversichtlichen
Glauben: "es giebt keine gediegenere Treue als die bei uns wohnt."

Das stille Wirken dieses treuen Vermittlers war um so heilsamer,
da der König seit den Mißerfolgen des Wiener Congresses den Staats-
kanzler nicht mehr mit dem alten Vertrauen behandelte und den Uner-
setzlichen doch nicht entlassen konnte. Als Hardenberg seinen siebzigsten
Geburtstag feierte, rief Goethe dem alten Universitätsgenossen zu:

Auch vergehn uns die Gedanken
Wenn wir in Dein Leben schauen,
Freien Geist in Erdenschranken,
Festes Handeln und Vertrauen.

General Witzleben.
gediegenen Tüchtigkeit dieſes Mannes und jenem ſchläfrigen Pedanten
Köckeritz, der vor 1806 das Vertrauen des Monarchen genoſſen hatte;
ſchon an der Wahl ſeiner Freunde ließ ſich erkennen, wie Friedrich Wilhelm
gewachſen war mit der wachſenden Zeit. Der König war zuerſt auf Witz-
lebens militäriſche Begabung aufmerkſam geworden und erfuhr erſt all-
mählich, welche vielſeitige Bildung der junge Gardeoffizier beſaß, wie er
mit Wilhelm Humboldt und anderen Größen der Wiſſenſchaft freund-
ſchaftlich verkehrte, als Muſiker ein ungewöhnliches Talent bewährte, auch
in der Theologie, die dem Herzen des Königs ſo nahe ſtand, wohlbewandert
war und bei Alledem ſo anſpruchslos blieb, ganz frei von Selbſtſucht,
fromm ohne Wortprunk, ein glücklicher Familienvater. Der neue General-
adjutant erwarb ſich bald das unverbrüchliche Vertrauen Friedrich Wilhelms;
er durfte dem Monarchen Alles ſagen, weil er die natürliche Lebhaftigkeit,
die aus ſeinen dunklen Augen blitzte, immer zu beherrſchen verſtand und
bei ſeinem ehrlichen Freimuth niemals die herzliche Verehrung für ſeinen
königlichen Freund vergaß. Er diente als Vermittler zwiſchen dem Könige
und den Miniſtern, ward bei allen großen Staatsgeſchäften zu Rathe ge-
zogen und bewältigte Tag für Tag im Tabaksrauche ſeines einfachen Zim-
mers ungeheure Arbeitslaſten mit einem raſtloſen Fleiße, der ſeinen Körper
ſchon nach zwei Jahrzehnten vor der Zeit aufrieb. Im Drange der Ge-
ſchäfte hat er nur ſelten die Muße gefunden, die Erlebniſſe des Tages
aufzuzeichnen; ſeine Tagebücher enthalten oft viele Monate lang nur weiße
Blätter, oft nur kurze Reiſenotizen; wo ſie aber über Politik reden, da
zeigt ſich ſtets ein gerader Soldatenverſtand, gründliche Sachkenntniß und
unbedingte Aufrichtigkeit. Obwohl er ſich ſelber nicht zu den ſtaatsmän-
niſchen Köpfen rechnete und den Parteien des Hofes behutſam fern blieb,
ſo hielt er doch mit ſeinen geſunden politiſchen Urtheilen nicht hinter dem
Berge: er betrachtete die neue Heeresverfaſſung als das feſte Band der
Staatseinheit, hielt die Vollendung der Stein-Hardenbergiſchen Reformen
für unerläßlich und — was in dieſen Tagen der geheimen Einflüſterungen
am Schwerſten wog — er kannte und liebte das preußiſche Volk. Nichts
ſchien ihm verächtlicher als der Verſuch „in des Königs reiner Seele einen
Argwohn zu erwecken“; nichts brachte ihn ab von dem zuverſichtlichen
Glauben: „es giebt keine gediegenere Treue als die bei uns wohnt.“

Das ſtille Wirken dieſes treuen Vermittlers war um ſo heilſamer,
da der König ſeit den Mißerfolgen des Wiener Congreſſes den Staats-
kanzler nicht mehr mit dem alten Vertrauen behandelte und den Uner-
ſetzlichen doch nicht entlaſſen konnte. Als Hardenberg ſeinen ſiebzigſten
Geburtstag feierte, rief Goethe dem alten Univerſitätsgenoſſen zu:

Auch vergehn uns die Gedanken
Wenn wir in Dein Leben ſchauen,
Freien Geiſt in Erdenſchranken,
Feſtes Handeln und Vertrauen.
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[185/0199] General Witzleben. gediegenen Tüchtigkeit dieſes Mannes und jenem ſchläfrigen Pedanten Köckeritz, der vor 1806 das Vertrauen des Monarchen genoſſen hatte; ſchon an der Wahl ſeiner Freunde ließ ſich erkennen, wie Friedrich Wilhelm gewachſen war mit der wachſenden Zeit. Der König war zuerſt auf Witz- lebens militäriſche Begabung aufmerkſam geworden und erfuhr erſt all- mählich, welche vielſeitige Bildung der junge Gardeoffizier beſaß, wie er mit Wilhelm Humboldt und anderen Größen der Wiſſenſchaft freund- ſchaftlich verkehrte, als Muſiker ein ungewöhnliches Talent bewährte, auch in der Theologie, die dem Herzen des Königs ſo nahe ſtand, wohlbewandert war und bei Alledem ſo anſpruchslos blieb, ganz frei von Selbſtſucht, fromm ohne Wortprunk, ein glücklicher Familienvater. Der neue General- adjutant erwarb ſich bald das unverbrüchliche Vertrauen Friedrich Wilhelms; er durfte dem Monarchen Alles ſagen, weil er die natürliche Lebhaftigkeit, die aus ſeinen dunklen Augen blitzte, immer zu beherrſchen verſtand und bei ſeinem ehrlichen Freimuth niemals die herzliche Verehrung für ſeinen königlichen Freund vergaß. Er diente als Vermittler zwiſchen dem Könige und den Miniſtern, ward bei allen großen Staatsgeſchäften zu Rathe ge- zogen und bewältigte Tag für Tag im Tabaksrauche ſeines einfachen Zim- mers ungeheure Arbeitslaſten mit einem raſtloſen Fleiße, der ſeinen Körper ſchon nach zwei Jahrzehnten vor der Zeit aufrieb. Im Drange der Ge- ſchäfte hat er nur ſelten die Muße gefunden, die Erlebniſſe des Tages aufzuzeichnen; ſeine Tagebücher enthalten oft viele Monate lang nur weiße Blätter, oft nur kurze Reiſenotizen; wo ſie aber über Politik reden, da zeigt ſich ſtets ein gerader Soldatenverſtand, gründliche Sachkenntniß und unbedingte Aufrichtigkeit. Obwohl er ſich ſelber nicht zu den ſtaatsmän- niſchen Köpfen rechnete und den Parteien des Hofes behutſam fern blieb, ſo hielt er doch mit ſeinen geſunden politiſchen Urtheilen nicht hinter dem Berge: er betrachtete die neue Heeresverfaſſung als das feſte Band der Staatseinheit, hielt die Vollendung der Stein-Hardenbergiſchen Reformen für unerläßlich und — was in dieſen Tagen der geheimen Einflüſterungen am Schwerſten wog — er kannte und liebte das preußiſche Volk. Nichts ſchien ihm verächtlicher als der Verſuch „in des Königs reiner Seele einen Argwohn zu erwecken“; nichts brachte ihn ab von dem zuverſichtlichen Glauben: „es giebt keine gediegenere Treue als die bei uns wohnt.“ Das ſtille Wirken dieſes treuen Vermittlers war um ſo heilſamer, da der König ſeit den Mißerfolgen des Wiener Congreſſes den Staats- kanzler nicht mehr mit dem alten Vertrauen behandelte und den Uner- ſetzlichen doch nicht entlaſſen konnte. Als Hardenberg ſeinen ſiebzigſten Geburtstag feierte, rief Goethe dem alten Univerſitätsgenoſſen zu: Auch vergehn uns die Gedanken Wenn wir in Dein Leben ſchauen, Freien Geiſt in Erdenſchranken, Feſtes Handeln und Vertrauen.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/199>, abgerufen am 25.11.2024.