Anregung gebracht würde". So glänzend bestätigte sich jene Weissagung Oesterreichs: der Art. 19 solle die Bundesstaaten einander entfremden! Auch ein Nachspiel fehlte nicht, das nur auf deutschem Boden möglich war; denn es gibt eine Naivität der Dummheit und der Nichtswürdigkeit, welche allein in der Enge der Kleinstaaterei gedeihen kann. Der Kurfürst von Hessen hatte während der Hungersnoth durch den getreuen Rothschild baltisches Getreide bestellt; die Sendung langte aber zu spät an, als die Preise schon wieder gefallen waren. Damit seine Kammerkasse keinen Schaden litte, zwang nun der reiche Fürst die Kasseler Bäcker, ihm das Ostseegetreide zu 12 Thlr. 2 Gr. für das Kasseler Viertel abzunehmen, während der Marktpreis im Lande nur auf 7 Thlr. stand. Also ward das Nothjahr den Bürgern der hessischen Hauptstadt durch den liebevollen Landesvater noch um einige Monate künstlich verlängert.
Was konnte vollends der auswärtige Handel der Nation von dem Bundestage erwarten in einer peinlichen Angelegenheit, welche selbst von den Seemächten sehr schlaff behandelt wurde? Wie die Türkei selber so ver- dankten auch ihre Schutzstaaten, die Barbaresken, ihren Bestand zumeist der Uneinigkeit der europäischen Mächte; die Ueberfülle von Gegensätzen, welche die vielgestaltige Cultur des Abendlandes umschloß, kam der Bar- barei des Islam zu statten. Da keine europäische Macht der anderen ein rücksichtsloses Vorgehen gegen die Pforte gestatten wollte, so hatte man sich längst gewöhnt die Raubfahrten der Barbaresken im Mittelmeere als rechtmäßige Kriegszüge zu betrachten; jede Seemacht schützte sich dawider durch die Waffen oder auch durch Tributzahlungen. Als der Seehandel nach dem Frieden wieder aufzublühen begann, wagten sich die Piraten auch in andere Meere hinaus; selbst in der Ostsee, im Angesicht der deut- schen Küste wurden deutsche Schiffe ausgeplündert und die Mannschaft in die Sklaverei hinweggeführt, und zu alledem drohte die Gefahr der Ansteckung aus den verpesteten Landen Nordafrikas. Die Schiffe aus Han- nover und Schleswig-Holstein genossen noch einiger Sicherheit unter dem Schutze der englischen und der dänischen Flagge, da eine britische Flotte soeben den Dey von Algier in seiner Hauptstadt bedroht und zur Aus- lieferung der christlichen Sklaven gezwungen hatte. Um so schwerer litten die Hansestädte und die preußischen Häfen; ein großer Theil ihrer Schiffe mußte unter fremder Flagge segeln. Da verlangte endlich Czar Alexander in London die Bildung eines europäischen Seebundes zur gemeinsamen Be- kämpfung der Seeräuber (Sept. 1816); die englische Regierung aber wit- terte wieder arge Hintergedanken und wollte das Erscheinen russischer Kriegs- schiffe im Mittelmeer nicht dulden. Die langwierigen Verhandlungen führten zu keinem Ergebniß, obschon Preußen die russischen Vorschläge unterstützte und sich bereit erklärte einige Fregatten für die europäische Flotte zu stellen. Oesterreich zeigte, wie in allen Fragen der Handels- politik, eine unerschütterliche Gleichgiltigkeit; als die Corsaren des Sultans
II. 4. Die Eröffnung des Deutſchen Bundestages.
Anregung gebracht würde“. So glänzend beſtätigte ſich jene Weiſſagung Oeſterreichs: der Art. 19 ſolle die Bundesſtaaten einander entfremden! Auch ein Nachſpiel fehlte nicht, das nur auf deutſchem Boden möglich war; denn es gibt eine Naivität der Dummheit und der Nichtswürdigkeit, welche allein in der Enge der Kleinſtaaterei gedeihen kann. Der Kurfürſt von Heſſen hatte während der Hungersnoth durch den getreuen Rothſchild baltiſches Getreide beſtellt; die Sendung langte aber zu ſpät an, als die Preiſe ſchon wieder gefallen waren. Damit ſeine Kammerkaſſe keinen Schaden litte, zwang nun der reiche Fürſt die Kaſſeler Bäcker, ihm das Oſtſeegetreide zu 12 Thlr. 2 Gr. für das Kaſſeler Viertel abzunehmen, während der Marktpreis im Lande nur auf 7 Thlr. ſtand. Alſo ward das Nothjahr den Bürgern der heſſiſchen Hauptſtadt durch den liebevollen Landesvater noch um einige Monate künſtlich verlängert.
Was konnte vollends der auswärtige Handel der Nation von dem Bundestage erwarten in einer peinlichen Angelegenheit, welche ſelbſt von den Seemächten ſehr ſchlaff behandelt wurde? Wie die Türkei ſelber ſo ver- dankten auch ihre Schutzſtaaten, die Barbaresken, ihren Beſtand zumeiſt der Uneinigkeit der europäiſchen Mächte; die Ueberfülle von Gegenſätzen, welche die vielgeſtaltige Cultur des Abendlandes umſchloß, kam der Bar- barei des Islam zu ſtatten. Da keine europäiſche Macht der anderen ein rückſichtsloſes Vorgehen gegen die Pforte geſtatten wollte, ſo hatte man ſich längſt gewöhnt die Raubfahrten der Barbaresken im Mittelmeere als rechtmäßige Kriegszüge zu betrachten; jede Seemacht ſchützte ſich dawider durch die Waffen oder auch durch Tributzahlungen. Als der Seehandel nach dem Frieden wieder aufzublühen begann, wagten ſich die Piraten auch in andere Meere hinaus; ſelbſt in der Oſtſee, im Angeſicht der deut- ſchen Küſte wurden deutſche Schiffe ausgeplündert und die Mannſchaft in die Sklaverei hinweggeführt, und zu alledem drohte die Gefahr der Anſteckung aus den verpeſteten Landen Nordafrikas. Die Schiffe aus Han- nover und Schleswig-Holſtein genoſſen noch einiger Sicherheit unter dem Schutze der engliſchen und der däniſchen Flagge, da eine britiſche Flotte ſoeben den Dey von Algier in ſeiner Hauptſtadt bedroht und zur Aus- lieferung der chriſtlichen Sklaven gezwungen hatte. Um ſo ſchwerer litten die Hanſeſtädte und die preußiſchen Häfen; ein großer Theil ihrer Schiffe mußte unter fremder Flagge ſegeln. Da verlangte endlich Czar Alexander in London die Bildung eines europäiſchen Seebundes zur gemeinſamen Be- kämpfung der Seeräuber (Sept. 1816); die engliſche Regierung aber wit- terte wieder arge Hintergedanken und wollte das Erſcheinen ruſſiſcher Kriegs- ſchiffe im Mittelmeer nicht dulden. Die langwierigen Verhandlungen führten zu keinem Ergebniß, obſchon Preußen die ruſſiſchen Vorſchläge unterſtützte und ſich bereit erklärte einige Fregatten für die europäiſche Flotte zu ſtellen. Oeſterreich zeigte, wie in allen Fragen der Handels- politik, eine unerſchütterliche Gleichgiltigkeit; als die Corſaren des Sultans
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0188"n="174"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">II.</hi> 4. Die Eröffnung des Deutſchen Bundestages.</fw><lb/>
Anregung gebracht würde“. So glänzend beſtätigte ſich jene Weiſſagung<lb/>
Oeſterreichs: der Art. 19 ſolle die Bundesſtaaten einander entfremden!<lb/>
Auch ein Nachſpiel fehlte nicht, das nur auf deutſchem Boden möglich<lb/>
war; denn es gibt eine Naivität der Dummheit und der Nichtswürdigkeit,<lb/>
welche allein in der Enge der Kleinſtaaterei gedeihen kann. Der Kurfürſt<lb/>
von Heſſen hatte während der Hungersnoth durch den getreuen Rothſchild<lb/>
baltiſches Getreide beſtellt; die Sendung langte aber zu ſpät an, als die<lb/>
Preiſe ſchon wieder gefallen waren. Damit ſeine Kammerkaſſe keinen<lb/>
Schaden litte, zwang nun der reiche Fürſt die Kaſſeler Bäcker, ihm das<lb/>
Oſtſeegetreide zu 12 Thlr. 2 Gr. für das Kaſſeler Viertel abzunehmen,<lb/>
während der Marktpreis im Lande nur auf 7 Thlr. ſtand. Alſo ward<lb/>
das Nothjahr den Bürgern der heſſiſchen Hauptſtadt durch den liebevollen<lb/>
Landesvater noch um einige Monate künſtlich verlängert.</p><lb/><p>Was konnte vollends der auswärtige Handel der Nation von dem<lb/>
Bundestage erwarten in einer peinlichen Angelegenheit, welche ſelbſt von<lb/>
den Seemächten ſehr ſchlaff behandelt wurde? Wie die Türkei ſelber ſo ver-<lb/>
dankten auch ihre Schutzſtaaten, die Barbaresken, ihren Beſtand zumeiſt<lb/>
der Uneinigkeit der europäiſchen Mächte; die Ueberfülle von Gegenſätzen,<lb/>
welche die vielgeſtaltige Cultur des Abendlandes umſchloß, kam der Bar-<lb/>
barei des Islam zu ſtatten. Da keine europäiſche Macht der anderen<lb/>
ein rückſichtsloſes Vorgehen gegen die Pforte geſtatten wollte, ſo hatte man<lb/>ſich längſt gewöhnt die Raubfahrten der Barbaresken im Mittelmeere als<lb/>
rechtmäßige Kriegszüge zu betrachten; jede Seemacht ſchützte ſich dawider<lb/>
durch die Waffen oder auch durch Tributzahlungen. Als der Seehandel<lb/>
nach dem Frieden wieder aufzublühen begann, wagten ſich die Piraten<lb/>
auch in andere Meere hinaus; ſelbſt in der Oſtſee, im Angeſicht der deut-<lb/>ſchen Küſte wurden deutſche Schiffe ausgeplündert und die Mannſchaft<lb/>
in die Sklaverei hinweggeführt, und zu alledem drohte die Gefahr der<lb/>
Anſteckung aus den verpeſteten Landen Nordafrikas. Die Schiffe aus Han-<lb/>
nover und Schleswig-Holſtein genoſſen noch einiger Sicherheit unter dem<lb/>
Schutze der engliſchen und der däniſchen Flagge, da eine britiſche Flotte<lb/>ſoeben den Dey von Algier in ſeiner Hauptſtadt bedroht und zur Aus-<lb/>
lieferung der chriſtlichen Sklaven gezwungen hatte. Um ſo ſchwerer litten<lb/>
die Hanſeſtädte und die preußiſchen Häfen; ein großer Theil ihrer Schiffe<lb/>
mußte unter fremder Flagge ſegeln. Da verlangte endlich Czar Alexander<lb/>
in London die Bildung eines europäiſchen Seebundes zur gemeinſamen Be-<lb/>
kämpfung der Seeräuber (Sept. 1816); die engliſche Regierung aber wit-<lb/>
terte wieder arge Hintergedanken und wollte das Erſcheinen ruſſiſcher Kriegs-<lb/>ſchiffe im Mittelmeer nicht dulden. Die langwierigen Verhandlungen<lb/>
führten zu keinem Ergebniß, obſchon Preußen die ruſſiſchen Vorſchläge<lb/>
unterſtützte und ſich bereit erklärte einige Fregatten für die europäiſche<lb/>
Flotte zu ſtellen. Oeſterreich zeigte, wie in allen Fragen der Handels-<lb/>
politik, eine unerſchütterliche Gleichgiltigkeit; als die Corſaren des Sultans<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[174/0188]
II. 4. Die Eröffnung des Deutſchen Bundestages.
Anregung gebracht würde“. So glänzend beſtätigte ſich jene Weiſſagung
Oeſterreichs: der Art. 19 ſolle die Bundesſtaaten einander entfremden!
Auch ein Nachſpiel fehlte nicht, das nur auf deutſchem Boden möglich
war; denn es gibt eine Naivität der Dummheit und der Nichtswürdigkeit,
welche allein in der Enge der Kleinſtaaterei gedeihen kann. Der Kurfürſt
von Heſſen hatte während der Hungersnoth durch den getreuen Rothſchild
baltiſches Getreide beſtellt; die Sendung langte aber zu ſpät an, als die
Preiſe ſchon wieder gefallen waren. Damit ſeine Kammerkaſſe keinen
Schaden litte, zwang nun der reiche Fürſt die Kaſſeler Bäcker, ihm das
Oſtſeegetreide zu 12 Thlr. 2 Gr. für das Kaſſeler Viertel abzunehmen,
während der Marktpreis im Lande nur auf 7 Thlr. ſtand. Alſo ward
das Nothjahr den Bürgern der heſſiſchen Hauptſtadt durch den liebevollen
Landesvater noch um einige Monate künſtlich verlängert.
Was konnte vollends der auswärtige Handel der Nation von dem
Bundestage erwarten in einer peinlichen Angelegenheit, welche ſelbſt von
den Seemächten ſehr ſchlaff behandelt wurde? Wie die Türkei ſelber ſo ver-
dankten auch ihre Schutzſtaaten, die Barbaresken, ihren Beſtand zumeiſt
der Uneinigkeit der europäiſchen Mächte; die Ueberfülle von Gegenſätzen,
welche die vielgeſtaltige Cultur des Abendlandes umſchloß, kam der Bar-
barei des Islam zu ſtatten. Da keine europäiſche Macht der anderen
ein rückſichtsloſes Vorgehen gegen die Pforte geſtatten wollte, ſo hatte man
ſich längſt gewöhnt die Raubfahrten der Barbaresken im Mittelmeere als
rechtmäßige Kriegszüge zu betrachten; jede Seemacht ſchützte ſich dawider
durch die Waffen oder auch durch Tributzahlungen. Als der Seehandel
nach dem Frieden wieder aufzublühen begann, wagten ſich die Piraten
auch in andere Meere hinaus; ſelbſt in der Oſtſee, im Angeſicht der deut-
ſchen Küſte wurden deutſche Schiffe ausgeplündert und die Mannſchaft
in die Sklaverei hinweggeführt, und zu alledem drohte die Gefahr der
Anſteckung aus den verpeſteten Landen Nordafrikas. Die Schiffe aus Han-
nover und Schleswig-Holſtein genoſſen noch einiger Sicherheit unter dem
Schutze der engliſchen und der däniſchen Flagge, da eine britiſche Flotte
ſoeben den Dey von Algier in ſeiner Hauptſtadt bedroht und zur Aus-
lieferung der chriſtlichen Sklaven gezwungen hatte. Um ſo ſchwerer litten
die Hanſeſtädte und die preußiſchen Häfen; ein großer Theil ihrer Schiffe
mußte unter fremder Flagge ſegeln. Da verlangte endlich Czar Alexander
in London die Bildung eines europäiſchen Seebundes zur gemeinſamen Be-
kämpfung der Seeräuber (Sept. 1816); die engliſche Regierung aber wit-
terte wieder arge Hintergedanken und wollte das Erſcheinen ruſſiſcher Kriegs-
ſchiffe im Mittelmeer nicht dulden. Die langwierigen Verhandlungen
führten zu keinem Ergebniß, obſchon Preußen die ruſſiſchen Vorſchläge
unterſtützte und ſich bereit erklärte einige Fregatten für die europäiſche
Flotte zu ſtellen. Oeſterreich zeigte, wie in allen Fragen der Handels-
politik, eine unerſchütterliche Gleichgiltigkeit; als die Corſaren des Sultans
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/188>, abgerufen am 17.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.