kosten angeboten wurden. Zudem hinderten die hohen Kornzölle Englands die Ausfuhr deutschen Getreides, und in den Hungerjahren von 1816 und 17 ging dem deutschen Fabrikanten auch der einzige Vortheil verloren, den er vor dem englischen Concurrenten voraus hatte, der niedrige Arbeitslohn.
Erbittert durch so heillose Zustände warf sich die öffentliche Meinung in unreife extreme Ansichten. Besorgte Fabrikanten verlangten ein hartes Prohibitivsystem zum Schutze der deutschen Arbeit, und das überspannte Teutonenthum stimmte mit ein. In Berlin verschworen sich die Stadt- verordneten mit einer großen Zahl angesehener Bürger, nur noch deutsche Kleider und Geräthe zu kaufen; ähnliche Vereine entstanden in Schlesien und Sachsen. Auf der anderen Seite lärmten die radikalen Freihändler, welche wie der Baier Brunner alle Zölle als einen Eingriff in die natürliche Freiheit verdammten; eine wissenschaftlich durchgebildete freihändlerische Ueberzeugung bestand erst in einem kleinen Kreise von Gelehrten und unter den besten Köpfen des preußischen Beamtenthums. Beseitigung oder doch Beschränkung der Binnenmauthen war der allgemeine Wunsch; schon im Jahre 1816 berief E. Weber auf der Leipziger Messe eine Versamm- lung von Fabrikanten und Kaufleuten um dem Bundestage diese Bitte vorzutragen. Aber Wenige verbanden einen klaren Begriff mit den großen Worten; Wenige ahnten, welche ungeheueren Schwierigkeiten die Natur selbst der wirthschaftlichen Einheit Deutschlands entgegenstellte. Kein an- deres Culturvolk war in Gemüth und Charakter so gleichartig, aber auch keines umschloß in seinen Grenzen eine solche Verschiedenheit der klima- tischen Verhältnisse, der Verzehrungs- und Arbeitsgewohnheiten. Welch ein Abstand von der Großindustrie des Niederrheins bis hinüber zu den halb- polnischen Provinzen, wo mit den steigenden Getreidepreisen der Arbeitslohn zu sinken pflegte weil nur der Hunger das träge Volk zur Arbeit zwang; und wieder von dem nordischen Klima Ostpreußens, wo das Elennthier in den Forsten hauste, bis zu den gesegneten Weingeländen des Rheines. Noch war der schöpferische Kopf nicht aufgetreten, der es vermochte so grundver- schiedenen Interessen gerecht zu werden.
Am Wenigsten der Bundestag durfte sich zu einer solchen Arbeit er- dreisten. Aber mindestens einen, schlechthin empörenden Uebelstand der deutschen Verkehrsverhältnisse konnte und mußte die Bundesversammlung beseitigen, als im Sommer 1816 eine Hungersnoth über das verarmte Land hereinbrach, deren gleichen man seit dem bösen Jahre 1772 nicht mehr erlebt hatte. Monatelang strömte der Landregen vom Himmel, alle Flüsse traten aus ihren Betten, in Mittel- und Westdeutschland ging fast die gesammte Ernte zu Grunde; noch im Frühjahr 1817 sah man am Rhein blasse, jammernde Menschen die Felder durchstreifen und die verfaulten Kartoffeln vom vorigen Jahre ausgraben. Die wenigen Landstraßen hatte der Krieg so gänzlich verwüstet, daß die Getreidezufuhr zu Lande auf weitere Entfernungen unmöglich war; konnten doch selbst die Postwagen im Winter
II. 4. Die Eröffnung des Deutſchen Bundestages.
koſten angeboten wurden. Zudem hinderten die hohen Kornzölle Englands die Ausfuhr deutſchen Getreides, und in den Hungerjahren von 1816 und 17 ging dem deutſchen Fabrikanten auch der einzige Vortheil verloren, den er vor dem engliſchen Concurrenten voraus hatte, der niedrige Arbeitslohn.
Erbittert durch ſo heilloſe Zuſtände warf ſich die öffentliche Meinung in unreife extreme Anſichten. Beſorgte Fabrikanten verlangten ein hartes Prohibitivſyſtem zum Schutze der deutſchen Arbeit, und das überſpannte Teutonenthum ſtimmte mit ein. In Berlin verſchworen ſich die Stadt- verordneten mit einer großen Zahl angeſehener Bürger, nur noch deutſche Kleider und Geräthe zu kaufen; ähnliche Vereine entſtanden in Schleſien und Sachſen. Auf der anderen Seite lärmten die radikalen Freihändler, welche wie der Baier Brunner alle Zölle als einen Eingriff in die natürliche Freiheit verdammten; eine wiſſenſchaftlich durchgebildete freihändleriſche Ueberzeugung beſtand erſt in einem kleinen Kreiſe von Gelehrten und unter den beſten Köpfen des preußiſchen Beamtenthums. Beſeitigung oder doch Beſchränkung der Binnenmauthen war der allgemeine Wunſch; ſchon im Jahre 1816 berief E. Weber auf der Leipziger Meſſe eine Verſamm- lung von Fabrikanten und Kaufleuten um dem Bundestage dieſe Bitte vorzutragen. Aber Wenige verbanden einen klaren Begriff mit den großen Worten; Wenige ahnten, welche ungeheueren Schwierigkeiten die Natur ſelbſt der wirthſchaftlichen Einheit Deutſchlands entgegenſtellte. Kein an- deres Culturvolk war in Gemüth und Charakter ſo gleichartig, aber auch keines umſchloß in ſeinen Grenzen eine ſolche Verſchiedenheit der klima- tiſchen Verhältniſſe, der Verzehrungs- und Arbeitsgewohnheiten. Welch ein Abſtand von der Großinduſtrie des Niederrheins bis hinüber zu den halb- polniſchen Provinzen, wo mit den ſteigenden Getreidepreiſen der Arbeitslohn zu ſinken pflegte weil nur der Hunger das träge Volk zur Arbeit zwang; und wieder von dem nordiſchen Klima Oſtpreußens, wo das Elennthier in den Forſten hauſte, bis zu den geſegneten Weingeländen des Rheines. Noch war der ſchöpferiſche Kopf nicht aufgetreten, der es vermochte ſo grundver- ſchiedenen Intereſſen gerecht zu werden.
Am Wenigſten der Bundestag durfte ſich zu einer ſolchen Arbeit er- dreiſten. Aber mindeſtens einen, ſchlechthin empörenden Uebelſtand der deutſchen Verkehrsverhältniſſe konnte und mußte die Bundesverſammlung beſeitigen, als im Sommer 1816 eine Hungersnoth über das verarmte Land hereinbrach, deren gleichen man ſeit dem böſen Jahre 1772 nicht mehr erlebt hatte. Monatelang ſtrömte der Landregen vom Himmel, alle Flüſſe traten aus ihren Betten, in Mittel- und Weſtdeutſchland ging faſt die geſammte Ernte zu Grunde; noch im Frühjahr 1817 ſah man am Rhein blaſſe, jammernde Menſchen die Felder durchſtreifen und die verfaulten Kartoffeln vom vorigen Jahre ausgraben. Die wenigen Landſtraßen hatte der Krieg ſo gänzlich verwüſtet, daß die Getreidezufuhr zu Lande auf weitere Entfernungen unmöglich war; konnten doch ſelbſt die Poſtwagen im Winter
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koſten angeboten wurden. Zudem hinderten die hohen Kornzölle Englands
die Ausfuhr deutſchen Getreides, und in den Hungerjahren von 1816 und
17 ging dem deutſchen Fabrikanten auch der einzige Vortheil verloren, den
er vor dem engliſchen Concurrenten voraus hatte, der niedrige Arbeitslohn.
Erbittert durch ſo heilloſe Zuſtände warf ſich die öffentliche Meinung
in unreife extreme Anſichten. Beſorgte Fabrikanten verlangten ein hartes
Prohibitivſyſtem zum Schutze der deutſchen Arbeit, und das überſpannte
Teutonenthum ſtimmte mit ein. In Berlin verſchworen ſich die Stadt-
verordneten mit einer großen Zahl angeſehener Bürger, nur noch deutſche
Kleider und Geräthe zu kaufen; ähnliche Vereine entſtanden in Schleſien
und Sachſen. Auf der anderen Seite lärmten die radikalen Freihändler,
welche wie der Baier Brunner alle Zölle als einen Eingriff in die natürliche
Freiheit verdammten; eine wiſſenſchaftlich durchgebildete freihändleriſche
Ueberzeugung beſtand erſt in einem kleinen Kreiſe von Gelehrten und
unter den beſten Köpfen des preußiſchen Beamtenthums. Beſeitigung oder
doch Beſchränkung der Binnenmauthen war der allgemeine Wunſch; ſchon
im Jahre 1816 berief E. Weber auf der Leipziger Meſſe eine Verſamm-
lung von Fabrikanten und Kaufleuten um dem Bundestage dieſe Bitte
vorzutragen. Aber Wenige verbanden einen klaren Begriff mit den großen
Worten; Wenige ahnten, welche ungeheueren Schwierigkeiten die Natur
ſelbſt der wirthſchaftlichen Einheit Deutſchlands entgegenſtellte. Kein an-
deres Culturvolk war in Gemüth und Charakter ſo gleichartig, aber auch
keines umſchloß in ſeinen Grenzen eine ſolche Verſchiedenheit der klima-
tiſchen Verhältniſſe, der Verzehrungs- und Arbeitsgewohnheiten. Welch
ein Abſtand von der Großinduſtrie des Niederrheins bis hinüber zu den halb-
polniſchen Provinzen, wo mit den ſteigenden Getreidepreiſen der Arbeitslohn
zu ſinken pflegte weil nur der Hunger das träge Volk zur Arbeit zwang;
und wieder von dem nordiſchen Klima Oſtpreußens, wo das Elennthier in
den Forſten hauſte, bis zu den geſegneten Weingeländen des Rheines. Noch
war der ſchöpferiſche Kopf nicht aufgetreten, der es vermochte ſo grundver-
ſchiedenen Intereſſen gerecht zu werden.
Am Wenigſten der Bundestag durfte ſich zu einer ſolchen Arbeit er-
dreiſten. Aber mindeſtens einen, ſchlechthin empörenden Uebelſtand der
deutſchen Verkehrsverhältniſſe konnte und mußte die Bundesverſammlung
beſeitigen, als im Sommer 1816 eine Hungersnoth über das verarmte Land
hereinbrach, deren gleichen man ſeit dem böſen Jahre 1772 nicht mehr
erlebt hatte. Monatelang ſtrömte der Landregen vom Himmel, alle Flüſſe
traten aus ihren Betten, in Mittel- und Weſtdeutſchland ging faſt die
geſammte Ernte zu Grunde; noch im Frühjahr 1817 ſah man am Rhein
blaſſe, jammernde Menſchen die Felder durchſtreifen und die verfaulten
Kartoffeln vom vorigen Jahre ausgraben. Die wenigen Landſtraßen hatte
der Krieg ſo gänzlich verwüſtet, daß die Getreidezufuhr zu Lande auf weitere
Entfernungen unmöglich war; konnten doch ſelbſt die Poſtwagen im Winter
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/186>, abgerufen am 28.11.2024.
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