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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Verhandlungen über die Preßfreiheit.
Friedrich Wilhelm war über dies Vorgehen seines Staatskanzlers anfangs
sehr ungehalten, weil er voraussah, daß die preußische Verfassung über's
Jahr unmöglich vollendet sein konnte; und welches Recht habe der Bund
über diese Dinge Rechenschaft zu fordern? Indeß beruhigte sich der König,
da Hardenberg ihm vorstellte, die Einführung neuer ständischer Institu-
tionen, an der Stelle der verlebten alten Provinziallandtage sei doch be-
schlossene Sache: "Heute kann nicht Gestern werden."*) Der Bundestag
ertheilte nunmehr den Mecklenburgern die gewünschte Garantie und nahm
den preußischen Antrag an. Die Krone Württemberg aber versagte sich's
nicht, vor der Nation nochmals das Licht ihres unvergleichlichen Liberalismus
leuchten zu lassen. Derselbe Wangenheim, der soeben insgeheim eine be-
schränkende Interpretation des Art. 13 gefordert hatte, betheuerte in dem
veröffentlichten Protokoll vom 6. April: "die regeste Sorgfalt Sr. Ma-
jestät sei auf eine den liberalsten Grundsätzen entsprechende Repräsentativ-
verfassung gerichtet." Es war das erste Probstück jener heuchlerischen, treulos
zwischen dem Bundestage und den heimischen Landständen hin und her
schwankenden Politik, welche fortan ein Menschenalter hindurch von den
constitutionellen Mittelstaaten befolgt wurde.

Nächst der landständischen Verfassung war die Preßfreiheit der Lieb-
lingswunsch der Liberalen; sie hofften um so sicherer auf die Erfüllung
dieses Verlangens, da der Art. 18 der Bundesakte dem Bundestage vor-
schrieb, bei seiner ersten Zusammenkunft gleichförmige Verfügungen über
Preßfreiheit und Nachdruck abzufassen. Aber auch diese Hoffnung sollte
trügen. Die wenig beschränkte Freiheit, deren sich die deutsche Literatur
in ihren classischen Tagen erfreute, beruhte auf der Voraussetzung, daß
die Schriftsteller der Politik immerdar fern bleiben müßten. Als dann seit
dem Jahre 1813 plötzlich eine politische Presse aufschoß, ehrlich und warm-
herzig, aber auch unklar, lärmend, jugendlich ungezogen, da stand der alte
Beamtenstaat dem ungewohnten Treiben noch eine Weile erschrocken und
rathlos gegenüber; kein Diplomat, der nicht in seinen vertrauten Briefen
über die zügellose Frechheit der "politischen Scribler" jammerte. Zu den
Wenigen, die in der allgemeinen Bestürzung ihren Gleichmuth nicht ganz
verloren, gehörte Hardenberg. Schon von Paris aus schrieb er dem Justiz-
minister: er wünsche die Bewilligung einer geregelten Preßfreiheit, aber
auch Beschränkung der überhandnehmenden Zügellosigkeit; die Revision der
zahlreichen veralteten Censurgesetze, welche in den verschiedenen Landes-
theilen Preußens noch galten, scheine dringend geboten. Leider fand er in-
mitten der massenhaften Verwaltungsgeschäfte jener Uebergangszeit nicht die
Muße den Plan weiter zu verfolgen. Indessen wurde die Censur in Preußen
ohne Härte gehandhabt und der Nachdruck, der auf dem linken Rhein-

*) Kabinetsordre v. 18. Februar. Antwort Hardenbergs 10. März. Erwiderung
des Königs 21. März 1818.

Verhandlungen über die Preßfreiheit.
Friedrich Wilhelm war über dies Vorgehen ſeines Staatskanzlers anfangs
ſehr ungehalten, weil er vorausſah, daß die preußiſche Verfaſſung über’s
Jahr unmöglich vollendet ſein konnte; und welches Recht habe der Bund
über dieſe Dinge Rechenſchaft zu fordern? Indeß beruhigte ſich der König,
da Hardenberg ihm vorſtellte, die Einführung neuer ſtändiſcher Inſtitu-
tionen, an der Stelle der verlebten alten Provinziallandtage ſei doch be-
ſchloſſene Sache: „Heute kann nicht Geſtern werden.“*) Der Bundestag
ertheilte nunmehr den Mecklenburgern die gewünſchte Garantie und nahm
den preußiſchen Antrag an. Die Krone Württemberg aber verſagte ſich’s
nicht, vor der Nation nochmals das Licht ihres unvergleichlichen Liberalismus
leuchten zu laſſen. Derſelbe Wangenheim, der ſoeben insgeheim eine be-
ſchränkende Interpretation des Art. 13 gefordert hatte, betheuerte in dem
veröffentlichten Protokoll vom 6. April: „die regeſte Sorgfalt Sr. Ma-
jeſtät ſei auf eine den liberalſten Grundſätzen entſprechende Repräſentativ-
verfaſſung gerichtet.“ Es war das erſte Probſtück jener heuchleriſchen, treulos
zwiſchen dem Bundestage und den heimiſchen Landſtänden hin und her
ſchwankenden Politik, welche fortan ein Menſchenalter hindurch von den
conſtitutionellen Mittelſtaaten befolgt wurde.

Nächſt der landſtändiſchen Verfaſſung war die Preßfreiheit der Lieb-
lingswunſch der Liberalen; ſie hofften um ſo ſicherer auf die Erfüllung
dieſes Verlangens, da der Art. 18 der Bundesakte dem Bundestage vor-
ſchrieb, bei ſeiner erſten Zuſammenkunft gleichförmige Verfügungen über
Preßfreiheit und Nachdruck abzufaſſen. Aber auch dieſe Hoffnung ſollte
trügen. Die wenig beſchränkte Freiheit, deren ſich die deutſche Literatur
in ihren claſſiſchen Tagen erfreute, beruhte auf der Vorausſetzung, daß
die Schriftſteller der Politik immerdar fern bleiben müßten. Als dann ſeit
dem Jahre 1813 plötzlich eine politiſche Preſſe aufſchoß, ehrlich und warm-
herzig, aber auch unklar, lärmend, jugendlich ungezogen, da ſtand der alte
Beamtenſtaat dem ungewohnten Treiben noch eine Weile erſchrocken und
rathlos gegenüber; kein Diplomat, der nicht in ſeinen vertrauten Briefen
über die zügelloſe Frechheit der „politiſchen Scribler“ jammerte. Zu den
Wenigen, die in der allgemeinen Beſtürzung ihren Gleichmuth nicht ganz
verloren, gehörte Hardenberg. Schon von Paris aus ſchrieb er dem Juſtiz-
miniſter: er wünſche die Bewilligung einer geregelten Preßfreiheit, aber
auch Beſchränkung der überhandnehmenden Zügelloſigkeit; die Reviſion der
zahlreichen veralteten Cenſurgeſetze, welche in den verſchiedenen Landes-
theilen Preußens noch galten, ſcheine dringend geboten. Leider fand er in-
mitten der maſſenhaften Verwaltungsgeſchäfte jener Uebergangszeit nicht die
Muße den Plan weiter zu verfolgen. Indeſſen wurde die Cenſur in Preußen
ohne Härte gehandhabt und der Nachdruck, der auf dem linken Rhein-

*) Kabinetsordre v. 18. Februar. Antwort Hardenbergs 10. März. Erwiderung
des Königs 21. März 1818.
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[169/0183] Verhandlungen über die Preßfreiheit. Friedrich Wilhelm war über dies Vorgehen ſeines Staatskanzlers anfangs ſehr ungehalten, weil er vorausſah, daß die preußiſche Verfaſſung über’s Jahr unmöglich vollendet ſein konnte; und welches Recht habe der Bund über dieſe Dinge Rechenſchaft zu fordern? Indeß beruhigte ſich der König, da Hardenberg ihm vorſtellte, die Einführung neuer ſtändiſcher Inſtitu- tionen, an der Stelle der verlebten alten Provinziallandtage ſei doch be- ſchloſſene Sache: „Heute kann nicht Geſtern werden.“ *) Der Bundestag ertheilte nunmehr den Mecklenburgern die gewünſchte Garantie und nahm den preußiſchen Antrag an. Die Krone Württemberg aber verſagte ſich’s nicht, vor der Nation nochmals das Licht ihres unvergleichlichen Liberalismus leuchten zu laſſen. Derſelbe Wangenheim, der ſoeben insgeheim eine be- ſchränkende Interpretation des Art. 13 gefordert hatte, betheuerte in dem veröffentlichten Protokoll vom 6. April: „die regeſte Sorgfalt Sr. Ma- jeſtät ſei auf eine den liberalſten Grundſätzen entſprechende Repräſentativ- verfaſſung gerichtet.“ Es war das erſte Probſtück jener heuchleriſchen, treulos zwiſchen dem Bundestage und den heimiſchen Landſtänden hin und her ſchwankenden Politik, welche fortan ein Menſchenalter hindurch von den conſtitutionellen Mittelſtaaten befolgt wurde. Nächſt der landſtändiſchen Verfaſſung war die Preßfreiheit der Lieb- lingswunſch der Liberalen; ſie hofften um ſo ſicherer auf die Erfüllung dieſes Verlangens, da der Art. 18 der Bundesakte dem Bundestage vor- ſchrieb, bei ſeiner erſten Zuſammenkunft gleichförmige Verfügungen über Preßfreiheit und Nachdruck abzufaſſen. Aber auch dieſe Hoffnung ſollte trügen. Die wenig beſchränkte Freiheit, deren ſich die deutſche Literatur in ihren claſſiſchen Tagen erfreute, beruhte auf der Vorausſetzung, daß die Schriftſteller der Politik immerdar fern bleiben müßten. Als dann ſeit dem Jahre 1813 plötzlich eine politiſche Preſſe aufſchoß, ehrlich und warm- herzig, aber auch unklar, lärmend, jugendlich ungezogen, da ſtand der alte Beamtenſtaat dem ungewohnten Treiben noch eine Weile erſchrocken und rathlos gegenüber; kein Diplomat, der nicht in ſeinen vertrauten Briefen über die zügelloſe Frechheit der „politiſchen Scribler“ jammerte. Zu den Wenigen, die in der allgemeinen Beſtürzung ihren Gleichmuth nicht ganz verloren, gehörte Hardenberg. Schon von Paris aus ſchrieb er dem Juſtiz- miniſter: er wünſche die Bewilligung einer geregelten Preßfreiheit, aber auch Beſchränkung der überhandnehmenden Zügelloſigkeit; die Reviſion der zahlreichen veralteten Cenſurgeſetze, welche in den verſchiedenen Landes- theilen Preußens noch galten, ſcheine dringend geboten. Leider fand er in- mitten der maſſenhaften Verwaltungsgeſchäfte jener Uebergangszeit nicht die Muße den Plan weiter zu verfolgen. Indeſſen wurde die Cenſur in Preußen ohne Härte gehandhabt und der Nachdruck, der auf dem linken Rhein- *) Kabinetsordre v. 18. Februar. Antwort Hardenbergs 10. März. Erwiderung des Königs 21. März 1818.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/183>, abgerufen am 24.11.2024.