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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Humboldts Denkschrift über den Deutschen Bund.
in's Leben getreten war sprach Humboldt aus, was die Erfahrung eines
halben Jahrhunderts bestätigen sollte: daß in Frankfurt nur die Phrase
der deutschen Politik gedeihen konnte, alle Geschäfte der nationalen Staats-
kunst von Berlin aus durch Verhandlungen mit den Einzelstaaten betrieben
werden mußten.

Am 5. Novbr. 1816 wurde die Bundesversammlung endlich eröffnet.
Nach Hänleins Niederlage hatte Buol schon in den vorbereitenden Sitzungen
die gesammte formelle Leitung ohne Widerspruch an sich genommen. Die
Führung des Protokolls ward, auf Humboldts Verlangen, nicht dem eitlen
Friedrich Schlegel anvertraut, der schon auf dem Wiener Congresse durch
seinen clericalen Eifer und durch seine Knittelverse wider die "Nord- und
Morddeutschen" den Zorn der Preußen erregt hatte, sondern einem harm-
losen k. k. Hofrath v. Handel, dessen entsetzliches Deutsch den dürftigen
Inhalt der Verhandlungen noch lächerlicher erscheinen ließ. Der hohe Rath
der deutschen Nation versammelte sich in dem Thurn- und Taxis'schen
Palaste auf der Eschenheimer Gasse, wo die k. k. Gesandtschaft zur Miethe
wohnte, und blieb fortan durch ein halbes Jahrhundert der bescheidene
Miether des Taxis'schen Fürstenhauses. Da die Mittelstaaten von dem
Wiederaufleben des alten Reichsadlers nichts hören wollten, so trugen
die veröffentlichten Protokolle auf ihrem Titelblatte das österreichische Wappen
mit der Umschrift "Kaiserlich Oesterreichische Bundeskanzley". Es schien,
als tage hier wirklich nur eine k. k. Provinzialbehörde. Die Präsidialmacht
verschuldete auch, daß beim Anbruch dieser neuen Epoche deutscher Geschichte
nicht einmal der Segen Gottes angerufen wurde. Buol weigerte sich an
einem evangelischen Gottesdienste theilzunehmen, er verlangte ein Hochamt
in dem alten Kaiserdome, obgleich fünf Sechstel der Souveräne des neuen
Deutschlands protestantisch waren, und wollte dann statt der unterbliebenen
kirchlichen Feier eine Festvorstellung im Theater veranstalten, was Hum-
boldts guter Takt noch glücklich vereitelte.

Als die Mitglieder des Bundestags allesammt, von der Wache mit
präsentirtem Gewehr und geschwenkter Fahne begrüßt, vor dem k. k. Ge-
sandtschaftshotel vorgefahren waren, las Graf Buol eine Rede ab, deren
sinnloser Wortschwall gebildeten Hörern geradezu als eine Beleidigung
erscheinen mußte: sie zeigte anschaulich, welcher Barbarei herz- und ideen-
lose Politiker verfallen, sobald sie versuchen pathetisch zu werden. Der
Vortrag war dem Gesandten von Metternich selbst zugeschickt worden, der
es nicht der Mühe werth gehalten hatte die classische Feder seines Gentz
zu benutzen; Buol selbst fand ihn unpassend und verlas aus Schonung
nur einen Theil.*) Hohlere Phrasen hatten doch selbst die unreifsten teu-
tonischen Studenten noch nie gebraucht, als hier der Wiener Hof, da er
anhub: "Im Deutschen als Menschen, auch ohne alle willkürlichen Staats-

*) Humboldts Berichte 1. und 8. November 1816.
Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 10

Humboldts Denkſchrift über den Deutſchen Bund.
in’s Leben getreten war ſprach Humboldt aus, was die Erfahrung eines
halben Jahrhunderts beſtätigen ſollte: daß in Frankfurt nur die Phraſe
der deutſchen Politik gedeihen konnte, alle Geſchäfte der nationalen Staats-
kunſt von Berlin aus durch Verhandlungen mit den Einzelſtaaten betrieben
werden mußten.

Am 5. Novbr. 1816 wurde die Bundesverſammlung endlich eröffnet.
Nach Hänleins Niederlage hatte Buol ſchon in den vorbereitenden Sitzungen
die geſammte formelle Leitung ohne Widerſpruch an ſich genommen. Die
Führung des Protokolls ward, auf Humboldts Verlangen, nicht dem eitlen
Friedrich Schlegel anvertraut, der ſchon auf dem Wiener Congreſſe durch
ſeinen clericalen Eifer und durch ſeine Knittelverſe wider die „Nord- und
Morddeutſchen“ den Zorn der Preußen erregt hatte, ſondern einem harm-
loſen k. k. Hofrath v. Handel, deſſen entſetzliches Deutſch den dürftigen
Inhalt der Verhandlungen noch lächerlicher erſcheinen ließ. Der hohe Rath
der deutſchen Nation verſammelte ſich in dem Thurn- und Taxis’ſchen
Palaſte auf der Eſchenheimer Gaſſe, wo die k. k. Geſandtſchaft zur Miethe
wohnte, und blieb fortan durch ein halbes Jahrhundert der beſcheidene
Miether des Taxis’ſchen Fürſtenhauſes. Da die Mittelſtaaten von dem
Wiederaufleben des alten Reichsadlers nichts hören wollten, ſo trugen
die veröffentlichten Protokolle auf ihrem Titelblatte das öſterreichiſche Wappen
mit der Umſchrift „Kaiſerlich Oeſterreichiſche Bundeskanzley“. Es ſchien,
als tage hier wirklich nur eine k. k. Provinzialbehörde. Die Präſidialmacht
verſchuldete auch, daß beim Anbruch dieſer neuen Epoche deutſcher Geſchichte
nicht einmal der Segen Gottes angerufen wurde. Buol weigerte ſich an
einem evangeliſchen Gottesdienſte theilzunehmen, er verlangte ein Hochamt
in dem alten Kaiſerdome, obgleich fünf Sechſtel der Souveräne des neuen
Deutſchlands proteſtantiſch waren, und wollte dann ſtatt der unterbliebenen
kirchlichen Feier eine Feſtvorſtellung im Theater veranſtalten, was Hum-
boldts guter Takt noch glücklich vereitelte.

Als die Mitglieder des Bundestags alleſammt, von der Wache mit
präſentirtem Gewehr und geſchwenkter Fahne begrüßt, vor dem k. k. Ge-
ſandtſchaftshotel vorgefahren waren, las Graf Buol eine Rede ab, deren
ſinnloſer Wortſchwall gebildeten Hörern geradezu als eine Beleidigung
erſcheinen mußte: ſie zeigte anſchaulich, welcher Barbarei herz- und ideen-
loſe Politiker verfallen, ſobald ſie verſuchen pathetiſch zu werden. Der
Vortrag war dem Geſandten von Metternich ſelbſt zugeſchickt worden, der
es nicht der Mühe werth gehalten hatte die claſſiſche Feder ſeines Gentz
zu benutzen; Buol ſelbſt fand ihn unpaſſend und verlas aus Schonung
nur einen Theil.*) Hohlere Phraſen hatten doch ſelbſt die unreifſten teu-
toniſchen Studenten noch nie gebraucht, als hier der Wiener Hof, da er
anhub: „Im Deutſchen als Menſchen, auch ohne alle willkürlichen Staats-

*) Humboldts Berichte 1. und 8. November 1816.
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[145/0159] Humboldts Denkſchrift über den Deutſchen Bund. in’s Leben getreten war ſprach Humboldt aus, was die Erfahrung eines halben Jahrhunderts beſtätigen ſollte: daß in Frankfurt nur die Phraſe der deutſchen Politik gedeihen konnte, alle Geſchäfte der nationalen Staats- kunſt von Berlin aus durch Verhandlungen mit den Einzelſtaaten betrieben werden mußten. Am 5. Novbr. 1816 wurde die Bundesverſammlung endlich eröffnet. Nach Hänleins Niederlage hatte Buol ſchon in den vorbereitenden Sitzungen die geſammte formelle Leitung ohne Widerſpruch an ſich genommen. Die Führung des Protokolls ward, auf Humboldts Verlangen, nicht dem eitlen Friedrich Schlegel anvertraut, der ſchon auf dem Wiener Congreſſe durch ſeinen clericalen Eifer und durch ſeine Knittelverſe wider die „Nord- und Morddeutſchen“ den Zorn der Preußen erregt hatte, ſondern einem harm- loſen k. k. Hofrath v. Handel, deſſen entſetzliches Deutſch den dürftigen Inhalt der Verhandlungen noch lächerlicher erſcheinen ließ. Der hohe Rath der deutſchen Nation verſammelte ſich in dem Thurn- und Taxis’ſchen Palaſte auf der Eſchenheimer Gaſſe, wo die k. k. Geſandtſchaft zur Miethe wohnte, und blieb fortan durch ein halbes Jahrhundert der beſcheidene Miether des Taxis’ſchen Fürſtenhauſes. Da die Mittelſtaaten von dem Wiederaufleben des alten Reichsadlers nichts hören wollten, ſo trugen die veröffentlichten Protokolle auf ihrem Titelblatte das öſterreichiſche Wappen mit der Umſchrift „Kaiſerlich Oeſterreichiſche Bundeskanzley“. Es ſchien, als tage hier wirklich nur eine k. k. Provinzialbehörde. Die Präſidialmacht verſchuldete auch, daß beim Anbruch dieſer neuen Epoche deutſcher Geſchichte nicht einmal der Segen Gottes angerufen wurde. Buol weigerte ſich an einem evangeliſchen Gottesdienſte theilzunehmen, er verlangte ein Hochamt in dem alten Kaiſerdome, obgleich fünf Sechſtel der Souveräne des neuen Deutſchlands proteſtantiſch waren, und wollte dann ſtatt der unterbliebenen kirchlichen Feier eine Feſtvorſtellung im Theater veranſtalten, was Hum- boldts guter Takt noch glücklich vereitelte. Als die Mitglieder des Bundestags alleſammt, von der Wache mit präſentirtem Gewehr und geſchwenkter Fahne begrüßt, vor dem k. k. Ge- ſandtſchaftshotel vorgefahren waren, las Graf Buol eine Rede ab, deren ſinnloſer Wortſchwall gebildeten Hörern geradezu als eine Beleidigung erſcheinen mußte: ſie zeigte anſchaulich, welcher Barbarei herz- und ideen- loſe Politiker verfallen, ſobald ſie verſuchen pathetiſch zu werden. Der Vortrag war dem Geſandten von Metternich ſelbſt zugeſchickt worden, der es nicht der Mühe werth gehalten hatte die claſſiſche Feder ſeines Gentz zu benutzen; Buol ſelbſt fand ihn unpaſſend und verlas aus Schonung nur einen Theil. *) Hohlere Phraſen hatten doch ſelbſt die unreifſten teu- toniſchen Studenten noch nie gebraucht, als hier der Wiener Hof, da er anhub: „Im Deutſchen als Menſchen, auch ohne alle willkürlichen Staats- *) Humboldts Berichte 1. und 8. November 1816. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. II. 10

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/159>, abgerufen am 26.11.2024.