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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Der Rath der vier Mächte.
Vernunftgründe und auf die offenbare Gerechtigkeit der preußischen Forde-
rungen ankam; "das alleinige Verfolgen meines Staatsinteresses, schrieb
er beschwichtigend an den Feldmarschall, findet Schwierigkeiten in den
vielfach combinirten Interessen der übrigen Staaten."

In der That war die Stellung der preußischen Unterhändler heuer
sogar noch ungünstiger als bei dem ersten Friedenscongresse; in allen
wesentlichen Fragen begegneten sie dem Widerspruche der anderen vier
Mächte. Wohl traten die alten Gegner von Wien her, die Niederlande,
Baiern und Württemberg, diesmal mit Eifer für die preußischen Forde-
rungen ein, da die Schwächung der französischen Ostgrenze für sie noch
weit wichtiger war als für Preußen selber. Aber -- so scharf hatte sich
das System der Pentarchie bereits ausgebildet -- die Denkschriften der
Staaten zweiten Ranges wurden von den großen Mächten als müßige
Stilübungen angesehen, selten auch nur einer Antwort gewürdigt. Der
preußische Staat stand allein; sein Heer hatte sich heldenhaft für die ge-
meinsame Sache des Welttheils aufgeopfert um schließlich für das eigene
Land nahezu nichts zu erringen. --


Als Hardenberg am 15. Juli in Paris eintraf, mußte er von dem
Czaren sogleich heftige Vorwürfe hören wegen der Zügellosigkeit des preu-
ßischen Heeres. Und doch hielt Blücher strenge Mannszucht, bestrafte
unnachsichtlich die vereinzelten Ausschreitungen unter seinen Truppen.
Nur die Niederländer und, nach ihrer alten Gewohnheit, die Baiern,
ließen sich einige Ausbrüche der Roheit zu schulden kommen; indeß trug
auch daran die störrische Gehässigkeit der Quartierwirthe reichliche Mit-
schuld. Der Seinepräfect selber hetzte die Pariser gegen die Verbündeten
auf. Als Müffling das venetianische Viergespann von dem Triumph-
bogen des Carrouselplatzes herabnehmen ließ, wurden die Arbeiter mehr-
mals von dem Pöbel und den Leibgardisten der Bourbonen vertrieben,
bis endlich ein österreichisches Bataillon Frieden stiftete. Der Staats-
kanzler errieth sofort, daß die einseitig gegen die Preußen gerichteten An-
klagen des Czaren eine bestimmte Absicht versteckten: es kam darauf an,
die Preußen als siegestrunkene Uebermüthige darzustellen, auch ihr Kriegs-
ruhm wurde geflissentlich verkleinert und angezweifelt.

In dem großen Ministerrathe saßen Nesselrode, Capodistrias, Pozzo;
Castlereagh, Wellington, Stewart; Metternich, Wessenberg, Schwarzenberg
-- Keiner darunter, der den drei preußischen Bevollmächtigten entgegen-
gekommen wäre. Die Präsidialmacht des neuen Deutschen Bundes hielt
sich zu Anfang zurück, da sie dem einmüthigen Verlangen der deutschen
Nation doch nicht allzu laut widersprechen durfte, aber sie that auch nicht
das Mindeste um die Zurückforderung der Vogesengrenze zu unterstützen.
Gentz sprach von vorn herein mit giftigem Hohne über "die engherzigen

Treitschke, Deutsche Geschichte. I. 49

Der Rath der vier Mächte.
Vernunftgründe und auf die offenbare Gerechtigkeit der preußiſchen Forde-
rungen ankam; „das alleinige Verfolgen meines Staatsintereſſes, ſchrieb
er beſchwichtigend an den Feldmarſchall, findet Schwierigkeiten in den
vielfach combinirten Intereſſen der übrigen Staaten.“

In der That war die Stellung der preußiſchen Unterhändler heuer
ſogar noch ungünſtiger als bei dem erſten Friedenscongreſſe; in allen
weſentlichen Fragen begegneten ſie dem Widerſpruche der anderen vier
Mächte. Wohl traten die alten Gegner von Wien her, die Niederlande,
Baiern und Württemberg, diesmal mit Eifer für die preußiſchen Forde-
rungen ein, da die Schwächung der franzöſiſchen Oſtgrenze für ſie noch
weit wichtiger war als für Preußen ſelber. Aber — ſo ſcharf hatte ſich
das Syſtem der Pentarchie bereits ausgebildet — die Denkſchriften der
Staaten zweiten Ranges wurden von den großen Mächten als müßige
Stilübungen angeſehen, ſelten auch nur einer Antwort gewürdigt. Der
preußiſche Staat ſtand allein; ſein Heer hatte ſich heldenhaft für die ge-
meinſame Sache des Welttheils aufgeopfert um ſchließlich für das eigene
Land nahezu nichts zu erringen. —


Als Hardenberg am 15. Juli in Paris eintraf, mußte er von dem
Czaren ſogleich heftige Vorwürfe hören wegen der Zügelloſigkeit des preu-
ßiſchen Heeres. Und doch hielt Blücher ſtrenge Mannszucht, beſtrafte
unnachſichtlich die vereinzelten Ausſchreitungen unter ſeinen Truppen.
Nur die Niederländer und, nach ihrer alten Gewohnheit, die Baiern,
ließen ſich einige Ausbrüche der Roheit zu ſchulden kommen; indeß trug
auch daran die ſtörriſche Gehäſſigkeit der Quartierwirthe reichliche Mit-
ſchuld. Der Seinepräfect ſelber hetzte die Pariſer gegen die Verbündeten
auf. Als Müffling das venetianiſche Viergeſpann von dem Triumph-
bogen des Carrouſelplatzes herabnehmen ließ, wurden die Arbeiter mehr-
mals von dem Pöbel und den Leibgardiſten der Bourbonen vertrieben,
bis endlich ein öſterreichiſches Bataillon Frieden ſtiftete. Der Staats-
kanzler errieth ſofort, daß die einſeitig gegen die Preußen gerichteten An-
klagen des Czaren eine beſtimmte Abſicht verſteckten: es kam darauf an,
die Preußen als ſiegestrunkene Uebermüthige darzuſtellen, auch ihr Kriegs-
ruhm wurde gefliſſentlich verkleinert und angezweifelt.

In dem großen Miniſterrathe ſaßen Neſſelrode, Capodiſtrias, Pozzo;
Caſtlereagh, Wellington, Stewart; Metternich, Weſſenberg, Schwarzenberg
— Keiner darunter, der den drei preußiſchen Bevollmächtigten entgegen-
gekommen wäre. Die Präſidialmacht des neuen Deutſchen Bundes hielt
ſich zu Anfang zurück, da ſie dem einmüthigen Verlangen der deutſchen
Nation doch nicht allzu laut widerſprechen durfte, aber ſie that auch nicht
das Mindeſte um die Zurückforderung der Vogeſengrenze zu unterſtützen.
Gentz ſprach von vorn herein mit giftigem Hohne über „die engherzigen

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[769/0785] Der Rath der vier Mächte. Vernunftgründe und auf die offenbare Gerechtigkeit der preußiſchen Forde- rungen ankam; „das alleinige Verfolgen meines Staatsintereſſes, ſchrieb er beſchwichtigend an den Feldmarſchall, findet Schwierigkeiten in den vielfach combinirten Intereſſen der übrigen Staaten.“ In der That war die Stellung der preußiſchen Unterhändler heuer ſogar noch ungünſtiger als bei dem erſten Friedenscongreſſe; in allen weſentlichen Fragen begegneten ſie dem Widerſpruche der anderen vier Mächte. Wohl traten die alten Gegner von Wien her, die Niederlande, Baiern und Württemberg, diesmal mit Eifer für die preußiſchen Forde- rungen ein, da die Schwächung der franzöſiſchen Oſtgrenze für ſie noch weit wichtiger war als für Preußen ſelber. Aber — ſo ſcharf hatte ſich das Syſtem der Pentarchie bereits ausgebildet — die Denkſchriften der Staaten zweiten Ranges wurden von den großen Mächten als müßige Stilübungen angeſehen, ſelten auch nur einer Antwort gewürdigt. Der preußiſche Staat ſtand allein; ſein Heer hatte ſich heldenhaft für die ge- meinſame Sache des Welttheils aufgeopfert um ſchließlich für das eigene Land nahezu nichts zu erringen. — Als Hardenberg am 15. Juli in Paris eintraf, mußte er von dem Czaren ſogleich heftige Vorwürfe hören wegen der Zügelloſigkeit des preu- ßiſchen Heeres. Und doch hielt Blücher ſtrenge Mannszucht, beſtrafte unnachſichtlich die vereinzelten Ausſchreitungen unter ſeinen Truppen. Nur die Niederländer und, nach ihrer alten Gewohnheit, die Baiern, ließen ſich einige Ausbrüche der Roheit zu ſchulden kommen; indeß trug auch daran die ſtörriſche Gehäſſigkeit der Quartierwirthe reichliche Mit- ſchuld. Der Seinepräfect ſelber hetzte die Pariſer gegen die Verbündeten auf. Als Müffling das venetianiſche Viergeſpann von dem Triumph- bogen des Carrouſelplatzes herabnehmen ließ, wurden die Arbeiter mehr- mals von dem Pöbel und den Leibgardiſten der Bourbonen vertrieben, bis endlich ein öſterreichiſches Bataillon Frieden ſtiftete. Der Staats- kanzler errieth ſofort, daß die einſeitig gegen die Preußen gerichteten An- klagen des Czaren eine beſtimmte Abſicht verſteckten: es kam darauf an, die Preußen als ſiegestrunkene Uebermüthige darzuſtellen, auch ihr Kriegs- ruhm wurde gefliſſentlich verkleinert und angezweifelt. In dem großen Miniſterrathe ſaßen Neſſelrode, Capodiſtrias, Pozzo; Caſtlereagh, Wellington, Stewart; Metternich, Weſſenberg, Schwarzenberg — Keiner darunter, der den drei preußiſchen Bevollmächtigten entgegen- gekommen wäre. Die Präſidialmacht des neuen Deutſchen Bundes hielt ſich zu Anfang zurück, da ſie dem einmüthigen Verlangen der deutſchen Nation doch nicht allzu laut widerſprechen durfte, aber ſie that auch nicht das Mindeſte um die Zurückforderung der Vogeſengrenze zu unterſtützen. Gentz ſprach von vorn herein mit giftigem Hohne über „die engherzigen Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 49

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 769. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/785>, abgerufen am 05.05.2024.