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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Wellington.
Kunst des Herrschens, unter den Augen seines Bruders Richard Welles-
ley, des genialen Begründers der britischen Großmachtstellung im Oriente.
Streng gegen sich und Andere, unverbrüchlich gehorsam und pflichtgetreu,
gerecht und ehrenhaft, kalt, sicher und verständig in Allem, zeigte er sich
jeder der schwierigen militärischen und politischen Aufgaben, welche das in-
dische Leben dem Heerführer stellt, vollauf gewachsen; und wie verwegen
der Bedachtsame, der alle Möglichkeiten peinlich genau vorher erwog, zur
rechten Stunde das Glück zu packen wußte, das lehrten der glänzende
Sieg von Assaye über die sechsfache Uebermacht der Hindus und der
kühne Reiterzug in die Berge der Mahratten. Nach Europa zurück-
gekehrt nahm er Theil an der berüchtigten Raubfahrt nach Kopenhagen,
tapfer und tüchtig wie immer, aber auch vollkommen gleichgiltig gegen
das traurige Schicksal des ruchlos überfallenen schwachen Gegners; denn
niemals war ein Sohn Britanniens so ganz durchdrungen von der alt-
nationalen Ansicht: right or wrong, my country! Nachher übernahm
er den Oberbefehl in Portugal, von Haus aus voll ruhiger Siegeszuver-
sicht; trocken erklärte er, "ich werde mich behaupten." Der theatralische
Prunk der neufranzösischen Kriegsherrlichkeit machte auf diesen nüchternen
Kopf gar keinen Eindruck; an dem Sturze Napoleons zweifelte er nie-
mals. Während der sechs Jahre des Halbinselkrieges erzog er seine
Söldner zu Virtuosen in allen Künsten der altüberlieferten Kriegsweise.

Von Neuerungen und durchgreifenden Verbesserungen hielt er nichts;
niemals hat er irgend ein Verdienst begünstigt, niemals eine Beförderung
außer der Reihe vorgeschlagen. Selbständige, denkende Generale waren ihm
unbequem, während sein weitherziger Bruder Richard begabte Untergebene
in ungestörter Freiheit schalten ließ; er brauchte zuverlässige, geschickte Werk-
zeuge und fand sie mit sicherer Menschenkenntniß heraus. Seine Adju-
tanten waren zumeist junge Lords, die auf den besten Pferden der Welt
die Befehle des Feldherrn pünktlich überbrachten und auf jede eigene
Meinung gehorsam verzichteten. Er kannte seinen Werth, sagte seinen
Freunden im Tory-Cabinet gerade heraus: "Ihr habt Niemand außer
mir," ließ sich mit einer außerordentlichen, nie mißbrauchten Vollmacht
ausstatten, so daß er jeden Offizier ohne Weiteres suspendiren und in
die Heimath zurücksenden konnte. Seine Generale durften während der
Schlacht in der angewiesenen Position Alles thun, was sie für gut hielten,
aber das nächste Hinderniß vor ihrer Front war ihre unüberschreitbare
Grenze, bei Strafe des Standrechts. Die Offiziere liebten den Gestrengen
wenig, der nie in kameradschaftlicher Herzlichkeit aufthaute, nie einen An-
flug von Wohlwollen oder Großmuth verrieth, auch nicht wenn der Dienst
dabei keinen Schaden nehmen konnte. Der durchbohrende Blick der kalten
Augen, die stolzen Züge mit der Adlernase und dem festgeschlossenen
unbeweglichen Munde, der scharfe befehlende Klang der Stimme verboten
jede vertrauliche Annäherung. Aber Alle gehorchten, Alle fühlten sich

Wellington.
Kunſt des Herrſchens, unter den Augen ſeines Bruders Richard Welles-
ley, des genialen Begründers der britiſchen Großmachtſtellung im Oriente.
Streng gegen ſich und Andere, unverbrüchlich gehorſam und pflichtgetreu,
gerecht und ehrenhaft, kalt, ſicher und verſtändig in Allem, zeigte er ſich
jeder der ſchwierigen militäriſchen und politiſchen Aufgaben, welche das in-
diſche Leben dem Heerführer ſtellt, vollauf gewachſen; und wie verwegen
der Bedachtſame, der alle Möglichkeiten peinlich genau vorher erwog, zur
rechten Stunde das Glück zu packen wußte, das lehrten der glänzende
Sieg von Aſſaye über die ſechsfache Uebermacht der Hindus und der
kühne Reiterzug in die Berge der Mahratten. Nach Europa zurück-
gekehrt nahm er Theil an der berüchtigten Raubfahrt nach Kopenhagen,
tapfer und tüchtig wie immer, aber auch vollkommen gleichgiltig gegen
das traurige Schickſal des ruchlos überfallenen ſchwachen Gegners; denn
niemals war ein Sohn Britanniens ſo ganz durchdrungen von der alt-
nationalen Anſicht: right or wrong, my country! Nachher übernahm
er den Oberbefehl in Portugal, von Haus aus voll ruhiger Siegeszuver-
ſicht; trocken erklärte er, „ich werde mich behaupten.“ Der theatraliſche
Prunk der neufranzöſiſchen Kriegsherrlichkeit machte auf dieſen nüchternen
Kopf gar keinen Eindruck; an dem Sturze Napoleons zweifelte er nie-
mals. Während der ſechs Jahre des Halbinſelkrieges erzog er ſeine
Söldner zu Virtuoſen in allen Künſten der altüberlieferten Kriegsweiſe.

Von Neuerungen und durchgreifenden Verbeſſerungen hielt er nichts;
niemals hat er irgend ein Verdienſt begünſtigt, niemals eine Beförderung
außer der Reihe vorgeſchlagen. Selbſtändige, denkende Generale waren ihm
unbequem, während ſein weitherziger Bruder Richard begabte Untergebene
in ungeſtörter Freiheit ſchalten ließ; er brauchte zuverläſſige, geſchickte Werk-
zeuge und fand ſie mit ſicherer Menſchenkenntniß heraus. Seine Adju-
tanten waren zumeiſt junge Lords, die auf den beſten Pferden der Welt
die Befehle des Feldherrn pünktlich überbrachten und auf jede eigene
Meinung gehorſam verzichteten. Er kannte ſeinen Werth, ſagte ſeinen
Freunden im Tory-Cabinet gerade heraus: „Ihr habt Niemand außer
mir,“ ließ ſich mit einer außerordentlichen, nie mißbrauchten Vollmacht
ausſtatten, ſo daß er jeden Offizier ohne Weiteres ſuspendiren und in
die Heimath zurückſenden konnte. Seine Generale durften während der
Schlacht in der angewieſenen Poſition Alles thun, was ſie für gut hielten,
aber das nächſte Hinderniß vor ihrer Front war ihre unüberſchreitbare
Grenze, bei Strafe des Standrechts. Die Offiziere liebten den Geſtrengen
wenig, der nie in kameradſchaftlicher Herzlichkeit aufthaute, nie einen An-
flug von Wohlwollen oder Großmuth verrieth, auch nicht wenn der Dienſt
dabei keinen Schaden nehmen konnte. Der durchbohrende Blick der kalten
Augen, die ſtolzen Züge mit der Adlernaſe und dem feſtgeſchloſſenen
unbeweglichen Munde, der ſcharfe befehlende Klang der Stimme verboten
jede vertrauliche Annäherung. Aber Alle gehorchten, Alle fühlten ſich

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[725/0741] Wellington. Kunſt des Herrſchens, unter den Augen ſeines Bruders Richard Welles- ley, des genialen Begründers der britiſchen Großmachtſtellung im Oriente. Streng gegen ſich und Andere, unverbrüchlich gehorſam und pflichtgetreu, gerecht und ehrenhaft, kalt, ſicher und verſtändig in Allem, zeigte er ſich jeder der ſchwierigen militäriſchen und politiſchen Aufgaben, welche das in- diſche Leben dem Heerführer ſtellt, vollauf gewachſen; und wie verwegen der Bedachtſame, der alle Möglichkeiten peinlich genau vorher erwog, zur rechten Stunde das Glück zu packen wußte, das lehrten der glänzende Sieg von Aſſaye über die ſechsfache Uebermacht der Hindus und der kühne Reiterzug in die Berge der Mahratten. Nach Europa zurück- gekehrt nahm er Theil an der berüchtigten Raubfahrt nach Kopenhagen, tapfer und tüchtig wie immer, aber auch vollkommen gleichgiltig gegen das traurige Schickſal des ruchlos überfallenen ſchwachen Gegners; denn niemals war ein Sohn Britanniens ſo ganz durchdrungen von der alt- nationalen Anſicht: right or wrong, my country! Nachher übernahm er den Oberbefehl in Portugal, von Haus aus voll ruhiger Siegeszuver- ſicht; trocken erklärte er, „ich werde mich behaupten.“ Der theatraliſche Prunk der neufranzöſiſchen Kriegsherrlichkeit machte auf dieſen nüchternen Kopf gar keinen Eindruck; an dem Sturze Napoleons zweifelte er nie- mals. Während der ſechs Jahre des Halbinſelkrieges erzog er ſeine Söldner zu Virtuoſen in allen Künſten der altüberlieferten Kriegsweiſe. Von Neuerungen und durchgreifenden Verbeſſerungen hielt er nichts; niemals hat er irgend ein Verdienſt begünſtigt, niemals eine Beförderung außer der Reihe vorgeſchlagen. Selbſtändige, denkende Generale waren ihm unbequem, während ſein weitherziger Bruder Richard begabte Untergebene in ungeſtörter Freiheit ſchalten ließ; er brauchte zuverläſſige, geſchickte Werk- zeuge und fand ſie mit ſicherer Menſchenkenntniß heraus. Seine Adju- tanten waren zumeiſt junge Lords, die auf den beſten Pferden der Welt die Befehle des Feldherrn pünktlich überbrachten und auf jede eigene Meinung gehorſam verzichteten. Er kannte ſeinen Werth, ſagte ſeinen Freunden im Tory-Cabinet gerade heraus: „Ihr habt Niemand außer mir,“ ließ ſich mit einer außerordentlichen, nie mißbrauchten Vollmacht ausſtatten, ſo daß er jeden Offizier ohne Weiteres ſuspendiren und in die Heimath zurückſenden konnte. Seine Generale durften während der Schlacht in der angewieſenen Poſition Alles thun, was ſie für gut hielten, aber das nächſte Hinderniß vor ihrer Front war ihre unüberſchreitbare Grenze, bei Strafe des Standrechts. Die Offiziere liebten den Geſtrengen wenig, der nie in kameradſchaftlicher Herzlichkeit aufthaute, nie einen An- flug von Wohlwollen oder Großmuth verrieth, auch nicht wenn der Dienſt dabei keinen Schaden nehmen konnte. Der durchbohrende Blick der kalten Augen, die ſtolzen Züge mit der Adlernaſe und dem feſtgeſchloſſenen unbeweglichen Munde, der ſcharfe befehlende Klang der Stimme verboten jede vertrauliche Annäherung. Aber Alle gehorchten, Alle fühlten ſich

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 725. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/741>, abgerufen am 22.11.2024.