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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Blücher in Belgien.
stellte er eigenmächtig Wechsel aus, die von den Elberfelder Kaufleuten
auf seinen großen Namen hin bezahlt wurden. Seine Truppen mußte
er vorläufig von den Bauern verpflegen lassen und ebendeshalb weiter
als räthlich war, im Norden der Maas und Sambre zwischen Fleurus,
Namur, Cinay und Hannut zerstreuen. Alle diese Sorgen fochten ihn in
seiner Siegeszuversicht gar nicht an. Auf den ersten Blick durchschaute er
die innere Schwäche des neuen Kaiserreichs: "die Nation ist bei Weitem nicht
so vor Bonaparte portirt wie die französischen Blätter es ausposaunen."
Er sagte mit prophetischer Sicherheit voraus, daß die Entscheidung hier
auf dem belgischen Kriegsschauplatze fallen werde. "Beendigen wir den
Krieg glücklich, schrieb er dem Staatskanzler, so gerathen alle großen
Herren in meine Schuld; und gut soll und wird es gehen, denn die
große Macht, so sich die Sicherheitscommissarien von Bonaparte träumen,
ist ein Hirngespinnst. Es fehlt ihm an Allem, und besonders hat er das
Zutrauen zu sich selbst und seinem Anhang verloren."*)

Auch über die Forderungen, welche Deutschland nach dem Siege an
die Franzosen zu stellen habe, war Blücher von Haus aus mit sich im
Reinen; "ich hoffe, so schrieb er schon zu Anfang Mai, dieser Krieg wird
sich so endigen, daß Frankreich in Zukunft Deutschland nicht mehr so
gefährlich sein wird. Elsaß und Lothringen müssen sie hergeben." Und
wunderbar, derselbe Mann, in dem sich der nationale Stolz und Haß
des norddeutschen Volkes verkörperte, war zugleich ein Kosmopolit im
edelsten Sinne. Es wird in alle Zukunft eine stolze Erinnerung für
unsere Nation bleiben, wie jener weitherzige deutsche Weltbürgersinn, der
bisher nur unserer Bildung zu Gute gekommen, für unser Staatsleben ein
Fluch gewesen war, jetzt einmal unter höchst außerordentlichen Verhält-
nissen auch politisch fruchtbar wurde und Deutschlands Feldherren be-
fähigte europäische Politik großen Stiles zu treiben. In Blüchers Augen
war dieser Kampf ein heiliger Krieg der verbrüderten Völker Europas
für die gemeinsame Freiheit, und nichts schien ihm selbstverständlicher als
daß der Bruder für den Bruder einstehen müsse bis zum letzten Bluts-
tropfen. Mit einer rückhaltlosen Selbstvergessenheit, deren schlechterdings
nur der deutsche Idealismus fähig war, erklärte er sich bereit alle Kräfte
seines Heeres für die Sache Europas einzusetzen. Vertrauensvoll kam
er seinem englischen Waffengefährten entgegen und setzte treuherzig bei
dem Briten die nämliche Gesinnung voraus. Das kurze, sichere solda-
tische Wesen des englischen Feldherrn gefiel ihm wohl: "Wellington ist
die Gefälligkeit selbst, schrieb er befriedigt, und ein sehr bestimmter Mann,
wir werden eine gute Ehe mit einander führen." Als trotz seiner stür-
mischen Bitten und Vorstellungen der Beginn des Krieges von den Wiener
Strategen immer weiter hinausgeschoben wurde, da drohte er dem Staats-

*) Blücher an Hardenberg, Namur 2. Juni 1815.
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Blücher in Belgien.
ſtellte er eigenmächtig Wechſel aus, die von den Elberfelder Kaufleuten
auf ſeinen großen Namen hin bezahlt wurden. Seine Truppen mußte
er vorläufig von den Bauern verpflegen laſſen und ebendeshalb weiter
als räthlich war, im Norden der Maas und Sambre zwiſchen Fleurus,
Namur, Cinay und Hannut zerſtreuen. Alle dieſe Sorgen fochten ihn in
ſeiner Siegeszuverſicht gar nicht an. Auf den erſten Blick durchſchaute er
die innere Schwäche des neuen Kaiſerreichs: „die Nation iſt bei Weitem nicht
ſo vor Bonaparte portirt wie die franzöſiſchen Blätter es auspoſaunen.“
Er ſagte mit prophetiſcher Sicherheit voraus, daß die Entſcheidung hier
auf dem belgiſchen Kriegsſchauplatze fallen werde. „Beendigen wir den
Krieg glücklich, ſchrieb er dem Staatskanzler, ſo gerathen alle großen
Herren in meine Schuld; und gut ſoll und wird es gehen, denn die
große Macht, ſo ſich die Sicherheitscommiſſarien von Bonaparte träumen,
iſt ein Hirngeſpinnſt. Es fehlt ihm an Allem, und beſonders hat er das
Zutrauen zu ſich ſelbſt und ſeinem Anhang verloren.“*)

Auch über die Forderungen, welche Deutſchland nach dem Siege an
die Franzoſen zu ſtellen habe, war Blücher von Haus aus mit ſich im
Reinen; „ich hoffe, ſo ſchrieb er ſchon zu Anfang Mai, dieſer Krieg wird
ſich ſo endigen, daß Frankreich in Zukunft Deutſchland nicht mehr ſo
gefährlich ſein wird. Elſaß und Lothringen müſſen ſie hergeben.“ Und
wunderbar, derſelbe Mann, in dem ſich der nationale Stolz und Haß
des norddeutſchen Volkes verkörperte, war zugleich ein Kosmopolit im
edelſten Sinne. Es wird in alle Zukunft eine ſtolze Erinnerung für
unſere Nation bleiben, wie jener weitherzige deutſche Weltbürgerſinn, der
bisher nur unſerer Bildung zu Gute gekommen, für unſer Staatsleben ein
Fluch geweſen war, jetzt einmal unter höchſt außerordentlichen Verhält-
niſſen auch politiſch fruchtbar wurde und Deutſchlands Feldherren be-
fähigte europäiſche Politik großen Stiles zu treiben. In Blüchers Augen
war dieſer Kampf ein heiliger Krieg der verbrüderten Völker Europas
für die gemeinſame Freiheit, und nichts ſchien ihm ſelbſtverſtändlicher als
daß der Bruder für den Bruder einſtehen müſſe bis zum letzten Bluts-
tropfen. Mit einer rückhaltloſen Selbſtvergeſſenheit, deren ſchlechterdings
nur der deutſche Idealismus fähig war, erklärte er ſich bereit alle Kräfte
ſeines Heeres für die Sache Europas einzuſetzen. Vertrauensvoll kam
er ſeinem engliſchen Waffengefährten entgegen und ſetzte treuherzig bei
dem Briten die nämliche Geſinnung voraus. Das kurze, ſichere ſolda-
tiſche Weſen des engliſchen Feldherrn gefiel ihm wohl: „Wellington iſt
die Gefälligkeit ſelbſt, ſchrieb er befriedigt, und ein ſehr beſtimmter Mann,
wir werden eine gute Ehe mit einander führen.“ Als trotz ſeiner ſtür-
miſchen Bitten und Vorſtellungen der Beginn des Krieges von den Wiener
Strategen immer weiter hinausgeſchoben wurde, da drohte er dem Staats-

*) Blücher an Hardenberg, Namur 2. Juni 1815.
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[723/0739] Blücher in Belgien. ſtellte er eigenmächtig Wechſel aus, die von den Elberfelder Kaufleuten auf ſeinen großen Namen hin bezahlt wurden. Seine Truppen mußte er vorläufig von den Bauern verpflegen laſſen und ebendeshalb weiter als räthlich war, im Norden der Maas und Sambre zwiſchen Fleurus, Namur, Cinay und Hannut zerſtreuen. Alle dieſe Sorgen fochten ihn in ſeiner Siegeszuverſicht gar nicht an. Auf den erſten Blick durchſchaute er die innere Schwäche des neuen Kaiſerreichs: „die Nation iſt bei Weitem nicht ſo vor Bonaparte portirt wie die franzöſiſchen Blätter es auspoſaunen.“ Er ſagte mit prophetiſcher Sicherheit voraus, daß die Entſcheidung hier auf dem belgiſchen Kriegsſchauplatze fallen werde. „Beendigen wir den Krieg glücklich, ſchrieb er dem Staatskanzler, ſo gerathen alle großen Herren in meine Schuld; und gut ſoll und wird es gehen, denn die große Macht, ſo ſich die Sicherheitscommiſſarien von Bonaparte träumen, iſt ein Hirngeſpinnſt. Es fehlt ihm an Allem, und beſonders hat er das Zutrauen zu ſich ſelbſt und ſeinem Anhang verloren.“ *) Auch über die Forderungen, welche Deutſchland nach dem Siege an die Franzoſen zu ſtellen habe, war Blücher von Haus aus mit ſich im Reinen; „ich hoffe, ſo ſchrieb er ſchon zu Anfang Mai, dieſer Krieg wird ſich ſo endigen, daß Frankreich in Zukunft Deutſchland nicht mehr ſo gefährlich ſein wird. Elſaß und Lothringen müſſen ſie hergeben.“ Und wunderbar, derſelbe Mann, in dem ſich der nationale Stolz und Haß des norddeutſchen Volkes verkörperte, war zugleich ein Kosmopolit im edelſten Sinne. Es wird in alle Zukunft eine ſtolze Erinnerung für unſere Nation bleiben, wie jener weitherzige deutſche Weltbürgerſinn, der bisher nur unſerer Bildung zu Gute gekommen, für unſer Staatsleben ein Fluch geweſen war, jetzt einmal unter höchſt außerordentlichen Verhält- niſſen auch politiſch fruchtbar wurde und Deutſchlands Feldherren be- fähigte europäiſche Politik großen Stiles zu treiben. In Blüchers Augen war dieſer Kampf ein heiliger Krieg der verbrüderten Völker Europas für die gemeinſame Freiheit, und nichts ſchien ihm ſelbſtverſtändlicher als daß der Bruder für den Bruder einſtehen müſſe bis zum letzten Bluts- tropfen. Mit einer rückhaltloſen Selbſtvergeſſenheit, deren ſchlechterdings nur der deutſche Idealismus fähig war, erklärte er ſich bereit alle Kräfte ſeines Heeres für die Sache Europas einzuſetzen. Vertrauensvoll kam er ſeinem engliſchen Waffengefährten entgegen und ſetzte treuherzig bei dem Briten die nämliche Geſinnung voraus. Das kurze, ſichere ſolda- tiſche Weſen des engliſchen Feldherrn gefiel ihm wohl: „Wellington iſt die Gefälligkeit ſelbſt, ſchrieb er befriedigt, und ein ſehr beſtimmter Mann, wir werden eine gute Ehe mit einander führen.“ Als trotz ſeiner ſtür- miſchen Bitten und Vorſtellungen der Beginn des Krieges von den Wiener Strategen immer weiter hinausgeſchoben wurde, da drohte er dem Staats- *) Blücher an Hardenberg, Namur 2. Juni 1815. 46*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 723. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/739>, abgerufen am 25.11.2024.