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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Eindruck in Deutschland.
Mann kriegsbereiter Truppen. Das nämliche Gefühl der Unsicherheit
zwang ihn auch zu einer höchst gewagten Kriegführung. Nach den Er-
fahrungen des letzten Jahres schien bei einem zähen Vertheidigungskriege
im Innern Frankreichs ein Erfolg nicht ganz unmöglich; doch da der
Usurpator weder auf eine Massenerhebung rechnen noch sich der Gefahr
einer Niederlage auf französischem Boden aussetzen konnte, so mußte er
den Angriff auf die Nachbarlande wagen, und für diesen verzweifelten
Schlag standen ihm nur 128,000 Mann zu Gebote. Was übrig blieb
wurde an den weiten Grenzen entlang vertheilt -- eine völlig nutzlose
Zersplitterung der militärischen Kräfte; der Argwohn der öffentlichen
Meinung erlaubte dem Imperator nicht, irgend ein Stück französischer
Erde ganz ohne Vertheidigung preiszugeben. Erst als der Krieg unver-
meidlich ward, ließ Napoleon die friedliche Maske fallen und bekannte sich
nochmals zu den hochmüthigen Gedanken der alten Kaiserpolitik. Sein
Kriegsminister Davoust mußte alle die alten Soldaten vom linken Rhein-
ufer unter die Fahnen rufen. In seiner Anrede an die Armee sprach der
Imperator wieder wie einst als der Schirmherr des deutschen Particu-
larismus, mahnte zum Kampfe gegen die unersättliche Coalition, die sich
bereits anschicke die kleinen deutschen Staaten zu verschlingen; eine Procla-
mation, die auf dem Schlachtfelde von Belle Alliance in dem erbeuteten
Wagen Napoleons gefunden wurde, verkündete den Belgiern und Rhein-
ländern die frohe Botschaft: sie seien würdig Franzosen zu sein!

Sobald dieser Caesar wieder an die Spitze seiner Praetorianer trat,
mußte der alte Kampf zwischen Weltherrschaft und Staatenfreiheit unaus-
bleiblich von Neuem entbrennen. Nach dem Buchstaben des Völkerrechts
war Napoleons Schilderhebung allerdings nur ein legitimer Eroberungs-
krieg des souveränen Fürsten von Elba gegen den Allerchristlichsten König;
vergeblich suchte Gentz im Oesterreichischen Beobachter durch künstliche
Sophismen dies unbestreitbare Rechtsverhältniß wegzudeuteln. Aber wie
durften die Formen des Völkerrechts diesem Gewalthaber zu Gute kommen,
der sein Leben lang mit Treu und Glauben gespielt, jedes heilige Recht
der Staatengesellschaft mit Füßen getreten hatte? Den Millionen in
Deutschland, Rußland, England erschien der rückkehrende Despot nicht als
ein kriegführender Fürst, sondern schlechtweg als ein blutiger Verbrecher,
der durch ruchlosen Wortbruch alle Segnungen des schwer errungenen
Friedens wieder in Frage stellte. Ein Aufschrei des Zorns ging durch
das preußische Land. Der alte Todfeind war wieder zur Stelle, war wie
ein hungriger Wolf eingebrochen in die friedlichen Hürden der befreiten
Völker; das deutsche Schwert mußte ihn nochmals herunterschleudern
von dem angemaßten Throne -- wer hätte das bezweifelt? Dies tapfere
Volk, das unter den Nackenschlägen des Tyrannen so namenlos gelitten,
wollte und konnte nichts sehen von allen den rührenden und erhebenden
Auftritten, welche die Rückkehr des Imperators verschönten, nichts von

Eindruck in Deutſchland.
Mann kriegsbereiter Truppen. Das nämliche Gefühl der Unſicherheit
zwang ihn auch zu einer höchſt gewagten Kriegführung. Nach den Er-
fahrungen des letzten Jahres ſchien bei einem zähen Vertheidigungskriege
im Innern Frankreichs ein Erfolg nicht ganz unmöglich; doch da der
Uſurpator weder auf eine Maſſenerhebung rechnen noch ſich der Gefahr
einer Niederlage auf franzöſiſchem Boden ausſetzen konnte, ſo mußte er
den Angriff auf die Nachbarlande wagen, und für dieſen verzweifelten
Schlag ſtanden ihm nur 128,000 Mann zu Gebote. Was übrig blieb
wurde an den weiten Grenzen entlang vertheilt — eine völlig nutzloſe
Zerſplitterung der militäriſchen Kräfte; der Argwohn der öffentlichen
Meinung erlaubte dem Imperator nicht, irgend ein Stück franzöſiſcher
Erde ganz ohne Vertheidigung preiszugeben. Erſt als der Krieg unver-
meidlich ward, ließ Napoleon die friedliche Maske fallen und bekannte ſich
nochmals zu den hochmüthigen Gedanken der alten Kaiſerpolitik. Sein
Kriegsminiſter Davouſt mußte alle die alten Soldaten vom linken Rhein-
ufer unter die Fahnen rufen. In ſeiner Anrede an die Armee ſprach der
Imperator wieder wie einſt als der Schirmherr des deutſchen Particu-
larismus, mahnte zum Kampfe gegen die unerſättliche Coalition, die ſich
bereits anſchicke die kleinen deutſchen Staaten zu verſchlingen; eine Procla-
mation, die auf dem Schlachtfelde von Belle Alliance in dem erbeuteten
Wagen Napoleons gefunden wurde, verkündete den Belgiern und Rhein-
ländern die frohe Botſchaft: ſie ſeien würdig Franzoſen zu ſein!

Sobald dieſer Caeſar wieder an die Spitze ſeiner Praetorianer trat,
mußte der alte Kampf zwiſchen Weltherrſchaft und Staatenfreiheit unaus-
bleiblich von Neuem entbrennen. Nach dem Buchſtaben des Völkerrechts
war Napoleons Schilderhebung allerdings nur ein legitimer Eroberungs-
krieg des ſouveränen Fürſten von Elba gegen den Allerchriſtlichſten König;
vergeblich ſuchte Gentz im Oeſterreichiſchen Beobachter durch künſtliche
Sophismen dies unbeſtreitbare Rechtsverhältniß wegzudeuteln. Aber wie
durften die Formen des Völkerrechts dieſem Gewalthaber zu Gute kommen,
der ſein Leben lang mit Treu und Glauben geſpielt, jedes heilige Recht
der Staatengeſellſchaft mit Füßen getreten hatte? Den Millionen in
Deutſchland, Rußland, England erſchien der rückkehrende Despot nicht als
ein kriegführender Fürſt, ſondern ſchlechtweg als ein blutiger Verbrecher,
der durch ruchloſen Wortbruch alle Segnungen des ſchwer errungenen
Friedens wieder in Frage ſtellte. Ein Aufſchrei des Zorns ging durch
das preußiſche Land. Der alte Todfeind war wieder zur Stelle, war wie
ein hungriger Wolf eingebrochen in die friedlichen Hürden der befreiten
Völker; das deutſche Schwert mußte ihn nochmals herunterſchleudern
von dem angemaßten Throne — wer hätte das bezweifelt? Dies tapfere
Volk, das unter den Nackenſchlägen des Tyrannen ſo namenlos gelitten,
wollte und konnte nichts ſehen von allen den rührenden und erhebenden
Auftritten, welche die Rückkehr des Imperators verſchönten, nichts von

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[713/0729] Eindruck in Deutſchland. Mann kriegsbereiter Truppen. Das nämliche Gefühl der Unſicherheit zwang ihn auch zu einer höchſt gewagten Kriegführung. Nach den Er- fahrungen des letzten Jahres ſchien bei einem zähen Vertheidigungskriege im Innern Frankreichs ein Erfolg nicht ganz unmöglich; doch da der Uſurpator weder auf eine Maſſenerhebung rechnen noch ſich der Gefahr einer Niederlage auf franzöſiſchem Boden ausſetzen konnte, ſo mußte er den Angriff auf die Nachbarlande wagen, und für dieſen verzweifelten Schlag ſtanden ihm nur 128,000 Mann zu Gebote. Was übrig blieb wurde an den weiten Grenzen entlang vertheilt — eine völlig nutzloſe Zerſplitterung der militäriſchen Kräfte; der Argwohn der öffentlichen Meinung erlaubte dem Imperator nicht, irgend ein Stück franzöſiſcher Erde ganz ohne Vertheidigung preiszugeben. Erſt als der Krieg unver- meidlich ward, ließ Napoleon die friedliche Maske fallen und bekannte ſich nochmals zu den hochmüthigen Gedanken der alten Kaiſerpolitik. Sein Kriegsminiſter Davouſt mußte alle die alten Soldaten vom linken Rhein- ufer unter die Fahnen rufen. In ſeiner Anrede an die Armee ſprach der Imperator wieder wie einſt als der Schirmherr des deutſchen Particu- larismus, mahnte zum Kampfe gegen die unerſättliche Coalition, die ſich bereits anſchicke die kleinen deutſchen Staaten zu verſchlingen; eine Procla- mation, die auf dem Schlachtfelde von Belle Alliance in dem erbeuteten Wagen Napoleons gefunden wurde, verkündete den Belgiern und Rhein- ländern die frohe Botſchaft: ſie ſeien würdig Franzoſen zu ſein! Sobald dieſer Caeſar wieder an die Spitze ſeiner Praetorianer trat, mußte der alte Kampf zwiſchen Weltherrſchaft und Staatenfreiheit unaus- bleiblich von Neuem entbrennen. Nach dem Buchſtaben des Völkerrechts war Napoleons Schilderhebung allerdings nur ein legitimer Eroberungs- krieg des ſouveränen Fürſten von Elba gegen den Allerchriſtlichſten König; vergeblich ſuchte Gentz im Oeſterreichiſchen Beobachter durch künſtliche Sophismen dies unbeſtreitbare Rechtsverhältniß wegzudeuteln. Aber wie durften die Formen des Völkerrechts dieſem Gewalthaber zu Gute kommen, der ſein Leben lang mit Treu und Glauben geſpielt, jedes heilige Recht der Staatengeſellſchaft mit Füßen getreten hatte? Den Millionen in Deutſchland, Rußland, England erſchien der rückkehrende Despot nicht als ein kriegführender Fürſt, ſondern ſchlechtweg als ein blutiger Verbrecher, der durch ruchloſen Wortbruch alle Segnungen des ſchwer errungenen Friedens wieder in Frage ſtellte. Ein Aufſchrei des Zorns ging durch das preußiſche Land. Der alte Todfeind war wieder zur Stelle, war wie ein hungriger Wolf eingebrochen in die friedlichen Hürden der befreiten Völker; das deutſche Schwert mußte ihn nochmals herunterſchleudern von dem angemaßten Throne — wer hätte das bezweifelt? Dies tapfere Volk, das unter den Nackenſchlägen des Tyrannen ſo namenlos gelitten, wollte und konnte nichts ſehen von allen den rührenden und erhebenden Auftritten, welche die Rückkehr des Imperators verſchönten, nichts von

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 713. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/729>, abgerufen am 22.11.2024.