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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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II. 1. Der Wiener Congreß.
Sachsen, Darmstadt und Andere, ja sogar Dänemark und Mecklenburg,
welche am 5. Juni ohne Vorbehalt beigetreten waren, erklärten jetzt, sie
könnten sich nur einem Bunde, der das ganze Deutschland umfasse, an-
schließen. Mehrere dieser Staaten baten ausdrücklich, man möge den
Fürsten, welche noch draußen bleiben wollten, durch neue Zugeständnisse
den Eintritt ermöglichen. Es war eine Schraube ohne Ende. Wenn
Baiern sich versagte, so stob Alles auseinander.

Da meldete Graf Rechberg am Morgen des 8. Juni, seine neuen
Instructionen seien eingetroffen. So behauptete er wenigstens; doch scheint
es keineswegs unmöglich, daß der Baier sich diesen ganzen lächerlichen
Schlußeffect des unwürdigen Intrigenstücks nur in seiner schöpferischen
Phantasie ausgedacht hat um die letzten Wünsche der Wittelsbacher desto
sicherer durchzudrücken. Genug, Alles athmete auf. Oesterreich und
Preußen traten sofort mit Rechberg in vertrauliche Berathung; er aber
forderte außer einigen Kleinigkeiten: Beseitigung des Bundesgerichts und
des Artikels über die katholische Kirche. So erfüllte sich denn was Har-
denberg am 27. Mai warnend vorhergesagt: die beiden Großmächte kamen
wirklich in die schiefe Lage, um des Friedens willen für die Schwächung
der Bundesgewalt stimmen zu müssen, was für Metternich freilich kein
Opfer war. Das Bundesgericht fiel -- der Schlußstein des deutschen
Rechtsgebäudes, wie es Humboldt so oft genannt; und von den Papier-
massen der kirchlichen Verhandlungen blieb nichts übrig als ein dürftiger
Artikel, welcher anordnete was fast überall in Deutschland schon längst
zu Recht bestand: daß die Verschiedenheit der christlichen Religionsparteien
keinen Unterschied im Genusse der bürgerlichen und politischen Rechte be-
gründen könne. Dann ging es zur Conferenz, und Metternich verkündete
"mit Vergnügen", daß Baiern nur noch einige wenige Aenderungen
wünsche. Dies einige Wenige ward genehmigt, und nunmehr war man
wirklich zu Ende, denn was hätte an dieser Acte noch gestrichen werden
können? Am 10. Juni versammelte man sich noch einmal um die Bun-
desacte zu unterzeichnen und die Leiche der deutschen Einheit mit allen
diplomatischen Ehren feierlich zu verscharren. Wann sollte sie auferstehen?

Die ersten elf Artikel der vom 8. Juni datirten Urkunde wurden
noch, gerade vor Thorschluß, in die Schlußacte des Congresses eingefügt;
das siegreiche Deutschland hatte fortan alle Fürsten Europas, mit Aus-
nahme des Papstes und des Sultans, als die Garanten seines Grund-
gesetzes zu verehren. Auch die Proteste fehlten nicht, welche von Alters
her zu jeder großen deutschen Staatsaction gehörten. Die Mediatisirten
verwahrten allesammt ihre Rechte. Noch kühner erhoben die Fürsten von
Isenburg und Knyphausen ihr Haupt; sie betrachteten sich als Souveräne
und erklärten als solche ihren Beitritt zum Deutschen Bunde. Es war
vergeblich; den Bedürfnissen der deutschen Kultur, die ja nach der allge-
meinen Meinung in der schönen Mannichfaltigkeit unseres Staatslebens

II. 1. Der Wiener Congreß.
Sachſen, Darmſtadt und Andere, ja ſogar Dänemark und Mecklenburg,
welche am 5. Juni ohne Vorbehalt beigetreten waren, erklärten jetzt, ſie
könnten ſich nur einem Bunde, der das ganze Deutſchland umfaſſe, an-
ſchließen. Mehrere dieſer Staaten baten ausdrücklich, man möge den
Fürſten, welche noch draußen bleiben wollten, durch neue Zugeſtändniſſe
den Eintritt ermöglichen. Es war eine Schraube ohne Ende. Wenn
Baiern ſich verſagte, ſo ſtob Alles auseinander.

Da meldete Graf Rechberg am Morgen des 8. Juni, ſeine neuen
Inſtructionen ſeien eingetroffen. So behauptete er wenigſtens; doch ſcheint
es keineswegs unmöglich, daß der Baier ſich dieſen ganzen lächerlichen
Schlußeffect des unwürdigen Intrigenſtücks nur in ſeiner ſchöpferiſchen
Phantaſie ausgedacht hat um die letzten Wünſche der Wittelsbacher deſto
ſicherer durchzudrücken. Genug, Alles athmete auf. Oeſterreich und
Preußen traten ſofort mit Rechberg in vertrauliche Berathung; er aber
forderte außer einigen Kleinigkeiten: Beſeitigung des Bundesgerichts und
des Artikels über die katholiſche Kirche. So erfüllte ſich denn was Har-
denberg am 27. Mai warnend vorhergeſagt: die beiden Großmächte kamen
wirklich in die ſchiefe Lage, um des Friedens willen für die Schwächung
der Bundesgewalt ſtimmen zu müſſen, was für Metternich freilich kein
Opfer war. Das Bundesgericht fiel — der Schlußſtein des deutſchen
Rechtsgebäudes, wie es Humboldt ſo oft genannt; und von den Papier-
maſſen der kirchlichen Verhandlungen blieb nichts übrig als ein dürftiger
Artikel, welcher anordnete was faſt überall in Deutſchland ſchon längſt
zu Recht beſtand: daß die Verſchiedenheit der chriſtlichen Religionsparteien
keinen Unterſchied im Genuſſe der bürgerlichen und politiſchen Rechte be-
gründen könne. Dann ging es zur Conferenz, und Metternich verkündete
„mit Vergnügen“, daß Baiern nur noch einige wenige Aenderungen
wünſche. Dies einige Wenige ward genehmigt, und nunmehr war man
wirklich zu Ende, denn was hätte an dieſer Acte noch geſtrichen werden
können? Am 10. Juni verſammelte man ſich noch einmal um die Bun-
desacte zu unterzeichnen und die Leiche der deutſchen Einheit mit allen
diplomatiſchen Ehren feierlich zu verſcharren. Wann ſollte ſie auferſtehen?

Die erſten elf Artikel der vom 8. Juni datirten Urkunde wurden
noch, gerade vor Thorſchluß, in die Schlußacte des Congreſſes eingefügt;
das ſiegreiche Deutſchland hatte fortan alle Fürſten Europas, mit Aus-
nahme des Papſtes und des Sultans, als die Garanten ſeines Grund-
geſetzes zu verehren. Auch die Proteſte fehlten nicht, welche von Alters
her zu jeder großen deutſchen Staatsaction gehörten. Die Mediatiſirten
verwahrten alleſammt ihre Rechte. Noch kühner erhoben die Fürſten von
Iſenburg und Knyphauſen ihr Haupt; ſie betrachteten ſich als Souveräne
und erklärten als ſolche ihren Beitritt zum Deutſchen Bunde. Es war
vergeblich; den Bedürfniſſen der deutſchen Kultur, die ja nach der allge-
meinen Meinung in der ſchönen Mannichfaltigkeit unſeres Staatslebens

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[704/0720] II. 1. Der Wiener Congreß. Sachſen, Darmſtadt und Andere, ja ſogar Dänemark und Mecklenburg, welche am 5. Juni ohne Vorbehalt beigetreten waren, erklärten jetzt, ſie könnten ſich nur einem Bunde, der das ganze Deutſchland umfaſſe, an- ſchließen. Mehrere dieſer Staaten baten ausdrücklich, man möge den Fürſten, welche noch draußen bleiben wollten, durch neue Zugeſtändniſſe den Eintritt ermöglichen. Es war eine Schraube ohne Ende. Wenn Baiern ſich verſagte, ſo ſtob Alles auseinander. Da meldete Graf Rechberg am Morgen des 8. Juni, ſeine neuen Inſtructionen ſeien eingetroffen. So behauptete er wenigſtens; doch ſcheint es keineswegs unmöglich, daß der Baier ſich dieſen ganzen lächerlichen Schlußeffect des unwürdigen Intrigenſtücks nur in ſeiner ſchöpferiſchen Phantaſie ausgedacht hat um die letzten Wünſche der Wittelsbacher deſto ſicherer durchzudrücken. Genug, Alles athmete auf. Oeſterreich und Preußen traten ſofort mit Rechberg in vertrauliche Berathung; er aber forderte außer einigen Kleinigkeiten: Beſeitigung des Bundesgerichts und des Artikels über die katholiſche Kirche. So erfüllte ſich denn was Har- denberg am 27. Mai warnend vorhergeſagt: die beiden Großmächte kamen wirklich in die ſchiefe Lage, um des Friedens willen für die Schwächung der Bundesgewalt ſtimmen zu müſſen, was für Metternich freilich kein Opfer war. Das Bundesgericht fiel — der Schlußſtein des deutſchen Rechtsgebäudes, wie es Humboldt ſo oft genannt; und von den Papier- maſſen der kirchlichen Verhandlungen blieb nichts übrig als ein dürftiger Artikel, welcher anordnete was faſt überall in Deutſchland ſchon längſt zu Recht beſtand: daß die Verſchiedenheit der chriſtlichen Religionsparteien keinen Unterſchied im Genuſſe der bürgerlichen und politiſchen Rechte be- gründen könne. Dann ging es zur Conferenz, und Metternich verkündete „mit Vergnügen“, daß Baiern nur noch einige wenige Aenderungen wünſche. Dies einige Wenige ward genehmigt, und nunmehr war man wirklich zu Ende, denn was hätte an dieſer Acte noch geſtrichen werden können? Am 10. Juni verſammelte man ſich noch einmal um die Bun- desacte zu unterzeichnen und die Leiche der deutſchen Einheit mit allen diplomatiſchen Ehren feierlich zu verſcharren. Wann ſollte ſie auferſtehen? Die erſten elf Artikel der vom 8. Juni datirten Urkunde wurden noch, gerade vor Thorſchluß, in die Schlußacte des Congreſſes eingefügt; das ſiegreiche Deutſchland hatte fortan alle Fürſten Europas, mit Aus- nahme des Papſtes und des Sultans, als die Garanten ſeines Grund- geſetzes zu verehren. Auch die Proteſte fehlten nicht, welche von Alters her zu jeder großen deutſchen Staatsaction gehörten. Die Mediatiſirten verwahrten alleſammt ihre Rechte. Noch kühner erhoben die Fürſten von Iſenburg und Knyphauſen ihr Haupt; ſie betrachteten ſich als Souveräne und erklärten als ſolche ihren Beitritt zum Deutſchen Bunde. Es war vergeblich; den Bedürfniſſen der deutſchen Kultur, die ja nach der allge- meinen Meinung in der ſchönen Mannichfaltigkeit unſeres Staatslebens

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 704. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/720>, abgerufen am 22.11.2024.