Friedrich war der Erste, der ernstlich ihn zu vernichten versuchte. Sobald die Verständigung mit dem Wiener Hofe sich als unmöglich erwies, faßte der König den kühnen Gedanken, die Kaiserkrone für immer dem Hause Oesterreich zu entwinden und also das letzte Band zu zerreißen, das diese Dynastie noch an Deutschland kettete. Er näherte sich den bairischen Wittelsbachern, dem einzigen unter den mächtigeren deutschen Fürstenge- schlechtern, das gleich den Hohenzollern nur deutsche Lande beherrschte und gleich ihnen in Oesterreich seinen natürlichen Gegner sah; er begrün- dete zuerst jenes Bündniß zwischen den beiden größten rein deutschen Staaten, das sich seitdem so oft, und immer zum Heile für das Vater- land erneuert hat. Der Kurfürst von Baiern empfing die kaiserliche Würde, und Friedrich hoffte diesem neuen Kaiserthume, das er selber "mein Werk" nannte, an der Krone Böhmen einen festen Rückhalt zu sichern.
Und alsbald erwachte in Berlin wie in München wieder jener rettende Gedanke der Secularisation, der sich allezeit unabwendbar auf- drängte sobald man die heilende Hand legte an den siechen Körper des Reichs. Es war im Werke, die Macht der größeren weltlichen Reichsstände, welche Friedrich als die allein lebensfähigen Glieder des Reichs erkannte, auf Kosten der theokratischen und republikanischen Territorien zu verstärken; eine rein weltliche Staatskunst schickte sich an die politischen Ideen der Reformation zu verwirklichen. Einige geistliche Gebiete Oberdeutschlands sollten secularisirt, auch mehrere Reichsstädte den benachbarten fürstlichen Gebieten zugeschlagen werden. Mit gutem Grunde klagte Oesterreich, wie schwer dies von Preußen geleitete bairische Kaiserthum den Adel und die Kirche zu schädigen drohe. Traten jene unfertigen Gedanken ins Leben, so war der deutsche Dualismus nahezu beseitigt, die Reichsver- fassung, selbst wenn ihre Formen blieben, in ihrem Wesen umgestaltet; Deutschland wurde ein Bund weltlicher Fürsten unter Preußens beherr- schendem Einfluß; die geistlichen Staaten, die Reichsstädte, der Schwarm der kleinen Grafen und Herren, des habsburgischen Rückhalts beraubt, verfielen dem Untergange, und das Trutzdeutschland im Herzen des Reichs, die Krone Böhmen, ward für die germanische Gesittung erobert. So konnte Deutschland aus eigener Kraft jene nothwendige Revolution vollziehen, die ihm zwei Menschenalter später der Machtspruch des Aus- landes schimpflich auferlegt hat. Aber das Haus Wittelsbach, ohnehin dem deutschen Leben entfremdet durch die erbliche Verbindung mit Frank- reich wie durch die Härte katholischer Glaubenseinheit, erwies in großer Zeit eine klägliche Unfähigkeit; der Nation fehlte jedes Verständniß für die verheißungsvolle Gunst des Augenblicks. Auf einer Rundreise durch das Reich gewann der König einen so trostlosen Einblick in die Zwietracht, die Habgier, die sklavische Angst der kleinen Höfe, daß er für immer seine deutschen Hoffnungen herabzustimmen lernte; auch seine eigene Macht
Die beiden erſten ſchleſiſchen Kriege.
Friedrich war der Erſte, der ernſtlich ihn zu vernichten verſuchte. Sobald die Verſtändigung mit dem Wiener Hofe ſich als unmöglich erwies, faßte der König den kühnen Gedanken, die Kaiſerkrone für immer dem Hauſe Oeſterreich zu entwinden und alſo das letzte Band zu zerreißen, das dieſe Dynaſtie noch an Deutſchland kettete. Er näherte ſich den bairiſchen Wittelsbachern, dem einzigen unter den mächtigeren deutſchen Fürſtenge- ſchlechtern, das gleich den Hohenzollern nur deutſche Lande beherrſchte und gleich ihnen in Oeſterreich ſeinen natürlichen Gegner ſah; er begrün- dete zuerſt jenes Bündniß zwiſchen den beiden größten rein deutſchen Staaten, das ſich ſeitdem ſo oft, und immer zum Heile für das Vater- land erneuert hat. Der Kurfürſt von Baiern empfing die kaiſerliche Würde, und Friedrich hoffte dieſem neuen Kaiſerthume, das er ſelber „mein Werk“ nannte, an der Krone Böhmen einen feſten Rückhalt zu ſichern.
Und alsbald erwachte in Berlin wie in München wieder jener rettende Gedanke der Seculariſation, der ſich allezeit unabwendbar auf- drängte ſobald man die heilende Hand legte an den ſiechen Körper des Reichs. Es war im Werke, die Macht der größeren weltlichen Reichsſtände, welche Friedrich als die allein lebensfähigen Glieder des Reichs erkannte, auf Koſten der theokratiſchen und republikaniſchen Territorien zu verſtärken; eine rein weltliche Staatskunſt ſchickte ſich an die politiſchen Ideen der Reformation zu verwirklichen. Einige geiſtliche Gebiete Oberdeutſchlands ſollten ſeculariſirt, auch mehrere Reichsſtädte den benachbarten fürſtlichen Gebieten zugeſchlagen werden. Mit gutem Grunde klagte Oeſterreich, wie ſchwer dies von Preußen geleitete bairiſche Kaiſerthum den Adel und die Kirche zu ſchädigen drohe. Traten jene unfertigen Gedanken ins Leben, ſo war der deutſche Dualismus nahezu beſeitigt, die Reichsver- faſſung, ſelbſt wenn ihre Formen blieben, in ihrem Weſen umgeſtaltet; Deutſchland wurde ein Bund weltlicher Fürſten unter Preußens beherr- ſchendem Einfluß; die geiſtlichen Staaten, die Reichsſtädte, der Schwarm der kleinen Grafen und Herren, des habsburgiſchen Rückhalts beraubt, verfielen dem Untergange, und das Trutzdeutſchland im Herzen des Reichs, die Krone Böhmen, ward für die germaniſche Geſittung erobert. So konnte Deutſchland aus eigener Kraft jene nothwendige Revolution vollziehen, die ihm zwei Menſchenalter ſpäter der Machtſpruch des Aus- landes ſchimpflich auferlegt hat. Aber das Haus Wittelsbach, ohnehin dem deutſchen Leben entfremdet durch die erbliche Verbindung mit Frank- reich wie durch die Härte katholiſcher Glaubenseinheit, erwies in großer Zeit eine klägliche Unfähigkeit; der Nation fehlte jedes Verſtändniß für die verheißungsvolle Gunſt des Augenblicks. Auf einer Rundreiſe durch das Reich gewann der König einen ſo troſtloſen Einblick in die Zwietracht, die Habgier, die ſklaviſche Angſt der kleinen Höfe, daß er für immer ſeine deutſchen Hoffnungen herabzuſtimmen lernte; auch ſeine eigene Macht
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0071"n="55"/><fwplace="top"type="header">Die beiden erſten ſchleſiſchen Kriege.</fw><lb/>
Friedrich war der Erſte, der ernſtlich ihn zu vernichten verſuchte. Sobald<lb/>
die Verſtändigung mit dem Wiener Hofe ſich als unmöglich erwies, faßte<lb/>
der König den kühnen Gedanken, die Kaiſerkrone für immer dem Hauſe<lb/>
Oeſterreich zu entwinden und alſo das letzte Band zu zerreißen, das dieſe<lb/>
Dynaſtie noch an Deutſchland kettete. Er näherte ſich den bairiſchen<lb/>
Wittelsbachern, dem einzigen unter den mächtigeren deutſchen Fürſtenge-<lb/>ſchlechtern, das gleich den Hohenzollern nur deutſche Lande beherrſchte<lb/>
und gleich ihnen in Oeſterreich ſeinen natürlichen Gegner ſah; er begrün-<lb/>
dete zuerſt jenes Bündniß zwiſchen den beiden größten rein deutſchen<lb/>
Staaten, das ſich ſeitdem ſo oft, und immer zum Heile für das Vater-<lb/>
land erneuert hat. Der Kurfürſt von Baiern empfing die kaiſerliche<lb/>
Würde, und Friedrich hoffte dieſem neuen Kaiſerthume, das er ſelber<lb/>„mein Werk“ nannte, an der Krone Böhmen einen feſten Rückhalt zu<lb/>ſichern.</p><lb/><p>Und alsbald erwachte in Berlin wie in München wieder jener<lb/>
rettende Gedanke der Seculariſation, der ſich allezeit unabwendbar auf-<lb/>
drängte ſobald man die heilende Hand legte an den ſiechen Körper des<lb/>
Reichs. Es war im Werke, die Macht der größeren weltlichen Reichsſtände,<lb/>
welche Friedrich als die allein lebensfähigen Glieder des Reichs erkannte,<lb/>
auf Koſten der theokratiſchen und republikaniſchen Territorien zu verſtärken;<lb/>
eine rein weltliche Staatskunſt ſchickte ſich an die politiſchen Ideen der<lb/>
Reformation zu verwirklichen. Einige geiſtliche Gebiete Oberdeutſchlands<lb/>ſollten ſeculariſirt, auch mehrere Reichsſtädte den benachbarten fürſtlichen<lb/>
Gebieten zugeſchlagen werden. Mit gutem Grunde klagte Oeſterreich,<lb/>
wie ſchwer dies von Preußen geleitete bairiſche Kaiſerthum den Adel und<lb/>
die Kirche zu ſchädigen drohe. Traten jene unfertigen Gedanken ins<lb/>
Leben, ſo war der deutſche Dualismus nahezu beſeitigt, die Reichsver-<lb/>
faſſung, ſelbſt wenn ihre Formen blieben, in ihrem Weſen umgeſtaltet;<lb/>
Deutſchland wurde ein Bund weltlicher Fürſten unter Preußens beherr-<lb/>ſchendem Einfluß; die geiſtlichen Staaten, die Reichsſtädte, der Schwarm<lb/>
der kleinen Grafen und Herren, des habsburgiſchen Rückhalts beraubt,<lb/>
verfielen dem Untergange, und das Trutzdeutſchland im Herzen des<lb/>
Reichs, die Krone Böhmen, ward für die germaniſche Geſittung erobert.<lb/>
So konnte Deutſchland aus eigener Kraft jene nothwendige Revolution<lb/>
vollziehen, die ihm zwei Menſchenalter ſpäter der Machtſpruch des Aus-<lb/>
landes ſchimpflich auferlegt hat. Aber das Haus Wittelsbach, ohnehin<lb/>
dem deutſchen Leben entfremdet durch die erbliche Verbindung mit Frank-<lb/>
reich wie durch die Härte katholiſcher Glaubenseinheit, erwies in großer<lb/>
Zeit eine klägliche Unfähigkeit; der Nation fehlte jedes Verſtändniß für<lb/>
die verheißungsvolle Gunſt des Augenblicks. Auf einer Rundreiſe durch<lb/>
das Reich gewann der König einen ſo troſtloſen Einblick in die Zwietracht,<lb/>
die Habgier, die ſklaviſche Angſt der kleinen Höfe, daß er für immer ſeine<lb/>
deutſchen Hoffnungen herabzuſtimmen lernte; auch ſeine eigene Macht<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[55/0071]
Die beiden erſten ſchleſiſchen Kriege.
Friedrich war der Erſte, der ernſtlich ihn zu vernichten verſuchte. Sobald
die Verſtändigung mit dem Wiener Hofe ſich als unmöglich erwies, faßte
der König den kühnen Gedanken, die Kaiſerkrone für immer dem Hauſe
Oeſterreich zu entwinden und alſo das letzte Band zu zerreißen, das dieſe
Dynaſtie noch an Deutſchland kettete. Er näherte ſich den bairiſchen
Wittelsbachern, dem einzigen unter den mächtigeren deutſchen Fürſtenge-
ſchlechtern, das gleich den Hohenzollern nur deutſche Lande beherrſchte
und gleich ihnen in Oeſterreich ſeinen natürlichen Gegner ſah; er begrün-
dete zuerſt jenes Bündniß zwiſchen den beiden größten rein deutſchen
Staaten, das ſich ſeitdem ſo oft, und immer zum Heile für das Vater-
land erneuert hat. Der Kurfürſt von Baiern empfing die kaiſerliche
Würde, und Friedrich hoffte dieſem neuen Kaiſerthume, das er ſelber
„mein Werk“ nannte, an der Krone Böhmen einen feſten Rückhalt zu
ſichern.
Und alsbald erwachte in Berlin wie in München wieder jener
rettende Gedanke der Seculariſation, der ſich allezeit unabwendbar auf-
drängte ſobald man die heilende Hand legte an den ſiechen Körper des
Reichs. Es war im Werke, die Macht der größeren weltlichen Reichsſtände,
welche Friedrich als die allein lebensfähigen Glieder des Reichs erkannte,
auf Koſten der theokratiſchen und republikaniſchen Territorien zu verſtärken;
eine rein weltliche Staatskunſt ſchickte ſich an die politiſchen Ideen der
Reformation zu verwirklichen. Einige geiſtliche Gebiete Oberdeutſchlands
ſollten ſeculariſirt, auch mehrere Reichsſtädte den benachbarten fürſtlichen
Gebieten zugeſchlagen werden. Mit gutem Grunde klagte Oeſterreich,
wie ſchwer dies von Preußen geleitete bairiſche Kaiſerthum den Adel und
die Kirche zu ſchädigen drohe. Traten jene unfertigen Gedanken ins
Leben, ſo war der deutſche Dualismus nahezu beſeitigt, die Reichsver-
faſſung, ſelbſt wenn ihre Formen blieben, in ihrem Weſen umgeſtaltet;
Deutſchland wurde ein Bund weltlicher Fürſten unter Preußens beherr-
ſchendem Einfluß; die geiſtlichen Staaten, die Reichsſtädte, der Schwarm
der kleinen Grafen und Herren, des habsburgiſchen Rückhalts beraubt,
verfielen dem Untergange, und das Trutzdeutſchland im Herzen des
Reichs, die Krone Böhmen, ward für die germaniſche Geſittung erobert.
So konnte Deutſchland aus eigener Kraft jene nothwendige Revolution
vollziehen, die ihm zwei Menſchenalter ſpäter der Machtſpruch des Aus-
landes ſchimpflich auferlegt hat. Aber das Haus Wittelsbach, ohnehin
dem deutſchen Leben entfremdet durch die erbliche Verbindung mit Frank-
reich wie durch die Härte katholiſcher Glaubenseinheit, erwies in großer
Zeit eine klägliche Unfähigkeit; der Nation fehlte jedes Verſtändniß für
die verheißungsvolle Gunſt des Augenblicks. Auf einer Rundreiſe durch
das Reich gewann der König einen ſo troſtloſen Einblick in die Zwietracht,
die Habgier, die ſklaviſche Angſt der kleinen Höfe, daß er für immer ſeine
deutſchen Hoffnungen herabzuſtimmen lernte; auch ſeine eigene Macht
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/71>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.