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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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II. 1. Der Wiener Congreß.
der Mehrzahl der Patrioten vorschwebte, entsprach etwa jenem Vorschlage
für das künftige Reichswappen, welchen der Rheinische Mercur veröffent-
lichte: "der Doppeladler den schwarzen Aar zärtlich umhalsend und der
bairische Löwe friedlich dazu gesellt!" Wahrlich, es war nicht blos trübe
Verstimmung, wenn Goethe sagte: der Schlaf sei zu tief gewesen, diese eine
Aufrüttelung würde nicht genügen.

So weit sich in dem Durcheinander guter Vorsätze und phantastischer
Wünsche ein greifbarer politischer Gedanke erkennen ließ, fand der Plan
der Wiederherstellung des habsburgischen Kaiserthums außerhalb der alten
preußischen Provinzen noch den meisten Anklang. Was wußte man auch
in den Kleinstaaten von der traurigen Rolle, welche das Haus Oesterreich
noch in dem jüngsten Kriege gespielt? Mancher wackere Mann sah zwischen
Schwarzenberg und Gneisenau, Giulai und Bülow keinen wesentlichen
Unterschied. Der Rheinische Mercur bewunderte den "rührend wahren"
Charakter des Kaisers Franz: in dem sei kein Arg, keine Ader vom
Tyrannen; selbst Metternich ward wohl zuweilen schwacher Gutmüthigkeit
beschuldigt, an seiner deutschen Gesinnung zweifelte man nicht. Was schien
natürlicher, als die Rückkehr zu den altheiligen Formen einer tausend-
jährigen Geschichte: nur ein Kaiser konnte das deutsche Dornröschen aus
dem Schlummer wecken. In Vers und Prosa fand der alte Kaisertraum
neuen Ausdruck:

Ach das Sehnen wird so laut:
Wollt Ihr keinen Kaiser küren?
Kommt kein Ritter heimzuführen
Deutschland die verlassne Braut?

Die Frage, ob denn die heillose Vereinigung deutscher und aus-
ländischer Interessen abermals beginnen sollte, ward mit einigen nach-
drücklichen patriotischen Vermahnungen abgethan. Görres befahl kurzab:
"deutsche Fürsten auf fremden Thronen müssen ihre deutschen Länder nie
in fremde Angelegenheiten mischen!" Noch beweglicher redete Rückert dem
Adler Habsburgs ins Gewissen:

Nicht die fremde Pommeranze,
Ists die Dir gehört zunächst:
Der Reichsapfel, der im Glanze
Hier an deutschen Eichen wächst!
Willst bei Apfel, Stab und Kronen
Nicht auf unsern Eichen wohnen?

Der Naturforscher Oken, ein warmherziger Patriot von handfestem, kurz
angebundenem Radicalismus, erwies in der Jenenser Nemesis: mit der
Kaiserkrone seien alle anderen Forderungen der Nation von selbst er-
füllt, durch sie erlange Deutschland wieder den ersten Rang in Europa.
Der geistvolle Philolog F. G. Welcker führte noch zwei Jahre später in
den Kieler Blättern alle Gebrechen des Vaterlandes darauf zurück, "daß

II. 1. Der Wiener Congreß.
der Mehrzahl der Patrioten vorſchwebte, entſprach etwa jenem Vorſchlage
für das künftige Reichswappen, welchen der Rheiniſche Mercur veröffent-
lichte: „der Doppeladler den ſchwarzen Aar zärtlich umhalſend und der
bairiſche Löwe friedlich dazu geſellt!“ Wahrlich, es war nicht blos trübe
Verſtimmung, wenn Goethe ſagte: der Schlaf ſei zu tief geweſen, dieſe eine
Aufrüttelung würde nicht genügen.

So weit ſich in dem Durcheinander guter Vorſätze und phantaſtiſcher
Wünſche ein greifbarer politiſcher Gedanke erkennen ließ, fand der Plan
der Wiederherſtellung des habsburgiſchen Kaiſerthums außerhalb der alten
preußiſchen Provinzen noch den meiſten Anklang. Was wußte man auch
in den Kleinſtaaten von der traurigen Rolle, welche das Haus Oeſterreich
noch in dem jüngſten Kriege geſpielt? Mancher wackere Mann ſah zwiſchen
Schwarzenberg und Gneiſenau, Giulai und Bülow keinen weſentlichen
Unterſchied. Der Rheiniſche Mercur bewunderte den „rührend wahren“
Charakter des Kaiſers Franz: in dem ſei kein Arg, keine Ader vom
Tyrannen; ſelbſt Metternich ward wohl zuweilen ſchwacher Gutmüthigkeit
beſchuldigt, an ſeiner deutſchen Geſinnung zweifelte man nicht. Was ſchien
natürlicher, als die Rückkehr zu den altheiligen Formen einer tauſend-
jährigen Geſchichte: nur ein Kaiſer konnte das deutſche Dornröschen aus
dem Schlummer wecken. In Vers und Proſa fand der alte Kaiſertraum
neuen Ausdruck:

Ach das Sehnen wird ſo laut:
Wollt Ihr keinen Kaiſer küren?
Kommt kein Ritter heimzuführen
Deutſchland die verlaſſne Braut?

Die Frage, ob denn die heilloſe Vereinigung deutſcher und aus-
ländiſcher Intereſſen abermals beginnen ſollte, ward mit einigen nach-
drücklichen patriotiſchen Vermahnungen abgethan. Görres befahl kurzab:
„deutſche Fürſten auf fremden Thronen müſſen ihre deutſchen Länder nie
in fremde Angelegenheiten miſchen!“ Noch beweglicher redete Rückert dem
Adler Habsburgs ins Gewiſſen:

Nicht die fremde Pommeranze,
Iſts die Dir gehört zunächſt:
Der Reichsapfel, der im Glanze
Hier an deutſchen Eichen wächſt!
Willſt bei Apfel, Stab und Kronen
Nicht auf unſern Eichen wohnen?

Der Naturforſcher Oken, ein warmherziger Patriot von handfeſtem, kurz
angebundenem Radicalismus, erwies in der Jenenſer Nemeſis: mit der
Kaiſerkrone ſeien alle anderen Forderungen der Nation von ſelbſt er-
füllt, durch ſie erlange Deutſchland wieder den erſten Rang in Europa.
Der geiſtvolle Philolog F. G. Welcker führte noch zwei Jahre ſpäter in
den Kieler Blättern alle Gebrechen des Vaterlandes darauf zurück, „daß

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[674/0690] II. 1. Der Wiener Congreß. der Mehrzahl der Patrioten vorſchwebte, entſprach etwa jenem Vorſchlage für das künftige Reichswappen, welchen der Rheiniſche Mercur veröffent- lichte: „der Doppeladler den ſchwarzen Aar zärtlich umhalſend und der bairiſche Löwe friedlich dazu geſellt!“ Wahrlich, es war nicht blos trübe Verſtimmung, wenn Goethe ſagte: der Schlaf ſei zu tief geweſen, dieſe eine Aufrüttelung würde nicht genügen. So weit ſich in dem Durcheinander guter Vorſätze und phantaſtiſcher Wünſche ein greifbarer politiſcher Gedanke erkennen ließ, fand der Plan der Wiederherſtellung des habsburgiſchen Kaiſerthums außerhalb der alten preußiſchen Provinzen noch den meiſten Anklang. Was wußte man auch in den Kleinſtaaten von der traurigen Rolle, welche das Haus Oeſterreich noch in dem jüngſten Kriege geſpielt? Mancher wackere Mann ſah zwiſchen Schwarzenberg und Gneiſenau, Giulai und Bülow keinen weſentlichen Unterſchied. Der Rheiniſche Mercur bewunderte den „rührend wahren“ Charakter des Kaiſers Franz: in dem ſei kein Arg, keine Ader vom Tyrannen; ſelbſt Metternich ward wohl zuweilen ſchwacher Gutmüthigkeit beſchuldigt, an ſeiner deutſchen Geſinnung zweifelte man nicht. Was ſchien natürlicher, als die Rückkehr zu den altheiligen Formen einer tauſend- jährigen Geſchichte: nur ein Kaiſer konnte das deutſche Dornröschen aus dem Schlummer wecken. In Vers und Proſa fand der alte Kaiſertraum neuen Ausdruck: Ach das Sehnen wird ſo laut: Wollt Ihr keinen Kaiſer küren? Kommt kein Ritter heimzuführen Deutſchland die verlaſſne Braut? Die Frage, ob denn die heilloſe Vereinigung deutſcher und aus- ländiſcher Intereſſen abermals beginnen ſollte, ward mit einigen nach- drücklichen patriotiſchen Vermahnungen abgethan. Görres befahl kurzab: „deutſche Fürſten auf fremden Thronen müſſen ihre deutſchen Länder nie in fremde Angelegenheiten miſchen!“ Noch beweglicher redete Rückert dem Adler Habsburgs ins Gewiſſen: Nicht die fremde Pommeranze, Iſts die Dir gehört zunächſt: Der Reichsapfel, der im Glanze Hier an deutſchen Eichen wächſt! Willſt bei Apfel, Stab und Kronen Nicht auf unſern Eichen wohnen? Der Naturforſcher Oken, ein warmherziger Patriot von handfeſtem, kurz angebundenem Radicalismus, erwies in der Jenenſer Nemeſis: mit der Kaiſerkrone ſeien alle anderen Forderungen der Nation von ſelbſt er- füllt, durch ſie erlange Deutſchland wieder den erſten Rang in Europa. Der geiſtvolle Philolog F. G. Welcker führte noch zwei Jahre ſpäter in den Kieler Blättern alle Gebrechen des Vaterlandes darauf zurück, „daß

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 674. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/690>, abgerufen am 22.11.2024.