Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Metternich beantragt die Theilung Sachsens.
Volk den Abfall von der Sache der Nation auch dann als Felonie be-
strafen darf, wenn der Verräther kein geschriebenes Recht verletzt hat; "die
Gemeinschaft der Nationalität ist höher als die Staatsverhältnisse, welche
die verschiedenen Völker eines Stammes vereinigen oder trennen." Als-
dann sagt er mit der Sicherheit des Sehers voraus, daß die Tage der
deutschen Kleinstaaterei gezählt sind: schwache Gemeinwesen, die sich nicht
durch eigene Kraft behaupten können, "hören auf Staaten zu sein." Zu
solchem Urtheil gelangte der conservative Denker, da er ein Jahr nach
der Schlacht von Leipzig das deutsche Kleinfürstenthum wieder den Fahnen
Frankreichs folgen sah. In dem vertrauten Briefwechsel der preußischen
Diplomatie sprach sich der Unmuth über den wiederauflebenden Particu-
larismus noch weit schärfer aus. "Die nämlichen Menschen -- schrieb
Alopeus an Humboldt -- die nach der Schlacht von Leipzig ausriefen:
ihm geschieht recht, bemitleiden jetzt den frommen König; und die Bour-
bonen, die im Junimonat vollauf zu thun hatten sich selbst zu erhalten,
haben es jetzt so weit gebracht, daß sie sich um die Erhaltung Anderer
kräftig verwenden können. Freilich empört sich das Gefühl, wenn man
es ansehen muß, daß der nämliche deutsche Kaiser, der von seinen Vasal-
len schändlicherweise verlassen wurde, jetzt diese mit den Verbrechen des
Hochverraths und der Felonie beschmutzten Vasallen schaarenweise in der
Kaiserstadt mit allen den Souveränen gebührenden Ehrenbezeigungen auf-
nimmt. Man frägt sich, welches der Endzweck einer solchen nicht von der
Nothwendigkeit gebotenen Herablassung sein kann." --

Auf den Gang der Congreßverhandlungen übten natürlich weder
solche Zornworte noch Niebuhrs und Hoffmanns Vernunftgründe irgend
einen Einfluß. Oesterreich hatte gehofft, mit England und Preußen ver-
eint den Czaren in die Enge zu treiben und dann über Preußens Kopf
hinweg sich mit Rußland zu verständigen. Nun war dieser Plan durch
das Eingreifen des Königs vereitelt, und sofort änderte Metternich seine
Taktik. Auch ihm, wie den Franzosen, war die sächsische Frage ungleich
wichtiger als die Zukunft Polens. Schon am 11. November, in einem
Gespräche mit Castlereagh und Hardenberg, nahm er das dem Staats-
kanzler gegebene Versprechen zurück und erklärte: der allgemeine Wider-
stand gegen die Einverleibung Sachsens sei unüberwindlich, mindestens
Dresden und der südliche Theil des Landes müßten dem gefangenen Fürsten
wieder zufallen. So wurde der Gedanke der Theilung Sachsens, welchen
Stadion schon im Sommer den Unterhändlern Friedrich Augusts ange-
deutet hatte, endlich als das Ziel der österreichischen Politik ausgesprochen.
Die willkürliche Zerreißung des alten sächsischen Gemeinwesens, die Zer-
störung seines altgewohnten Verkehrs durch neue Zolllinien erregte der
Hofburg kein Bedenken. Ihre Absicht war lediglich, das ergebene alber-
tinische Haus wieder auf der für Preußen lästigsten Stelle anzusiedeln und
zugleich dem preußischen Freunde eine Wunde an seinem Leibe offen zu

41*

Metternich beantragt die Theilung Sachſens.
Volk den Abfall von der Sache der Nation auch dann als Felonie be-
ſtrafen darf, wenn der Verräther kein geſchriebenes Recht verletzt hat; „die
Gemeinſchaft der Nationalität iſt höher als die Staatsverhältniſſe, welche
die verſchiedenen Völker eines Stammes vereinigen oder trennen.“ Als-
dann ſagt er mit der Sicherheit des Sehers voraus, daß die Tage der
deutſchen Kleinſtaaterei gezählt ſind: ſchwache Gemeinweſen, die ſich nicht
durch eigene Kraft behaupten können, „hören auf Staaten zu ſein.“ Zu
ſolchem Urtheil gelangte der conſervative Denker, da er ein Jahr nach
der Schlacht von Leipzig das deutſche Kleinfürſtenthum wieder den Fahnen
Frankreichs folgen ſah. In dem vertrauten Briefwechſel der preußiſchen
Diplomatie ſprach ſich der Unmuth über den wiederauflebenden Particu-
larismus noch weit ſchärfer aus. „Die nämlichen Menſchen — ſchrieb
Alopeus an Humboldt — die nach der Schlacht von Leipzig ausriefen:
ihm geſchieht recht, bemitleiden jetzt den frommen König; und die Bour-
bonen, die im Junimonat vollauf zu thun hatten ſich ſelbſt zu erhalten,
haben es jetzt ſo weit gebracht, daß ſie ſich um die Erhaltung Anderer
kräftig verwenden können. Freilich empört ſich das Gefühl, wenn man
es anſehen muß, daß der nämliche deutſche Kaiſer, der von ſeinen Vaſal-
len ſchändlicherweiſe verlaſſen wurde, jetzt dieſe mit den Verbrechen des
Hochverraths und der Felonie beſchmutzten Vaſallen ſchaarenweiſe in der
Kaiſerſtadt mit allen den Souveränen gebührenden Ehrenbezeigungen auf-
nimmt. Man frägt ſich, welches der Endzweck einer ſolchen nicht von der
Nothwendigkeit gebotenen Herablaſſung ſein kann.“ —

Auf den Gang der Congreßverhandlungen übten natürlich weder
ſolche Zornworte noch Niebuhrs und Hoffmanns Vernunftgründe irgend
einen Einfluß. Oeſterreich hatte gehofft, mit England und Preußen ver-
eint den Czaren in die Enge zu treiben und dann über Preußens Kopf
hinweg ſich mit Rußland zu verſtändigen. Nun war dieſer Plan durch
das Eingreifen des Königs vereitelt, und ſofort änderte Metternich ſeine
Taktik. Auch ihm, wie den Franzoſen, war die ſächſiſche Frage ungleich
wichtiger als die Zukunft Polens. Schon am 11. November, in einem
Geſpräche mit Caſtlereagh und Hardenberg, nahm er das dem Staats-
kanzler gegebene Verſprechen zurück und erklärte: der allgemeine Wider-
ſtand gegen die Einverleibung Sachſens ſei unüberwindlich, mindeſtens
Dresden und der ſüdliche Theil des Landes müßten dem gefangenen Fürſten
wieder zufallen. So wurde der Gedanke der Theilung Sachſens, welchen
Stadion ſchon im Sommer den Unterhändlern Friedrich Auguſts ange-
deutet hatte, endlich als das Ziel der öſterreichiſchen Politik ausgeſprochen.
Die willkürliche Zerreißung des alten ſächſiſchen Gemeinweſens, die Zer-
ſtörung ſeines altgewohnten Verkehrs durch neue Zolllinien erregte der
Hofburg kein Bedenken. Ihre Abſicht war lediglich, das ergebene alber-
tiniſche Haus wieder auf der für Preußen läſtigſten Stelle anzuſiedeln und
zugleich dem preußiſchen Freunde eine Wunde an ſeinem Leibe offen zu

41*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0659" n="643"/><fw place="top" type="header">Metternich beantragt die Theilung Sach&#x017F;ens.</fw><lb/>
Volk den Abfall von der Sache der Nation auch dann als Felonie be-<lb/>
&#x017F;trafen darf, wenn der Verräther kein ge&#x017F;chriebenes Recht verletzt hat; &#x201E;die<lb/>
Gemein&#x017F;chaft der Nationalität i&#x017F;t höher als die Staatsverhältni&#x017F;&#x017F;e, welche<lb/>
die ver&#x017F;chiedenen Völker eines Stammes vereinigen oder trennen.&#x201C; Als-<lb/>
dann &#x017F;agt er mit der Sicherheit des Sehers voraus, daß die Tage der<lb/>
deut&#x017F;chen Klein&#x017F;taaterei gezählt &#x017F;ind: &#x017F;chwache Gemeinwe&#x017F;en, die &#x017F;ich nicht<lb/>
durch eigene Kraft behaupten können, &#x201E;hören auf Staaten zu &#x017F;ein.&#x201C; Zu<lb/>
&#x017F;olchem Urtheil gelangte der con&#x017F;ervative Denker, da er ein Jahr nach<lb/>
der Schlacht von Leipzig das deut&#x017F;che Kleinfür&#x017F;tenthum wieder den Fahnen<lb/>
Frankreichs folgen &#x017F;ah. In dem vertrauten Briefwech&#x017F;el der preußi&#x017F;chen<lb/>
Diplomatie &#x017F;prach &#x017F;ich der Unmuth über den wiederauflebenden Particu-<lb/>
larismus noch weit &#x017F;chärfer aus. &#x201E;Die nämlichen Men&#x017F;chen &#x2014; &#x017F;chrieb<lb/>
Alopeus an Humboldt &#x2014; die nach der Schlacht von Leipzig ausriefen:<lb/>
ihm ge&#x017F;chieht recht, bemitleiden jetzt den frommen König; und die Bour-<lb/>
bonen, die im Junimonat vollauf zu thun hatten &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t zu erhalten,<lb/>
haben es jetzt &#x017F;o weit gebracht, daß &#x017F;ie &#x017F;ich um die Erhaltung Anderer<lb/>
kräftig verwenden können. Freilich empört &#x017F;ich das Gefühl, wenn man<lb/>
es an&#x017F;ehen muß, daß der nämliche deut&#x017F;che Kai&#x017F;er, der von &#x017F;einen Va&#x017F;al-<lb/>
len &#x017F;chändlicherwei&#x017F;e verla&#x017F;&#x017F;en wurde, jetzt die&#x017F;e mit den Verbrechen des<lb/>
Hochverraths und der Felonie be&#x017F;chmutzten Va&#x017F;allen &#x017F;chaarenwei&#x017F;e in der<lb/>
Kai&#x017F;er&#x017F;tadt mit allen den Souveränen gebührenden Ehrenbezeigungen auf-<lb/>
nimmt. Man frägt &#x017F;ich, welches der Endzweck einer &#x017F;olchen nicht von der<lb/>
Nothwendigkeit gebotenen Herabla&#x017F;&#x017F;ung &#x017F;ein kann.&#x201C; &#x2014;</p><lb/>
            <p>Auf den Gang der Congreßverhandlungen übten natürlich weder<lb/>
&#x017F;olche Zornworte noch Niebuhrs und Hoffmanns Vernunftgründe irgend<lb/>
einen Einfluß. Oe&#x017F;terreich hatte gehofft, mit England und Preußen ver-<lb/>
eint den Czaren in die Enge zu treiben und dann über Preußens Kopf<lb/>
hinweg &#x017F;ich mit Rußland zu ver&#x017F;tändigen. Nun war die&#x017F;er Plan durch<lb/>
das Eingreifen des Königs vereitelt, und &#x017F;ofort änderte Metternich &#x017F;eine<lb/>
Taktik. Auch ihm, wie den Franzo&#x017F;en, war die &#x017F;äch&#x017F;i&#x017F;che Frage ungleich<lb/>
wichtiger als die Zukunft Polens. Schon am 11. November, in einem<lb/>
Ge&#x017F;präche mit Ca&#x017F;tlereagh und Hardenberg, nahm er das dem Staats-<lb/>
kanzler gegebene Ver&#x017F;prechen zurück und erklärte: der allgemeine Wider-<lb/>
&#x017F;tand gegen die Einverleibung Sach&#x017F;ens &#x017F;ei unüberwindlich, minde&#x017F;tens<lb/>
Dresden und der &#x017F;üdliche Theil des Landes müßten dem gefangenen Für&#x017F;ten<lb/>
wieder zufallen. So wurde der Gedanke der Theilung Sach&#x017F;ens, welchen<lb/>
Stadion &#x017F;chon im Sommer den Unterhändlern Friedrich Augu&#x017F;ts ange-<lb/>
deutet hatte, endlich als das Ziel der ö&#x017F;terreichi&#x017F;chen Politik ausge&#x017F;prochen.<lb/>
Die willkürliche Zerreißung des alten &#x017F;äch&#x017F;i&#x017F;chen Gemeinwe&#x017F;ens, die Zer-<lb/>
&#x017F;törung &#x017F;eines altgewohnten Verkehrs durch neue Zolllinien erregte der<lb/>
Hofburg kein Bedenken. Ihre Ab&#x017F;icht war lediglich, das ergebene alber-<lb/>
tini&#x017F;che Haus wieder auf der für Preußen lä&#x017F;tig&#x017F;ten Stelle anzu&#x017F;iedeln und<lb/>
zugleich dem preußi&#x017F;chen Freunde eine Wunde an &#x017F;einem Leibe offen zu<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">41*</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[643/0659] Metternich beantragt die Theilung Sachſens. Volk den Abfall von der Sache der Nation auch dann als Felonie be- ſtrafen darf, wenn der Verräther kein geſchriebenes Recht verletzt hat; „die Gemeinſchaft der Nationalität iſt höher als die Staatsverhältniſſe, welche die verſchiedenen Völker eines Stammes vereinigen oder trennen.“ Als- dann ſagt er mit der Sicherheit des Sehers voraus, daß die Tage der deutſchen Kleinſtaaterei gezählt ſind: ſchwache Gemeinweſen, die ſich nicht durch eigene Kraft behaupten können, „hören auf Staaten zu ſein.“ Zu ſolchem Urtheil gelangte der conſervative Denker, da er ein Jahr nach der Schlacht von Leipzig das deutſche Kleinfürſtenthum wieder den Fahnen Frankreichs folgen ſah. In dem vertrauten Briefwechſel der preußiſchen Diplomatie ſprach ſich der Unmuth über den wiederauflebenden Particu- larismus noch weit ſchärfer aus. „Die nämlichen Menſchen — ſchrieb Alopeus an Humboldt — die nach der Schlacht von Leipzig ausriefen: ihm geſchieht recht, bemitleiden jetzt den frommen König; und die Bour- bonen, die im Junimonat vollauf zu thun hatten ſich ſelbſt zu erhalten, haben es jetzt ſo weit gebracht, daß ſie ſich um die Erhaltung Anderer kräftig verwenden können. Freilich empört ſich das Gefühl, wenn man es anſehen muß, daß der nämliche deutſche Kaiſer, der von ſeinen Vaſal- len ſchändlicherweiſe verlaſſen wurde, jetzt dieſe mit den Verbrechen des Hochverraths und der Felonie beſchmutzten Vaſallen ſchaarenweiſe in der Kaiſerſtadt mit allen den Souveränen gebührenden Ehrenbezeigungen auf- nimmt. Man frägt ſich, welches der Endzweck einer ſolchen nicht von der Nothwendigkeit gebotenen Herablaſſung ſein kann.“ — Auf den Gang der Congreßverhandlungen übten natürlich weder ſolche Zornworte noch Niebuhrs und Hoffmanns Vernunftgründe irgend einen Einfluß. Oeſterreich hatte gehofft, mit England und Preußen ver- eint den Czaren in die Enge zu treiben und dann über Preußens Kopf hinweg ſich mit Rußland zu verſtändigen. Nun war dieſer Plan durch das Eingreifen des Königs vereitelt, und ſofort änderte Metternich ſeine Taktik. Auch ihm, wie den Franzoſen, war die ſächſiſche Frage ungleich wichtiger als die Zukunft Polens. Schon am 11. November, in einem Geſpräche mit Caſtlereagh und Hardenberg, nahm er das dem Staats- kanzler gegebene Verſprechen zurück und erklärte: der allgemeine Wider- ſtand gegen die Einverleibung Sachſens ſei unüberwindlich, mindeſtens Dresden und der ſüdliche Theil des Landes müßten dem gefangenen Fürſten wieder zufallen. So wurde der Gedanke der Theilung Sachſens, welchen Stadion ſchon im Sommer den Unterhändlern Friedrich Auguſts ange- deutet hatte, endlich als das Ziel der öſterreichiſchen Politik ausgeſprochen. Die willkürliche Zerreißung des alten ſächſiſchen Gemeinweſens, die Zer- ſtörung ſeines altgewohnten Verkehrs durch neue Zolllinien erregte der Hofburg kein Bedenken. Ihre Abſicht war lediglich, das ergebene alber- tiniſche Haus wieder auf der für Preußen läſtigſten Stelle anzuſiedeln und zugleich dem preußiſchen Freunde eine Wunde an ſeinem Leibe offen zu 41*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/659
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 643. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/659>, abgerufen am 02.05.2024.