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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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II. 1. Der Wiener Congreß.
sündlich der Staatshaushalt, der freilich noch immer minder verschuldet
war als die erschöpften Finanzen Preußens, durch eine faule, schwerfällige
und bestechliche Verwaltung verwahrlost sei, und gerieth mit den Mit-
gliedern des sächsischen Finanz-Collegiums hart an einander. *) Den
sächsischen Edelleuten, welche bisher den Abtheilungen des General-
gouvernements vorgestanden, wurden bürgerliche Beamte an die Seite
gesetzt, so der Geh. Rath Krüger, ein echter Sohn der tüchtigen, rück-
sichtslos strengen altpreußischen Beamtenschule, und der sächsische Hof-
rath Ferber, ein alter Gegner der Ständeherrschaft, beim Adel längst als
Demagog verrufen. Darüber denn große Entrüstung. Die Gekränkten
hielten die heiligsten Rechte "der sächsischen Nation" für gefährdet -- die
harmlose Verwechslung des persönlichen mit dem allgemeinen Interesse
bleibt ja die Erbsünde kleinstaatlicher Weltanschauung -- und brachten den
armseligen Handel bis vor den Congreß. Stein, der in Streitigkeiten
zwischen Edelleuten und "Officianten" selten unparteiisch verfuhr, schalt auf
die Roheit der Preußen. Der Staatskanzler aber wies die Klagenden scharf
ab: "Sie können aus diesen nur persönlichen Differentien nicht eine Sache
des sächsischen Volkes machen, als dessen Repräsentanten Sie keineswegs
angesehen werden können."

Die verständigen Leipziger Geschäftsmänner faßten bald Zutrauen
zu dem neuen straffen und gerechten Regimente; der Curs der Staats-
papiere und Kassenbillets stieg sofort. Mit warmen Worten dankte der
Handelsconsulent Gruner dem Staatskanzler, daß er der Adelsherrschaft
entgegentrete; in ihr liege der Grund "der unserer Administration eigen-
thümlichen Schwerfälligkeit". Noch entschiedener schrieb der Chef des großen
Bankhauses Reichenbach: "Die Leute werden bald zu bekennen gezwungen
sein, daß der das Heil des Vaterlandes nicht will, der die alte Verwirrung,
den häßlichen Schlendrian und die starrköpfige Aufrechthaltung alter Miß-
bräuche wünscht, welche eine gewisse Clique für unser Palladium ausgeben
möchte." **) Einige dieser alten Mißbräuche waren freilich auch der wackeren
Leipziger Bürgerschaft theuer. Die Stadt hatte bisher nahezu einen Staat
im Staate gebildet; sie hielt ihre eigenen Stadtsoldaten, keine landesherr-
lichen Truppen durften in ihren Mauern erscheinen; der Stadtrath erfreute
sich des behaglichen Rechtes, Niemandem von der Verwaltung des Gemeinde-
vermögens Rechenschaft abzulegen u. s. w. Unter der Hand ließ man um die
Erhaltung dieser Privilegien bitten. Der Staatskanzler konnte jedoch, so lieb
ihm die Stadt war, lediglich die Bewahrung der alten Meßprivilegien und
eine freie Gemeindeverfassung zusagen; er versprach auch, die nothwendigen

*) Darüber berichtet der Finanzminister von Bülow ausführlich an den Staats-
kanzler, Berlin, 8. Dec. 1814.
**) Gruner an Stägemann 27. November, Reichenbach an Hardenberg 28. No-
vember 1814.

II. 1. Der Wiener Congreß.
ſündlich der Staatshaushalt, der freilich noch immer minder verſchuldet
war als die erſchöpften Finanzen Preußens, durch eine faule, ſchwerfällige
und beſtechliche Verwaltung verwahrloſt ſei, und gerieth mit den Mit-
gliedern des ſächſiſchen Finanz-Collegiums hart an einander. *) Den
ſächſiſchen Edelleuten, welche bisher den Abtheilungen des General-
gouvernements vorgeſtanden, wurden bürgerliche Beamte an die Seite
geſetzt, ſo der Geh. Rath Krüger, ein echter Sohn der tüchtigen, rück-
ſichtslos ſtrengen altpreußiſchen Beamtenſchule, und der ſächſiſche Hof-
rath Ferber, ein alter Gegner der Ständeherrſchaft, beim Adel längſt als
Demagog verrufen. Darüber denn große Entrüſtung. Die Gekränkten
hielten die heiligſten Rechte „der ſächſiſchen Nation“ für gefährdet — die
harmloſe Verwechslung des perſönlichen mit dem allgemeinen Intereſſe
bleibt ja die Erbſünde kleinſtaatlicher Weltanſchauung — und brachten den
armſeligen Handel bis vor den Congreß. Stein, der in Streitigkeiten
zwiſchen Edelleuten und „Officianten“ ſelten unparteiiſch verfuhr, ſchalt auf
die Roheit der Preußen. Der Staatskanzler aber wies die Klagenden ſcharf
ab: „Sie können aus dieſen nur perſönlichen Differentien nicht eine Sache
des ſächſiſchen Volkes machen, als deſſen Repräſentanten Sie keineswegs
angeſehen werden können.“

Die verſtändigen Leipziger Geſchäftsmänner faßten bald Zutrauen
zu dem neuen ſtraffen und gerechten Regimente; der Curs der Staats-
papiere und Kaſſenbillets ſtieg ſofort. Mit warmen Worten dankte der
Handelsconſulent Gruner dem Staatskanzler, daß er der Adelsherrſchaft
entgegentrete; in ihr liege der Grund „der unſerer Adminiſtration eigen-
thümlichen Schwerfälligkeit“. Noch entſchiedener ſchrieb der Chef des großen
Bankhauſes Reichenbach: „Die Leute werden bald zu bekennen gezwungen
ſein, daß der das Heil des Vaterlandes nicht will, der die alte Verwirrung,
den häßlichen Schlendrian und die ſtarrköpfige Aufrechthaltung alter Miß-
bräuche wünſcht, welche eine gewiſſe Clique für unſer Palladium ausgeben
möchte.“ **) Einige dieſer alten Mißbräuche waren freilich auch der wackeren
Leipziger Bürgerſchaft theuer. Die Stadt hatte bisher nahezu einen Staat
im Staate gebildet; ſie hielt ihre eigenen Stadtſoldaten, keine landesherr-
lichen Truppen durften in ihren Mauern erſcheinen; der Stadtrath erfreute
ſich des behaglichen Rechtes, Niemandem von der Verwaltung des Gemeinde-
vermögens Rechenſchaft abzulegen u. ſ. w. Unter der Hand ließ man um die
Erhaltung dieſer Privilegien bitten. Der Staatskanzler konnte jedoch, ſo lieb
ihm die Stadt war, lediglich die Bewahrung der alten Meßprivilegien und
eine freie Gemeindeverfaſſung zuſagen; er verſprach auch, die nothwendigen

*) Darüber berichtet der Finanzminiſter von Bülow ausführlich an den Staats-
kanzler, Berlin, 8. Dec. 1814.
**) Gruner an Stägemann 27. November, Reichenbach an Hardenberg 28. No-
vember 1814.
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[638/0654] II. 1. Der Wiener Congreß. ſündlich der Staatshaushalt, der freilich noch immer minder verſchuldet war als die erſchöpften Finanzen Preußens, durch eine faule, ſchwerfällige und beſtechliche Verwaltung verwahrloſt ſei, und gerieth mit den Mit- gliedern des ſächſiſchen Finanz-Collegiums hart an einander. *) Den ſächſiſchen Edelleuten, welche bisher den Abtheilungen des General- gouvernements vorgeſtanden, wurden bürgerliche Beamte an die Seite geſetzt, ſo der Geh. Rath Krüger, ein echter Sohn der tüchtigen, rück- ſichtslos ſtrengen altpreußiſchen Beamtenſchule, und der ſächſiſche Hof- rath Ferber, ein alter Gegner der Ständeherrſchaft, beim Adel längſt als Demagog verrufen. Darüber denn große Entrüſtung. Die Gekränkten hielten die heiligſten Rechte „der ſächſiſchen Nation“ für gefährdet — die harmloſe Verwechslung des perſönlichen mit dem allgemeinen Intereſſe bleibt ja die Erbſünde kleinſtaatlicher Weltanſchauung — und brachten den armſeligen Handel bis vor den Congreß. Stein, der in Streitigkeiten zwiſchen Edelleuten und „Officianten“ ſelten unparteiiſch verfuhr, ſchalt auf die Roheit der Preußen. Der Staatskanzler aber wies die Klagenden ſcharf ab: „Sie können aus dieſen nur perſönlichen Differentien nicht eine Sache des ſächſiſchen Volkes machen, als deſſen Repräſentanten Sie keineswegs angeſehen werden können.“ Die verſtändigen Leipziger Geſchäftsmänner faßten bald Zutrauen zu dem neuen ſtraffen und gerechten Regimente; der Curs der Staats- papiere und Kaſſenbillets ſtieg ſofort. Mit warmen Worten dankte der Handelsconſulent Gruner dem Staatskanzler, daß er der Adelsherrſchaft entgegentrete; in ihr liege der Grund „der unſerer Adminiſtration eigen- thümlichen Schwerfälligkeit“. Noch entſchiedener ſchrieb der Chef des großen Bankhauſes Reichenbach: „Die Leute werden bald zu bekennen gezwungen ſein, daß der das Heil des Vaterlandes nicht will, der die alte Verwirrung, den häßlichen Schlendrian und die ſtarrköpfige Aufrechthaltung alter Miß- bräuche wünſcht, welche eine gewiſſe Clique für unſer Palladium ausgeben möchte.“ **) Einige dieſer alten Mißbräuche waren freilich auch der wackeren Leipziger Bürgerſchaft theuer. Die Stadt hatte bisher nahezu einen Staat im Staate gebildet; ſie hielt ihre eigenen Stadtſoldaten, keine landesherr- lichen Truppen durften in ihren Mauern erſcheinen; der Stadtrath erfreute ſich des behaglichen Rechtes, Niemandem von der Verwaltung des Gemeinde- vermögens Rechenſchaft abzulegen u. ſ. w. Unter der Hand ließ man um die Erhaltung dieſer Privilegien bitten. Der Staatskanzler konnte jedoch, ſo lieb ihm die Stadt war, lediglich die Bewahrung der alten Meßprivilegien und eine freie Gemeindeverfaſſung zuſagen; er verſprach auch, die nothwendigen *) Darüber berichtet der Finanzminiſter von Bülow ausführlich an den Staats- kanzler, Berlin, 8. Dec. 1814. **) Gruner an Stägemann 27. November, Reichenbach an Hardenberg 28. No- vember 1814.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 638. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/654>, abgerufen am 02.05.2024.