schen Souveräne. Die kleinen Herren waren allesammt in übler Stim- mung; Gebietsvergrößerungen standen zu Wien nicht in Aussicht, und das natürliche Uebergewicht der großen Mächte machte sich schwer fühlbar. Meisterhaft verstand Talleyrand diesen Groll der Mittelstaaten zu schüren; das gesammte öffentliche Recht schien ihm in Frage gestellt, wenn die Kronen von Baiern und Württemberg bei der Neuordnung Europas nicht ebenso vollberechtigt mitsprächen wie Preußen oder Rußland. So hob er binnen Kurzem seinen gedemüthigten Staat wieder empor zu der althisto- rischen Führerstellung an der Spitze der deutschen Kleinstaaten. Mit gutem Grunde priesen die Franzosen ihren geschickten Unterhändler; Czar Alexander aber sagte: "Talleyrand spielt hier den Minister Ludwigs XIV." -- ein treffendes Wort, das seitdem oftmals auf die neufranzösische Politik an- gewendet worden ist.
Kaum vierzehn Tage nach jener stürmischen Sitzung hatte sich Gentz schon völlig mit dem dreisten Franzosen ausgesöhnt. Auch der Czar ließ den gefährlichen Gegner mehrmals zu geheimen Unterredungen über Polen rufen und gab ihm dadurch selber das Recht sich in die polnischen Händel einzumischen. Vor Allen die deutschen Kleinfürsten umdrängten dienst- beflissen den hochherzigen Mann, der die Gleichberechtigung von Rußland und Schwarzburg-Sondershausen so nachdrücklich verfocht. Das siegreiche Deutschland erlebte die Schmach, daß sein hoher Adel sich abermals, wie einst in den Tagen unserer Niederlagen, um die Gunst eines französischen Subalternbeamten bewarb. Wie die kleinen Herren im Jahre 1803 zu Matthieu, drei Jahre darauf zu dem alten Pfeffel als Bittsteller gezogen waren, so schlichen sie jetzt in das bescheidene Stübchen zu Talleyrands ver- trautem Rathe, demselben La Besnardiere, der schon vor sieben Jahren in Posen sich in den Künsten deutscher Vaterlands-Gründung geübt hatte. Am Lautesten lärmten die Baiern; mit Montgelas hatte Talleyrand be- reits auf der Reise, in Baden, eine Besprechung gehalten. Selbst Karl August von Weimar erhob sich nicht über das Gefühl vetterschaftlicher Theilnahme und zog sich erst spät von den Albertinern zurück, als er die unsauberen Hintergedanken der sächsischen Partei durchschaute. Geschäftig trugen die französischen Unterhändler allerhand übermüthige Aeußerungen hin und her, die angeblich im preußischen Heere laut geworden. Die Pariser Zeitungen erzählten, "das anmaßende Benehmen der preußischen Generale in Wien" habe selbst die wärmsten Freunde des ländergierigen Staates abgestoßen, während doch von allen namhaften preußischen Generalen allein der gemessen bedachtsame Knesebeck anwesend war.
Die von späteren Historikern nachträglich gegen Preußens sächsische Pläne erhobenen Einwände kamen im Jahre 1814 Niemandem in den Sinn. Uns Heutigen erscheint es als ein schwächlicher Gedanke, daß man den gefangenen König nicht einfach entthronen, sondern anderswo mit Land und Leuten entschädigen wollte; aber diese Entschädigung verstand sich nach
Talleyrand und die Kleinfürſten.
ſchen Souveräne. Die kleinen Herren waren alleſammt in übler Stim- mung; Gebietsvergrößerungen ſtanden zu Wien nicht in Ausſicht, und das natürliche Uebergewicht der großen Mächte machte ſich ſchwer fühlbar. Meiſterhaft verſtand Talleyrand dieſen Groll der Mittelſtaaten zu ſchüren; das geſammte öffentliche Recht ſchien ihm in Frage geſtellt, wenn die Kronen von Baiern und Württemberg bei der Neuordnung Europas nicht ebenſo vollberechtigt mitſprächen wie Preußen oder Rußland. So hob er binnen Kurzem ſeinen gedemüthigten Staat wieder empor zu der althiſto- riſchen Führerſtellung an der Spitze der deutſchen Kleinſtaaten. Mit gutem Grunde prieſen die Franzoſen ihren geſchickten Unterhändler; Czar Alexander aber ſagte: „Talleyrand ſpielt hier den Miniſter Ludwigs XIV.“ — ein treffendes Wort, das ſeitdem oftmals auf die neufranzöſiſche Politik an- gewendet worden iſt.
Kaum vierzehn Tage nach jener ſtürmiſchen Sitzung hatte ſich Gentz ſchon völlig mit dem dreiſten Franzoſen ausgeſöhnt. Auch der Czar ließ den gefährlichen Gegner mehrmals zu geheimen Unterredungen über Polen rufen und gab ihm dadurch ſelber das Recht ſich in die polniſchen Händel einzumiſchen. Vor Allen die deutſchen Kleinfürſten umdrängten dienſt- befliſſen den hochherzigen Mann, der die Gleichberechtigung von Rußland und Schwarzburg-Sondershauſen ſo nachdrücklich verfocht. Das ſiegreiche Deutſchland erlebte die Schmach, daß ſein hoher Adel ſich abermals, wie einſt in den Tagen unſerer Niederlagen, um die Gunſt eines franzöſiſchen Subalternbeamten bewarb. Wie die kleinen Herren im Jahre 1803 zu Matthieu, drei Jahre darauf zu dem alten Pfeffel als Bittſteller gezogen waren, ſo ſchlichen ſie jetzt in das beſcheidene Stübchen zu Talleyrands ver- trautem Rathe, demſelben La Besnardiere, der ſchon vor ſieben Jahren in Poſen ſich in den Künſten deutſcher Vaterlands-Gründung geübt hatte. Am Lauteſten lärmten die Baiern; mit Montgelas hatte Talleyrand be- reits auf der Reiſe, in Baden, eine Beſprechung gehalten. Selbſt Karl Auguſt von Weimar erhob ſich nicht über das Gefühl vetterſchaftlicher Theilnahme und zog ſich erſt ſpät von den Albertinern zurück, als er die unſauberen Hintergedanken der ſächſiſchen Partei durchſchaute. Geſchäftig trugen die franzöſiſchen Unterhändler allerhand übermüthige Aeußerungen hin und her, die angeblich im preußiſchen Heere laut geworden. Die Pariſer Zeitungen erzählten, „das anmaßende Benehmen der preußiſchen Generale in Wien“ habe ſelbſt die wärmſten Freunde des ländergierigen Staates abgeſtoßen, während doch von allen namhaften preußiſchen Generalen allein der gemeſſen bedachtſame Kneſebeck anweſend war.
Die von ſpäteren Hiſtorikern nachträglich gegen Preußens ſächſiſche Pläne erhobenen Einwände kamen im Jahre 1814 Niemandem in den Sinn. Uns Heutigen erſcheint es als ein ſchwächlicher Gedanke, daß man den gefangenen König nicht einfach entthronen, ſondern anderswo mit Land und Leuten entſchädigen wollte; aber dieſe Entſchädigung verſtand ſich nach
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0635"n="619"/><fwplace="top"type="header">Talleyrand und die Kleinfürſten.</fw><lb/>ſchen Souveräne. Die kleinen Herren waren alleſammt in übler Stim-<lb/>
mung; Gebietsvergrößerungen ſtanden zu Wien nicht in Ausſicht, und das<lb/>
natürliche Uebergewicht der großen Mächte machte ſich ſchwer fühlbar.<lb/>
Meiſterhaft verſtand Talleyrand dieſen Groll der Mittelſtaaten zu ſchüren;<lb/>
das geſammte öffentliche Recht ſchien ihm in Frage geſtellt, wenn die<lb/>
Kronen von Baiern und Württemberg bei der Neuordnung Europas nicht<lb/>
ebenſo vollberechtigt mitſprächen wie Preußen oder Rußland. So hob er<lb/>
binnen Kurzem ſeinen gedemüthigten Staat wieder empor zu der althiſto-<lb/>
riſchen Führerſtellung an der Spitze der deutſchen Kleinſtaaten. Mit gutem<lb/>
Grunde prieſen die Franzoſen ihren geſchickten Unterhändler; Czar Alexander<lb/>
aber ſagte: „Talleyrand ſpielt hier den Miniſter Ludwigs <hirendition="#aq">XIV.</hi>“— ein<lb/>
treffendes Wort, das ſeitdem oftmals auf die neufranzöſiſche Politik an-<lb/>
gewendet worden iſt.</p><lb/><p>Kaum vierzehn Tage nach jener ſtürmiſchen Sitzung hatte ſich Gentz<lb/>ſchon völlig mit dem dreiſten Franzoſen ausgeſöhnt. Auch der Czar ließ<lb/>
den gefährlichen Gegner mehrmals zu geheimen Unterredungen über Polen<lb/>
rufen und gab ihm dadurch ſelber das Recht ſich in die polniſchen Händel<lb/>
einzumiſchen. Vor Allen die deutſchen Kleinfürſten umdrängten dienſt-<lb/>
befliſſen den hochherzigen Mann, der die Gleichberechtigung von Rußland<lb/>
und Schwarzburg-Sondershauſen ſo nachdrücklich verfocht. Das ſiegreiche<lb/>
Deutſchland erlebte die Schmach, daß ſein hoher Adel ſich abermals, wie<lb/>
einſt in den Tagen unſerer Niederlagen, um die Gunſt eines franzöſiſchen<lb/>
Subalternbeamten bewarb. Wie die kleinen Herren im Jahre 1803 zu<lb/>
Matthieu, drei Jahre darauf zu dem alten Pfeffel als Bittſteller gezogen<lb/>
waren, ſo ſchlichen ſie jetzt in das beſcheidene Stübchen zu Talleyrands ver-<lb/>
trautem Rathe, demſelben La Besnardiere, der ſchon vor ſieben Jahren<lb/>
in Poſen ſich in den Künſten deutſcher Vaterlands-Gründung geübt hatte.<lb/>
Am Lauteſten lärmten die Baiern; mit Montgelas hatte Talleyrand be-<lb/>
reits auf der Reiſe, in Baden, eine Beſprechung gehalten. Selbſt Karl<lb/>
Auguſt von Weimar erhob ſich nicht über das Gefühl vetterſchaftlicher<lb/>
Theilnahme und zog ſich erſt ſpät von den Albertinern zurück, als er die<lb/>
unſauberen Hintergedanken der ſächſiſchen Partei durchſchaute. Geſchäftig<lb/>
trugen die franzöſiſchen Unterhändler allerhand übermüthige Aeußerungen<lb/>
hin und her, die angeblich im preußiſchen Heere laut geworden. Die<lb/>
Pariſer Zeitungen erzählten, „das anmaßende Benehmen der preußiſchen<lb/>
Generale in Wien“ habe ſelbſt die wärmſten Freunde des ländergierigen<lb/>
Staates abgeſtoßen, während doch von allen namhaften preußiſchen<lb/>
Generalen allein der gemeſſen bedachtſame Kneſebeck anweſend war.</p><lb/><p>Die von ſpäteren Hiſtorikern nachträglich gegen Preußens ſächſiſche<lb/>
Pläne erhobenen Einwände kamen im Jahre 1814 Niemandem in den<lb/>
Sinn. Uns Heutigen erſcheint es als ein ſchwächlicher Gedanke, daß man<lb/>
den gefangenen König nicht einfach entthronen, ſondern anderswo mit Land<lb/>
und Leuten entſchädigen wollte; aber dieſe Entſchädigung verſtand ſich nach<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[619/0635]
Talleyrand und die Kleinfürſten.
ſchen Souveräne. Die kleinen Herren waren alleſammt in übler Stim-
mung; Gebietsvergrößerungen ſtanden zu Wien nicht in Ausſicht, und das
natürliche Uebergewicht der großen Mächte machte ſich ſchwer fühlbar.
Meiſterhaft verſtand Talleyrand dieſen Groll der Mittelſtaaten zu ſchüren;
das geſammte öffentliche Recht ſchien ihm in Frage geſtellt, wenn die
Kronen von Baiern und Württemberg bei der Neuordnung Europas nicht
ebenſo vollberechtigt mitſprächen wie Preußen oder Rußland. So hob er
binnen Kurzem ſeinen gedemüthigten Staat wieder empor zu der althiſto-
riſchen Führerſtellung an der Spitze der deutſchen Kleinſtaaten. Mit gutem
Grunde prieſen die Franzoſen ihren geſchickten Unterhändler; Czar Alexander
aber ſagte: „Talleyrand ſpielt hier den Miniſter Ludwigs XIV.“ — ein
treffendes Wort, das ſeitdem oftmals auf die neufranzöſiſche Politik an-
gewendet worden iſt.
Kaum vierzehn Tage nach jener ſtürmiſchen Sitzung hatte ſich Gentz
ſchon völlig mit dem dreiſten Franzoſen ausgeſöhnt. Auch der Czar ließ
den gefährlichen Gegner mehrmals zu geheimen Unterredungen über Polen
rufen und gab ihm dadurch ſelber das Recht ſich in die polniſchen Händel
einzumiſchen. Vor Allen die deutſchen Kleinfürſten umdrängten dienſt-
befliſſen den hochherzigen Mann, der die Gleichberechtigung von Rußland
und Schwarzburg-Sondershauſen ſo nachdrücklich verfocht. Das ſiegreiche
Deutſchland erlebte die Schmach, daß ſein hoher Adel ſich abermals, wie
einſt in den Tagen unſerer Niederlagen, um die Gunſt eines franzöſiſchen
Subalternbeamten bewarb. Wie die kleinen Herren im Jahre 1803 zu
Matthieu, drei Jahre darauf zu dem alten Pfeffel als Bittſteller gezogen
waren, ſo ſchlichen ſie jetzt in das beſcheidene Stübchen zu Talleyrands ver-
trautem Rathe, demſelben La Besnardiere, der ſchon vor ſieben Jahren
in Poſen ſich in den Künſten deutſcher Vaterlands-Gründung geübt hatte.
Am Lauteſten lärmten die Baiern; mit Montgelas hatte Talleyrand be-
reits auf der Reiſe, in Baden, eine Beſprechung gehalten. Selbſt Karl
Auguſt von Weimar erhob ſich nicht über das Gefühl vetterſchaftlicher
Theilnahme und zog ſich erſt ſpät von den Albertinern zurück, als er die
unſauberen Hintergedanken der ſächſiſchen Partei durchſchaute. Geſchäftig
trugen die franzöſiſchen Unterhändler allerhand übermüthige Aeußerungen
hin und her, die angeblich im preußiſchen Heere laut geworden. Die
Pariſer Zeitungen erzählten, „das anmaßende Benehmen der preußiſchen
Generale in Wien“ habe ſelbſt die wärmſten Freunde des ländergierigen
Staates abgeſtoßen, während doch von allen namhaften preußiſchen
Generalen allein der gemeſſen bedachtſame Kneſebeck anweſend war.
Die von ſpäteren Hiſtorikern nachträglich gegen Preußens ſächſiſche
Pläne erhobenen Einwände kamen im Jahre 1814 Niemandem in den
Sinn. Uns Heutigen erſcheint es als ein ſchwächlicher Gedanke, daß man
den gefangenen König nicht einfach entthronen, ſondern anderswo mit Land
und Leuten entſchädigen wollte; aber dieſe Entſchädigung verſtand ſich nach
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 619. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/635>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.