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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Talleyrand und das Comite der Vier.
die Welfen sogar höher als die Lothringer, da diese sich doch durch das
Ehebündniß mit dem Corsen eines unverzeihlichen Frevels gegen die Legi-
timität schuldig gemacht hatten. Nur Rußland hielt zu Preußen. So
stand man denn rathlos, Zwei gegen Zwei, und einigte sich endlich
(23. September) über einen unglücklichen Mittelweg. Man beschloß: die
deutschen Verfassungssachen werden von einem Ausschuß der fünf deutschen
Königshöfe, alle europäischen Angelegenheiten von den vier verbündeten
Großmächten und den beiden bourbonischen Mächten (Frankreich und
Spanien) bearbeitet; jedoch blieb der Plan der Gebietsvertheilung, nach
der Pariser Abrede, zunächst den vier Mächten vorbehalten, diese sollten
dann ihre Vereinbarungen an Frankreich und Spanien mittheilen und
zuletzt auch die kleinen Höfe zur Aeußerung auffordern.

Offenbar gewährte dies Compromiß den Franzosen die Handhabe
alles bisher Beschlossene wieder umzuwerfen, und der mittlerweile einge-
troffene Talleyrand säumte nicht, den Fehler zu benutzen. Als der fran-
zösische Minister und sein ergebener Freund Don Labrador, der Gesandte
der spanischen Bourbonen, am 30. September in das Comite der Vier
geladen wurden um den Beschluß der vier Mächte entgegenzunehmen, da
feierte Talleyrands eiserne Stirn einen glänzenden Triumph. Mit un-
vergleichlicher Dreistigkeit, als sei der geheime Artikel des Pariser Friedens
gar nicht vorhanden, forderte der Franzose die Theilnahme aller Staaten
an allen Verhandlungen des Congresses, brachte die Minister der vier
Mächte durch tönende Phrasen von der Heiligkeit des öffentlichen Rechtes
dermaßen in Verwirrung, daß die Sitzung ohne Ergebniß aufgehoben
wurde. Keiner der anderen Gesandten besaß Geistesgegenwart genug, um
durch eine kühle Berufung auf den Pariser Frieden die vertragswidrige
Anmaßung des Franzosen schon an der Schwelle abzuweisen. Hardenberg
konnte schon wegen seiner unglücklichen Taubheit bei solchen unerwarteten
Ueberfällen nicht leicht das rechte Wort finden. Humboldt aber und der
russische Bevollmächtigte sind auf eine so freche Verhöhnung der kaum
erst unterzeichneten Verträge offenbar nicht gefaßt gewesen. Castlereagh
und Metternich endlich hatten bereits selber, durch ihre geheimen Ver-
handlungen mit dem Tuilerienhofe, den Pariser Frieden gebrochen. In
einem theatralisch gefärbten Berichte, der Wort für Wort darauf berechnet
war die Ueberlegenheit seines Verfassers in helles Licht zu rücken, meldete
Talleyrand seinem Könige den erfochtenen Sieg; zu seinen rheinbündischen
Freunden aber sagte er stolz: j'ai sau m'asseoir.

Einen durchschlagenden Erfolg errang der Franzose vorerst noch nicht.
Er beantragte in den folgenden Sitzungen: alle Souveräne, die nicht
förmlich abgedankt, also auch Friedrich August von Sachsen sollten zum
Congresse zugelassen und sodann durch die Gesammtheit der Staaten eine
Reihe von Ausschüssen eingesetzt werden. Beide Anträge fielen; sie be-
kundeten doch gar zu deutlich die Absicht, dem französischen Hofe als dem

Talleyrand und das Comité der Vier.
die Welfen ſogar höher als die Lothringer, da dieſe ſich doch durch das
Ehebündniß mit dem Corſen eines unverzeihlichen Frevels gegen die Legi-
timität ſchuldig gemacht hatten. Nur Rußland hielt zu Preußen. So
ſtand man denn rathlos, Zwei gegen Zwei, und einigte ſich endlich
(23. September) über einen unglücklichen Mittelweg. Man beſchloß: die
deutſchen Verfaſſungsſachen werden von einem Ausſchuß der fünf deutſchen
Königshöfe, alle europäiſchen Angelegenheiten von den vier verbündeten
Großmächten und den beiden bourboniſchen Mächten (Frankreich und
Spanien) bearbeitet; jedoch blieb der Plan der Gebietsvertheilung, nach
der Pariſer Abrede, zunächſt den vier Mächten vorbehalten, dieſe ſollten
dann ihre Vereinbarungen an Frankreich und Spanien mittheilen und
zuletzt auch die kleinen Höfe zur Aeußerung auffordern.

Offenbar gewährte dies Compromiß den Franzoſen die Handhabe
alles bisher Beſchloſſene wieder umzuwerfen, und der mittlerweile einge-
troffene Talleyrand ſäumte nicht, den Fehler zu benutzen. Als der fran-
zöſiſche Miniſter und ſein ergebener Freund Don Labrador, der Geſandte
der ſpaniſchen Bourbonen, am 30. September in das Comité der Vier
geladen wurden um den Beſchluß der vier Mächte entgegenzunehmen, da
feierte Talleyrands eiſerne Stirn einen glänzenden Triumph. Mit un-
vergleichlicher Dreiſtigkeit, als ſei der geheime Artikel des Pariſer Friedens
gar nicht vorhanden, forderte der Franzoſe die Theilnahme aller Staaten
an allen Verhandlungen des Congreſſes, brachte die Miniſter der vier
Mächte durch tönende Phraſen von der Heiligkeit des öffentlichen Rechtes
dermaßen in Verwirrung, daß die Sitzung ohne Ergebniß aufgehoben
wurde. Keiner der anderen Geſandten beſaß Geiſtesgegenwart genug, um
durch eine kühle Berufung auf den Pariſer Frieden die vertragswidrige
Anmaßung des Franzoſen ſchon an der Schwelle abzuweiſen. Hardenberg
konnte ſchon wegen ſeiner unglücklichen Taubheit bei ſolchen unerwarteten
Ueberfällen nicht leicht das rechte Wort finden. Humboldt aber und der
ruſſiſche Bevollmächtigte ſind auf eine ſo freche Verhöhnung der kaum
erſt unterzeichneten Verträge offenbar nicht gefaßt geweſen. Caſtlereagh
und Metternich endlich hatten bereits ſelber, durch ihre geheimen Ver-
handlungen mit dem Tuilerienhofe, den Pariſer Frieden gebrochen. In
einem theatraliſch gefärbten Berichte, der Wort für Wort darauf berechnet
war die Ueberlegenheit ſeines Verfaſſers in helles Licht zu rücken, meldete
Talleyrand ſeinem Könige den erfochtenen Sieg; zu ſeinen rheinbündiſchen
Freunden aber ſagte er ſtolz: j’ai sû m’asseoir.

Einen durchſchlagenden Erfolg errang der Franzoſe vorerſt noch nicht.
Er beantragte in den folgenden Sitzungen: alle Souveräne, die nicht
förmlich abgedankt, alſo auch Friedrich Auguſt von Sachſen ſollten zum
Congreſſe zugelaſſen und ſodann durch die Geſammtheit der Staaten eine
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kundeten doch gar zu deutlich die Abſicht, dem franzöſiſchen Hofe als dem

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[617/0633] Talleyrand und das Comité der Vier. die Welfen ſogar höher als die Lothringer, da dieſe ſich doch durch das Ehebündniß mit dem Corſen eines unverzeihlichen Frevels gegen die Legi- timität ſchuldig gemacht hatten. Nur Rußland hielt zu Preußen. So ſtand man denn rathlos, Zwei gegen Zwei, und einigte ſich endlich (23. September) über einen unglücklichen Mittelweg. Man beſchloß: die deutſchen Verfaſſungsſachen werden von einem Ausſchuß der fünf deutſchen Königshöfe, alle europäiſchen Angelegenheiten von den vier verbündeten Großmächten und den beiden bourboniſchen Mächten (Frankreich und Spanien) bearbeitet; jedoch blieb der Plan der Gebietsvertheilung, nach der Pariſer Abrede, zunächſt den vier Mächten vorbehalten, dieſe ſollten dann ihre Vereinbarungen an Frankreich und Spanien mittheilen und zuletzt auch die kleinen Höfe zur Aeußerung auffordern. Offenbar gewährte dies Compromiß den Franzoſen die Handhabe alles bisher Beſchloſſene wieder umzuwerfen, und der mittlerweile einge- troffene Talleyrand ſäumte nicht, den Fehler zu benutzen. Als der fran- zöſiſche Miniſter und ſein ergebener Freund Don Labrador, der Geſandte der ſpaniſchen Bourbonen, am 30. September in das Comité der Vier geladen wurden um den Beſchluß der vier Mächte entgegenzunehmen, da feierte Talleyrands eiſerne Stirn einen glänzenden Triumph. Mit un- vergleichlicher Dreiſtigkeit, als ſei der geheime Artikel des Pariſer Friedens gar nicht vorhanden, forderte der Franzoſe die Theilnahme aller Staaten an allen Verhandlungen des Congreſſes, brachte die Miniſter der vier Mächte durch tönende Phraſen von der Heiligkeit des öffentlichen Rechtes dermaßen in Verwirrung, daß die Sitzung ohne Ergebniß aufgehoben wurde. Keiner der anderen Geſandten beſaß Geiſtesgegenwart genug, um durch eine kühle Berufung auf den Pariſer Frieden die vertragswidrige Anmaßung des Franzoſen ſchon an der Schwelle abzuweiſen. Hardenberg konnte ſchon wegen ſeiner unglücklichen Taubheit bei ſolchen unerwarteten Ueberfällen nicht leicht das rechte Wort finden. Humboldt aber und der ruſſiſche Bevollmächtigte ſind auf eine ſo freche Verhöhnung der kaum erſt unterzeichneten Verträge offenbar nicht gefaßt geweſen. Caſtlereagh und Metternich endlich hatten bereits ſelber, durch ihre geheimen Ver- handlungen mit dem Tuilerienhofe, den Pariſer Frieden gebrochen. In einem theatraliſch gefärbten Berichte, der Wort für Wort darauf berechnet war die Ueberlegenheit ſeines Verfaſſers in helles Licht zu rücken, meldete Talleyrand ſeinem Könige den erfochtenen Sieg; zu ſeinen rheinbündiſchen Freunden aber ſagte er ſtolz: j’ai sû m’asseoir. Einen durchſchlagenden Erfolg errang der Franzoſe vorerſt noch nicht. Er beantragte in den folgenden Sitzungen: alle Souveräne, die nicht förmlich abgedankt, alſo auch Friedrich Auguſt von Sachſen ſollten zum Congreſſe zugelaſſen und ſodann durch die Geſammtheit der Staaten eine Reihe von Ausſchüſſen eingeſetzt werden. Beide Anträge fielen; ſie be- kundeten doch gar zu deutlich die Abſicht, dem franzöſiſchen Hofe als dem

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 617. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/633>, abgerufen am 22.11.2024.