Jene Vereinbarung von Chaumont, kraft deren die Vertheilung der abgetretenen Provinzen den Alliirten allein überlassen blieb, wurde auf- recht erhalten, Dank der Festigkeit Hardenbergs. Indeß erreichte Talley- rand, daß man diesen Satz in den geheimen Artikeln des Friedensver- trags begrub; die Franzosen durften nichts erfahren von jener Bestimmung, die ihrem Stolze am unerträglichsten war. Bei der Berathung über die einzelnen Punkte der Grenze bereitete die Nachgiebigkeit der drei Verbün- deten Preußens dem französischen Minister einen Triumph nach dem andern. Er bewirkte nicht nur, daß alle von französischem Gebiete ein- geschlossenen Herrschaften, Avignon und Venaissin, Mömpelgard und die elsässischen Reichslande, bei Frankreich verblieben, sondern erlangte auch noch einige köstliche Außenposten über die alten Grenzen hinaus: so Sa- voyen und einen Landstrich an der belgischen Grenze mit der wichtigen Maasfestung Givet. Mit der äußersten Zähigkeit marktete er um jeden Brocken Landes; nur durch Humboldts entschiedenen Widerspruch wurde Kaiserslautern für Deutschland gerettet.*) Dagegen überließ man die altpfälzischen Gebiete, die zwischen den Weißenburger Linien und der Enclave Landau lagen, an Frankreich, und um die Grenze bei Saarlouis abzurunden wurde sogar Saarbrücken mit seinem unschätzbaren Kohlen- becken und der alten nassauischen Fürstengruft von St. Arnual preisge- geben. Die treue deutsche, altprotestantische Stadt war in Verzweiflung. Sie hatte so ganz fest gebaut auf die Versicherung des Generalgouver- neurs Gruner: wer deutsch spricht soll deutsch bleiben. Nun vernahm Stein tief erschüttert die rührenden Klagen dieser wackeren Lothringer über ihre schreckliche Lage, die in dem Herzen jedes Deutschen Trauer erregen müsse, und legte ein gutes Wort ein für die Bitte der Saarbrücker, daß man ihre Söhne mindestens im deutschen Staatsdienste anstellen möge.**) Besser ward für die Schweiz gesorgt, natürlich wieder auf Deutschlands Kosten: man konnte gar nicht genug thun die gerühmten Polsterkissen an der deutschen Grenze zu verstärken. Die Eidgenossenschaft erhielt das Bis- thum Basel, und Metternich erklärte sich auch bereit ihr das altöster- reichische Frickthal mit Rheinfelden und Laufenburg zu lassen.
Tag für Tag hatten die preußischen Staatsmänner mit der unerschöpf- lichen Freigebigkeit ihrer Verbündeten zu kämpfen, bis Humboldt sich end- lich von Metternich und Nesselrode das Wort darauf geben ließ, daß es nun genug sei und kein Zollbreit deutschen Bodens mehr abgetreten wer- den solle.***) Talleyrand aber durfte mit Befriedigung sein Werk be- trachten: Frankreich blieb nach einem viertelhundertjährigen Kriege, den
*) Humboldt an Hardenberg, 17. Mai 1814.
**) Eingabe des Oberbürgermeisters Laukhard an Gruner, Saarbrücken 7. Juni 1814. Stein an Hardenberg, 15. Juni 1814.
***) Humboldt an Hardenberg, 20. Mai 1814.
Frankreichs neue Grenzen.
Jene Vereinbarung von Chaumont, kraft deren die Vertheilung der abgetretenen Provinzen den Alliirten allein überlaſſen blieb, wurde auf- recht erhalten, Dank der Feſtigkeit Hardenbergs. Indeß erreichte Talley- rand, daß man dieſen Satz in den geheimen Artikeln des Friedensver- trags begrub; die Franzoſen durften nichts erfahren von jener Beſtimmung, die ihrem Stolze am unerträglichſten war. Bei der Berathung über die einzelnen Punkte der Grenze bereitete die Nachgiebigkeit der drei Verbün- deten Preußens dem franzöſiſchen Miniſter einen Triumph nach dem andern. Er bewirkte nicht nur, daß alle von franzöſiſchem Gebiete ein- geſchloſſenen Herrſchaften, Avignon und Venaiſſin, Mömpelgard und die elſäſſiſchen Reichslande, bei Frankreich verblieben, ſondern erlangte auch noch einige köſtliche Außenpoſten über die alten Grenzen hinaus: ſo Sa- voyen und einen Landſtrich an der belgiſchen Grenze mit der wichtigen Maasfeſtung Givet. Mit der äußerſten Zähigkeit marktete er um jeden Brocken Landes; nur durch Humboldts entſchiedenen Widerſpruch wurde Kaiſerslautern für Deutſchland gerettet.*) Dagegen überließ man die altpfälziſchen Gebiete, die zwiſchen den Weißenburger Linien und der Enclave Landau lagen, an Frankreich, und um die Grenze bei Saarlouis abzurunden wurde ſogar Saarbrücken mit ſeinem unſchätzbaren Kohlen- becken und der alten naſſauiſchen Fürſtengruft von St. Arnual preisge- geben. Die treue deutſche, altproteſtantiſche Stadt war in Verzweiflung. Sie hatte ſo ganz feſt gebaut auf die Verſicherung des Generalgouver- neurs Gruner: wer deutſch ſpricht ſoll deutſch bleiben. Nun vernahm Stein tief erſchüttert die rührenden Klagen dieſer wackeren Lothringer über ihre ſchreckliche Lage, die in dem Herzen jedes Deutſchen Trauer erregen müſſe, und legte ein gutes Wort ein für die Bitte der Saarbrücker, daß man ihre Söhne mindeſtens im deutſchen Staatsdienſte anſtellen möge.**) Beſſer ward für die Schweiz geſorgt, natürlich wieder auf Deutſchlands Koſten: man konnte gar nicht genug thun die gerühmten Polſterkiſſen an der deutſchen Grenze zu verſtärken. Die Eidgenoſſenſchaft erhielt das Bis- thum Baſel, und Metternich erklärte ſich auch bereit ihr das altöſter- reichiſche Frickthal mit Rheinfelden und Laufenburg zu laſſen.
Tag für Tag hatten die preußiſchen Staatsmänner mit der unerſchöpf- lichen Freigebigkeit ihrer Verbündeten zu kämpfen, bis Humboldt ſich end- lich von Metternich und Neſſelrode das Wort darauf geben ließ, daß es nun genug ſei und kein Zollbreit deutſchen Bodens mehr abgetreten wer- den ſolle.***) Talleyrand aber durfte mit Befriedigung ſein Werk be- trachten: Frankreich blieb nach einem viertelhundertjährigen Kriege, den
*) Humboldt an Hardenberg, 17. Mai 1814.
**) Eingabe des Oberbürgermeiſters Laukhard an Gruner, Saarbrücken 7. Juni 1814. Stein an Hardenberg, 15. Juni 1814.
***) Humboldt an Hardenberg, 20. Mai 1814.
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Frankreichs neue Grenzen.
Jene Vereinbarung von Chaumont, kraft deren die Vertheilung der
abgetretenen Provinzen den Alliirten allein überlaſſen blieb, wurde auf-
recht erhalten, Dank der Feſtigkeit Hardenbergs. Indeß erreichte Talley-
rand, daß man dieſen Satz in den geheimen Artikeln des Friedensver-
trags begrub; die Franzoſen durften nichts erfahren von jener Beſtimmung,
die ihrem Stolze am unerträglichſten war. Bei der Berathung über die
einzelnen Punkte der Grenze bereitete die Nachgiebigkeit der drei Verbün-
deten Preußens dem franzöſiſchen Miniſter einen Triumph nach dem
andern. Er bewirkte nicht nur, daß alle von franzöſiſchem Gebiete ein-
geſchloſſenen Herrſchaften, Avignon und Venaiſſin, Mömpelgard und die
elſäſſiſchen Reichslande, bei Frankreich verblieben, ſondern erlangte auch
noch einige köſtliche Außenpoſten über die alten Grenzen hinaus: ſo Sa-
voyen und einen Landſtrich an der belgiſchen Grenze mit der wichtigen
Maasfeſtung Givet. Mit der äußerſten Zähigkeit marktete er um jeden
Brocken Landes; nur durch Humboldts entſchiedenen Widerſpruch wurde
Kaiſerslautern für Deutſchland gerettet. *) Dagegen überließ man die
altpfälziſchen Gebiete, die zwiſchen den Weißenburger Linien und der
Enclave Landau lagen, an Frankreich, und um die Grenze bei Saarlouis
abzurunden wurde ſogar Saarbrücken mit ſeinem unſchätzbaren Kohlen-
becken und der alten naſſauiſchen Fürſtengruft von St. Arnual preisge-
geben. Die treue deutſche, altproteſtantiſche Stadt war in Verzweiflung.
Sie hatte ſo ganz feſt gebaut auf die Verſicherung des Generalgouver-
neurs Gruner: wer deutſch ſpricht ſoll deutſch bleiben. Nun vernahm
Stein tief erſchüttert die rührenden Klagen dieſer wackeren Lothringer über
ihre ſchreckliche Lage, die in dem Herzen jedes Deutſchen Trauer erregen
müſſe, und legte ein gutes Wort ein für die Bitte der Saarbrücker, daß
man ihre Söhne mindeſtens im deutſchen Staatsdienſte anſtellen möge. **)
Beſſer ward für die Schweiz geſorgt, natürlich wieder auf Deutſchlands
Koſten: man konnte gar nicht genug thun die gerühmten Polſterkiſſen an
der deutſchen Grenze zu verſtärken. Die Eidgenoſſenſchaft erhielt das Bis-
thum Baſel, und Metternich erklärte ſich auch bereit ihr das altöſter-
reichiſche Frickthal mit Rheinfelden und Laufenburg zu laſſen.
Tag für Tag hatten die preußiſchen Staatsmänner mit der unerſchöpf-
lichen Freigebigkeit ihrer Verbündeten zu kämpfen, bis Humboldt ſich end-
lich von Metternich und Neſſelrode das Wort darauf geben ließ, daß es
nun genug ſei und kein Zollbreit deutſchen Bodens mehr abgetreten wer-
den ſolle. ***) Talleyrand aber durfte mit Befriedigung ſein Werk be-
trachten: Frankreich blieb nach einem viertelhundertjährigen Kriege, den
*) Humboldt an Hardenberg, 17. Mai 1814.
**) Eingabe des Oberbürgermeiſters Laukhard an Gruner, Saarbrücken 7. Juni
1814. Stein an Hardenberg, 15. Juni 1814.
***) Humboldt an Hardenberg, 20. Mai 1814.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 559. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/575>, abgerufen am 22.11.2024.
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