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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Schlacht von Laon.
so vielen Mißerfolgen wieder die erste Siegesfreude schenkte. Zuerst führte
Prinz Wilhelm seine ostpreußischen Bataillone im Sturmschritt, bei
rauschender Feldmusik, Alles niederschmetternd durch das Dorf und dar-
über hinaus; dann räumten die Litthauer, Sohrs brandenburgische
Husaren und die schwarzen Reiter mit den Todtenköpfen unter den er-
schreckten Feinden auf. Das ganze Corps ward zersprengt, ließ fünfund-
vierzig Geschütze in den Händen der Sieger. York aber hatte in der
wilden Hetzjagd dieser Tage einen Freund gefunden; das Herz ward ihm
doch warm, wenn er den Mann von Nollendorf so neben sich schalten
sah, immer klar, sicher, ganz bei der Sache. Noch eine Weile, und die
Heurichs erzählten sich verwundert, der harte Alte habe nach altem ger-
manischen Kriegerbrauche mit seinem Kameraden Kleist Brüderschaft getrun-
ken. Am nächsten Morgen schien das Schicksal des Imperators entschie-
den. Keine Möglichkeit, nach der völligen Auflösung des rechten Flügels
noch dem nunmehr dreifach überlegenen Heere der Verbündeten zu wider-
stehen; und dazu wieder wie bei Leipzig nur eine einzige Rückzugsstraße,
durch das Sumpfland der Lette! Allem Anschein nach mußte dies alte
Felsennest, das vor neunhundert Jahren der einzige Besitz und die letzte
Zuflucht des jungen französischen Königthums gewesen, nun den Unter-
gang des neuen Kaiserthums sehen.

Jetzt aber zeigte sich, was Blüchers Flammenblick, was sein gebieteri-
scher Wille dem deutschen Heere war. Der Feldmarschall war erkrankt, er-
schöpft an Leib und Seele von den furchtbaren Aufregungen dieser Wochen,
und seit er nicht mehr befahl, erfüllten Haß und Streit das Hauptquar-
tier. Jene Ueberfülle von schroffen, starken Charakteren, worin die Stärke
des preußischen Heeres lag, wurde nun gefährlich. Weder York noch
Kleist noch Bülow wollte sich dem Phantasten Gneisenau unterordnen.
Der alte Groll brach wieder aus; es kam so weit, daß York die Armee
zu verlassen drohte. Gneisenau aber verlor zum ersten male in seiner
Feldherrnlaufbahn die Spannkraft des Entschlusses, mochte nach so vielen
Opfern die Verantwortung für einen neuen blutigen Kampf nicht über-
nehmen. Es war die patriotische Sorge um Preußens Zukunft, was
diesen einzigen großen Mißgriff seines Feldherrnlebens verschuldete. Durfte
man jetzt, da Napoleons Sturz doch in sicherer Aussicht stand, die Trup-
pen abermals schwächen und also dem Hause Oesterreich die Freude be-
reiten, daß Preußen beim Friedensschlusse kein Heer mehr besaß, wie
dies Radetzky schon in Frankfurt freundnachbarlich gewünscht hatte?
Boyen vornehmlich hob diese politischen Bedenken mit Nachdruck hervor
und überzeugte seinen feurigen Freund. Noch einmal rettete den Impe-
rator eine wunderbare Gunst des Glückes. Unverfolgt durfte er abziehen
und alsbald wendete er sich, den Vortheil der inneren Operationslinie
geschickt benutzend, wieder gegen die große Armee. Schwarzenberg war
nach dem Siege von Bar, statt gradezu auf Paris loszugehen oder den

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Schlacht von Laon.
ſo vielen Mißerfolgen wieder die erſte Siegesfreude ſchenkte. Zuerſt führte
Prinz Wilhelm ſeine oſtpreußiſchen Bataillone im Sturmſchritt, bei
rauſchender Feldmuſik, Alles niederſchmetternd durch das Dorf und dar-
über hinaus; dann räumten die Litthauer, Sohrs brandenburgiſche
Huſaren und die ſchwarzen Reiter mit den Todtenköpfen unter den er-
ſchreckten Feinden auf. Das ganze Corps ward zerſprengt, ließ fünfund-
vierzig Geſchütze in den Händen der Sieger. York aber hatte in der
wilden Hetzjagd dieſer Tage einen Freund gefunden; das Herz ward ihm
doch warm, wenn er den Mann von Nollendorf ſo neben ſich ſchalten
ſah, immer klar, ſicher, ganz bei der Sache. Noch eine Weile, und die
Heurichs erzählten ſich verwundert, der harte Alte habe nach altem ger-
maniſchen Kriegerbrauche mit ſeinem Kameraden Kleiſt Brüderſchaft getrun-
ken. Am nächſten Morgen ſchien das Schickſal des Imperators entſchie-
den. Keine Möglichkeit, nach der völligen Auflöſung des rechten Flügels
noch dem nunmehr dreifach überlegenen Heere der Verbündeten zu wider-
ſtehen; und dazu wieder wie bei Leipzig nur eine einzige Rückzugsſtraße,
durch das Sumpfland der Lette! Allem Anſchein nach mußte dies alte
Felſenneſt, das vor neunhundert Jahren der einzige Beſitz und die letzte
Zuflucht des jungen franzöſiſchen Königthums geweſen, nun den Unter-
gang des neuen Kaiſerthums ſehen.

Jetzt aber zeigte ſich, was Blüchers Flammenblick, was ſein gebieteri-
ſcher Wille dem deutſchen Heere war. Der Feldmarſchall war erkrankt, er-
ſchöpft an Leib und Seele von den furchtbaren Aufregungen dieſer Wochen,
und ſeit er nicht mehr befahl, erfüllten Haß und Streit das Hauptquar-
tier. Jene Ueberfülle von ſchroffen, ſtarken Charakteren, worin die Stärke
des preußiſchen Heeres lag, wurde nun gefährlich. Weder York noch
Kleiſt noch Bülow wollte ſich dem Phantaſten Gneiſenau unterordnen.
Der alte Groll brach wieder aus; es kam ſo weit, daß York die Armee
zu verlaſſen drohte. Gneiſenau aber verlor zum erſten male in ſeiner
Feldherrnlaufbahn die Spannkraft des Entſchluſſes, mochte nach ſo vielen
Opfern die Verantwortung für einen neuen blutigen Kampf nicht über-
nehmen. Es war die patriotiſche Sorge um Preußens Zukunft, was
dieſen einzigen großen Mißgriff ſeines Feldherrnlebens verſchuldete. Durfte
man jetzt, da Napoleons Sturz doch in ſicherer Ausſicht ſtand, die Trup-
pen abermals ſchwächen und alſo dem Hauſe Oeſterreich die Freude be-
reiten, daß Preußen beim Friedensſchluſſe kein Heer mehr beſaß, wie
dies Radetzky ſchon in Frankfurt freundnachbarlich gewünſcht hatte?
Boyen vornehmlich hob dieſe politiſchen Bedenken mit Nachdruck hervor
und überzeugte ſeinen feurigen Freund. Noch einmal rettete den Impe-
rator eine wunderbare Gunſt des Glückes. Unverfolgt durfte er abziehen
und alsbald wendete er ſich, den Vortheil der inneren Operationslinie
geſchickt benutzend, wieder gegen die große Armee. Schwarzenberg war
nach dem Siege von Bar, ſtatt gradezu auf Paris loszugehen oder den

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[547/0563] Schlacht von Laon. ſo vielen Mißerfolgen wieder die erſte Siegesfreude ſchenkte. Zuerſt führte Prinz Wilhelm ſeine oſtpreußiſchen Bataillone im Sturmſchritt, bei rauſchender Feldmuſik, Alles niederſchmetternd durch das Dorf und dar- über hinaus; dann räumten die Litthauer, Sohrs brandenburgiſche Huſaren und die ſchwarzen Reiter mit den Todtenköpfen unter den er- ſchreckten Feinden auf. Das ganze Corps ward zerſprengt, ließ fünfund- vierzig Geſchütze in den Händen der Sieger. York aber hatte in der wilden Hetzjagd dieſer Tage einen Freund gefunden; das Herz ward ihm doch warm, wenn er den Mann von Nollendorf ſo neben ſich ſchalten ſah, immer klar, ſicher, ganz bei der Sache. Noch eine Weile, und die Heurichs erzählten ſich verwundert, der harte Alte habe nach altem ger- maniſchen Kriegerbrauche mit ſeinem Kameraden Kleiſt Brüderſchaft getrun- ken. Am nächſten Morgen ſchien das Schickſal des Imperators entſchie- den. Keine Möglichkeit, nach der völligen Auflöſung des rechten Flügels noch dem nunmehr dreifach überlegenen Heere der Verbündeten zu wider- ſtehen; und dazu wieder wie bei Leipzig nur eine einzige Rückzugsſtraße, durch das Sumpfland der Lette! Allem Anſchein nach mußte dies alte Felſenneſt, das vor neunhundert Jahren der einzige Beſitz und die letzte Zuflucht des jungen franzöſiſchen Königthums geweſen, nun den Unter- gang des neuen Kaiſerthums ſehen. Jetzt aber zeigte ſich, was Blüchers Flammenblick, was ſein gebieteri- ſcher Wille dem deutſchen Heere war. Der Feldmarſchall war erkrankt, er- ſchöpft an Leib und Seele von den furchtbaren Aufregungen dieſer Wochen, und ſeit er nicht mehr befahl, erfüllten Haß und Streit das Hauptquar- tier. Jene Ueberfülle von ſchroffen, ſtarken Charakteren, worin die Stärke des preußiſchen Heeres lag, wurde nun gefährlich. Weder York noch Kleiſt noch Bülow wollte ſich dem Phantaſten Gneiſenau unterordnen. Der alte Groll brach wieder aus; es kam ſo weit, daß York die Armee zu verlaſſen drohte. Gneiſenau aber verlor zum erſten male in ſeiner Feldherrnlaufbahn die Spannkraft des Entſchluſſes, mochte nach ſo vielen Opfern die Verantwortung für einen neuen blutigen Kampf nicht über- nehmen. Es war die patriotiſche Sorge um Preußens Zukunft, was dieſen einzigen großen Mißgriff ſeines Feldherrnlebens verſchuldete. Durfte man jetzt, da Napoleons Sturz doch in ſicherer Ausſicht ſtand, die Trup- pen abermals ſchwächen und alſo dem Hauſe Oeſterreich die Freude be- reiten, daß Preußen beim Friedensſchluſſe kein Heer mehr beſaß, wie dies Radetzky ſchon in Frankfurt freundnachbarlich gewünſcht hatte? Boyen vornehmlich hob dieſe politiſchen Bedenken mit Nachdruck hervor und überzeugte ſeinen feurigen Freund. Noch einmal rettete den Impe- rator eine wunderbare Gunſt des Glückes. Unverfolgt durfte er abziehen und alsbald wendete er ſich, den Vortheil der inneren Operationslinie geſchickt benutzend, wieder gegen die große Armee. Schwarzenberg war nach dem Siege von Bar, ſtatt gradezu auf Paris loszugehen oder den 35*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 547. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/563>, abgerufen am 17.05.2024.