Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

I. 5. Ende der Kriegszeit.
mit den gepflasterten Stuben und den rauchenden Kaminen. Doch ihr
Sinn blieb fröhlich; sie wußten, daß der sieggewohnte Alte sie gradeswegs
nach der Hauptstadt führte, zum glücklichen Ende aller Leiden und Kämpfe.

Ein unbändiges Selbstgefühl lebte in den tapferen Regimentern des
York'schen Corps; war doch den Litthauer Dragonern in diesem ganzen
Kriege noch keine einzige Attake fehlgeschlagen. Wer sollte den Heurichs des
alten Isegrimm etwas anhaben? An diesem Scherznamen, den die Wäl-
schen nicht nachsprechen konnten, erkannten die York'schen einander im Dun-
kel der Nacht. Soeben erst war York mit seinen Reitern bei La Chaussee
in die Marschkolonnen des Macdonald'schen Corps eingebrochen, und die
Soldaten erzählten sich noch lange, wie die Eisenreiter der napoleonischen
Kürassier- und Carabiniersregimenter dem Angriffe der leichten branden-
burgischen Husaren nicht hatten widerstehen können, wie dann die Litthauer
und die Landwehrreiter den gefürchteten Weißmänteln, den polnischen Lan-
ciers, der besten Reitertruppe Napoleons, die Standarte abgenommen
hatten. Darauf hatte York seinen alten Vorgesetzten Macdonald, den
ein tückisches Schicksal immer wieder dem verhaßten Untergebenen in die
Hände jagte, zum Abzuge aus Chalons gezwungen und sich wieder mit
dem schlesischen Heere vereinigt.

Die einzelnen Corps der Armee zogen weit von einander getrennt
westwärts. Gneisenau hatte nichts gethan um die linke Flanke zu sichern;
war doch mit Schwarzenberg verabredet, daß Wittgensteins Corps die
Verbindung zwischen den beiden Armeen unterhalten, den weiten Raum
zwischen dem rechten Seineufer und der Marschlinie der Schlesier decken
sollte. Der Oberfeldherr aber hielt sein Versprechen nicht, sondern wendete
sich nach langsamen Märschen und wiederholter Rast südwärts auf das
linke Seineufer, so daß zwischen seinem und Blüchers Heere eine weite
Lücke offen blieb. Ein geheimer Befehl seines Monarchen zwang ihn zu
dieser verderblichen Bewegung, die dem Erfolge nach einem Verrathe gleich
kam; der gute Kaiser, dessen kindliche Unschuld die britischen Staatsmänner
bewunderten, wollte verhindern, daß ein Sieg der vereinigten Armeen die
schwebenden Friedensverhandlungen störe.

Wie durch ein Wunder sah sich Napoleon von dem sicheren Untergange
gerettet. Er zog alle seine Streitkräfte sogleich nach Sezanne heran, in der
Mitte zwischen den beiden Heeren der Verbündeten, brach dann plötzlich gegen
die linke Flanke der überraschten schlesischen Armee vor und schlug ihre ver-
einzelten Corps mit seiner gesammelten Uebermacht in einer Reihe glänzen-
der Gefechte während der fünf Tage vom 10. bis 14. Februar. Zuerst zer-
sprengte er Olsuwieffs schwache Division bei Champaubert und drängte sich
also mitten in die Kolonnen des schlesischen Heeres hinein. Folgenden Tags
entging Sackens Corps bei Montmirail dem Untergange nur durch Yorks
heroische Aufopferung; die verwegenen Litthauer lernten hier zum ersten
male den Unbestand des Kriegsglücks kennen. Am 12. zogen sich die Tags

I. 5. Ende der Kriegszeit.
mit den gepflaſterten Stuben und den rauchenden Kaminen. Doch ihr
Sinn blieb fröhlich; ſie wußten, daß der ſieggewohnte Alte ſie gradeswegs
nach der Hauptſtadt führte, zum glücklichen Ende aller Leiden und Kämpfe.

Ein unbändiges Selbſtgefühl lebte in den tapferen Regimentern des
York’ſchen Corps; war doch den Litthauer Dragonern in dieſem ganzen
Kriege noch keine einzige Attake fehlgeſchlagen. Wer ſollte den Heurichs des
alten Iſegrimm etwas anhaben? An dieſem Scherznamen, den die Wäl-
ſchen nicht nachſprechen konnten, erkannten die York’ſchen einander im Dun-
kel der Nacht. Soeben erſt war York mit ſeinen Reitern bei La Chauſſee
in die Marſchkolonnen des Macdonald’ſchen Corps eingebrochen, und die
Soldaten erzählten ſich noch lange, wie die Eiſenreiter der napoleoniſchen
Küraſſier- und Carabiniersregimenter dem Angriffe der leichten branden-
burgiſchen Huſaren nicht hatten widerſtehen können, wie dann die Litthauer
und die Landwehrreiter den gefürchteten Weißmänteln, den polniſchen Lan-
ciers, der beſten Reitertruppe Napoleons, die Standarte abgenommen
hatten. Darauf hatte York ſeinen alten Vorgeſetzten Macdonald, den
ein tückiſches Schickſal immer wieder dem verhaßten Untergebenen in die
Hände jagte, zum Abzuge aus Chalons gezwungen und ſich wieder mit
dem ſchleſiſchen Heere vereinigt.

Die einzelnen Corps der Armee zogen weit von einander getrennt
weſtwärts. Gneiſenau hatte nichts gethan um die linke Flanke zu ſichern;
war doch mit Schwarzenberg verabredet, daß Wittgenſteins Corps die
Verbindung zwiſchen den beiden Armeen unterhalten, den weiten Raum
zwiſchen dem rechten Seineufer und der Marſchlinie der Schleſier decken
ſollte. Der Oberfeldherr aber hielt ſein Verſprechen nicht, ſondern wendete
ſich nach langſamen Märſchen und wiederholter Raſt ſüdwärts auf das
linke Seineufer, ſo daß zwiſchen ſeinem und Blüchers Heere eine weite
Lücke offen blieb. Ein geheimer Befehl ſeines Monarchen zwang ihn zu
dieſer verderblichen Bewegung, die dem Erfolge nach einem Verrathe gleich
kam; der gute Kaiſer, deſſen kindliche Unſchuld die britiſchen Staatsmänner
bewunderten, wollte verhindern, daß ein Sieg der vereinigten Armeen die
ſchwebenden Friedensverhandlungen ſtöre.

Wie durch ein Wunder ſah ſich Napoleon von dem ſicheren Untergange
gerettet. Er zog alle ſeine Streitkräfte ſogleich nach Sezanne heran, in der
Mitte zwiſchen den beiden Heeren der Verbündeten, brach dann plötzlich gegen
die linke Flanke der überraſchten ſchleſiſchen Armee vor und ſchlug ihre ver-
einzelten Corps mit ſeiner geſammelten Uebermacht in einer Reihe glänzen-
der Gefechte während der fünf Tage vom 10. bis 14. Februar. Zuerſt zer-
ſprengte er Olſuwieffs ſchwache Diviſion bei Champaubert und drängte ſich
alſo mitten in die Kolonnen des ſchleſiſchen Heeres hinein. Folgenden Tags
entging Sackens Corps bei Montmirail dem Untergange nur durch Yorks
heroiſche Aufopferung; die verwegenen Litthauer lernten hier zum erſten
male den Unbeſtand des Kriegsglücks kennen. Am 12. zogen ſich die Tags

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0554" n="538"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> 5. Ende der Kriegszeit.</fw><lb/>
mit den gepfla&#x017F;terten Stuben und den rauchenden Kaminen. Doch ihr<lb/>
Sinn blieb fröhlich; &#x017F;ie wußten, daß der &#x017F;ieggewohnte Alte &#x017F;ie gradeswegs<lb/>
nach der Haupt&#x017F;tadt führte, zum glücklichen Ende aller Leiden und Kämpfe.</p><lb/>
            <p>Ein unbändiges Selb&#x017F;tgefühl lebte in den tapferen Regimentern des<lb/>
York&#x2019;&#x017F;chen Corps; war doch den Litthauer Dragonern in die&#x017F;em ganzen<lb/>
Kriege noch keine einzige Attake fehlge&#x017F;chlagen. Wer &#x017F;ollte den Heurichs des<lb/>
alten I&#x017F;egrimm etwas anhaben? An die&#x017F;em Scherznamen, den die Wäl-<lb/>
&#x017F;chen nicht nach&#x017F;prechen konnten, erkannten die York&#x2019;&#x017F;chen einander im Dun-<lb/>
kel der Nacht. Soeben er&#x017F;t war York mit &#x017F;einen Reitern bei La Chau&#x017F;&#x017F;ee<lb/>
in die Mar&#x017F;chkolonnen des Macdonald&#x2019;&#x017F;chen Corps eingebrochen, und die<lb/>
Soldaten erzählten &#x017F;ich noch lange, wie die Ei&#x017F;enreiter der napoleoni&#x017F;chen<lb/>
Küra&#x017F;&#x017F;ier- und Carabiniersregimenter dem Angriffe der leichten branden-<lb/>
burgi&#x017F;chen Hu&#x017F;aren nicht hatten wider&#x017F;tehen können, wie dann die Litthauer<lb/>
und die Landwehrreiter den gefürchteten Weißmänteln, den polni&#x017F;chen Lan-<lb/>
ciers, der be&#x017F;ten Reitertruppe Napoleons, die Standarte abgenommen<lb/>
hatten. Darauf hatte York &#x017F;einen alten Vorge&#x017F;etzten Macdonald, den<lb/>
ein tücki&#x017F;ches Schick&#x017F;al immer wieder dem verhaßten Untergebenen in die<lb/>
Hände jagte, zum Abzuge aus Chalons gezwungen und &#x017F;ich wieder mit<lb/>
dem &#x017F;chle&#x017F;i&#x017F;chen Heere vereinigt.</p><lb/>
            <p>Die einzelnen Corps der Armee zogen weit von einander getrennt<lb/>
we&#x017F;twärts. Gnei&#x017F;enau hatte nichts gethan um die linke Flanke zu &#x017F;ichern;<lb/>
war doch mit Schwarzenberg verabredet, daß Wittgen&#x017F;teins Corps die<lb/>
Verbindung zwi&#x017F;chen den beiden Armeen unterhalten, den weiten Raum<lb/>
zwi&#x017F;chen dem rechten Seineufer und der Mar&#x017F;chlinie der Schle&#x017F;ier decken<lb/>
&#x017F;ollte. Der Oberfeldherr aber hielt &#x017F;ein Ver&#x017F;prechen nicht, &#x017F;ondern wendete<lb/>
&#x017F;ich nach lang&#x017F;amen Mär&#x017F;chen und wiederholter Ra&#x017F;t &#x017F;üdwärts auf das<lb/>
linke Seineufer, &#x017F;o daß zwi&#x017F;chen &#x017F;einem und Blüchers Heere eine weite<lb/>
Lücke offen blieb. Ein geheimer Befehl &#x017F;eines Monarchen zwang ihn zu<lb/>
die&#x017F;er verderblichen Bewegung, die dem Erfolge nach einem Verrathe gleich<lb/>
kam; der gute Kai&#x017F;er, de&#x017F;&#x017F;en kindliche Un&#x017F;chuld die briti&#x017F;chen Staatsmänner<lb/>
bewunderten, wollte verhindern, daß ein Sieg der vereinigten Armeen die<lb/>
&#x017F;chwebenden Friedensverhandlungen &#x017F;töre.</p><lb/>
            <p>Wie durch ein Wunder &#x017F;ah &#x017F;ich Napoleon von dem &#x017F;icheren Untergange<lb/>
gerettet. Er zog alle &#x017F;eine Streitkräfte &#x017F;ogleich nach Sezanne heran, in der<lb/>
Mitte zwi&#x017F;chen den beiden Heeren der Verbündeten, brach dann plötzlich gegen<lb/>
die linke Flanke der überra&#x017F;chten &#x017F;chle&#x017F;i&#x017F;chen Armee vor und &#x017F;chlug ihre ver-<lb/>
einzelten Corps mit &#x017F;einer ge&#x017F;ammelten Uebermacht in einer Reihe glänzen-<lb/>
der Gefechte während der fünf Tage vom 10. bis 14. Februar. Zuer&#x017F;t zer-<lb/>
&#x017F;prengte er Ol&#x017F;uwieffs &#x017F;chwache Divi&#x017F;ion bei Champaubert und drängte &#x017F;ich<lb/>
al&#x017F;o mitten in die Kolonnen des &#x017F;chle&#x017F;i&#x017F;chen Heeres hinein. Folgenden Tags<lb/>
entging Sackens Corps bei Montmirail dem Untergange nur durch Yorks<lb/>
heroi&#x017F;che Aufopferung; die verwegenen Litthauer lernten hier zum er&#x017F;ten<lb/>
male den Unbe&#x017F;tand des Kriegsglücks kennen. Am 12. zogen &#x017F;ich die Tags<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[538/0554] I. 5. Ende der Kriegszeit. mit den gepflaſterten Stuben und den rauchenden Kaminen. Doch ihr Sinn blieb fröhlich; ſie wußten, daß der ſieggewohnte Alte ſie gradeswegs nach der Hauptſtadt führte, zum glücklichen Ende aller Leiden und Kämpfe. Ein unbändiges Selbſtgefühl lebte in den tapferen Regimentern des York’ſchen Corps; war doch den Litthauer Dragonern in dieſem ganzen Kriege noch keine einzige Attake fehlgeſchlagen. Wer ſollte den Heurichs des alten Iſegrimm etwas anhaben? An dieſem Scherznamen, den die Wäl- ſchen nicht nachſprechen konnten, erkannten die York’ſchen einander im Dun- kel der Nacht. Soeben erſt war York mit ſeinen Reitern bei La Chauſſee in die Marſchkolonnen des Macdonald’ſchen Corps eingebrochen, und die Soldaten erzählten ſich noch lange, wie die Eiſenreiter der napoleoniſchen Küraſſier- und Carabiniersregimenter dem Angriffe der leichten branden- burgiſchen Huſaren nicht hatten widerſtehen können, wie dann die Litthauer und die Landwehrreiter den gefürchteten Weißmänteln, den polniſchen Lan- ciers, der beſten Reitertruppe Napoleons, die Standarte abgenommen hatten. Darauf hatte York ſeinen alten Vorgeſetzten Macdonald, den ein tückiſches Schickſal immer wieder dem verhaßten Untergebenen in die Hände jagte, zum Abzuge aus Chalons gezwungen und ſich wieder mit dem ſchleſiſchen Heere vereinigt. Die einzelnen Corps der Armee zogen weit von einander getrennt weſtwärts. Gneiſenau hatte nichts gethan um die linke Flanke zu ſichern; war doch mit Schwarzenberg verabredet, daß Wittgenſteins Corps die Verbindung zwiſchen den beiden Armeen unterhalten, den weiten Raum zwiſchen dem rechten Seineufer und der Marſchlinie der Schleſier decken ſollte. Der Oberfeldherr aber hielt ſein Verſprechen nicht, ſondern wendete ſich nach langſamen Märſchen und wiederholter Raſt ſüdwärts auf das linke Seineufer, ſo daß zwiſchen ſeinem und Blüchers Heere eine weite Lücke offen blieb. Ein geheimer Befehl ſeines Monarchen zwang ihn zu dieſer verderblichen Bewegung, die dem Erfolge nach einem Verrathe gleich kam; der gute Kaiſer, deſſen kindliche Unſchuld die britiſchen Staatsmänner bewunderten, wollte verhindern, daß ein Sieg der vereinigten Armeen die ſchwebenden Friedensverhandlungen ſtöre. Wie durch ein Wunder ſah ſich Napoleon von dem ſicheren Untergange gerettet. Er zog alle ſeine Streitkräfte ſogleich nach Sezanne heran, in der Mitte zwiſchen den beiden Heeren der Verbündeten, brach dann plötzlich gegen die linke Flanke der überraſchten ſchleſiſchen Armee vor und ſchlug ihre ver- einzelten Corps mit ſeiner geſammelten Uebermacht in einer Reihe glänzen- der Gefechte während der fünf Tage vom 10. bis 14. Februar. Zuerſt zer- ſprengte er Olſuwieffs ſchwache Diviſion bei Champaubert und drängte ſich alſo mitten in die Kolonnen des ſchleſiſchen Heeres hinein. Folgenden Tags entging Sackens Corps bei Montmirail dem Untergange nur durch Yorks heroiſche Aufopferung; die verwegenen Litthauer lernten hier zum erſten male den Unbeſtand des Kriegsglücks kennen. Am 12. zogen ſich die Tags

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/554
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 538. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/554>, abgerufen am 20.05.2024.