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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Schlacht von La Rothiere.
Drittel war den 40,000 Mann, welche Napoleon zur Stelle hatte, weit-
aus überlegen. Im Centrum drang Sacken mit seinen Russen bei wildem
Schneegestöber gegen La Rothiere vor und behauptete sich dort wider die
kaiserliche Garde. Dann ward auch der rechte Flügel der Franzosen durch
Wrede und den Kronprinzen von Württemberg geschlagen, und obwohl
der Unglücksmann Giulai wieder, wie einst bei Leipzig, gegen die Linke
des Feindes wenig ausgerichtet hatte, so war doch am Abend ein voll-
ständiger Sieg erfochten. Ein großer Theil des französischen Heeres floh
in wüster Verwirrung; wurde der Sieg von der Uebermacht der Ver-
bündeten recht benutzt, so konnten die Geschlagenen der Vernichtung nicht
entgehen. Sacken schrieb triumphirend: "An diesem denkwürdigen Tage
hört Napoleon auf ein gefährlicher Feind der menschlichen Gesellschaft zu
sein." Zum ersten male hatte der Marschall Vorwärts in offener Feld-
schlacht selbständig dem Imperator gegenüber gestanden, zum ersten male
seit Jahrhunderten war das stolze Frankreich auf seinem eigenen Boden
in einer ernsten Schlacht besiegt. Gewaltig war der Eindruck bei Freund
und Feind. Napoleon selber gab für jetzt das Spiel verloren und bevoll-
mächtigte seinen Unterhändler in Chatillon, Caulaincourt, um jeden Preis
die Hauptstadt zu retten und den Frieden abzuschließen; freilich sah er in
einem solchen Vertrage, wie er seinem Bruder Joseph schrieb, nur eine
Capitulation und nahm sich vor nach zwei Jahren den Krieg von Neuem
zu beginnen.

Da bereitete die österreichische Politik dem Imperator nochmals die
Rettung. Statt mit vereinten Kräften die Geschlagenen nachdrücklich zu
verfolgen, theilte Schwarzenberg sein Heer -- angeblich, weil er die ge-
waltigen Massen nicht zu verpflegen vermochte, in Wahrheit weil die
Oesterreicher sich der schlesischen Stürmer und Dränger entledigen wollten.
Während die große Armee an der Seine entlang marschirte um den Hauptstoß
gegen den Feind zu führen, sollte Blücher sich nordwestwärts an die Marne
wenden und von da die linke Flanke Napoleons umgehen. Wohlgemuth
zog der Alte seines Wegs über die kahle baumlose Hochfläche der Cham-
pagne, die im Norden von den rebenreichen weißen Kreidefelsen des Marne-
thals, im Süden von den lieblichen Hügeln der Seine begrenzt wird.
Der Wind pfiff schneidend über das offene Land, der Regen strömte her-
nieder; mühselig wateten die Truppen durch jene berüchtigten Schlamm-
wege der Champagne pouilleuse, die bei den älteren Offizieren noch
vom Jahre 1792 in üblem Andenken standen. Nachher trat hartes Frost-
wetter ein und zwang die Soldaten, die von den Bauern verlassenen
Häuser und Scheunen anzuzünden, wenn sie sich nur irgend wärmen
wollten in dem holzarmen Lande. Ein Unstern hatte die Armee grade
in den häßlichsten Theil des schönen Frankreichs verschlagen; die Preußen
meinten, neben diesen öden Flächen erschiene die grüne Ebene der Mark
wie ein Garten, sie spotteten über die höhlenartigen, unwohnlichen Häuser

Schlacht von La Rothière.
Drittel war den 40,000 Mann, welche Napoleon zur Stelle hatte, weit-
aus überlegen. Im Centrum drang Sacken mit ſeinen Ruſſen bei wildem
Schneegeſtöber gegen La Rothière vor und behauptete ſich dort wider die
kaiſerliche Garde. Dann ward auch der rechte Flügel der Franzoſen durch
Wrede und den Kronprinzen von Württemberg geſchlagen, und obwohl
der Unglücksmann Giulai wieder, wie einſt bei Leipzig, gegen die Linke
des Feindes wenig ausgerichtet hatte, ſo war doch am Abend ein voll-
ſtändiger Sieg erfochten. Ein großer Theil des franzöſiſchen Heeres floh
in wüſter Verwirrung; wurde der Sieg von der Uebermacht der Ver-
bündeten recht benutzt, ſo konnten die Geſchlagenen der Vernichtung nicht
entgehen. Sacken ſchrieb triumphirend: „An dieſem denkwürdigen Tage
hört Napoleon auf ein gefährlicher Feind der menſchlichen Geſellſchaft zu
ſein.“ Zum erſten male hatte der Marſchall Vorwärts in offener Feld-
ſchlacht ſelbſtändig dem Imperator gegenüber geſtanden, zum erſten male
ſeit Jahrhunderten war das ſtolze Frankreich auf ſeinem eigenen Boden
in einer ernſten Schlacht beſiegt. Gewaltig war der Eindruck bei Freund
und Feind. Napoleon ſelber gab für jetzt das Spiel verloren und bevoll-
mächtigte ſeinen Unterhändler in Chatillon, Caulaincourt, um jeden Preis
die Hauptſtadt zu retten und den Frieden abzuſchließen; freilich ſah er in
einem ſolchen Vertrage, wie er ſeinem Bruder Joſeph ſchrieb, nur eine
Capitulation und nahm ſich vor nach zwei Jahren den Krieg von Neuem
zu beginnen.

Da bereitete die öſterreichiſche Politik dem Imperator nochmals die
Rettung. Statt mit vereinten Kräften die Geſchlagenen nachdrücklich zu
verfolgen, theilte Schwarzenberg ſein Heer — angeblich, weil er die ge-
waltigen Maſſen nicht zu verpflegen vermochte, in Wahrheit weil die
Oeſterreicher ſich der ſchleſiſchen Stürmer und Dränger entledigen wollten.
Während die große Armee an der Seine entlang marſchirte um den Hauptſtoß
gegen den Feind zu führen, ſollte Blücher ſich nordweſtwärts an die Marne
wenden und von da die linke Flanke Napoleons umgehen. Wohlgemuth
zog der Alte ſeines Wegs über die kahle baumloſe Hochfläche der Cham-
pagne, die im Norden von den rebenreichen weißen Kreidefelſen des Marne-
thals, im Süden von den lieblichen Hügeln der Seine begrenzt wird.
Der Wind pfiff ſchneidend über das offene Land, der Regen ſtrömte her-
nieder; mühſelig wateten die Truppen durch jene berüchtigten Schlamm-
wege der Champagne pouilleuse, die bei den älteren Offizieren noch
vom Jahre 1792 in üblem Andenken ſtanden. Nachher trat hartes Froſt-
wetter ein und zwang die Soldaten, die von den Bauern verlaſſenen
Häuſer und Scheunen anzuzünden, wenn ſie ſich nur irgend wärmen
wollten in dem holzarmen Lande. Ein Unſtern hatte die Armee grade
in den häßlichſten Theil des ſchönen Frankreichs verſchlagen; die Preußen
meinten, neben dieſen öden Flächen erſchiene die grüne Ebene der Mark
wie ein Garten, ſie ſpotteten über die höhlenartigen, unwohnlichen Häuſer

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[537/0553] Schlacht von La Rothière. Drittel war den 40,000 Mann, welche Napoleon zur Stelle hatte, weit- aus überlegen. Im Centrum drang Sacken mit ſeinen Ruſſen bei wildem Schneegeſtöber gegen La Rothière vor und behauptete ſich dort wider die kaiſerliche Garde. Dann ward auch der rechte Flügel der Franzoſen durch Wrede und den Kronprinzen von Württemberg geſchlagen, und obwohl der Unglücksmann Giulai wieder, wie einſt bei Leipzig, gegen die Linke des Feindes wenig ausgerichtet hatte, ſo war doch am Abend ein voll- ſtändiger Sieg erfochten. Ein großer Theil des franzöſiſchen Heeres floh in wüſter Verwirrung; wurde der Sieg von der Uebermacht der Ver- bündeten recht benutzt, ſo konnten die Geſchlagenen der Vernichtung nicht entgehen. Sacken ſchrieb triumphirend: „An dieſem denkwürdigen Tage hört Napoleon auf ein gefährlicher Feind der menſchlichen Geſellſchaft zu ſein.“ Zum erſten male hatte der Marſchall Vorwärts in offener Feld- ſchlacht ſelbſtändig dem Imperator gegenüber geſtanden, zum erſten male ſeit Jahrhunderten war das ſtolze Frankreich auf ſeinem eigenen Boden in einer ernſten Schlacht beſiegt. Gewaltig war der Eindruck bei Freund und Feind. Napoleon ſelber gab für jetzt das Spiel verloren und bevoll- mächtigte ſeinen Unterhändler in Chatillon, Caulaincourt, um jeden Preis die Hauptſtadt zu retten und den Frieden abzuſchließen; freilich ſah er in einem ſolchen Vertrage, wie er ſeinem Bruder Joſeph ſchrieb, nur eine Capitulation und nahm ſich vor nach zwei Jahren den Krieg von Neuem zu beginnen. Da bereitete die öſterreichiſche Politik dem Imperator nochmals die Rettung. Statt mit vereinten Kräften die Geſchlagenen nachdrücklich zu verfolgen, theilte Schwarzenberg ſein Heer — angeblich, weil er die ge- waltigen Maſſen nicht zu verpflegen vermochte, in Wahrheit weil die Oeſterreicher ſich der ſchleſiſchen Stürmer und Dränger entledigen wollten. Während die große Armee an der Seine entlang marſchirte um den Hauptſtoß gegen den Feind zu führen, ſollte Blücher ſich nordweſtwärts an die Marne wenden und von da die linke Flanke Napoleons umgehen. Wohlgemuth zog der Alte ſeines Wegs über die kahle baumloſe Hochfläche der Cham- pagne, die im Norden von den rebenreichen weißen Kreidefelſen des Marne- thals, im Süden von den lieblichen Hügeln der Seine begrenzt wird. Der Wind pfiff ſchneidend über das offene Land, der Regen ſtrömte her- nieder; mühſelig wateten die Truppen durch jene berüchtigten Schlamm- wege der Champagne pouilleuse, die bei den älteren Offizieren noch vom Jahre 1792 in üblem Andenken ſtanden. Nachher trat hartes Froſt- wetter ein und zwang die Soldaten, die von den Bauern verlaſſenen Häuſer und Scheunen anzuzünden, wenn ſie ſich nur irgend wärmen wollten in dem holzarmen Lande. Ein Unſtern hatte die Armee grade in den häßlichſten Theil des ſchönen Frankreichs verſchlagen; die Preußen meinten, neben dieſen öden Flächen erſchiene die grüne Ebene der Mark wie ein Garten, ſie ſpotteten über die höhlenartigen, unwohnlichen Häuſer

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 537. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/553>, abgerufen am 22.11.2024.