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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 5. Ende der Kriegszeit.
noch jedes Verständniß; Niemand hat auch nur die Frage aufgeworfen,
ob nicht jene köstliche Beute den Stamm einer preußischen Flotte bilden
könne.

Der Prinz von Oranien, also mit Geschenken verschwenderisch über-
schüttet, fand sich noch immer nicht genug belohnt für seine unbekannten
Verdienste um Europa, entwarf mit unbeschämter Stirn neue Vergröße-
rungspläne: bald sollte ein links-rheinisches Königreich Neu-Burgund bis
zur Mosel und Nahe, bald ein rechts-rheinisches Groß-Nassau von Düssel-
dorf bis Bieberich in den unersättlichen Schlund seines Hauses fallen.
Das Volk am Rhein, ermüdet durch den Druck der napoleonischen Prä-
fecten, versprach sich goldene Berge von den reichen Holländern, fürchtete
die militärische Strenge der Preußen. Gegen diese Befreier seines Landes
hegte der Oranier, gleich seinen britischen Gönnern, ein tiefes Mißtrauen.
Fast auf jedem Blatte des englisch-niederländischen Depeschenwechsels wird
die Besorgniß ausgesprochen, daß nur Preußen nicht Luxemburg erhalte,
nicht durch eine starke rheinische Provinz "erdrückend" auf die Niederlande
wirke, denn "die preußische Schlauheit wird sich schwerlich mit Wärme an
die englische Ehrlichkeit anschließen". Von dieser feindseligen Gesinnung
der welfisch-oranischen Staatsmänner ahnte Hardenberg nichts, vielmehr
förderte er die oranische Sache wie seine eigene und zeigte sich sogar be-
reit einige rein deutsche Striche am Niederrhein dem niederländischen Ge-
sammtstaate zu überlassen.

Erst nachdem die Eroberung des linken Rheinufers beschlossen war,
konnte das preußische Cabinet einen bestimmten Plan für die Wiederher-
stellung der Monarchie aufstellen, denn jetzt erst ließ sich übersehen, welche
deutsche Gebiete für Preußen frei wurden. Ungesäumt benutzte der Staats-
kanzler die Gunst des Augenblicks und begann mit den Alliirten über
die preußischen Landforderungen zu verhandeln. Seit der Leipziger Schlacht
hielten die Verbündeten das Königreich Sachsen in ihrer Gewalt. Niemand
hätte an jenem Tage, da König Friedrich August als Kriegsgefangener
aus der erstürmten Stadt abgeführt wurde, die ungeheuerliche Behaup-
tung gewagt, daß dieser ergebenste Vasall Napoleons ein wiedergefundener
befreiter Freund der Verbündeten sei. Der Imperator selbst bewahrte
dem Könige immer eine wohlverdiente Dankbarkeit und forderte noch mehr-
mals während dieses Winters die Warschauer Krone für Friedrich August
zurück, weil es wider seine Ehre gehe den treuen Verbündeten zu ver-
lassen. Der Wettiner hatte von Napoleons Siegen die Vergrößerung
Sachsens erhofft und mußte mithin auch die Folgen der französischen
Niederlagen über sich ergehen lassen. Sein Land war in gerechtem Kriege
bis auf das letzte Dorf erobert und unterlag nach Völkerrecht allein der
Verfügung der Sieger. Der wider den Befehl des Königs erfolgte, poli-
tisch und militärisch gleich wirkungslose Uebertritt eines Theiles der säch-
sischen Armee konnte an solchen Thatsachen nichts ändern. Nach der

I. 5. Ende der Kriegszeit.
noch jedes Verſtändniß; Niemand hat auch nur die Frage aufgeworfen,
ob nicht jene köſtliche Beute den Stamm einer preußiſchen Flotte bilden
könne.

Der Prinz von Oranien, alſo mit Geſchenken verſchwenderiſch über-
ſchüttet, fand ſich noch immer nicht genug belohnt für ſeine unbekannten
Verdienſte um Europa, entwarf mit unbeſchämter Stirn neue Vergröße-
rungspläne: bald ſollte ein links-rheiniſches Königreich Neu-Burgund bis
zur Moſel und Nahe, bald ein rechts-rheiniſches Groß-Naſſau von Düſſel-
dorf bis Bieberich in den unerſättlichen Schlund ſeines Hauſes fallen.
Das Volk am Rhein, ermüdet durch den Druck der napoleoniſchen Prä-
fecten, verſprach ſich goldene Berge von den reichen Holländern, fürchtete
die militäriſche Strenge der Preußen. Gegen dieſe Befreier ſeines Landes
hegte der Oranier, gleich ſeinen britiſchen Gönnern, ein tiefes Mißtrauen.
Faſt auf jedem Blatte des engliſch-niederländiſchen Depeſchenwechſels wird
die Beſorgniß ausgeſprochen, daß nur Preußen nicht Luxemburg erhalte,
nicht durch eine ſtarke rheiniſche Provinz „erdrückend“ auf die Niederlande
wirke, denn „die preußiſche Schlauheit wird ſich ſchwerlich mit Wärme an
die engliſche Ehrlichkeit anſchließen“. Von dieſer feindſeligen Geſinnung
der welfiſch-oraniſchen Staatsmänner ahnte Hardenberg nichts, vielmehr
förderte er die oraniſche Sache wie ſeine eigene und zeigte ſich ſogar be-
reit einige rein deutſche Striche am Niederrhein dem niederländiſchen Ge-
ſammtſtaate zu überlaſſen.

Erſt nachdem die Eroberung des linken Rheinufers beſchloſſen war,
konnte das preußiſche Cabinet einen beſtimmten Plan für die Wiederher-
ſtellung der Monarchie aufſtellen, denn jetzt erſt ließ ſich überſehen, welche
deutſche Gebiete für Preußen frei wurden. Ungeſäumt benutzte der Staats-
kanzler die Gunſt des Augenblicks und begann mit den Alliirten über
die preußiſchen Landforderungen zu verhandeln. Seit der Leipziger Schlacht
hielten die Verbündeten das Königreich Sachſen in ihrer Gewalt. Niemand
hätte an jenem Tage, da König Friedrich Auguſt als Kriegsgefangener
aus der erſtürmten Stadt abgeführt wurde, die ungeheuerliche Behaup-
tung gewagt, daß dieſer ergebenſte Vaſall Napoleons ein wiedergefundener
befreiter Freund der Verbündeten ſei. Der Imperator ſelbſt bewahrte
dem Könige immer eine wohlverdiente Dankbarkeit und forderte noch mehr-
mals während dieſes Winters die Warſchauer Krone für Friedrich Auguſt
zurück, weil es wider ſeine Ehre gehe den treuen Verbündeten zu ver-
laſſen. Der Wettiner hatte von Napoleons Siegen die Vergrößerung
Sachſens erhofft und mußte mithin auch die Folgen der franzöſiſchen
Niederlagen über ſich ergehen laſſen. Sein Land war in gerechtem Kriege
bis auf das letzte Dorf erobert und unterlag nach Völkerrecht allein der
Verfügung der Sieger. Der wider den Befehl des Königs erfolgte, poli-
tiſch und militäriſch gleich wirkungsloſe Uebertritt eines Theiles der ſäch-
ſiſchen Armee konnte an ſolchen Thatſachen nichts ändern. Nach der

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[528/0544] I. 5. Ende der Kriegszeit. noch jedes Verſtändniß; Niemand hat auch nur die Frage aufgeworfen, ob nicht jene köſtliche Beute den Stamm einer preußiſchen Flotte bilden könne. Der Prinz von Oranien, alſo mit Geſchenken verſchwenderiſch über- ſchüttet, fand ſich noch immer nicht genug belohnt für ſeine unbekannten Verdienſte um Europa, entwarf mit unbeſchämter Stirn neue Vergröße- rungspläne: bald ſollte ein links-rheiniſches Königreich Neu-Burgund bis zur Moſel und Nahe, bald ein rechts-rheiniſches Groß-Naſſau von Düſſel- dorf bis Bieberich in den unerſättlichen Schlund ſeines Hauſes fallen. Das Volk am Rhein, ermüdet durch den Druck der napoleoniſchen Prä- fecten, verſprach ſich goldene Berge von den reichen Holländern, fürchtete die militäriſche Strenge der Preußen. Gegen dieſe Befreier ſeines Landes hegte der Oranier, gleich ſeinen britiſchen Gönnern, ein tiefes Mißtrauen. Faſt auf jedem Blatte des engliſch-niederländiſchen Depeſchenwechſels wird die Beſorgniß ausgeſprochen, daß nur Preußen nicht Luxemburg erhalte, nicht durch eine ſtarke rheiniſche Provinz „erdrückend“ auf die Niederlande wirke, denn „die preußiſche Schlauheit wird ſich ſchwerlich mit Wärme an die engliſche Ehrlichkeit anſchließen“. Von dieſer feindſeligen Geſinnung der welfiſch-oraniſchen Staatsmänner ahnte Hardenberg nichts, vielmehr förderte er die oraniſche Sache wie ſeine eigene und zeigte ſich ſogar be- reit einige rein deutſche Striche am Niederrhein dem niederländiſchen Ge- ſammtſtaate zu überlaſſen. Erſt nachdem die Eroberung des linken Rheinufers beſchloſſen war, konnte das preußiſche Cabinet einen beſtimmten Plan für die Wiederher- ſtellung der Monarchie aufſtellen, denn jetzt erſt ließ ſich überſehen, welche deutſche Gebiete für Preußen frei wurden. Ungeſäumt benutzte der Staats- kanzler die Gunſt des Augenblicks und begann mit den Alliirten über die preußiſchen Landforderungen zu verhandeln. Seit der Leipziger Schlacht hielten die Verbündeten das Königreich Sachſen in ihrer Gewalt. Niemand hätte an jenem Tage, da König Friedrich Auguſt als Kriegsgefangener aus der erſtürmten Stadt abgeführt wurde, die ungeheuerliche Behaup- tung gewagt, daß dieſer ergebenſte Vaſall Napoleons ein wiedergefundener befreiter Freund der Verbündeten ſei. Der Imperator ſelbſt bewahrte dem Könige immer eine wohlverdiente Dankbarkeit und forderte noch mehr- mals während dieſes Winters die Warſchauer Krone für Friedrich Auguſt zurück, weil es wider ſeine Ehre gehe den treuen Verbündeten zu ver- laſſen. Der Wettiner hatte von Napoleons Siegen die Vergrößerung Sachſens erhofft und mußte mithin auch die Folgen der franzöſiſchen Niederlagen über ſich ergehen laſſen. Sein Land war in gerechtem Kriege bis auf das letzte Dorf erobert und unterlag nach Völkerrecht allein der Verfügung der Sieger. Der wider den Befehl des Königs erfolgte, poli- tiſch und militäriſch gleich wirkungsloſe Uebertritt eines Theiles der ſäch- ſiſchen Armee konnte an ſolchen Thatſachen nichts ändern. Nach der

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 528. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/544>, abgerufen am 23.11.2024.